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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 16. Die politischen Verbände.
der sie mitunter wohl auch benannt wird 2. Um die Grenze zu
sichern, wird ein breiter Gürtel des Grenzlandes wüstgelegt und da-
mit durch den Staat anderer Benutzung entzogen 3.

Eine Unterabteilung der civitas ist der Gau 4, pagus. Das Wort
setzt ein räumlich abgeschlossenes Gebiet, also einen landschaftlichen,
nicht bloss persönlichen Verband voraus. Von den Sueben erzählt
uns Cäsar, dass bei ihnen jeder Gau tausend Wehrmänner zum Heere
gestellt habe 5. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Gau aus der
Niederlassung einer Tausendschaft hervorgegangen ist, aber schon früh-
zeitig territoriale Bedeutung erlangt hat 6. Für das Verhältnis des
Gaues zur civitas verdient es Beachtung, dass die Römer die Begriffe
civitas und pagus zuerst an den keltischen Verfassungszuständen ent-
wickelt und in der hier gewonnenen technischen Anwendung auf die
Germanen übertragen haben, eine Thatsache, die uns berechtigt, von
dem Charakter der keltischen Einteilung auf den der germanischen
zurückzuschliessen 7. Mit der keltischen Eingliederung des pagus in
die civitas ist eine so ausgedehnte Selbständigkeit vereinbar, dass der
Gau sogar Sonderkriege unternehmen kann, wie denn z. B. von den
vier Gauen der helvetischen civitas der Gau der Tiguriner auf eigene
Faust sich an dem Kimbernkriege beteiligt 8. Nicht anders war es
bei den Germanen. Als sich die Cherusker unter Armin erhoben,
vermochte der cheruskische Gau, an dessen Spitze Armins Oheim
Inguiomer stand, seine Neutralität zu bewahren 9. Die civitas für

2 Müllenhoff a. O. S 521.
3 Caesar, De bello Gall. IV 3 von den Sueben. Pomponius Mela III 3:
bella cum finitimis gerunt; causas eorum ex libidine arcessunt, neque inperitandi
prolatandique quae possident ... sed ut circa ipsos quae iacent vasta sint. In
ähnlicher Weise haben die Römer zur Sicherung der Provinz Niedergermanien das
Land am rechten Ufer des Unterrheins öd gelegt. Mommsen, Röm. G. V 111 ff.
Noch in karolingischer Zeit sicherten die fränkischen Grenzgrafen die spanische
Grenze gegen die Araber durch Wüstlegung des Landes. Urk. Ludwigs I. v. J. 815,
Cap. Nr 132, I 261, laut welcher spanische Flüchtlinge sich niederliessen in ea
portione Hispaniae, quae a nostris marchionibus in solitudinem redacta fuit.
4 Got. gavi, ahd. gawi, gewi, gowi, alts. und fries. ga, go. Grimm, WB
IV 1 S 1518. "Die erreichbar älteste Bedeutung ist Landgebiet." A. O. S 1520.
5 De bell. Gall. IV 1: Hi centum pagos habere dicuntur, ex quibus quotannis
singula millia armatorum bellandi causa ex finibus educunt.
6 Vgl. W. Sickel, Zur germ. VG, a. O. S 19; Munch (Claussen) S 130.
S. unten § 19.
7 Mommsen, Schweizer Nachstudien, Hermes XVI 487. Hirschfeld
Gallische Studien, Wiener Sitzungsber. CIII 303.
8 Caesar, De bell. Gall. I 12.
9 Dahn, Urgeschichte I 88.
8*

§ 16. Die politischen Verbände.
der sie mitunter wohl auch benannt wird 2. Um die Grenze zu
sichern, wird ein breiter Gürtel des Grenzlandes wüstgelegt und da-
mit durch den Staat anderer Benutzung entzogen 3.

Eine Unterabteilung der civitas ist der Gau 4, pagus. Das Wort
setzt ein räumlich abgeschlossenes Gebiet, also einen landschaftlichen,
nicht bloſs persönlichen Verband voraus. Von den Sueben erzählt
uns Cäsar, daſs bei ihnen jeder Gau tausend Wehrmänner zum Heere
gestellt habe 5. Es ist nicht unwahrscheinlich, daſs der Gau aus der
Niederlassung einer Tausendschaft hervorgegangen ist, aber schon früh-
zeitig territoriale Bedeutung erlangt hat 6. Für das Verhältnis des
Gaues zur civitas verdient es Beachtung, daſs die Römer die Begriffe
civitas und pagus zuerst an den keltischen Verfassungszuständen ent-
wickelt und in der hier gewonnenen technischen Anwendung auf die
Germanen übertragen haben, eine Thatsache, die uns berechtigt, von
dem Charakter der keltischen Einteilung auf den der germanischen
zurückzuschlieſsen 7. Mit der keltischen Eingliederung des pagus in
die civitas ist eine so ausgedehnte Selbständigkeit vereinbar, daſs der
Gau sogar Sonderkriege unternehmen kann, wie denn z. B. von den
vier Gauen der helvetischen civitas der Gau der Tiguriner auf eigene
Faust sich an dem Kimbernkriege beteiligt 8. Nicht anders war es
bei den Germanen. Als sich die Cherusker unter Armin erhoben,
vermochte der cheruskische Gau, an dessen Spitze Armins Oheim
Inguiomer stand, seine Neutralität zu bewahren 9. Die civitas für

2 Müllenhoff a. O. S 521.
3 Caesar, De bello Gall. IV 3 von den Sueben. Pomponius Mela III 3:
bella cum finitimis gerunt; causas eorum ex libidine arcessunt, neque inperitandi
prolatandique quae possident … sed ut circa ipsos quae iacent vasta sint. In
ähnlicher Weise haben die Römer zur Sicherung der Provinz Niedergermanien das
Land am rechten Ufer des Unterrheins öd gelegt. Mommsen, Röm. G. V 111 ff.
Noch in karolingischer Zeit sicherten die fränkischen Grenzgrafen die spanische
Grenze gegen die Araber durch Wüstlegung des Landes. Urk. Ludwigs I. v. J. 815,
Cap. Nr 132, I 261, laut welcher spanische Flüchtlinge sich niederlieſsen in ea
portione Hispaniae, quae a nostris marchionibus in solitudinem redacta fuit.
4 Got. gavi, ahd. gawi, gewi, gowi, alts. und fries. gâ, gô. Grimm, WB
IV 1 S 1518. „Die erreichbar älteste Bedeutung ist Landgebiet.“ A. O. S 1520.
5 De bell. Gall. IV 1: Hi centum pagos habere dicuntur, ex quibus quotannis
singula millia armatorum bellandi causa ex finibus educunt.
6 Vgl. W. Sickel, Zur germ. VG, a. O. S 19; Munch (Clauſsen) S 130.
S. unten § 19.
7 Mommsen, Schweizer Nachstudien, Hermes XVI 487. Hirschfeld
Gallische Studien, Wiener Sitzungsber. CIII 303.
8 Caesar, De bell. Gall. I 12.
9 Dahn, Urgeschichte I 88.
8*
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[115/0133] § 16. Die politischen Verbände. der sie mitunter wohl auch benannt wird 2. Um die Grenze zu sichern, wird ein breiter Gürtel des Grenzlandes wüstgelegt und da- mit durch den Staat anderer Benutzung entzogen 3. Eine Unterabteilung der civitas ist der Gau 4, pagus. Das Wort setzt ein räumlich abgeschlossenes Gebiet, also einen landschaftlichen, nicht bloſs persönlichen Verband voraus. Von den Sueben erzählt uns Cäsar, daſs bei ihnen jeder Gau tausend Wehrmänner zum Heere gestellt habe 5. Es ist nicht unwahrscheinlich, daſs der Gau aus der Niederlassung einer Tausendschaft hervorgegangen ist, aber schon früh- zeitig territoriale Bedeutung erlangt hat 6. Für das Verhältnis des Gaues zur civitas verdient es Beachtung, daſs die Römer die Begriffe civitas und pagus zuerst an den keltischen Verfassungszuständen ent- wickelt und in der hier gewonnenen technischen Anwendung auf die Germanen übertragen haben, eine Thatsache, die uns berechtigt, von dem Charakter der keltischen Einteilung auf den der germanischen zurückzuschlieſsen 7. Mit der keltischen Eingliederung des pagus in die civitas ist eine so ausgedehnte Selbständigkeit vereinbar, daſs der Gau sogar Sonderkriege unternehmen kann, wie denn z. B. von den vier Gauen der helvetischen civitas der Gau der Tiguriner auf eigene Faust sich an dem Kimbernkriege beteiligt 8. Nicht anders war es bei den Germanen. Als sich die Cherusker unter Armin erhoben, vermochte der cheruskische Gau, an dessen Spitze Armins Oheim Inguiomer stand, seine Neutralität zu bewahren 9. Die civitas für 2 Müllenhoff a. O. S 521. 3 Caesar, De bello Gall. IV 3 von den Sueben. Pomponius Mela III 3: bella cum finitimis gerunt; causas eorum ex libidine arcessunt, neque inperitandi prolatandique quae possident … sed ut circa ipsos quae iacent vasta sint. In ähnlicher Weise haben die Römer zur Sicherung der Provinz Niedergermanien das Land am rechten Ufer des Unterrheins öd gelegt. Mommsen, Röm. G. V 111 ff. Noch in karolingischer Zeit sicherten die fränkischen Grenzgrafen die spanische Grenze gegen die Araber durch Wüstlegung des Landes. Urk. Ludwigs I. v. J. 815, Cap. Nr 132, I 261, laut welcher spanische Flüchtlinge sich niederlieſsen in ea portione Hispaniae, quae a nostris marchionibus in solitudinem redacta fuit. 4 Got. gavi, ahd. gawi, gewi, gowi, alts. und fries. gâ, gô. Grimm, WB IV 1 S 1518. „Die erreichbar älteste Bedeutung ist Landgebiet.“ A. O. S 1520. 5 De bell. Gall. IV 1: Hi centum pagos habere dicuntur, ex quibus quotannis singula millia armatorum bellandi causa ex finibus educunt. 6 Vgl. W. Sickel, Zur germ. VG, a. O. S 19; Munch (Clauſsen) S 130. S. unten § 19. 7 Mommsen, Schweizer Nachstudien, Hermes XVI 487. Hirschfeld Gallische Studien, Wiener Sitzungsber. CIII 303. 8 Caesar, De bell. Gall. I 12. 9 Dahn, Urgeschichte I 88. 8*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/133>, abgerufen am 24.11.2024.