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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 14. Die Stände.

Das ältere schwedische und das isländische Recht kannten im
Grunde genommen nur die öffentlich-rechtliche Freilassung. In Schweden
hat nämlich die Freilassung ohne Aufnahme in ein freies Geschlecht
bloss thatsächliche Wirkung. Der Freilasser kann vor der aetlething die
Freilassung beliebig rückgängig machen28. Er haftet für den Frei-
gelassenen und dieser hat bis dahin nur Sklavenbusse29. Nach islän-
dischem Rechte30 besitzt der Freigelassene, ehe er in die Rechts-
gemeinschaft aufgenommen ist, weder eines freien Mannes Recht noch
eines Unfreien31. Er befindet sich in einem juristischen Vacuum,
denn er hat die Stellung eines Knechtes verloren ohne die des Freien
zu gewinnen.

Die Aufnahme von Freigelassenen in die Volksgemeinschaft scheint
in die germanische Zeit hinaufzureichen, obwohl Tacitus nur eine Frei-
lassung zu minderem Rechte bezeugt.

Eine Mittelstellung zwischen Freien und Knechten nahmen bei
den Westgermanen die Liten oder Aldien ein, die man deshalb auch
Halbfreie nennt. Die Bezeichnung Liten ist den niederdeutschen
Stämmen der Franken, Friesen, Sachsen und Angelsachsen32 eigen-
tümlich. Am häufigsten finden sich die Formen leto, litu, let33, laet34,

an sich vermag den Effekt der vollen Freilassung nicht herbeizuführen. Das ala-
mannische Recht kennt eine Freilassung im Heer, die nur zum litus macht. Nach
schwedischem Rechte war auch die öffentliche Freilassung ohne Geschlechtsleite
widerruflich. v. Amira, Obligationenrecht I 541.
28 Denn der Freigelassene kann nur durch die aetlething den Freiheitsbeweis
führen. v. Amira a. O. S 541, vgl. S 264. 268. 314.
29 Östgötal. Ärftha b. 20.
30 Gragas, Cod. reg. § 112; Cod. Arnamagnaeanus § 161.
31 Der Herr kann zwar auf sein Recht verzichten, macht aber damit den Un-
freien noch nicht zur Person, sondern zur herrenlosen Sache. Mit dem Rechte des
Unfreien hat er den Schutz verloren, den ihm bisher der Herr gewährte, während
er des selbständigen Rechtsschutzes bis zur Aufnahme in die Rechtsgenossenschaft
entbehrt. K. Maurer in Bartschs Germania XV 7.
32 Die Lex Angliorum et Werinorum hoc est Thuringorum nennt die Liten
nicht. Doch ist uns das Vorkommen der Liten in Thüringen aus späterer Zeit ur-
kundlich bezeugt. Schröder, Z2 f. RG VII 21.
33 Siehe Hessels, Lex Sal. c. 631 s. v. leto; Richthofen, Fries. WB S 895.
34 In Äthelbirht 26, der einzigen sicheren ags. Fundstelle. Nach Richt-
hofen
a. O. sind noch die Worte ne laedes ne landes in Schmid, Gesetze der Ags.
Anh. 11 hierher zu ziehen. Auch Lappenberg, Gesch. von Engl. I 576 nimmt
laedes für laet. Dem würde die alliterierende Formel om land ner om letar in den
friesischen Rechtsquellen Rh. S 894 entsprechen. Schmid bezeichnet laedes im Re-
gister S 621 für unerklärt, übersetzt aber S 409 Leid, was gar nicht in den Zu-
sammenhang passt.
§ 14. Die Stände.

Das ältere schwedische und das isländische Recht kannten im
Grunde genommen nur die öffentlich-rechtliche Freilassung. In Schweden
hat nämlich die Freilassung ohne Aufnahme in ein freies Geschlecht
bloſs thatsächliche Wirkung. Der Freilasser kann vor der ætleþing die
Freilassung beliebig rückgängig machen28. Er haftet für den Frei-
gelassenen und dieser hat bis dahin nur Sklavenbuſse29. Nach islän-
dischem Rechte30 besitzt der Freigelassene, ehe er in die Rechts-
gemeinschaft aufgenommen ist, weder eines freien Mannes Recht noch
eines Unfreien31. Er befindet sich in einem juristischen Vacuum,
denn er hat die Stellung eines Knechtes verloren ohne die des Freien
zu gewinnen.

Die Aufnahme von Freigelassenen in die Volksgemeinschaft scheint
in die germanische Zeit hinaufzureichen, obwohl Tacitus nur eine Frei-
lassung zu minderem Rechte bezeugt.

Eine Mittelstellung zwischen Freien und Knechten nahmen bei
den Westgermanen die Liten oder Aldien ein, die man deshalb auch
Halbfreie nennt. Die Bezeichnung Liten ist den niederdeutschen
Stämmen der Franken, Friesen, Sachsen und Angelsachsen32 eigen-
tümlich. Am häufigsten finden sich die Formen leto, litu, let33, læt34,

an sich vermag den Effekt der vollen Freilassung nicht herbeizuführen. Das ala-
mannische Recht kennt eine Freilassung im Heer, die nur zum litus macht. Nach
schwedischem Rechte war auch die öffentliche Freilassung ohne Geschlechtsleite
widerruflich. v. Amira, Obligationenrecht I 541.
28 Denn der Freigelassene kann nur durch die ætleþing den Freiheitsbeweis
führen. v. Amira a. O. S 541, vgl. S 264. 268. 314.
29 Östgötal. Ärfþa b. 20.
30 Grágás, Cod. reg. § 112; Cod. Arnamagnaeanus § 161.
31 Der Herr kann zwar auf sein Recht verzichten, macht aber damit den Un-
freien noch nicht zur Person, sondern zur herrenlosen Sache. Mit dem Rechte des
Unfreien hat er den Schutz verloren, den ihm bisher der Herr gewährte, während
er des selbständigen Rechtsschutzes bis zur Aufnahme in die Rechtsgenossenschaft
entbehrt. K. Maurer in Bartschs Germania XV 7.
32 Die Lex Angliorum et Werinorum hoc est Thuringorum nennt die Liten
nicht. Doch ist uns das Vorkommen der Liten in Thüringen aus späterer Zeit ur-
kundlich bezeugt. Schröder, Z2 f. RG VII 21.
33 Siehe Hessels, Lex Sal. c. 631 s. v. leto; Richthofen, Fries. WB S 895.
34 In Äthelbirht 26, der einzigen sicheren ags. Fundstelle. Nach Richt-
hofen
a. O. sind noch die Worte ne læđes ne landes in Schmid, Gesetze der Ags.
Anh. 11 hierher zu ziehen. Auch Lappenberg, Gesch. von Engl. I 576 nimmt
læđes für læt. Dem würde die alliterierende Formel om land ner om letar in den
friesischen Rechtsquellen Rh. S 894 entsprechen. Schmid bezeichnet læđes im Re-
gister S 621 für unerklärt, übersetzt aber S 409 Leid, was gar nicht in den Zu-
sammenhang paſst.
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[101/0119] § 14. Die Stände. Das ältere schwedische und das isländische Recht kannten im Grunde genommen nur die öffentlich-rechtliche Freilassung. In Schweden hat nämlich die Freilassung ohne Aufnahme in ein freies Geschlecht bloſs thatsächliche Wirkung. Der Freilasser kann vor der ætleþing die Freilassung beliebig rückgängig machen 28. Er haftet für den Frei- gelassenen und dieser hat bis dahin nur Sklavenbuſse 29. Nach islän- dischem Rechte 30 besitzt der Freigelassene, ehe er in die Rechts- gemeinschaft aufgenommen ist, weder eines freien Mannes Recht noch eines Unfreien 31. Er befindet sich in einem juristischen Vacuum, denn er hat die Stellung eines Knechtes verloren ohne die des Freien zu gewinnen. Die Aufnahme von Freigelassenen in die Volksgemeinschaft scheint in die germanische Zeit hinaufzureichen, obwohl Tacitus nur eine Frei- lassung zu minderem Rechte bezeugt. Eine Mittelstellung zwischen Freien und Knechten nahmen bei den Westgermanen die Liten oder Aldien ein, die man deshalb auch Halbfreie nennt. Die Bezeichnung Liten ist den niederdeutschen Stämmen der Franken, Friesen, Sachsen und Angelsachsen 32 eigen- tümlich. Am häufigsten finden sich die Formen leto, litu, let 33, læt 34, 27 28 Denn der Freigelassene kann nur durch die ætleþing den Freiheitsbeweis führen. v. Amira a. O. S 541, vgl. S 264. 268. 314. 29 Östgötal. Ärfþa b. 20. 30 Grágás, Cod. reg. § 112; Cod. Arnamagnaeanus § 161. 31 Der Herr kann zwar auf sein Recht verzichten, macht aber damit den Un- freien noch nicht zur Person, sondern zur herrenlosen Sache. Mit dem Rechte des Unfreien hat er den Schutz verloren, den ihm bisher der Herr gewährte, während er des selbständigen Rechtsschutzes bis zur Aufnahme in die Rechtsgenossenschaft entbehrt. K. Maurer in Bartschs Germania XV 7. 32 Die Lex Angliorum et Werinorum hoc est Thuringorum nennt die Liten nicht. Doch ist uns das Vorkommen der Liten in Thüringen aus späterer Zeit ur- kundlich bezeugt. Schröder, Z2 f. RG VII 21. 33 Siehe Hessels, Lex Sal. c. 631 s. v. leto; Richthofen, Fries. WB S 895. 34 In Äthelbirht 26, der einzigen sicheren ags. Fundstelle. Nach Richt- hofen a. O. sind noch die Worte ne læđes ne landes in Schmid, Gesetze der Ags. Anh. 11 hierher zu ziehen. Auch Lappenberg, Gesch. von Engl. I 576 nimmt læđes für læt. Dem würde die alliterierende Formel om land ner om letar in den friesischen Rechtsquellen Rh. S 894 entsprechen. Schmid bezeichnet læđes im Re- gister S 621 für unerklärt, übersetzt aber S 409 Leid, was gar nicht in den Zu- sammenhang paſst. 27 an sich vermag den Effekt der vollen Freilassung nicht herbeizuführen. Das ala- mannische Recht kennt eine Freilassung im Heer, die nur zum litus macht. Nach schwedischem Rechte war auch die öffentliche Freilassung ohne Geschlechtsleite widerruflich. v. Amira, Obligationenrecht I 541.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/119>, abgerufen am 24.11.2024.