dass es sich ja hier, einen zweifelhaften Fall ausgenommen, nirgends um das Verhältniss von Vater und Sohn, also um eine Rechnung nach Menschenaltern, sondern von Lehrer und Schüler handelt. Die von Sillig angenommene Berech- nungsweise von sechs zu sechs Olympiaden wird dadurch ganz unhaltbar, und ein Vorschreiten in Zeiträumen von zwei bis drei Olympiaden kann häufig vollkommen genügend er- scheinen. Um nur ein schlagendes Beispiel anzuführen, so hat Pietro Perugino, der bei Raphaels Geburt siebenund- dreissig Jahre zählte, über fünfzig, als sich dieser noch in seiner Schule befand, nach dieser Zeit es noch erlebt, dass Giulio Romano, Raphaels Schüler, wiederum Schüler bildete, und das in dem Zeitraume von 1500--1524.
Sollte schliesslich jemand die Frage aufwerfen, warum nicht Nikias den Unterricht des Euphranor dem seines min- der berühmten Schülers vorgezogen habe, so dürfte man dieselbe als völlig unbefugt geradezu abweisen. Doch lässt sich eine Antwort finden, die unsere obigen Ansichten nur bestätigt. Ich glaube nemlich den Grund für die schnelle Aufeinanderfolge von Lehrer und Schüler in dem verschie- denen Vaterlande und den vielfachen Reisen einzelner Künst- ler zu finden. Die drei ersten Glieder gehören Theben an, Euphranor dem Isthmus, Nikias Athen. In einer an densel- ben Ort gebundenen Schule wird häufig der ältere Meister einen gewissen Vorrang vor dem jüngeren behaupten. Aber nach Aristides hörte Theben auf, der Mittelpunkt dieser Schule zu sein. Ja, da sich wenigstens eines seiner berühm- testen Werke zu Korinth befand, ein Aufenthalt des Künst- lers in dieser Stadt also nichts Unwahrscheinliches hat, so wäre es nicht unmöglich, dass Euphranor dort, nicht in The- ben seinen Unterricht genossen hätte. Euphranor aber, ur- sprünglich Isthmier, scheint zwar Athener geworden zu sein, jedoch nicht für immer dort seinen Wohnsitz gehabt zu haben; wenigstens malte er für Ephesos. Nehmen wir nun etwa an, dass er Athen, nachdem er die Schlacht bei Man- tinea und die damit im Zusammenhange stehenden Bilder ge- malt, bald verlassen habe, so konnte Nikias wenigstens in Athen gar nicht einmal sein Schüler werden. -- Ich glaube demnach, dass die folgende Genealogie, in wel- cher nur noch als letztes Glied ein Schüler des Nikias,
dass es sich ja hier, einen zweifelhaften Fall ausgenommen, nirgends um das Verhältniss von Vater und Sohn, also um eine Rechnung nach Menschenaltern, sondern von Lehrer und Schüler handelt. Die von Sillig angenommene Berech- nungsweise von sechs zu sechs Olympiaden wird dadurch ganz unhaltbar, und ein Vorschreiten in Zeiträumen von zwei bis drei Olympiaden kann häufig vollkommen genügend er- scheinen. Um nur ein schlagendes Beispiel anzuführen, so hat Pietro Perugino, der bei Raphaels Geburt siebenund- dreissig Jahre zählte, über fünfzig, als sich dieser noch in seiner Schule befand, nach dieser Zeit es noch erlebt, dass Giulio Romano, Raphaels Schüler, wiederum Schüler bildete, und das in dem Zeitraume von 1500—1524.
Sollte schliesslich jemand die Frage aufwerfen, warum nicht Nikias den Unterricht des Euphranor dem seines min- der berühmten Schülers vorgezogen habe, so dürfte man dieselbe als völlig unbefugt geradezu abweisen. Doch lässt sich eine Antwort finden, die unsere obigen Ansichten nur bestätigt. Ich glaube nemlich den Grund für die schnelle Aufeinanderfolge von Lehrer und Schüler in dem verschie- denen Vaterlande und den vielfachen Reisen einzelner Künst- ler zu finden. Die drei ersten Glieder gehören Theben an, Euphranor dem Isthmus, Nikias Athen. In einer an densel- ben Ort gebundenen Schule wird häufig der ältere Meister einen gewissen Vorrang vor dem jüngeren behaupten. Aber nach Aristides hörte Theben auf, der Mittelpunkt dieser Schule zu sein. Ja, da sich wenigstens eines seiner berühm- testen Werke zu Korinth befand, ein Aufenthalt des Künst- lers in dieser Stadt also nichts Unwahrscheinliches hat, so wäre es nicht unmöglich, dass Euphranor dort, nicht in The- ben seinen Unterricht genossen hätte. Euphranor aber, ur- sprünglich Isthmier, scheint zwar Athener geworden zu sein, jedoch nicht für immer dort seinen Wohnsitz gehabt zu haben; wenigstens malte er für Ephesos. Nehmen wir nun etwa an, dass er Athen, nachdem er die Schlacht bei Man- tinea und die damit im Zusammenhange stehenden Bilder ge- malt, bald verlassen habe, so konnte Nikias wenigstens in Athen gar nicht einmal sein Schüler werden. — Ich glaube demnach, dass die folgende Genealogie, in wel- cher nur noch als letztes Glied ein Schüler des Nikias,
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dass es sich ja hier, einen zweifelhaften Fall ausgenommen,
nirgends um das Verhältniss von Vater und Sohn, also um
eine Rechnung nach Menschenaltern, sondern von Lehrer
und Schüler handelt. Die von Sillig angenommene Berech-
nungsweise von sechs zu sechs Olympiaden wird dadurch
ganz unhaltbar, und ein Vorschreiten in Zeiträumen von zwei
bis drei Olympiaden kann häufig vollkommen genügend er-
scheinen. Um nur ein schlagendes Beispiel anzuführen, so
hat Pietro Perugino, der bei Raphaels Geburt siebenund-
dreissig Jahre zählte, über fünfzig, als sich dieser noch in
seiner Schule befand, nach dieser Zeit es noch erlebt, dass
Giulio Romano, Raphaels Schüler, wiederum Schüler bildete,
und das in dem Zeitraume von 1500—1524.
Sollte schliesslich jemand die Frage aufwerfen, warum
nicht Nikias den Unterricht des Euphranor dem seines min-
der berühmten Schülers vorgezogen habe, so dürfte man
dieselbe als völlig unbefugt geradezu abweisen. Doch lässt
sich eine Antwort finden, die unsere obigen Ansichten nur
bestätigt. Ich glaube nemlich den Grund für die schnelle
Aufeinanderfolge von Lehrer und Schüler in dem verschie-
denen Vaterlande und den vielfachen Reisen einzelner Künst-
ler zu finden. Die drei ersten Glieder gehören Theben an,
Euphranor dem Isthmus, Nikias Athen. In einer an densel-
ben Ort gebundenen Schule wird häufig der ältere Meister
einen gewissen Vorrang vor dem jüngeren behaupten. Aber
nach Aristides hörte Theben auf, der Mittelpunkt dieser
Schule zu sein. Ja, da sich wenigstens eines seiner berühm-
testen Werke zu Korinth befand, ein Aufenthalt des Künst-
lers in dieser Stadt also nichts Unwahrscheinliches hat, so
wäre es nicht unmöglich, dass Euphranor dort, nicht in The-
ben seinen Unterricht genossen hätte. Euphranor aber, ur-
sprünglich Isthmier, scheint zwar Athener geworden zu sein,
jedoch nicht für immer dort seinen Wohnsitz gehabt zu
haben; wenigstens malte er für Ephesos. Nehmen wir nun
etwa an, dass er Athen, nachdem er die Schlacht bei Man-
tinea und die damit im Zusammenhange stehenden Bilder ge-
malt, bald verlassen habe, so konnte Nikias wenigstens in
Athen gar nicht einmal sein Schüler werden. — Ich
glaube demnach, dass die folgende Genealogie, in wel-
cher nur noch als letztes Glied ein Schüler des Nikias,
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/174>, abgerufen am 24.11.2024.
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