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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 26. Grundherrschaften und Landleihe.
Anlage neuer Dorfschaften vorgenommen wurden, fallen für die Um-
wandlung der Besitzverhältnisse nicht ins Gewicht, da sie gleiche
Rechte der Genossen begründeten. Soweit aber die Rodungen durch
einzelne geschahen, hatte der Reichere, derjenige, der über eine
grössere Zahl von Eigentum und Zugvieh gebot, in dem Wettbewerb
um die Ausdehnung des Besitztums einen nicht auszugleichenden
Vorsprung.

Seit sich ein unbeschränktes Erbrecht an der Hufe ausgebildet
hatte, brachte es der Erbgang mit sich, dass Vollhufen geteilt, mehrere
Hufen in einer Hand vereinigt wurden. Denn keines der deutschen
Stammesrechte kannte den Grundsatz der Individualsuccession, sondern
gleichnahe Erben hatten gleiches Erbrecht, soweit nicht der Vorrang
der Männer vor den weiblichen Verwandten platzgriff.

Armut auf der einen, Reichtum auf der andern Seite entsprangen
aus der Anwendung des Bussensystems. Die Wergelder und Bussen
waren verhältnismässig hoch. Bei den Franken stieg das Wergeld in
manchen Fällen auf 1800 solidi. Andrerseits hatte das Geld so be-
trächtlichen Wert, dass z. B. ein Ochse, den der Schuldner auf eine
Bussschuld in Zahlung gab, oft nur zu 1 bis 3 solidi in Schätzung kam.
Bei so geringen Preisen der landläufigen Zahlungsmittel musste die
Verwirkung hoher Bussen nicht selten die vollständige Verarmung des
Schuldigen und zugleich eine wirtschaftliche Schwächung seiner Sippe-
genossen herbeiführen, welche ihm die Busse aufbringen halfen13.

Im Laufe der fränkischen, insbesondere der karolingischen Zeit
vollzog sich eine Verbesserung der Bodenkultur, in welcher die kleinen
Güter mit den grossen nicht gleichen Schritt zu halten vermochten.
Die sorgfältige Domänenwirtschaft, welche Karl der Grosse organisierte,
regte eine Steigerung der landwirtschaftlichen Technik an. Schon zu
Anfang des neunten Jahrhunderts lässt sich in den Mosellanden die
Dreifelderwirtschaft nachweisen14. Der Fortschritt verbreitete sich von
den königlichen Besitzungen zunächst auf die grösseren Grundherr-

ganzen Gemarkungen lastende Medempflicht sind m. E. aus solchen Rodungen auf
fiskalischem Boden zu erklären. Näheres darüber in Band II.
13 Die hohen Busszahlen der Volksrechte wären geradezu rätselhaft, wenn man
nicht in Anschlag bringen dürfte, dass ein erheblicher Teil der Busse regelmässig
von den Verwandten beigesteuert wurde. Auch die holländischen Sühnsprüche des
14. und 15. Jahrh. weisen mitunter enorme Summen von Sühngeldern auf. Ein
Sühnspruch von 1350, Mieris, Charterboek II 769, legte ein Sühngeld von 12 000
Pfund auf (Z2 f. RG III 77). Allein die Schuld wurde innerhalb der vier Viertel
der Sippe verteilt.
14 Lamprecht, Wirtschaftsleben I 545.

§ 26. Grundherrschaften und Landleihe.
Anlage neuer Dorfschaften vorgenommen wurden, fallen für die Um-
wandlung der Besitzverhältnisse nicht ins Gewicht, da sie gleiche
Rechte der Genossen begründeten. Soweit aber die Rodungen durch
einzelne geschahen, hatte der Reichere, derjenige, der über eine
gröſsere Zahl von Eigentum und Zugvieh gebot, in dem Wettbewerb
um die Ausdehnung des Besitztums einen nicht auszugleichenden
Vorsprung.

Seit sich ein unbeschränktes Erbrecht an der Hufe ausgebildet
hatte, brachte es der Erbgang mit sich, daſs Vollhufen geteilt, mehrere
Hufen in einer Hand vereinigt wurden. Denn keines der deutschen
Stammesrechte kannte den Grundsatz der Individualsuccession, sondern
gleichnahe Erben hatten gleiches Erbrecht, soweit nicht der Vorrang
der Männer vor den weiblichen Verwandten platzgriff.

Armut auf der einen, Reichtum auf der andern Seite entsprangen
aus der Anwendung des Buſsensystems. Die Wergelder und Buſsen
waren verhältnismäſsig hoch. Bei den Franken stieg das Wergeld in
manchen Fällen auf 1800 solidi. Andrerseits hatte das Geld so be-
trächtlichen Wert, daſs z. B. ein Ochse, den der Schuldner auf eine
Buſsschuld in Zahlung gab, oft nur zu 1 bis 3 solidi in Schätzung kam.
Bei so geringen Preisen der landläufigen Zahlungsmittel muſste die
Verwirkung hoher Buſsen nicht selten die vollständige Verarmung des
Schuldigen und zugleich eine wirtschaftliche Schwächung seiner Sippe-
genossen herbeiführen, welche ihm die Buſse aufbringen halfen13.

Im Laufe der fränkischen, insbesondere der karolingischen Zeit
vollzog sich eine Verbesserung der Bodenkultur, in welcher die kleinen
Güter mit den groſsen nicht gleichen Schritt zu halten vermochten.
Die sorgfältige Domänenwirtschaft, welche Karl der Groſse organisierte,
regte eine Steigerung der landwirtschaftlichen Technik an. Schon zu
Anfang des neunten Jahrhunderts läſst sich in den Mosellanden die
Dreifelderwirtschaft nachweisen14. Der Fortschritt verbreitete sich von
den königlichen Besitzungen zunächst auf die gröſseren Grundherr-

ganzen Gemarkungen lastende Medempflicht sind m. E. aus solchen Rodungen auf
fiskalischem Boden zu erklären. Näheres darüber in Band II.
13 Die hohen Buſszahlen der Volksrechte wären geradezu rätselhaft, wenn man
nicht in Anschlag bringen dürfte, daſs ein erheblicher Teil der Buſse regelmäſsig
von den Verwandten beigesteuert wurde. Auch die holländischen Sühnsprüche des
14. und 15. Jahrh. weisen mitunter enorme Summen von Sühngeldern auf. Ein
Sühnspruch von 1350, Mieris, Charterboek II 769, legte ein Sühngeld von 12 000
Pfund auf (Z2 f. RG III 77). Allein die Schuld wurde innerhalb der vier Viertel
der Sippe verteilt.
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[206/0224] § 26. Grundherrschaften und Landleihe. Anlage neuer Dorfschaften vorgenommen wurden, fallen für die Um- wandlung der Besitzverhältnisse nicht ins Gewicht, da sie gleiche Rechte der Genossen begründeten. Soweit aber die Rodungen durch einzelne geschahen, hatte der Reichere, derjenige, der über eine gröſsere Zahl von Eigentum und Zugvieh gebot, in dem Wettbewerb um die Ausdehnung des Besitztums einen nicht auszugleichenden Vorsprung. Seit sich ein unbeschränktes Erbrecht an der Hufe ausgebildet hatte, brachte es der Erbgang mit sich, daſs Vollhufen geteilt, mehrere Hufen in einer Hand vereinigt wurden. Denn keines der deutschen Stammesrechte kannte den Grundsatz der Individualsuccession, sondern gleichnahe Erben hatten gleiches Erbrecht, soweit nicht der Vorrang der Männer vor den weiblichen Verwandten platzgriff. Armut auf der einen, Reichtum auf der andern Seite entsprangen aus der Anwendung des Buſsensystems. Die Wergelder und Buſsen waren verhältnismäſsig hoch. Bei den Franken stieg das Wergeld in manchen Fällen auf 1800 solidi. Andrerseits hatte das Geld so be- trächtlichen Wert, daſs z. B. ein Ochse, den der Schuldner auf eine Buſsschuld in Zahlung gab, oft nur zu 1 bis 3 solidi in Schätzung kam. Bei so geringen Preisen der landläufigen Zahlungsmittel muſste die Verwirkung hoher Buſsen nicht selten die vollständige Verarmung des Schuldigen und zugleich eine wirtschaftliche Schwächung seiner Sippe- genossen herbeiführen, welche ihm die Buſse aufbringen halfen 13. Im Laufe der fränkischen, insbesondere der karolingischen Zeit vollzog sich eine Verbesserung der Bodenkultur, in welcher die kleinen Güter mit den groſsen nicht gleichen Schritt zu halten vermochten. Die sorgfältige Domänenwirtschaft, welche Karl der Groſse organisierte, regte eine Steigerung der landwirtschaftlichen Technik an. Schon zu Anfang des neunten Jahrhunderts läſst sich in den Mosellanden die Dreifelderwirtschaft nachweisen 14. Der Fortschritt verbreitete sich von den königlichen Besitzungen zunächst auf die gröſseren Grundherr- 12 13 Die hohen Buſszahlen der Volksrechte wären geradezu rätselhaft, wenn man nicht in Anschlag bringen dürfte, daſs ein erheblicher Teil der Buſse regelmäſsig von den Verwandten beigesteuert wurde. Auch die holländischen Sühnsprüche des 14. und 15. Jahrh. weisen mitunter enorme Summen von Sühngeldern auf. Ein Sühnspruch von 1350, Mieris, Charterboek II 769, legte ein Sühngeld von 12 000 Pfund auf (Z2 f. RG III 77). Allein die Schuld wurde innerhalb der vier Viertel der Sippe verteilt. 14 Lamprecht, Wirtschaftsleben I 545. 12 ganzen Gemarkungen lastende Medempflicht sind m. E. aus solchen Rodungen auf fiskalischem Boden zu erklären. Näheres darüber in Band II.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/224>, abgerufen am 04.12.2024.