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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 18. Die Landesgemeinde.
in welcher die Volksversammlung Beschlüsse fasst, gefasste Beschlüsse
bestätigt oder eine bindende Zusage erteilt. In Norwegen wurde diese
Handlung technisch als vapnatak (armorum tactus) bezeichnet. Nord-
leute und Dänen haben sie u. a. bei der Gesetzgebung und bei An-
nahme eines neuen Königs zur Anwendung gebracht. Bei den Lango-
barden hiess die rechtsförmliche Zustimmung und Zusage, welche von
der Versammlung mittels Speerschlags abgegeben wurde, gairethinx.
Per gairethinx nahm das langobardische Volk 643 das von seinem
König Rothari erlassene Edikt als sein Volksrecht an 16. Das Wort
stammt von gair, Ger, Wurfspeer, und von things, in dieser Zusammen-
setzung soviel wie Anerkennung oder Zusage 17. Von der Anwendung
des vapnatak vor Gericht wird noch bei Darstellung der Gerichts-
verfassung die Rede sein.

Die Landesgemeinde ist der eigentliche Lebensnerv der germa-
nischen Verfassung. In ihr beruht der Schwerpunkt der politischen
Selbständigkeit der Völkerschaft und findet die Einheit der civitas ihren
charakteristischen Ausdruck. Wo sie fehlt liegt entweder ein bundes-
staatliches Verhältnis oder bei Gemeinsamkeit des Königsgeschlechtes
eine Art von Realunion mehrerer civitates vor. Erhöhte Bedeutung
musste sie in den Staaten mit Vielherrschaft erlangen, da in ihr und
durch sie die unter den principes vorhandenen Gegensätze zur ver-
fassungsmässigen Ausgleichung kamen. Schwer wird es empfunden
und als etwas Aussergewöhnliches hervorgehoben, wenn einem be-
siegten Volke die Versammlungsfreiheit verkümmert wird. In ihren
Beschwerden über den römischen Druck hoben die Tenkterer zur Zeit
des batavischen Krieges besonders hervor, dass ihre Versammlungen
verhindert wurden, dass die Römer ihnen nur gestatteten unbewaffnet,
unter Aufsicht und mit erkaufter Erlaubnis zusammenzukommen 18.
Den Markomannen legten die Römer in einem Friedensschlusse auf,
dass sie nur in Gegenwart eines römischen Centurio, nur einmal im
Monat und nur an bestimmtem Orte sich versammeln durften 19. Zu
den Gewaltmassregeln, durch welche nachmals Karl der Grosse die

von Tours, Hist. Fr. II 40, dass sie plaudentes tam parmis quam vocibus eum clypeo
evectum super se regem constituunt.
16 Rothari 386: et per gairethinx secundum ritus gentis nostrae confirmantes.
17 Wie Gedinge, die im Dinge gewonnene Zusage oder Anerkennung. Grimm,
WB IV 1 S 2025.
18 Tacitus, Hist. IV 64: ut conloquia congressusque nostros arcerent vel
quod contumeliosius est viris ad arma natis inermes ac prope nudi sub custode et
pretio coiremus.
19 Dio 72, 1.
9*

§ 18. Die Landesgemeinde.
in welcher die Volksversammlung Beschlüsse faſst, gefaſste Beschlüsse
bestätigt oder eine bindende Zusage erteilt. In Norwegen wurde diese
Handlung technisch als vápnatak (armorum tactus) bezeichnet. Nord-
leute und Dänen haben sie u. a. bei der Gesetzgebung und bei An-
nahme eines neuen Königs zur Anwendung gebracht. Bei den Lango-
barden hieſs die rechtsförmliche Zustimmung und Zusage, welche von
der Versammlung mittels Speerschlags abgegeben wurde, gairethinx.
Per gairethinx nahm das langobardische Volk 643 das von seinem
König Rothari erlassene Edikt als sein Volksrecht an 16. Das Wort
stammt von gair, Ger, Wurfspeer, und von things, in dieser Zusammen-
setzung soviel wie Anerkennung oder Zusage 17. Von der Anwendung
des vápnatak vor Gericht wird noch bei Darstellung der Gerichts-
verfassung die Rede sein.

Die Landesgemeinde ist der eigentliche Lebensnerv der germa-
nischen Verfassung. In ihr beruht der Schwerpunkt der politischen
Selbständigkeit der Völkerschaft und findet die Einheit der civitas ihren
charakteristischen Ausdruck. Wo sie fehlt liegt entweder ein bundes-
staatliches Verhältnis oder bei Gemeinsamkeit des Königsgeschlechtes
eine Art von Realunion mehrerer civitates vor. Erhöhte Bedeutung
muſste sie in den Staaten mit Vielherrschaft erlangen, da in ihr und
durch sie die unter den principes vorhandenen Gegensätze zur ver-
fassungsmäſsigen Ausgleichung kamen. Schwer wird es empfunden
und als etwas Auſsergewöhnliches hervorgehoben, wenn einem be-
siegten Volke die Versammlungsfreiheit verkümmert wird. In ihren
Beschwerden über den römischen Druck hoben die Tenkterer zur Zeit
des batavischen Krieges besonders hervor, daſs ihre Versammlungen
verhindert wurden, daſs die Römer ihnen nur gestatteten unbewaffnet,
unter Aufsicht und mit erkaufter Erlaubnis zusammenzukommen 18.
Den Markomannen legten die Römer in einem Friedensschlusse auf,
daſs sie nur in Gegenwart eines römischen Centurio, nur einmal im
Monat und nur an bestimmtem Orte sich versammeln durften 19. Zu
den Gewaltmaſsregeln, durch welche nachmals Karl der Groſse die

von Tours, Hist. Fr. II 40, daſs sie plaudentes tam parmis quam vocibus eum clypeo
evectum super se regem constituunt.
16 Rothari 386: et per gairethinx secundum ritus gentis nostrae confirmantes.
17 Wie Gedinge, die im Dinge gewonnene Zusage oder Anerkennung. Grimm,
WB IV 1 S 2025.
18 Tacitus, Hist. IV 64: ut conloquia congressusque nostros arcerent vel
quod contumeliosius est viris ad arma natis inermes ac prope nudi sub custode et
pretio coiremus.
19 Dio 72, 1.
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[131/0149] § 18. Die Landesgemeinde. in welcher die Volksversammlung Beschlüsse faſst, gefaſste Beschlüsse bestätigt oder eine bindende Zusage erteilt. In Norwegen wurde diese Handlung technisch als vápnatak (armorum tactus) bezeichnet. Nord- leute und Dänen haben sie u. a. bei der Gesetzgebung und bei An- nahme eines neuen Königs zur Anwendung gebracht. Bei den Lango- barden hieſs die rechtsförmliche Zustimmung und Zusage, welche von der Versammlung mittels Speerschlags abgegeben wurde, gairethinx. Per gairethinx nahm das langobardische Volk 643 das von seinem König Rothari erlassene Edikt als sein Volksrecht an 16. Das Wort stammt von gair, Ger, Wurfspeer, und von things, in dieser Zusammen- setzung soviel wie Anerkennung oder Zusage 17. Von der Anwendung des vápnatak vor Gericht wird noch bei Darstellung der Gerichts- verfassung die Rede sein. Die Landesgemeinde ist der eigentliche Lebensnerv der germa- nischen Verfassung. In ihr beruht der Schwerpunkt der politischen Selbständigkeit der Völkerschaft und findet die Einheit der civitas ihren charakteristischen Ausdruck. Wo sie fehlt liegt entweder ein bundes- staatliches Verhältnis oder bei Gemeinsamkeit des Königsgeschlechtes eine Art von Realunion mehrerer civitates vor. Erhöhte Bedeutung muſste sie in den Staaten mit Vielherrschaft erlangen, da in ihr und durch sie die unter den principes vorhandenen Gegensätze zur ver- fassungsmäſsigen Ausgleichung kamen. Schwer wird es empfunden und als etwas Auſsergewöhnliches hervorgehoben, wenn einem be- siegten Volke die Versammlungsfreiheit verkümmert wird. In ihren Beschwerden über den römischen Druck hoben die Tenkterer zur Zeit des batavischen Krieges besonders hervor, daſs ihre Versammlungen verhindert wurden, daſs die Römer ihnen nur gestatteten unbewaffnet, unter Aufsicht und mit erkaufter Erlaubnis zusammenzukommen 18. Den Markomannen legten die Römer in einem Friedensschlusse auf, daſs sie nur in Gegenwart eines römischen Centurio, nur einmal im Monat und nur an bestimmtem Orte sich versammeln durften 19. Zu den Gewaltmaſsregeln, durch welche nachmals Karl der Groſse die 15 16 Rothari 386: et per gairethinx secundum ritus gentis nostrae confirmantes. 17 Wie Gedinge, die im Dinge gewonnene Zusage oder Anerkennung. Grimm, WB IV 1 S 2025. 18 Tacitus, Hist. IV 64: ut conloquia congressusque nostros arcerent vel quod contumeliosius est viris ad arma natis inermes ac prope nudi sub custode et pretio coiremus. 19 Dio 72, 1. 15 von Tours, Hist. Fr. II 40, daſs sie plaudentes tam parmis quam vocibus eum clypeo evectum super se regem constituunt. 9*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/149>, abgerufen am 22.11.2024.