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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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Erzählungen an, wie die von den Thesaurenbauten des Tro-
phonios und Agamedes. Allein wenn auch hier in der Er-
wähnung jenes kunstreich eingefügten, aber beweglichen
Steines ein eigentlich architektonisches Moment schon be-
stimmter hervortritt, so ist doch die ganze Gestaltung dieser
Persönlichkeiten durchaus allgemein mythologischer Art (vgl.
Preller Myth. II, 346). Etwas anders verhält es sich mit den
Sagen über Dädalos, dem ja auch architektonische Werke
mehrfach beigelegt werden (s. Th. I, S. 18). Hier waltet
mehr das Streben, staunenswerthe Werke sehr alter Zeit zu
irgend einer Persönlichkeit in bestimmte Beziehung zu setzen,
und hierzu eignete sich keine mehr, als die des Mannes,
welcher von der Sage an die Spitze der Kunstgeschichte als
der Kunstreiche überhaupt gestellt war. Doch hat sie ihn
als Architekten weit weniger individualisirt, denn als Bild-
hauer; und bestimmte architektonische Kunstformen werden
auf ihn keineswegs zurückgeführt. Ueberhaupt kommt in
allen diesen Erzählungen von Erfindungen und bestimmten
Werken die ästhetische Seite der Architektur noch nirgends
in Betracht, sondern es handelt sich zunächst nur um con-
structive Fortschritte. Ist aber dadurch ihr Werth für die
Geschichte der Architektur schon an sich ein bedingter, so
wird er es noch mehr dadurch, dass selbst die Sage hier
nirgends danach gestrebt hat, uns eine bestimmte Entwicke-
lung vor Augen zu stellen; ja noch mehr, sie bietet uns nir-
gends eine Vermittelung zwischen der mythischen Zeit und
der Zeit historischer Kunde. Aus dieser Uebergangsperiode
stammen allerdings mancherlei Nachrichten, namentlich über
Tempelgründungen: allein nicht die Architekten, sondern die
Gründer werden uns genannt. Bei diesen Bauten, welchen
ein Streben nach Ausbildung künstlerischer Formen noch
fern lag, mochte das Verhältniss noch wenig anders sein,
als in der homerischen Welt, wo Odysseus mit eigener Hand
sein Schlafgemach errichtet, wo überhaupt jeder, so weit
es das praktische Bedürfniss erheischte, sein eigener Bau-
meister war. Auf solche Zustände können unsere Erörte-
rungen, welche die Person des Architekten in den Vorder-
grund zu stellen haben, begreiflicher Weise nicht eingehen;
und wir müssen daher unseren Blick sofort auf die uns hi-
storisch bekannte Epoche richten, von da an, wo an die

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Erzählungen an, wie die von den Thesaurenbauten des Tro-
phonios und Agamedes. Allein wenn auch hier in der Er-
wähnung jenes kunstreich eingefügten, aber beweglichen
Steines ein eigentlich architektonisches Moment schon be-
stimmter hervortritt, so ist doch die ganze Gestaltung dieser
Persönlichkeiten durchaus allgemein mythologischer Art (vgl.
Preller Myth. II, 346). Etwas anders verhält es sich mit den
Sagen über Dädalos, dem ja auch architektonische Werke
mehrfach beigelegt werden (s. Th. I, S. 18). Hier waltet
mehr das Streben, staunenswerthe Werke sehr alter Zeit zu
irgend einer Persönlichkeit in bestimmte Beziehung zu setzen,
und hierzu eignete sich keine mehr, als die des Mannes,
welcher von der Sage an die Spitze der Kunstgeschichte als
der Kunstreiche überhaupt gestellt war. Doch hat sie ihn
als Architekten weit weniger individualisirt, denn als Bild-
hauer; und bestimmte architektonische Kunstformen werden
auf ihn keineswegs zurückgeführt. Ueberhaupt kommt in
allen diesen Erzählungen von Erfindungen und bestimmten
Werken die ästhetische Seite der Architektur noch nirgends
in Betracht, sondern es handelt sich zunächst nur um con-
structive Fortschritte. Ist aber dadurch ihr Werth für die
Geschichte der Architektur schon an sich ein bedingter, so
wird er es noch mehr dadurch, dass selbst die Sage hier
nirgends danach gestrebt hat, uns eine bestimmte Entwicke-
lung vor Augen zu stellen; ja noch mehr, sie bietet uns nir-
gends eine Vermittelung zwischen der mythischen Zeit und
der Zeit historischer Kunde. Aus dieser Uebergangsperiode
stammen allerdings mancherlei Nachrichten, namentlich über
Tempelgründungen: allein nicht die Architekten, sondern die
Gründer werden uns genannt. Bei diesen Bauten, welchen
ein Streben nach Ausbildung künstlerischer Formen noch
fern lag, mochte das Verhältniss noch wenig anders sein,
als in der homerischen Welt, wo Odysseus mit eigener Hand
sein Schlafgemach errichtet, wo überhaupt jeder, so weit
es das praktische Bedürfniss erheischte, sein eigener Bau-
meister war. Auf solche Zustände können unsere Erörte-
rungen, welche die Person des Architekten in den Vorder-
grund zu stellen haben, begreiflicher Weise nicht eingehen;
und wir müssen daher unseren Blick sofort auf die uns hi-
storisch bekannte Epoche richten, von da an, wo an die

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[323/0340] Erzählungen an, wie die von den Thesaurenbauten des Tro- phonios und Agamedes. Allein wenn auch hier in der Er- wähnung jenes kunstreich eingefügten, aber beweglichen Steines ein eigentlich architektonisches Moment schon be- stimmter hervortritt, so ist doch die ganze Gestaltung dieser Persönlichkeiten durchaus allgemein mythologischer Art (vgl. Preller Myth. II, 346). Etwas anders verhält es sich mit den Sagen über Dädalos, dem ja auch architektonische Werke mehrfach beigelegt werden (s. Th. I, S. 18). Hier waltet mehr das Streben, staunenswerthe Werke sehr alter Zeit zu irgend einer Persönlichkeit in bestimmte Beziehung zu setzen, und hierzu eignete sich keine mehr, als die des Mannes, welcher von der Sage an die Spitze der Kunstgeschichte als der Kunstreiche überhaupt gestellt war. Doch hat sie ihn als Architekten weit weniger individualisirt, denn als Bild- hauer; und bestimmte architektonische Kunstformen werden auf ihn keineswegs zurückgeführt. Ueberhaupt kommt in allen diesen Erzählungen von Erfindungen und bestimmten Werken die ästhetische Seite der Architektur noch nirgends in Betracht, sondern es handelt sich zunächst nur um con- structive Fortschritte. Ist aber dadurch ihr Werth für die Geschichte der Architektur schon an sich ein bedingter, so wird er es noch mehr dadurch, dass selbst die Sage hier nirgends danach gestrebt hat, uns eine bestimmte Entwicke- lung vor Augen zu stellen; ja noch mehr, sie bietet uns nir- gends eine Vermittelung zwischen der mythischen Zeit und der Zeit historischer Kunde. Aus dieser Uebergangsperiode stammen allerdings mancherlei Nachrichten, namentlich über Tempelgründungen: allein nicht die Architekten, sondern die Gründer werden uns genannt. Bei diesen Bauten, welchen ein Streben nach Ausbildung künstlerischer Formen noch fern lag, mochte das Verhältniss noch wenig anders sein, als in der homerischen Welt, wo Odysseus mit eigener Hand sein Schlafgemach errichtet, wo überhaupt jeder, so weit es das praktische Bedürfniss erheischte, sein eigener Bau- meister war. Auf solche Zustände können unsere Erörte- rungen, welche die Person des Architekten in den Vorder- grund zu stellen haben, begreiflicher Weise nicht eingehen; und wir müssen daher unseren Blick sofort auf die uns hi- storisch bekannte Epoche richten, von da an, wo an die 21*

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/340>, abgerufen am 24.11.2024.