Der Architekt ist als Künstler keineswegs geringer zu ach- ten als der Bildhauer oder Maler. Seinem Werke gegen- über nimmt er jedoch in vielen Beziehungen eine wesentlich verschiedene Stellung ein. Auch der vollendetste Bau ver- folgt nicht die künstlerische Schönheit als einzigen Zweck: vielmehr muss die Erfüllung eines bestimmten praktischen Bedürfnisses vorgesehen sein, noch ehe die Forderungen der Kunst sich geltend machen dürfen. So weit aber der Archi- tekt nur diesem ersten Zwecke genügt, ist er nur Handwer- ker oder nach unserem Sprachgebrauche Techniker, und er darf dies zu sein auch dann nie aufhören, wenn er wirklich Künstler wird. Trotz dieses engen Verhältnisses zum Hand- werk ist er aber weit weniger praktisch ausführender, als blos entwerfender Künstler: der Bau ist weit weniger das Werk seiner Hand, als die Statue und das Gemälde, und das persönliche Verhältniss des Urhebers ist daher bei jenem in gewisser Beziehung ein entfernteres, als bei diesem. Hierzu gesellt sich nun aber ferner die wesentlichste Verschieden- heit der Formen, in welchen allein die Architektur ihre Ideen zur Darstellung zu bringen vermag. Denn während der Bild- hauer und Maler die belebte Welt in ihrer unendlichen Viel- gestaltigkeit sich zum Vorwurf nimmt, hat der Architekt nicht die Geschöpfe der Wirklichkeit nachzubilden, sondern auf die durch statische und mechanische Gesetze bedingten Glieder des Baues eine deren Wesenheit entsprechende ana- loge Form der organischen Aussenwelt zu übertragen. In dem Verhältnisse aber, als diese Formen nicht etwas Zufäl- liges und Willkürliches, sondern Nothwendiges sind, wird
Einleitung.
Der Architekt ist als Künstler keineswegs geringer zu ach- ten als der Bildhauer oder Maler. Seinem Werke gegen- über nimmt er jedoch in vielen Beziehungen eine wesentlich verschiedene Stellung ein. Auch der vollendetste Bau ver- folgt nicht die künstlerische Schönheit als einzigen Zweck: vielmehr muss die Erfüllung eines bestimmten praktischen Bedürfnisses vorgesehen sein, noch ehe die Forderungen der Kunst sich geltend machen dürfen. So weit aber der Archi- tekt nur diesem ersten Zwecke genügt, ist er nur Handwer- ker oder nach unserem Sprachgebrauche Techniker, und er darf dies zu sein auch dann nie aufhören, wenn er wirklich Künstler wird. Trotz dieses engen Verhältnisses zum Hand- werk ist er aber weit weniger praktisch ausführender, als blos entwerfender Künstler: der Bau ist weit weniger das Werk seiner Hand, als die Statue und das Gemälde, und das persönliche Verhältniss des Urhebers ist daher bei jenem in gewisser Beziehung ein entfernteres, als bei diesem. Hierzu gesellt sich nun aber ferner die wesentlichste Verschieden- heit der Formen, in welchen allein die Architektur ihre Ideen zur Darstellung zu bringen vermag. Denn während der Bild- hauer und Maler die belebte Welt in ihrer unendlichen Viel- gestaltigkeit sich zum Vorwurf nimmt, hat der Architekt nicht die Geschöpfe der Wirklichkeit nachzubilden, sondern auf die durch statische und mechanische Gesetze bedingten Glieder des Baues eine deren Wesenheit entsprechende ana- loge Form der organischen Aussenwelt zu übertragen. In dem Verhältnisse aber, als diese Formen nicht etwas Zufäl- liges und Willkürliches, sondern Nothwendiges sind, wird
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0327"n="[319]"/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Einleitung</hi>.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>er Architekt ist als Künstler keineswegs geringer zu ach-<lb/>
ten als der Bildhauer oder Maler. Seinem Werke gegen-<lb/>
über nimmt er jedoch in vielen Beziehungen eine wesentlich<lb/>
verschiedene Stellung ein. Auch der vollendetste Bau ver-<lb/>
folgt nicht die künstlerische Schönheit als einzigen Zweck:<lb/>
vielmehr muss die Erfüllung eines bestimmten praktischen<lb/>
Bedürfnisses vorgesehen sein, noch ehe die Forderungen der<lb/>
Kunst sich geltend machen dürfen. So weit aber der Archi-<lb/>
tekt nur diesem ersten Zwecke genügt, ist er nur Handwer-<lb/>
ker oder nach unserem Sprachgebrauche Techniker, und er<lb/>
darf dies zu sein auch dann nie aufhören, wenn er wirklich<lb/>
Künstler wird. Trotz dieses engen Verhältnisses zum Hand-<lb/>
werk ist er aber weit weniger praktisch ausführender, als<lb/>
blos entwerfender Künstler: der Bau ist weit weniger das<lb/>
Werk seiner Hand, als die Statue und das Gemälde, und das<lb/>
persönliche Verhältniss des Urhebers ist daher bei jenem in<lb/>
gewisser Beziehung ein entfernteres, als bei diesem. Hierzu<lb/>
gesellt sich nun aber ferner die wesentlichste Verschieden-<lb/>
heit der Formen, in welchen allein die Architektur ihre Ideen<lb/>
zur Darstellung zu bringen vermag. Denn während der Bild-<lb/>
hauer und Maler die belebte Welt in ihrer unendlichen Viel-<lb/>
gestaltigkeit sich zum Vorwurf nimmt, hat der Architekt<lb/>
nicht die Geschöpfe der Wirklichkeit nachzubilden, sondern<lb/>
auf die durch statische und mechanische Gesetze bedingten<lb/>
Glieder des Baues eine deren Wesenheit entsprechende ana-<lb/>
loge Form der organischen Aussenwelt zu übertragen. In<lb/>
dem Verhältnisse aber, als diese Formen nicht etwas Zufäl-<lb/>
liges und Willkürliches, sondern Nothwendiges sind, wird<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[319]/0327]
Einleitung.
Der Architekt ist als Künstler keineswegs geringer zu ach-
ten als der Bildhauer oder Maler. Seinem Werke gegen-
über nimmt er jedoch in vielen Beziehungen eine wesentlich
verschiedene Stellung ein. Auch der vollendetste Bau ver-
folgt nicht die künstlerische Schönheit als einzigen Zweck:
vielmehr muss die Erfüllung eines bestimmten praktischen
Bedürfnisses vorgesehen sein, noch ehe die Forderungen der
Kunst sich geltend machen dürfen. So weit aber der Archi-
tekt nur diesem ersten Zwecke genügt, ist er nur Handwer-
ker oder nach unserem Sprachgebrauche Techniker, und er
darf dies zu sein auch dann nie aufhören, wenn er wirklich
Künstler wird. Trotz dieses engen Verhältnisses zum Hand-
werk ist er aber weit weniger praktisch ausführender, als
blos entwerfender Künstler: der Bau ist weit weniger das
Werk seiner Hand, als die Statue und das Gemälde, und das
persönliche Verhältniss des Urhebers ist daher bei jenem in
gewisser Beziehung ein entfernteres, als bei diesem. Hierzu
gesellt sich nun aber ferner die wesentlichste Verschieden-
heit der Formen, in welchen allein die Architektur ihre Ideen
zur Darstellung zu bringen vermag. Denn während der Bild-
hauer und Maler die belebte Welt in ihrer unendlichen Viel-
gestaltigkeit sich zum Vorwurf nimmt, hat der Architekt
nicht die Geschöpfe der Wirklichkeit nachzubilden, sondern
auf die durch statische und mechanische Gesetze bedingten
Glieder des Baues eine deren Wesenheit entsprechende ana-
loge Form der organischen Aussenwelt zu übertragen. In
dem Verhältnisse aber, als diese Formen nicht etwas Zufäl-
liges und Willkürliches, sondern Nothwendiges sind, wird
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. [319]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/327>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.