Kallikles gegenüber den Euphranor sehr wohl als Repräsen- tanten der Erhabenheit (altitudo) hinstellen. Freilich sind die Zeugnisse, auf welchen unsere Darlegung beruht, gering an Zahl, und nach ihrer Fassung kann ihre Deutung manchen Zweifeln ausgesetzt erscheinen. Darum werden wir die un- srige wenigstens noch nach einer Seite hin sicher zu stellen suchen, indem wir nachweisen, dass sie nicht im Wider- spruche mit der allgemeinen Entwickelungsgeschichte der Malerei steht. Denn auffallend wird es allerdings erscheinen, dass sich aus der durchaus auf Gefühl und Empfindung be- ruhenden Richtung des Aristides bei seinem Schüler Euphra- nor eine so durchaus realistische Auffassung entwickelt ha- ben soll. Und doch lässt sich die Möglichkeit dieses Ueber- ganges von vorn herein durch eine gewichtige kunstge- schichtliche Analogie nachweisen. Gerade der Künstler, dessen ganzes Streben durchaus vom Irdischen weg zum geistig Ascetischen gewendet war, Fiesole war es, der "in physiognomischer Beziehung allen florentinischen Naturali- sten vorgeleuchtet hat," "der bei den florentinischen Malern der zweiten Hälfte des 15ten Jahrhunderts den Sinn für den Reiz und für die Bedeutung des Mannigfaltigen in der mensch- lichen Gesichtsbildung weckte und schärfte." 1) Wie aber hier keineswegs der Zufall, sondern innere Gründe wirkten, so fehlt es auch nicht an einem inneren Zusammenhange zwischen den scheinbar sich widersprechenden Leistungen des Aristides und des Euphranor.
Aristides mochte noch so sehr aus der innersten Tiefe des Seelen- und Gefühlslebens heraus seine Werke schaffen, sein ganzes Streben mochte dadurch noch so sehr vergei- stigt erscheinen: so musste er doch, indem er Affecte, Leiden und Leidenschaften schilderte, sein Augenmerk von den blei- benden Formen des Grundcharakters, dem Ethos der poly- gnotischen Kunst ab auf vorübergehende psychologische Stimmungen und Züge richten, welche an den ihrer Natur nach beweglicheren und wandelbareren Formen des Körpers zur Anschauung kommen. Wenn nun aber auch der mit dem feinsten Gefühl hervorragend begabte Künstler sich bei
1) Rumohr: ital. Forsch. II, 264 u. 256 und überhaupt im 13ten Ca pitel.
Kallikles gegenüber den Euphranor sehr wohl als Repräsen- tanten der Erhabenheit (altitudo) hinstellen. Freilich sind die Zeugnisse, auf welchen unsere Darlegung beruht, gering an Zahl, und nach ihrer Fassung kann ihre Deutung manchen Zweifeln ausgesetzt erscheinen. Darum werden wir die un- srige wenigstens noch nach einer Seite hin sicher zu stellen suchen, indem wir nachweisen, dass sie nicht im Wider- spruche mit der allgemeinen Entwickelungsgeschichte der Malerei steht. Denn auffallend wird es allerdings erscheinen, dass sich aus der durchaus auf Gefühl und Empfindung be- ruhenden Richtung des Aristides bei seinem Schüler Euphra- nor eine so durchaus realistische Auffassung entwickelt ha- ben soll. Und doch lässt sich die Möglichkeit dieses Ueber- ganges von vorn herein durch eine gewichtige kunstge- schichtliche Analogie nachweisen. Gerade der Künstler, dessen ganzes Streben durchaus vom Irdischen weg zum geistig Ascetischen gewendet war, Fiesole war es, der „in physiognomischer Beziehung allen florentinischen Naturali- sten vorgeleuchtet hat,“ „der bei den florentinischen Malern der zweiten Hälfte des 15ten Jahrhunderts den Sinn für den Reiz und für die Bedeutung des Mannigfaltigen in der mensch- lichen Gesichtsbildung weckte und schärfte.“ 1) Wie aber hier keineswegs der Zufall, sondern innere Gründe wirkten, so fehlt es auch nicht an einem inneren Zusammenhange zwischen den scheinbar sich widersprechenden Leistungen des Aristides und des Euphranor.
Aristides mochte noch so sehr aus der innersten Tiefe des Seelen- und Gefühlslebens heraus seine Werke schaffen, sein ganzes Streben mochte dadurch noch so sehr vergei- stigt erscheinen: so musste er doch, indem er Affecte, Leiden und Leidenschaften schilderte, sein Augenmerk von den blei- benden Formen des Grundcharakters, dem Ethos der poly- gnotischen Kunst ab auf vorübergehende psychologische Stimmungen und Züge richten, welche an den ihrer Natur nach beweglicheren und wandelbareren Formen des Körpers zur Anschauung kommen. Wenn nun aber auch der mit dem feinsten Gefühl hervorragend begabte Künstler sich bei
1) Rumohr: ital. Forsch. II, 264 u. 256 und überhaupt im 13ten Ca pitel.
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Kallikles gegenüber den Euphranor sehr wohl als Repräsen-
tanten der Erhabenheit (altitudo) hinstellen. Freilich sind
die Zeugnisse, auf welchen unsere Darlegung beruht, gering
an Zahl, und nach ihrer Fassung kann ihre Deutung manchen
Zweifeln ausgesetzt erscheinen. Darum werden wir die un-
srige wenigstens noch nach einer Seite hin sicher zu stellen
suchen, indem wir nachweisen, dass sie nicht im Wider-
spruche mit der allgemeinen Entwickelungsgeschichte der
Malerei steht. Denn auffallend wird es allerdings erscheinen,
dass sich aus der durchaus auf Gefühl und Empfindung be-
ruhenden Richtung des Aristides bei seinem Schüler Euphra-
nor eine so durchaus realistische Auffassung entwickelt ha-
ben soll. Und doch lässt sich die Möglichkeit dieses Ueber-
ganges von vorn herein durch eine gewichtige kunstge-
schichtliche Analogie nachweisen. Gerade der Künstler,
dessen ganzes Streben durchaus vom Irdischen weg zum
geistig Ascetischen gewendet war, Fiesole war es, der „in
physiognomischer Beziehung allen florentinischen Naturali-
sten vorgeleuchtet hat,“ „der bei den florentinischen Malern
der zweiten Hälfte des 15ten Jahrhunderts den Sinn für den
Reiz und für die Bedeutung des Mannigfaltigen in der mensch-
lichen Gesichtsbildung weckte und schärfte.“ 1) Wie aber
hier keineswegs der Zufall, sondern innere Gründe wirkten,
so fehlt es auch nicht an einem inneren Zusammenhange
zwischen den scheinbar sich widersprechenden Leistungen
des Aristides und des Euphranor.
Aristides mochte noch so sehr aus der innersten Tiefe
des Seelen- und Gefühlslebens heraus seine Werke schaffen,
sein ganzes Streben mochte dadurch noch so sehr vergei-
stigt erscheinen: so musste er doch, indem er Affecte, Leiden
und Leidenschaften schilderte, sein Augenmerk von den blei-
benden Formen des Grundcharakters, dem Ethos der poly-
gnotischen Kunst ab auf vorübergehende psychologische
Stimmungen und Züge richten, welche an den ihrer Natur
nach beweglicheren und wandelbareren Formen des Körpers
zur Anschauung kommen. Wenn nun aber auch der mit
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1) Rumohr: ital. Forsch. II, 264 u. 256 und überhaupt im 13ten Ca
pitel.
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/199>, abgerufen am 21.11.2024.
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