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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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begründet ist und seine Rechtfertigung findet. Wir werden
hierbei leider von vereinzelten Bemerkungen und anekdoten-
artigen Notizen ausgehen müssen, deren Benutzung eben
wegen dieser Eigenschaften doppelte Vorsicht erheischt und
dabei für unser Urtheil doch nicht eine so sichere Grund-
lage gewährt, als ein zusammenhängendes Zeugniss, wie sich
deren bei Plinius über andere Künstler finden.

Plinius erzählt:1) "Apelles hatte die stehende Gewohn-
heit, nie einen Tag auch noch so beschäftigt hinzubringen, ohne
seine Kunst durch Ziehen von Linien zu üben, was von ihm
sprichwörtlich geworden ist."2) Diese Uebung ist zunächst
etwas rein Technisches; aber auch nur so betrachtet hat
sie immer schon den Nutzen, dass sie dem Künstler Finger-
fertigkeit, Gewandtheit, Schnelligkeit, Sicherheit der Hand
verleihet. Die Hand stellt freilich nur dar, was das Auge
sieht. Aber dem feinsten und gebildetsten Auge folgt die
Hand doch nur mangelhaft, wenn sie nicht besonders dafür
gebildet worden ist. Die Uebung der Hand ist die Grundlage,
auf welcher alle weitere Kunstthätigkeit beruht. Während
aber dieses Zeichnen blosser Linien gewöhnlich beim Un-
terricht als etwas rein elementares betrachtet wird und
bald unter dem Zeichnen bestimmter Objecte zu verschwin-
den pflegt, verschmähte es Apelles nicht, diesen Unterricht
an sich selbst fortwährend fortzusetzen, wie ja auch die
Virtuosen in der Musik die Fingerübungen nicht zu vernach-
lässigen pflegen, in Ermangelung eines wirklichen Instru-
ments sogar auf einem Surrogat ohne Ton. Ich glaube, dass
nur in diesem ganz strengen Wortsinne die Erzählung des
Plinius überhaupt einen richtigen Sinn giebt. Denn wollte
man sie auf Zeichnen, Componiren, Malen und überhaupt auf
Ausübung der Kunst beziehen, so verdiente sie nicht als
etwas besonderes hervorgehoben zu werden, da ja ohnehin
bei einem fleissigen Künstler selten ein Tag vergangen sein
würde, an dem nicht die Hand in irgend einer Weise künst-
lerisch beschäftigt gewesen wäre. Streng wörtlich genom-
men liefert aber diese Nachricht auch den Schlüssel zur
Erklärung der berühmten oder, fast möchte man sagen, be-
rüchtigten Geschichte von den drei ineinander gezogenen

1) 35, 84.
2) vgl. Apostol. XVI, 44 c.

begründet ist und seine Rechtfertigung findet. Wir werden
hierbei leider von vereinzelten Bemerkungen und anekdoten-
artigen Notizen ausgehen müssen, deren Benutzung eben
wegen dieser Eigenschaften doppelte Vorsicht erheischt und
dabei für unser Urtheil doch nicht eine so sichere Grund-
lage gewährt, als ein zusammenhängendes Zeugniss, wie sich
deren bei Plinius über andere Künstler finden.

Plinius erzählt:1) „Apelles hatte die stehende Gewohn-
heit, nie einen Tag auch noch so beschäftigt hinzubringen, ohne
seine Kunst durch Ziehen von Linien zu üben, was von ihm
sprichwörtlich geworden ist.‟2) Diese Uebung ist zunächst
etwas rein Technisches; aber auch nur so betrachtet hat
sie immer schon den Nutzen, dass sie dem Künstler Finger-
fertigkeit, Gewandtheit, Schnelligkeit, Sicherheit der Hand
verleihet. Die Hand stellt freilich nur dar, was das Auge
sieht. Aber dem feinsten und gebildetsten Auge folgt die
Hand doch nur mangelhaft, wenn sie nicht besonders dafür
gebildet worden ist. Die Uebung der Hand ist die Grundlage,
auf welcher alle weitere Kunstthätigkeit beruht. Während
aber dieses Zeichnen blosser Linien gewöhnlich beim Un-
terricht als etwas rein elementares betrachtet wird und
bald unter dem Zeichnen bestimmter Objecte zu verschwin-
den pflegt, verschmähte es Apelles nicht, diesen Unterricht
an sich selbst fortwährend fortzusetzen, wie ja auch die
Virtuosen in der Musik die Fingerübungen nicht zu vernach-
lässigen pflegen, in Ermangelung eines wirklichen Instru-
ments sogar auf einem Surrogat ohne Ton. Ich glaube, dass
nur in diesem ganz strengen Wortsinne die Erzählung des
Plinius überhaupt einen richtigen Sinn giebt. Denn wollte
man sie auf Zeichnen, Componiren, Malen und überhaupt auf
Ausübung der Kunst beziehen, so verdiente sie nicht als
etwas besonderes hervorgehoben zu werden, da ja ohnehin
bei einem fleissigen Künstler selten ein Tag vergangen sein
würde, an dem nicht die Hand in irgend einer Weise künst-
lerisch beschäftigt gewesen wäre. Streng wörtlich genom-
men liefert aber diese Nachricht auch den Schlüssel zur
Erklärung der berühmten oder, fast möchte man sagen, be-
rüchtigten Geschichte von den drei ineinander gezogenen

1) 35, 84.
2) vgl. Apostol. XVI, 44 c.
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[222/0239] begründet ist und seine Rechtfertigung findet. Wir werden hierbei leider von vereinzelten Bemerkungen und anekdoten- artigen Notizen ausgehen müssen, deren Benutzung eben wegen dieser Eigenschaften doppelte Vorsicht erheischt und dabei für unser Urtheil doch nicht eine so sichere Grund- lage gewährt, als ein zusammenhängendes Zeugniss, wie sich deren bei Plinius über andere Künstler finden. Plinius erzählt: 1) „Apelles hatte die stehende Gewohn- heit, nie einen Tag auch noch so beschäftigt hinzubringen, ohne seine Kunst durch Ziehen von Linien zu üben, was von ihm sprichwörtlich geworden ist.‟ 2) Diese Uebung ist zunächst etwas rein Technisches; aber auch nur so betrachtet hat sie immer schon den Nutzen, dass sie dem Künstler Finger- fertigkeit, Gewandtheit, Schnelligkeit, Sicherheit der Hand verleihet. Die Hand stellt freilich nur dar, was das Auge sieht. Aber dem feinsten und gebildetsten Auge folgt die Hand doch nur mangelhaft, wenn sie nicht besonders dafür gebildet worden ist. Die Uebung der Hand ist die Grundlage, auf welcher alle weitere Kunstthätigkeit beruht. Während aber dieses Zeichnen blosser Linien gewöhnlich beim Un- terricht als etwas rein elementares betrachtet wird und bald unter dem Zeichnen bestimmter Objecte zu verschwin- den pflegt, verschmähte es Apelles nicht, diesen Unterricht an sich selbst fortwährend fortzusetzen, wie ja auch die Virtuosen in der Musik die Fingerübungen nicht zu vernach- lässigen pflegen, in Ermangelung eines wirklichen Instru- ments sogar auf einem Surrogat ohne Ton. Ich glaube, dass nur in diesem ganz strengen Wortsinne die Erzählung des Plinius überhaupt einen richtigen Sinn giebt. Denn wollte man sie auf Zeichnen, Componiren, Malen und überhaupt auf Ausübung der Kunst beziehen, so verdiente sie nicht als etwas besonderes hervorgehoben zu werden, da ja ohnehin bei einem fleissigen Künstler selten ein Tag vergangen sein würde, an dem nicht die Hand in irgend einer Weise künst- lerisch beschäftigt gewesen wäre. Streng wörtlich genom- men liefert aber diese Nachricht auch den Schlüssel zur Erklärung der berühmten oder, fast möchte man sagen, be- rüchtigten Geschichte von den drei ineinander gezogenen 1) 35, 84. 2) vgl. Apostol. XVI, 44 c.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/239>, abgerufen am 25.11.2024.