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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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tischen oder ideellen Gehalt in hervorragender Weise Rech-
nung zu tragen. Eben so wenig können wir bei dem Fest-
aufzug des Megabyzos von einer eigentlichen Handlung spre-
chen: der Oberpriester bildet den sichtbaren Mittelpunkt, um
welchen das übrige Festgepränge passend zu gruppiren war.
Allerdings mochte sich darin viel Leben und Bewegung zei-
gen: auf ein höheres dramatisches Interesse aber kann der
Gegenstand an sich noch keinen Anspruch begründen. Viel-
leicht ist es nicht unpassend, hier zum Vergleich an ein
Werk der Kunst unserer Tage, an ein Gemälde von Horace
Vernet zu erinnern, welches einen Vorwurf durchaus ver-
wandter Art behandelt, den Papst, wie er von der Loggia
der Peterskirche den Segen ertheilt. Auch dieses Bild ist
eine "pompa," ein Festaufzug; aber eben so wohl dürfen
wir es eine Darstellung des Papstes im höchsten Glanze
seiner Erscheinung nennen: seine Figur beherrscht so sehr
das Ganze, dass Alles, was ihn umgiebt, einzig dazu be-
stimmt scheint, das Gewicht seiner Persönlichkeit zu er-
höhen. Eine ähnliche Auffassung würde aber der von uns
hier charakterisirten Geistesrichtung des Apelles durchaus
entsprechen. Denn es ist nicht eine einzelne, nur einmal
dagewesene Begebenheit mit den sie begleitenden Umstän-
den, welche hier dargestellt wird, sondern der Papst er-
scheint als die Verkörperung des Begriffs göttlicher Macht-
vollkommenheit auf Erden, so sehr, dass die individuellen
Züge des jedesmaligen Trägers derselben als rein zufällig
betrachtet werden dürfen, und dass demgemäss, wenn ich
nicht irre, in dem Kupferstiche auch bei einem Regierungs-
wechsel der Kopf des einen bereits dem des andern hat
weichen müssen. Verhielt es sich nun mit dem Bilde des
Megabyzos ähnlich, so ist die Grundanschauung, aus wel-
cher es hervorging, nicht eben verschieden von derje-
nigen, welche dem Alexander als irdischen Zeus den Blitz
in die Hand gab. Wenn ausserdem von diesem Bilde be-
merkt wird, dass es in der Behandlung der Körperfarbe weit
von der Wirklichkeit abgewichen sei, so wird dies allerdings
seinen Hauptgrund in der Beabsichtigung eines bestimmten
Farbeneffects gehabt haben. Allein zugleich wurde der
Künstler zu diesem Wagniss doch wohl nur durch die Ueber-
zeugung geführt, dass bei einem Bildnisse in seiner Auffas-

tischen oder ideellen Gehalt in hervorragender Weise Rech-
nung zu tragen. Eben so wenig können wir bei dem Fest-
aufzug des Megabyzos von einer eigentlichen Handlung spre-
chen: der Oberpriester bildet den sichtbaren Mittelpunkt, um
welchen das übrige Festgepränge passend zu gruppiren war.
Allerdings mochte sich darin viel Leben und Bewegung zei-
gen: auf ein höheres dramatisches Interesse aber kann der
Gegenstand an sich noch keinen Anspruch begründen. Viel-
leicht ist es nicht unpassend, hier zum Vergleich an ein
Werk der Kunst unserer Tage, an ein Gemälde von Horace
Vernet zu erinnern, welches einen Vorwurf durchaus ver-
wandter Art behandelt, den Papst, wie er von der Loggia
der Peterskirche den Segen ertheilt. Auch dieses Bild ist
eine „pompa,‟ ein Festaufzug; aber eben so wohl dürfen
wir es eine Darstellung des Papstes im höchsten Glanze
seiner Erscheinung nennen: seine Figur beherrscht so sehr
das Ganze, dass Alles, was ihn umgiebt, einzig dazu be-
stimmt scheint, das Gewicht seiner Persönlichkeit zu er-
höhen. Eine ähnliche Auffassung würde aber der von uns
hier charakterisirten Geistesrichtung des Apelles durchaus
entsprechen. Denn es ist nicht eine einzelne, nur einmal
dagewesene Begebenheit mit den sie begleitenden Umstän-
den, welche hier dargestellt wird, sondern der Papst er-
scheint als die Verkörperung des Begriffs göttlicher Macht-
vollkommenheit auf Erden, so sehr, dass die individuellen
Züge des jedesmaligen Trägers derselben als rein zufällig
betrachtet werden dürfen, und dass demgemäss, wenn ich
nicht irre, in dem Kupferstiche auch bei einem Regierungs-
wechsel der Kopf des einen bereits dem des andern hat
weichen müssen. Verhielt es sich nun mit dem Bilde des
Megabyzos ähnlich, so ist die Grundanschauung, aus wel-
cher es hervorging, nicht eben verschieden von derje-
nigen, welche dem Alexander als irdischen Zeus den Blitz
in die Hand gab. Wenn ausserdem von diesem Bilde be-
merkt wird, dass es in der Behandlung der Körperfarbe weit
von der Wirklichkeit abgewichen sei, so wird dies allerdings
seinen Hauptgrund in der Beabsichtigung eines bestimmten
Farbeneffects gehabt haben. Allein zugleich wurde der
Künstler zu diesem Wagniss doch wohl nur durch die Ueber-
zeugung geführt, dass bei einem Bildnisse in seiner Auffas-

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[218/0235] tischen oder ideellen Gehalt in hervorragender Weise Rech- nung zu tragen. Eben so wenig können wir bei dem Fest- aufzug des Megabyzos von einer eigentlichen Handlung spre- chen: der Oberpriester bildet den sichtbaren Mittelpunkt, um welchen das übrige Festgepränge passend zu gruppiren war. Allerdings mochte sich darin viel Leben und Bewegung zei- gen: auf ein höheres dramatisches Interesse aber kann der Gegenstand an sich noch keinen Anspruch begründen. Viel- leicht ist es nicht unpassend, hier zum Vergleich an ein Werk der Kunst unserer Tage, an ein Gemälde von Horace Vernet zu erinnern, welches einen Vorwurf durchaus ver- wandter Art behandelt, den Papst, wie er von der Loggia der Peterskirche den Segen ertheilt. Auch dieses Bild ist eine „pompa,‟ ein Festaufzug; aber eben so wohl dürfen wir es eine Darstellung des Papstes im höchsten Glanze seiner Erscheinung nennen: seine Figur beherrscht so sehr das Ganze, dass Alles, was ihn umgiebt, einzig dazu be- stimmt scheint, das Gewicht seiner Persönlichkeit zu er- höhen. Eine ähnliche Auffassung würde aber der von uns hier charakterisirten Geistesrichtung des Apelles durchaus entsprechen. Denn es ist nicht eine einzelne, nur einmal dagewesene Begebenheit mit den sie begleitenden Umstän- den, welche hier dargestellt wird, sondern der Papst er- scheint als die Verkörperung des Begriffs göttlicher Macht- vollkommenheit auf Erden, so sehr, dass die individuellen Züge des jedesmaligen Trägers derselben als rein zufällig betrachtet werden dürfen, und dass demgemäss, wenn ich nicht irre, in dem Kupferstiche auch bei einem Regierungs- wechsel der Kopf des einen bereits dem des andern hat weichen müssen. Verhielt es sich nun mit dem Bilde des Megabyzos ähnlich, so ist die Grundanschauung, aus wel- cher es hervorging, nicht eben verschieden von derje- nigen, welche dem Alexander als irdischen Zeus den Blitz in die Hand gab. Wenn ausserdem von diesem Bilde be- merkt wird, dass es in der Behandlung der Körperfarbe weit von der Wirklichkeit abgewichen sei, so wird dies allerdings seinen Hauptgrund in der Beabsichtigung eines bestimmten Farbeneffects gehabt haben. Allein zugleich wurde der Künstler zu diesem Wagniss doch wohl nur durch die Ueber- zeugung geführt, dass bei einem Bildnisse in seiner Auffas-

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/235>, abgerufen am 25.11.2024.