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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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ten ist, der vormals dem Lord Besborough (Vic. Duncannon)
gehörte, und mit seinen übrigen Gemmen in die Sammlung
des Duc von Marlborough überging, gehört zu den sehr be-
rühmten Gemmen (Natter Traite pl. 16; Worlidge Gems 1;
Bracci I, t. 45; [Lippert III, 505]; Raspe 3251 und introduct.
p. XXXVI; C. I. 7170). Es ist dieser Kopf ein so sehr vor-
treffliches und geistreiches Werk, dass man nicht weiss, was
man mehr daran bewundern soll, ob die aufs höchste ge-
triebene Nachahmung des Lebens, oder die ausserordentliche
Kunst in der Ueberwindung aller Schwierigkeiten, das lech-
zende zarte Fleisch in der Schnauze, das Inwendige des
Maules, die Zähne, Nase oder die heraushängende Zunge --
ut fessi canes linguam ore de patulo potus aviditate proii-
ciens. -- Raspe zweifelte an dem Alterthum dieses Steines;
Natter hatte geraume Zeit in London seine Kunst geübt, und
ihm hatte man diese Arbeit zugeschrieben. Ein Gerücht,
ohne welches niemand das Alterthum derselben würde in
Zweifel gezogen haben." So Köhler S. 158. Aber wiegt
dieses Gerücht, welches Murr (Bibl. glypt. p. 81) ausdrück-
lich als auf einem Irrthum beruhend bezeichnet, schwer ge-
nug, um darum "ein so fleissig beendigtes Werk, das weder
in alter noch neuer Zeit seines Gleichen gehabt hat", sofort
unter diejenigen zu verweisen, an denen Arbeit und Inschrift
neu sind"? Allerdings soll Natter in dem Besborough'schen
Katalog den Stein einen böhmischen Granat nennen, den
nach Köhler die alten Steinschneider nicht kannten. Dage-
gen wird von Clarac p. 67, ich weiss freilich nicht, auf
welche Auctorität hin, der Granat ein syrischer genannt.
Wenn ferner Natter offen zugesteht, auf seine Werke zuwei-
len griechische Namen gesetzt zu haben, so leugnet er doch
eben so entschieden, dass er selbst dieselben für antik aus-
gegeben. Unsern Stein aber nennt er (zu Taf. 17 und pref. XV)
griechisch und behauptet nur (p. 27) ihn mit ziemlichem Er-
folge copirt zu haben. Was endlich den Namen anlangt,
den Köhler als nicht glücklich gewählt bezeichnet, weil da-
durch ein römischer Steinschneider Caius zum Vorschein
komme, so würde ja gerade ein Fälscher voraussichtlich
"glücklicher" gewählt haben. An sich ist aber der Name
den Bedenken, welche wir später (Abth. III) gegen die Na-
men Quintus und Aulus geltend machen müssen, nicht unter-

ten ist, der vormals dem Lord Besborough (Vic. Duncannon)
gehörte, und mit seinen übrigen Gemmen in die Sammlung
des Duc von Marlborough überging, gehört zu den sehr be-
rühmten Gemmen (Natter Traité pl. 16; Worlidge Gems 1;
Bracci I, t. 45; [Lippert III, 505]; Raspe 3251 und introduct.
p. XXXVI; C. I. 7170). Es ist dieser Kopf ein so sehr vor-
treffliches und geistreiches Werk, dass man nicht weiss, was
man mehr daran bewundern soll, ob die aufs höchste ge-
triebene Nachahmung des Lebens, oder die ausserordentliche
Kunst in der Ueberwindung aller Schwierigkeiten, das lech-
zende zarte Fleisch in der Schnauze, das Inwendige des
Maules, die Zähne, Nase oder die heraushängende Zunge —
ut fessi canes linguam ore de patulo potus aviditate proii-
ciens. — Raspe zweifelte an dem Alterthum dieses Steines;
Natter hatte geraume Zeit in London seine Kunst geübt, und
ihm hatte man diese Arbeit zugeschrieben. Ein Gerücht,
ohne welches niemand das Alterthum derselben würde in
Zweifel gezogen haben.‟ So Köhler S. 158. Aber wiegt
dieses Gerücht, welches Murr (Bibl. glypt. p. 81) ausdrück-
lich als auf einem Irrthum beruhend bezeichnet, schwer ge-
nug, um darum „ein so fleissig beendigtes Werk, das weder
in alter noch neuer Zeit seines Gleichen gehabt hat‟, sofort
unter diejenigen zu verweisen, an denen Arbeit und Inschrift
neu sind‟? Allerdings soll Natter in dem Besborough’schen
Katalog den Stein einen böhmischen Granat nennen, den
nach Köhler die alten Steinschneider nicht kannten. Dage-
gen wird von Clarac p. 67, ich weiss freilich nicht, auf
welche Auctorität hin, der Granat ein syrischer genannt.
Wenn ferner Natter offen zugesteht, auf seine Werke zuwei-
len griechische Namen gesetzt zu haben, so leugnet er doch
eben so entschieden, dass er selbst dieselben für antik aus-
gegeben. Unsern Stein aber nennt er (zu Taf. 17 und préf. XV)
griechisch und behauptet nur (p. 27) ihn mit ziemlichem Er-
folge copirt zu haben. Was endlich den Namen anlangt,
den Köhler als nicht glücklich gewählt bezeichnet, weil da-
durch ein römischer Steinschneider Caius zum Vorschein
komme, so würde ja gerade ein Fälscher voraussichtlich
„glücklicher‟ gewählt haben. An sich ist aber der Name
den Bedenken, welche wir später (Abth. III) gegen die Na-
men Quintus und Aulus geltend machen müssen, nicht unter-

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[559/0576] ten ist, der vormals dem Lord Besborough (Vic. Duncannon) gehörte, und mit seinen übrigen Gemmen in die Sammlung des Duc von Marlborough überging, gehört zu den sehr be- rühmten Gemmen (Natter Traité pl. 16; Worlidge Gems 1; Bracci I, t. 45; [Lippert III, 505]; Raspe 3251 und introduct. p. XXXVI; C. I. 7170). Es ist dieser Kopf ein so sehr vor- treffliches und geistreiches Werk, dass man nicht weiss, was man mehr daran bewundern soll, ob die aufs höchste ge- triebene Nachahmung des Lebens, oder die ausserordentliche Kunst in der Ueberwindung aller Schwierigkeiten, das lech- zende zarte Fleisch in der Schnauze, das Inwendige des Maules, die Zähne, Nase oder die heraushängende Zunge — ut fessi canes linguam ore de patulo potus aviditate proii- ciens. — Raspe zweifelte an dem Alterthum dieses Steines; Natter hatte geraume Zeit in London seine Kunst geübt, und ihm hatte man diese Arbeit zugeschrieben. Ein Gerücht, ohne welches niemand das Alterthum derselben würde in Zweifel gezogen haben.‟ So Köhler S. 158. Aber wiegt dieses Gerücht, welches Murr (Bibl. glypt. p. 81) ausdrück- lich als auf einem Irrthum beruhend bezeichnet, schwer ge- nug, um darum „ein so fleissig beendigtes Werk, das weder in alter noch neuer Zeit seines Gleichen gehabt hat‟, sofort unter diejenigen zu verweisen, an denen Arbeit und Inschrift neu sind‟? Allerdings soll Natter in dem Besborough’schen Katalog den Stein einen böhmischen Granat nennen, den nach Köhler die alten Steinschneider nicht kannten. Dage- gen wird von Clarac p. 67, ich weiss freilich nicht, auf welche Auctorität hin, der Granat ein syrischer genannt. Wenn ferner Natter offen zugesteht, auf seine Werke zuwei- len griechische Namen gesetzt zu haben, so leugnet er doch eben so entschieden, dass er selbst dieselben für antik aus- gegeben. Unsern Stein aber nennt er (zu Taf. 17 und préf. XV) griechisch und behauptet nur (p. 27) ihn mit ziemlichem Er- folge copirt zu haben. Was endlich den Namen anlangt, den Köhler als nicht glücklich gewählt bezeichnet, weil da- durch ein römischer Steinschneider Caius zum Vorschein komme, so würde ja gerade ein Fälscher voraussichtlich „glücklicher‟ gewählt haben. An sich ist aber der Name den Bedenken, welche wir später (Abth. III) gegen die Na- men Quintus und Aulus geltend machen müssen, nicht unter-

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/576>, abgerufen am 24.11.2024.