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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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Auf ihre Frage, wer er sei, ergreift er einen Pinsel und
zieht mit Farbe eine Linie von der höchsten Feinheit auf
eine zu einem Gemälde vorbereitete Tafel. Nach seiner
Rückkehr erkennt Protogenes sofort, dass nur Apelles es
sein könne, der so etwas geliefert; zugleich aber zieht er
mit einer andern Farbe eine zweite Linie in die erste hinein,
und lässt, als er wieder weggeht, die Bestellung zurück:
der sei es, welchen jener Unbekannte suche. Da schneidet
Apelles bei seiner Rückkehr, um nicht besiegt zu sein, die
Linien nochmals mit einer dritten Farbe und lässt für eine
noch grössere Feinheit keinen weiteren Raum, worauf auch
Protogenes sich besiegt erklärt und eilig seinen Gast auf-
sucht. -- Ueber die Bedeutung dieser Erzählung s. u.

Ausserdem ist zu bemerken, dass Apelles auch Schriften
über seine Kunst herausgab, wie es scheint, in Form eines
Lehrbuches für seinen Schüler Perseus: Plin. 35, 79 u. 111.

Von keinem Künstler des Alterthums werden so viele
anekdotenartige Züge mitgetheilt, wie von Apelles. Nur we-
nige freilich lehren uns etwas über seine künstlerische Ei-
genthümlichkeit; wohl aber gewähren sie zusammengenommen
uns ein ungefähres Bild von seinem persönlichen Charakter,
so dass sie deshalb wenigstens angeführt zu werden ver-
dienen. Apelles erscheint darin als ein Künstler, der sich
seines Verdienstes allerdings wohl bewusst ist, aber doch
die Grenzen desselben kennt, und darum von dem Hochmuth
mancher seiner Kunstgenossen sich frei erhält. Ja im Be-
wusstsein seiner eigenen Vorzüge ist er gern bereit, fremdes
Verdienst selbst anzuerkennen und bei andern zur Anerken-
nung zu bringen, wogegen er freilich auch Thorheit und
Selbstüberhebung mit feiner Ironie zu verspotten und zu
strafen versteht. Sein eigenes, von andern nicht übertrof-
fenes Verdienst setzt er in die Grazie. Dagegen erkennt
er dem Melanthios in der Disposition, dem Asklepiodor in
den Verhältnissen der Figuren zu einander den Vorzug zu;
Protogenes aber sei ihm bis auf jene leichte Grazie in allem
Uebrigen mindestens gleich, wenn nicht überlegen.1) Als er
bemerkte, dass dieser Künstler aus Mangel an Anerkennung
seine Werke zu Spottpreisen wegzugeben gezwungen war,

1) Plin. 35, 80.

Auf ihre Frage, wer er sei, ergreift er einen Pinsel und
zieht mit Farbe eine Linie von der höchsten Feinheit auf
eine zu einem Gemälde vorbereitete Tafel. Nach seiner
Rückkehr erkennt Protogenes sofort, dass nur Apelles es
sein könne, der so etwas geliefert; zugleich aber zieht er
mit einer andern Farbe eine zweite Linie in die erste hinein,
und lässt, als er wieder weggeht, die Bestellung zurück:
der sei es, welchen jener Unbekannte suche. Da schneidet
Apelles bei seiner Rückkehr, um nicht besiegt zu sein, die
Linien nochmals mit einer dritten Farbe und lässt für eine
noch grössere Feinheit keinen weiteren Raum, worauf auch
Protogenes sich besiegt erklärt und eilig seinen Gast auf-
sucht. — Ueber die Bedeutung dieser Erzählung s. u.

Ausserdem ist zu bemerken, dass Apelles auch Schriften
über seine Kunst herausgab, wie es scheint, in Form eines
Lehrbuches für seinen Schüler Perseus: Plin. 35, 79 u. 111.

Von keinem Künstler des Alterthums werden so viele
anekdotenartige Züge mitgetheilt, wie von Apelles. Nur we-
nige freilich lehren uns etwas über seine künstlerische Ei-
genthümlichkeit; wohl aber gewähren sie zusammengenommen
uns ein ungefähres Bild von seinem persönlichen Charakter,
so dass sie deshalb wenigstens angeführt zu werden ver-
dienen. Apelles erscheint darin als ein Künstler, der sich
seines Verdienstes allerdings wohl bewusst ist, aber doch
die Grenzen desselben kennt, und darum von dem Hochmuth
mancher seiner Kunstgenossen sich frei erhält. Ja im Be-
wusstsein seiner eigenen Vorzüge ist er gern bereit, fremdes
Verdienst selbst anzuerkennen und bei andern zur Anerken-
nung zu bringen, wogegen er freilich auch Thorheit und
Selbstüberhebung mit feiner Ironie zu verspotten und zu
strafen versteht. Sein eigenes, von andern nicht übertrof-
fenes Verdienst setzt er in die Grazie. Dagegen erkennt
er dem Melanthios in der Disposition, dem Asklepiodor in
den Verhältnissen der Figuren zu einander den Vorzug zu;
Protogenes aber sei ihm bis auf jene leichte Grazie in allem
Uebrigen mindestens gleich, wenn nicht überlegen.1) Als er
bemerkte, dass dieser Künstler aus Mangel an Anerkennung
seine Werke zu Spottpreisen wegzugeben gezwungen war,

1) Plin. 35, 80.
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[214/0231] Auf ihre Frage, wer er sei, ergreift er einen Pinsel und zieht mit Farbe eine Linie von der höchsten Feinheit auf eine zu einem Gemälde vorbereitete Tafel. Nach seiner Rückkehr erkennt Protogenes sofort, dass nur Apelles es sein könne, der so etwas geliefert; zugleich aber zieht er mit einer andern Farbe eine zweite Linie in die erste hinein, und lässt, als er wieder weggeht, die Bestellung zurück: der sei es, welchen jener Unbekannte suche. Da schneidet Apelles bei seiner Rückkehr, um nicht besiegt zu sein, die Linien nochmals mit einer dritten Farbe und lässt für eine noch grössere Feinheit keinen weiteren Raum, worauf auch Protogenes sich besiegt erklärt und eilig seinen Gast auf- sucht. — Ueber die Bedeutung dieser Erzählung s. u. Ausserdem ist zu bemerken, dass Apelles auch Schriften über seine Kunst herausgab, wie es scheint, in Form eines Lehrbuches für seinen Schüler Perseus: Plin. 35, 79 u. 111. Von keinem Künstler des Alterthums werden so viele anekdotenartige Züge mitgetheilt, wie von Apelles. Nur we- nige freilich lehren uns etwas über seine künstlerische Ei- genthümlichkeit; wohl aber gewähren sie zusammengenommen uns ein ungefähres Bild von seinem persönlichen Charakter, so dass sie deshalb wenigstens angeführt zu werden ver- dienen. Apelles erscheint darin als ein Künstler, der sich seines Verdienstes allerdings wohl bewusst ist, aber doch die Grenzen desselben kennt, und darum von dem Hochmuth mancher seiner Kunstgenossen sich frei erhält. Ja im Be- wusstsein seiner eigenen Vorzüge ist er gern bereit, fremdes Verdienst selbst anzuerkennen und bei andern zur Anerken- nung zu bringen, wogegen er freilich auch Thorheit und Selbstüberhebung mit feiner Ironie zu verspotten und zu strafen versteht. Sein eigenes, von andern nicht übertrof- fenes Verdienst setzt er in die Grazie. Dagegen erkennt er dem Melanthios in der Disposition, dem Asklepiodor in den Verhältnissen der Figuren zu einander den Vorzug zu; Protogenes aber sei ihm bis auf jene leichte Grazie in allem Uebrigen mindestens gleich, wenn nicht überlegen. 1) Als er bemerkte, dass dieser Künstler aus Mangel an Anerkennung seine Werke zu Spottpreisen wegzugeben gezwungen war, 1) Plin. 35, 80.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/231>, abgerufen am 26.11.2024.