Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.§ 20. Die Gerichtsverfassung. Die Eröffnung des Gerichtes wird aber vermittelt durch die so-genannten Hegungsfragen, das heisst durch die an die Gerichts- gemeinde oder an ein einzelnes Mitglied derselben gestellten Fragen des Richters, ob es Dinges Zeit und Ort sei, ob das Gericht gehörig gehegt, gespannt oder besetzt sei, ob er den Gerichtsfrieden gebieten solle. Dieser später allgemein verbreitete Gebrauch der Hegungs- fragen reicht in hohes Altertum zurück. Schon die Lex Salica setzt ihn voraus, indem sie bei Darstellung der Förmlichkeiten einer ge- richtlichen Verhandlung verlangt, dass der Richter vor Beginn der- selben an drei Männer die drei Fragen stellen solle15. Dass die auf die Hegungsfragen abgegebenen Urteile später Fronurteile genannt werden16, bestätigt ihren ursprünglich sakralen Charakter. Vielleicht ist es nicht zu gewagt, den Ursprung der Hegungsfragen so zu er- klären, dass in der Urzeit der vorsitzende Richter die Frage, ob es Dinges Zeit und Ort sei, an die Priester stellte, welche darüber die Lose zu befragen und den Willen der Götter zu erkunden hatten17, dass er ebenso durch die Priester konstatieren liess, ob die Förmlich- keiten der Einhegung gehörig erfüllt seien, wogegen er den Ding- frieden, wenn wir nicht ein Missverständnis des Tacitus voraussetzen wollen, in der Landesgemeinde nicht selbst verkündigte, sondern durch Priestermund im Namen des Gottes, dem das Ding geweiht war, sich und die Anwesenden in heiligen Frieden setzen liess, ehe er seines Amtes zu walten begann. Als das Heidenpriestertum schwand, wurden die Fronurteile von Dingleuten abgegeben und sprach der Richter allenthalben selbst auf ein solches Urteil hin das Friedensgebot aus, wie dies schon in germanischer Zeit wenigstens ausserhalb der Landes- gemeinde der Fall gewesen sein dürfte. Als wesentliches Attribut der richterlichen Gewalt erscheint später statt, obschon der Ausdruck Hegung nicht üblich gewesen sein dürfte. Der Richter gebietet den Gerichtsfrieden und stellt die Hegungsfragen, durch deren Be- antwortung er sich den Gerichtsstab zuerkennen, verdingen lässt. Indem er den Stab in die Hand nimmt, ist das Gericht konstituiert. Grimm, Weistümer III 716. 726. Tirol. Weistümer I 9 f., II 372 f., I 55, II 187. 366. Steirische und kärntnische Taidinge S 426. Salzburgische Taidinge im Register unter Friedegebot des Richters und unter Gericht. 15 Lex Sal. 44, 1: et in ipso mallo scutum habere debet (thunginus aut cen- tenarius) et tres homines tres causas demandare (debet). Schon Zöpfl, RG III 328 hat die Stelle mit Recht auf die Hegungsfragen bezogen. 16 Haltaus I 543. Homeyer, Richtsteig Landr. S 435. 17 Germ. c. 10: auspicia sortesque ut qui maxime observant. Dann von den
Losen: mox, si publice consuletur sacerdos civitatis ... secundum impressam ante notam interpretatur. si prohibuerunt, nulla de eadem re in eundem diem consultatio. § 20. Die Gerichtsverfassung. Die Eröffnung des Gerichtes wird aber vermittelt durch die so-genannten Hegungsfragen, das heiſst durch die an die Gerichts- gemeinde oder an ein einzelnes Mitglied derselben gestellten Fragen des Richters, ob es Dinges Zeit und Ort sei, ob das Gericht gehörig gehegt, gespannt oder besetzt sei, ob er den Gerichtsfrieden gebieten solle. Dieser später allgemein verbreitete Gebrauch der Hegungs- fragen reicht in hohes Altertum zurück. Schon die Lex Salica setzt ihn voraus, indem sie bei Darstellung der Förmlichkeiten einer ge- richtlichen Verhandlung verlangt, daſs der Richter vor Beginn der- selben an drei Männer die drei Fragen stellen solle15. Daſs die auf die Hegungsfragen abgegebenen Urteile später Fronurteile genannt werden16, bestätigt ihren ursprünglich sakralen Charakter. Vielleicht ist es nicht zu gewagt, den Ursprung der Hegungsfragen so zu er- klären, daſs in der Urzeit der vorsitzende Richter die Frage, ob es Dinges Zeit und Ort sei, an die Priester stellte, welche darüber die Lose zu befragen und den Willen der Götter zu erkunden hatten17, daſs er ebenso durch die Priester konstatieren lieſs, ob die Förmlich- keiten der Einhegung gehörig erfüllt seien, wogegen er den Ding- frieden, wenn wir nicht ein Miſsverständnis des Tacitus voraussetzen wollen, in der Landesgemeinde nicht selbst verkündigte, sondern durch Priestermund im Namen des Gottes, dem das Ding geweiht war, sich und die Anwesenden in heiligen Frieden setzen lieſs, ehe er seines Amtes zu walten begann. Als das Heidenpriestertum schwand, wurden die Fronurteile von Dingleuten abgegeben und sprach der Richter allenthalben selbst auf ein solches Urteil hin das Friedensgebot aus, wie dies schon in germanischer Zeit wenigstens auſserhalb der Landes- gemeinde der Fall gewesen sein dürfte. Als wesentliches Attribut der richterlichen Gewalt erscheint später statt, obschon der Ausdruck Hegung nicht üblich gewesen sein dürfte. Der Richter gebietet den Gerichtsfrieden und stellt die Hegungsfragen, durch deren Be- antwortung er sich den Gerichtsstab zuerkennen, verdingen läſst. Indem er den Stab in die Hand nimmt, ist das Gericht konstituiert. Grimm, Weistümer III 716. 726. Tirol. Weistümer I 9 f., II 372 f., I 55, II 187. 366. Steirische und kärntnische Taidinge S 426. Salzburgische Taidinge im Register unter Friedegebot des Richters und unter Gericht. 15 Lex Sal. 44, 1: et in ipso mallo scutum habere debet (thunginus aut cen- tenarius) et tres homines tres causas demandare (debet). Schon Zöpfl, RG III 328 hat die Stelle mit Recht auf die Hegungsfragen bezogen. 16 Haltaus I 543. Homeyer, Richtsteig Landr. S 435. 17 Germ. c. 10: auspicia sortesque ut qui maxime observant. Dann von den
Losen: mox, si publice consuletur sacerdos civitatis … secundum impressam ante notam interpretatur. si prohibuerunt, nulla de eadem re in eundem diem consultatio. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0164" n="146"/><fw place="top" type="header">§ 20. Die Gerichtsverfassung.</fw><lb/> Die Eröffnung des Gerichtes wird aber vermittelt durch die so-<lb/> genannten Hegungsfragen, das heiſst durch die an die Gerichts-<lb/> gemeinde oder an ein einzelnes Mitglied derselben gestellten Fragen<lb/> des Richters, ob es Dinges Zeit und Ort sei, ob das Gericht gehörig<lb/> gehegt, gespannt oder besetzt sei, ob er den Gerichtsfrieden gebieten<lb/> solle. Dieser später allgemein verbreitete Gebrauch der Hegungs-<lb/> fragen reicht in hohes Altertum zurück. Schon die Lex Salica setzt<lb/> ihn voraus, indem sie bei Darstellung der Förmlichkeiten einer ge-<lb/> richtlichen Verhandlung verlangt, daſs der Richter vor Beginn der-<lb/> selben an drei Männer die drei Fragen stellen solle<note place="foot" n="15">Lex Sal. 44, 1: et in ipso mallo scutum habere debet (thunginus aut cen-<lb/> tenarius) et tres homines tres causas demandare (debet). Schon <hi rendition="#g">Zöpfl</hi>, RG III 328<lb/> hat die Stelle mit Recht auf die Hegungsfragen bezogen.</note>. Daſs die auf<lb/> die Hegungsfragen abgegebenen Urteile später Fronurteile genannt<lb/> werden<note place="foot" n="16"><hi rendition="#g">Haltaus</hi> I 543. <hi rendition="#g">Homeyer</hi>, Richtsteig Landr. S 435.</note>, bestätigt ihren ursprünglich sakralen Charakter. Vielleicht<lb/> ist es nicht zu gewagt, den Ursprung der Hegungsfragen so zu er-<lb/> klären, daſs in der Urzeit der vorsitzende Richter die Frage, ob es<lb/> Dinges Zeit und Ort sei, an die Priester stellte, welche darüber die<lb/> Lose zu befragen und den Willen der Götter zu erkunden hatten<note place="foot" n="17">Germ. c. 10: auspicia sortesque ut qui maxime observant. Dann von den<lb/> Losen: mox, si publice consuletur sacerdos civitatis … secundum impressam ante<lb/> notam interpretatur. si prohibuerunt, nulla de eadem re in eundem diem consultatio.</note>,<lb/> daſs er ebenso durch die Priester konstatieren lieſs, ob die Förmlich-<lb/> keiten der Einhegung gehörig erfüllt seien, wogegen er den Ding-<lb/> frieden, wenn wir nicht ein Miſsverständnis des Tacitus voraussetzen<lb/> wollen, in der Landesgemeinde nicht selbst verkündigte, sondern durch<lb/> Priestermund im Namen des Gottes, dem das Ding geweiht war, sich<lb/> und die Anwesenden in heiligen Frieden setzen lieſs, ehe er seines<lb/> Amtes zu walten begann. Als das Heidenpriestertum schwand, wurden<lb/> die Fronurteile von Dingleuten abgegeben und sprach der Richter<lb/> allenthalben selbst auf ein solches Urteil hin das Friedensgebot aus,<lb/> wie dies schon in germanischer Zeit wenigstens auſserhalb der Landes-<lb/> gemeinde der Fall gewesen sein dürfte.</p><lb/> <p>Als wesentliches Attribut der richterlichen Gewalt erscheint später<lb/><note xml:id="note-0164" prev="#note-0163" place="foot" n="14">statt, obschon der Ausdruck Hegung nicht üblich gewesen sein dürfte. Der<lb/> Richter gebietet den Gerichtsfrieden und stellt die Hegungsfragen, durch deren Be-<lb/> antwortung er sich den Gerichtsstab zuerkennen, verdingen läſst. Indem er den<lb/> Stab in die Hand nimmt, ist das Gericht konstituiert. <hi rendition="#g">Grimm</hi>, Weistümer III<lb/> 716. 726. Tirol. Weistümer I 9 f., II 372 f., I 55, II 187. 366. Steirische und<lb/> kärntnische Taidinge S 426. Salzburgische Taidinge im Register unter Friedegebot<lb/> des Richters und unter Gericht.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [146/0164]
§ 20. Die Gerichtsverfassung.
Die Eröffnung des Gerichtes wird aber vermittelt durch die so-
genannten Hegungsfragen, das heiſst durch die an die Gerichts-
gemeinde oder an ein einzelnes Mitglied derselben gestellten Fragen
des Richters, ob es Dinges Zeit und Ort sei, ob das Gericht gehörig
gehegt, gespannt oder besetzt sei, ob er den Gerichtsfrieden gebieten
solle. Dieser später allgemein verbreitete Gebrauch der Hegungs-
fragen reicht in hohes Altertum zurück. Schon die Lex Salica setzt
ihn voraus, indem sie bei Darstellung der Förmlichkeiten einer ge-
richtlichen Verhandlung verlangt, daſs der Richter vor Beginn der-
selben an drei Männer die drei Fragen stellen solle 15. Daſs die auf
die Hegungsfragen abgegebenen Urteile später Fronurteile genannt
werden 16, bestätigt ihren ursprünglich sakralen Charakter. Vielleicht
ist es nicht zu gewagt, den Ursprung der Hegungsfragen so zu er-
klären, daſs in der Urzeit der vorsitzende Richter die Frage, ob es
Dinges Zeit und Ort sei, an die Priester stellte, welche darüber die
Lose zu befragen und den Willen der Götter zu erkunden hatten 17,
daſs er ebenso durch die Priester konstatieren lieſs, ob die Förmlich-
keiten der Einhegung gehörig erfüllt seien, wogegen er den Ding-
frieden, wenn wir nicht ein Miſsverständnis des Tacitus voraussetzen
wollen, in der Landesgemeinde nicht selbst verkündigte, sondern durch
Priestermund im Namen des Gottes, dem das Ding geweiht war, sich
und die Anwesenden in heiligen Frieden setzen lieſs, ehe er seines
Amtes zu walten begann. Als das Heidenpriestertum schwand, wurden
die Fronurteile von Dingleuten abgegeben und sprach der Richter
allenthalben selbst auf ein solches Urteil hin das Friedensgebot aus,
wie dies schon in germanischer Zeit wenigstens auſserhalb der Landes-
gemeinde der Fall gewesen sein dürfte.
Als wesentliches Attribut der richterlichen Gewalt erscheint später
14
15 Lex Sal. 44, 1: et in ipso mallo scutum habere debet (thunginus aut cen-
tenarius) et tres homines tres causas demandare (debet). Schon Zöpfl, RG III 328
hat die Stelle mit Recht auf die Hegungsfragen bezogen.
16 Haltaus I 543. Homeyer, Richtsteig Landr. S 435.
17 Germ. c. 10: auspicia sortesque ut qui maxime observant. Dann von den
Losen: mox, si publice consuletur sacerdos civitatis … secundum impressam ante
notam interpretatur. si prohibuerunt, nulla de eadem re in eundem diem consultatio.
14 statt, obschon der Ausdruck Hegung nicht üblich gewesen sein dürfte. Der
Richter gebietet den Gerichtsfrieden und stellt die Hegungsfragen, durch deren Be-
antwortung er sich den Gerichtsstab zuerkennen, verdingen läſst. Indem er den
Stab in die Hand nimmt, ist das Gericht konstituiert. Grimm, Weistümer III
716. 726. Tirol. Weistümer I 9 f., II 372 f., I 55, II 187. 366. Steirische und
kärntnische Taidinge S 426. Salzburgische Taidinge im Register unter Friedegebot
des Richters und unter Gericht.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |