Er will sich der Gründe derselben bewusst werden, um wo er sie in der Kunst zu reproduciren hat, nicht der Laune seiner subjectiven Phantasie oder dem Zufalle einer glück- lichen Beobachtung unterworfen, sondern im Stande zu sein, sie auch bei minder lebhafter Erregung der Phantasie ganz objectiv als etwas durch Ursache und Wirkung bedingtes in jedem Augenblicke durch rationelles Denken sich wieder zu vergegenwärtigen.
Die beiden hier betrachteten Richtungen der künstle- rischen Geistesthätigkeit werden sich freilich in der Wirk- lichkeit nie in strenger Scheidung und Vereinzelung finden. Wollen wir aber nach dem Ueberwiegen der einen oder der anderen eine Eintheilung versuchen, so dürfen wir ohne Zö- gern aussprechen, dass die Kleinasiaten, Zeuxis und Parrha- sios, der ersten, mehr auf unmittelbarer Anschauung fussen- den, Pamphilos dagegen der mehr reflectirenden Richtung angehört. Seine Bedeutung lässt sich nach dem Vorgange Quintilians 1) in einem einzigen, freilich vielsagenden Worte, nemlich ratio, zusammenfassen, in der Zurückführung der Kunstübung auf wissenschaftliche, durch die ratio, bewusstes, vernunftgemässes Denken bestimmte Grundlagen. Hierauf den grössten Nachdruck zu legen, dürfen wir um so weniger Anstand nehmen, als uns der Künstler selbst hierin voran- gegangen ist, wenn er behauptet, dass ohne die vorzugsweise sogenannten exacten Wissenschaften, Arithmetik und Geome- trie, eine vollendete Durchbildung der Kunst unmöglich sei.
Ueber den Werth dieser ganzen Richtung lässt sich frei- lich je nach den verschiedenen Standpunkten auch verschie- den urtheilen. Man kann den Satz aufstellen, die Kunst sei ja keine Wissenschaft, und alle theoretischen Studien könn- ten höchstens zur Correctheit, wenn auch im weitesten Sinne führen; sie seien daher schliesslich weniger von positiver, als von negativer Bedeutung, weniger ein Förderungsmittel, als ein Präservativ gegen Ausartung. Wir können dies zu- geben; aber selbst wenn wir ein Recht hätten, an der künst- lerischen Befähigung des Pamphilos nach andern Richtungen hin zu zweifeln, so würde doch sein Verdienst namentlich im Hinblicke auf den Zusammenhang der historischen Ent-
1) XII, 10.
Er will sich der Gründe derselben bewusst werden, um wo er sie in der Kunst zu reproduciren hat, nicht der Laune seiner subjectiven Phantasie oder dem Zufalle einer glück- lichen Beobachtung unterworfen, sondern im Stande zu sein, sie auch bei minder lebhafter Erregung der Phantasie ganz objectiv als etwas durch Ursache und Wirkung bedingtes in jedem Augenblicke durch rationelles Denken sich wieder zu vergegenwärtigen.
Die beiden hier betrachteten Richtungen der künstle- rischen Geistesthätigkeit werden sich freilich in der Wirk- lichkeit nie in strenger Scheidung und Vereinzelung finden. Wollen wir aber nach dem Ueberwiegen der einen oder der anderen eine Eintheilung versuchen, so dürfen wir ohne Zö- gern aussprechen, dass die Kleinasiaten, Zeuxis und Parrha- sios, der ersten, mehr auf unmittelbarer Anschauung fussen- den, Pamphilos dagegen der mehr reflectirenden Richtung angehört. Seine Bedeutung lässt sich nach dem Vorgange Quintilians 1) in einem einzigen, freilich vielsagenden Worte, nemlich ratio, zusammenfassen, in der Zurückführung der Kunstübung auf wissenschaftliche, durch die ratio, bewusstes, vernunftgemässes Denken bestimmte Grundlagen. Hierauf den grössten Nachdruck zu legen, dürfen wir um so weniger Anstand nehmen, als uns der Künstler selbst hierin voran- gegangen ist, wenn er behauptet, dass ohne die vorzugsweise sogenannten exacten Wissenschaften, Arithmetik und Geome- trie, eine vollendete Durchbildung der Kunst unmöglich sei.
Ueber den Werth dieser ganzen Richtung lässt sich frei- lich je nach den verschiedenen Standpunkten auch verschie- den urtheilen. Man kann den Satz aufstellen, die Kunst sei ja keine Wissenschaft, und alle theoretischen Studien könn- ten höchstens zur Correctheit, wenn auch im weitesten Sinne führen; sie seien daher schliesslich weniger von positiver, als von negativer Bedeutung, weniger ein Förderungsmittel, als ein Präservativ gegen Ausartung. Wir können dies zu- geben; aber selbst wenn wir ein Recht hätten, an der künst- lerischen Befähigung des Pamphilos nach andern Richtungen hin zu zweifeln, so würde doch sein Verdienst namentlich im Hinblicke auf den Zusammenhang der historischen Ent-
1) XII, 10.
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Er will sich der Gründe derselben bewusst werden, um wo
er sie in der Kunst zu reproduciren hat, nicht der Laune
seiner subjectiven Phantasie oder dem Zufalle einer glück-
lichen Beobachtung unterworfen, sondern im Stande zu sein,
sie auch bei minder lebhafter Erregung der Phantasie ganz
objectiv als etwas durch Ursache und Wirkung bedingtes in
jedem Augenblicke durch rationelles Denken sich wieder zu
vergegenwärtigen.
Die beiden hier betrachteten Richtungen der künstle-
rischen Geistesthätigkeit werden sich freilich in der Wirk-
lichkeit nie in strenger Scheidung und Vereinzelung finden.
Wollen wir aber nach dem Ueberwiegen der einen oder der
anderen eine Eintheilung versuchen, so dürfen wir ohne Zö-
gern aussprechen, dass die Kleinasiaten, Zeuxis und Parrha-
sios, der ersten, mehr auf unmittelbarer Anschauung fussen-
den, Pamphilos dagegen der mehr reflectirenden Richtung
angehört. Seine Bedeutung lässt sich nach dem Vorgange
Quintilians 1) in einem einzigen, freilich vielsagenden Worte,
nemlich ratio, zusammenfassen, in der Zurückführung der
Kunstübung auf wissenschaftliche, durch die ratio, bewusstes,
vernunftgemässes Denken bestimmte Grundlagen. Hierauf
den grössten Nachdruck zu legen, dürfen wir um so weniger
Anstand nehmen, als uns der Künstler selbst hierin voran-
gegangen ist, wenn er behauptet, dass ohne die vorzugsweise
sogenannten exacten Wissenschaften, Arithmetik und Geome-
trie, eine vollendete Durchbildung der Kunst unmöglich sei.
Ueber den Werth dieser ganzen Richtung lässt sich frei-
lich je nach den verschiedenen Standpunkten auch verschie-
den urtheilen. Man kann den Satz aufstellen, die Kunst sei
ja keine Wissenschaft, und alle theoretischen Studien könn-
ten höchstens zur Correctheit, wenn auch im weitesten Sinne
führen; sie seien daher schliesslich weniger von positiver,
als von negativer Bedeutung, weniger ein Förderungsmittel,
als ein Präservativ gegen Ausartung. Wir können dies zu-
geben; aber selbst wenn wir ein Recht hätten, an der künst-
lerischen Befähigung des Pamphilos nach andern Richtungen
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1) XII, 10.
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/145>, abgerufen am 23.11.2024.
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