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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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Kenntniss nachweisen liesse. Eigene Studien haben mich in-
dessen überzeugt, dass trotz dieser Mangelhaftigkeit das von
Welcker aufgestellte Grundprincip sich noch in weit stren-
gerer Weise durchführen lässt. Dies hier zu thun, würde
theils zu viel Raum erfordern, theils ohne eine nochmalige
künstlerische Reproduction nur einen halben Nutzen gewäh-
ren. Nur einige Winke über die zu befolgende Methode
und die daraus sich ergebenden Resultate mögen daher hier
Platz finden. Die Methode beruht einfach auf der Annahme,
dass die Anordnung der Figuren in mehreren Abstufungen
über einander nicht in streng von einander getrennten Reihen,
gewissermassen Stockwerken, welche sich durch die ganze
Breite des Bildes hinziehen, durchgeführt werden darf, son-
dern dass sich diese Reihen durch Vermittelungsglieder in
auf- und absteigenden Linien unter einander verbinden. Auf
diesem Wege ergiebt es sich, ohne dass es nöthig wäre, dem
Pausanias in der Erklärung irgend wie Gewalt anzuthun,
dass nicht nur je die eine Hälfte eines und desselben Bildes
in den Grundlinien der Composition der andern auf das
Strengste entspricht, sondern auch, dass ganz dieselben
Grundlinien in beiden Gemälden gleichmässig wiederkehren.
Ja ich stehe nicht an zu glauben, dass sich in der ältern,
wie in der neuern Kunst kaum etwas anderes finden dürfte,
was hinsichtlich strenger Gesetzmässigkeit der Composition
mit den Gemälden des Polygnot den Vergleich aushielte, ohne
dass dieser Künstler dadurch seine höhere künstlerische
Freiheit geopfert hätte. Der schon oben benutzte Vergleich
mit Raphael und seinen bei der höchsten Vollendung doch
so streng gesetzmässigen Compositionen kann auch hier leh-
ren, dass, was ich von Polygnot annehme, wenigstens nicht
an einem inneren Widerspruche leidet. Blicken wir aber auf
das, was wir sonst von der Kunst vor und zur Zeit des Po-
lygnot wissen, so kann daraus für meine Ansicht nur eine
Bestätigung erwachsen. Ich glaube das Grundgesetz, welches
ich auch für Polygnot in Anspruch genommen habe, das
strenge Entsprechen der sich gegenüberstehenden Glieder, an
einer Reihe der wichtigsten Werke ältester und alter Zeit mit
hinlänglicher Sicherheit dargelegt zu haben. 1) Polygnot steht

1) Rhein. Mus. N. F. V, 321 fg.
3*

Kenntniss nachweisen liesse. Eigene Studien haben mich in-
dessen überzeugt, dass trotz dieser Mangelhaftigkeit das von
Welcker aufgestellte Grundprincip sich noch in weit stren-
gerer Weise durchführen lässt. Dies hier zu thun, würde
theils zu viel Raum erfordern, theils ohne eine nochmalige
künstlerische Reproduction nur einen halben Nutzen gewäh-
ren. Nur einige Winke über die zu befolgende Methode
und die daraus sich ergebenden Resultate mögen daher hier
Platz finden. Die Methode beruht einfach auf der Annahme,
dass die Anordnung der Figuren in mehreren Abstufungen
über einander nicht in streng von einander getrennten Reihen,
gewissermassen Stockwerken, welche sich durch die ganze
Breite des Bildes hinziehen, durchgeführt werden darf, son-
dern dass sich diese Reihen durch Vermittelungsglieder in
auf- und absteigenden Linien unter einander verbinden. Auf
diesem Wege ergiebt es sich, ohne dass es nöthig wäre, dem
Pausanias in der Erklärung irgend wie Gewalt anzuthun,
dass nicht nur je die eine Hälfte eines und desselben Bildes
in den Grundlinien der Composition der andern auf das
Strengste entspricht, sondern auch, dass ganz dieselben
Grundlinien in beiden Gemälden gleichmässig wiederkehren.
Ja ich stehe nicht an zu glauben, dass sich in der ältern,
wie in der neuern Kunst kaum etwas anderes finden dürfte,
was hinsichtlich strenger Gesetzmässigkeit der Composition
mit den Gemälden des Polygnot den Vergleich aushielte, ohne
dass dieser Künstler dadurch seine höhere künstlerische
Freiheit geopfert hätte. Der schon oben benutzte Vergleich
mit Raphael und seinen bei der höchsten Vollendung doch
so streng gesetzmässigen Compositionen kann auch hier leh-
ren, dass, was ich von Polygnot annehme, wenigstens nicht
an einem inneren Widerspruche leidet. Blicken wir aber auf
das, was wir sonst von der Kunst vor und zur Zeit des Po-
lygnot wissen, so kann daraus für meine Ansicht nur eine
Bestätigung erwachsen. Ich glaube das Grundgesetz, welches
ich auch für Polygnot in Anspruch genommen habe, das
strenge Entsprechen der sich gegenüberstehenden Glieder, an
einer Reihe der wichtigsten Werke ältester und alter Zeit mit
hinlänglicher Sicherheit dargelegt zu haben. 1) Polygnot steht

1) Rhein. Mus. N. F. V, 321 fg.
3*
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[35/0043] Kenntniss nachweisen liesse. Eigene Studien haben mich in- dessen überzeugt, dass trotz dieser Mangelhaftigkeit das von Welcker aufgestellte Grundprincip sich noch in weit stren- gerer Weise durchführen lässt. Dies hier zu thun, würde theils zu viel Raum erfordern, theils ohne eine nochmalige künstlerische Reproduction nur einen halben Nutzen gewäh- ren. Nur einige Winke über die zu befolgende Methode und die daraus sich ergebenden Resultate mögen daher hier Platz finden. Die Methode beruht einfach auf der Annahme, dass die Anordnung der Figuren in mehreren Abstufungen über einander nicht in streng von einander getrennten Reihen, gewissermassen Stockwerken, welche sich durch die ganze Breite des Bildes hinziehen, durchgeführt werden darf, son- dern dass sich diese Reihen durch Vermittelungsglieder in auf- und absteigenden Linien unter einander verbinden. Auf diesem Wege ergiebt es sich, ohne dass es nöthig wäre, dem Pausanias in der Erklärung irgend wie Gewalt anzuthun, dass nicht nur je die eine Hälfte eines und desselben Bildes in den Grundlinien der Composition der andern auf das Strengste entspricht, sondern auch, dass ganz dieselben Grundlinien in beiden Gemälden gleichmässig wiederkehren. Ja ich stehe nicht an zu glauben, dass sich in der ältern, wie in der neuern Kunst kaum etwas anderes finden dürfte, was hinsichtlich strenger Gesetzmässigkeit der Composition mit den Gemälden des Polygnot den Vergleich aushielte, ohne dass dieser Künstler dadurch seine höhere künstlerische Freiheit geopfert hätte. Der schon oben benutzte Vergleich mit Raphael und seinen bei der höchsten Vollendung doch so streng gesetzmässigen Compositionen kann auch hier leh- ren, dass, was ich von Polygnot annehme, wenigstens nicht an einem inneren Widerspruche leidet. Blicken wir aber auf das, was wir sonst von der Kunst vor und zur Zeit des Po- lygnot wissen, so kann daraus für meine Ansicht nur eine Bestätigung erwachsen. Ich glaube das Grundgesetz, welches ich auch für Polygnot in Anspruch genommen habe, das strenge Entsprechen der sich gegenüberstehenden Glieder, an einer Reihe der wichtigsten Werke ältester und alter Zeit mit hinlänglicher Sicherheit dargelegt zu haben. 1) Polygnot steht 1) Rhein. Mus. N. F. V, 321 fg. 3*

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/43>, abgerufen am 21.11.2024.