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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 30. Die Knechte.

In den sozialen Wandelungen der fränkischen Periode wurzeln
noch die Reste des Ständewesens, welche die Gegenwart aufzuweisen
hat. Der hohe Adel unserer Tage führt seinen rechtsgeschichtlichen
Stammbaum auf das fränkische Ämterwesen, der niedere auf den
Reiterdienst zurück.

§ 30. Die Knechte.

S. die Litteratur zu § 29 und Waitz, Verfassungsgesch. II 1 S 219 ff., IV 354 ff.
Walter, Deutsche RG § 384 ff. Guerard, Polyptyque I 277 ff. Yanowski,
De l'abolition de l'esclavage ancien au moyen age et de sa transformation en servi-
tude de la glebe, 1860. Jastrow, Über das Eigenthum an und von Sklaven
nach den deutschen Volksrechten, Forschungen XIX 626 ff. v. Fürth, Die
Ministerialen, 1836.

Die Knechtschaft hat im fränkischen Reiche an Umfang und
Verbreitung gewonnen, die Menge der Knechte eine nicht unerhebliche
Zunahme erfahren. Gallien besass schon zur Zeit der Eroberung
einen starken Bestand von Sklaven. Als Beute der fränkischen
Sieger verfielen zahlreiche Gefangene dem Lose der Verknechtung.
Auf den neustrischen Märkten der merowingischen Zeit bildete die
Menschenware einen bedeutsamen Artikel des Binnen- und des Einfuhr-
handels. In karolingischer Zeit erhöhte sich die Zahl der Leibeigenen
durch die massenhaften Selbstverkäufe und freiwilligen Verknechtungen,
zu welchen freie Leute im Drange der wirtschaftlichen Not und wegen
Insolvenz sich gezwungen sahen. Seit dem Ende des neunten Jahr-
hunderts haben die Kämpfe mit den Slawen die Bezeichnungen der
Knechte um eine neue vermehrt, den Namen der Sklaven 1, der in
den meisten europäischen Sprachen für die niedrigste Unfreiheit
gang und gäbe wurde 2.

Dagegen ist die rechtliche Stellung der Knechte eine bessere ge-
worden. Sie erlangten eine beschränkte Rechts- und Vermögens-
fähigkeit, eine Veränderung, welche zuerst bei den Franken und
Oberdeutschen, etwas später bei den Sachsen und Friesen einsetzte.
Indem die Knechte nicht mehr in jeder Beziehung als Sache, sondern
in manchen Beziehungen als Personen behandelt wurden, hat auch
die Summe, welche für die Tötung von Knechten bezahlt wurde, den
Charakter des Wertersatzes verloren und sich dem des Wergeldes
genähert. Der Sachwert des gemeinen Knechtes ist in den Volks-
rechten durchschnittlich auf 12 solidi taxiert 3. Aber die Tötung

1 Potgiesser, De statu servorum S 287.
2 In allen romanischen Sprachen, im Englischen, im Griechischen.
3 v. Inama-Sternegg, WG S 63 Anm 5.
§ 30. Die Knechte.

In den sozialen Wandelungen der fränkischen Periode wurzeln
noch die Reste des Ständewesens, welche die Gegenwart aufzuweisen
hat. Der hohe Adel unserer Tage führt seinen rechtsgeschichtlichen
Stammbaum auf das fränkische Ämterwesen, der niedere auf den
Reiterdienst zurück.

§ 30. Die Knechte.

S. die Litteratur zu § 29 und Waitz, Verfassungsgesch. II 1 S 219 ff., IV 354 ff.
Walter, Deutsche RG § 384 ff. Guérard, Polyptyque I 277 ff. Yanowski,
De l’abolition de l’esclavage ancien au moyen âge et de sa transformation en servi-
tude de la glèbe, 1860. Jastrow, Über das Eigenthum an und von Sklaven
nach den deutschen Volksrechten, Forschungen XIX 626 ff. v. Fürth, Die
Ministerialen, 1836.

Die Knechtschaft hat im fränkischen Reiche an Umfang und
Verbreitung gewonnen, die Menge der Knechte eine nicht unerhebliche
Zunahme erfahren. Gallien besaſs schon zur Zeit der Eroberung
einen starken Bestand von Sklaven. Als Beute der fränkischen
Sieger verfielen zahlreiche Gefangene dem Lose der Verknechtung.
Auf den neustrischen Märkten der merowingischen Zeit bildete die
Menschenware einen bedeutsamen Artikel des Binnen- und des Einfuhr-
handels. In karolingischer Zeit erhöhte sich die Zahl der Leibeigenen
durch die massenhaften Selbstverkäufe und freiwilligen Verknechtungen,
zu welchen freie Leute im Drange der wirtschaftlichen Not und wegen
Insolvenz sich gezwungen sahen. Seit dem Ende des neunten Jahr-
hunderts haben die Kämpfe mit den Slawen die Bezeichnungen der
Knechte um eine neue vermehrt, den Namen der Sklaven 1, der in
den meisten europäischen Sprachen für die niedrigste Unfreiheit
gang und gäbe wurde 2.

Dagegen ist die rechtliche Stellung der Knechte eine bessere ge-
worden. Sie erlangten eine beschränkte Rechts- und Vermögens-
fähigkeit, eine Veränderung, welche zuerst bei den Franken und
Oberdeutschen, etwas später bei den Sachsen und Friesen einsetzte.
Indem die Knechte nicht mehr in jeder Beziehung als Sache, sondern
in manchen Beziehungen als Personen behandelt wurden, hat auch
die Summe, welche für die Tötung von Knechten bezahlt wurde, den
Charakter des Wertersatzes verloren und sich dem des Wergeldes
genähert. Der Sachwert des gemeinen Knechtes ist in den Volks-
rechten durchschnittlich auf 12 solidi taxiert 3. Aber die Tötung

1 Potgieſser, De statu servorum S 287.
2 In allen romanischen Sprachen, im Englischen, im Griechischen.
3 v. Inama-Sternegg, WG S 63 Anm 5.
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[231/0249] § 30. Die Knechte. In den sozialen Wandelungen der fränkischen Periode wurzeln noch die Reste des Ständewesens, welche die Gegenwart aufzuweisen hat. Der hohe Adel unserer Tage führt seinen rechtsgeschichtlichen Stammbaum auf das fränkische Ämterwesen, der niedere auf den Reiterdienst zurück. § 30. Die Knechte. S. die Litteratur zu § 29 und Waitz, Verfassungsgesch. II 1 S 219 ff., IV 354 ff. Walter, Deutsche RG § 384 ff. Guérard, Polyptyque I 277 ff. Yanowski, De l’abolition de l’esclavage ancien au moyen âge et de sa transformation en servi- tude de la glèbe, 1860. Jastrow, Über das Eigenthum an und von Sklaven nach den deutschen Volksrechten, Forschungen XIX 626 ff. v. Fürth, Die Ministerialen, 1836. Die Knechtschaft hat im fränkischen Reiche an Umfang und Verbreitung gewonnen, die Menge der Knechte eine nicht unerhebliche Zunahme erfahren. Gallien besaſs schon zur Zeit der Eroberung einen starken Bestand von Sklaven. Als Beute der fränkischen Sieger verfielen zahlreiche Gefangene dem Lose der Verknechtung. Auf den neustrischen Märkten der merowingischen Zeit bildete die Menschenware einen bedeutsamen Artikel des Binnen- und des Einfuhr- handels. In karolingischer Zeit erhöhte sich die Zahl der Leibeigenen durch die massenhaften Selbstverkäufe und freiwilligen Verknechtungen, zu welchen freie Leute im Drange der wirtschaftlichen Not und wegen Insolvenz sich gezwungen sahen. Seit dem Ende des neunten Jahr- hunderts haben die Kämpfe mit den Slawen die Bezeichnungen der Knechte um eine neue vermehrt, den Namen der Sklaven 1, der in den meisten europäischen Sprachen für die niedrigste Unfreiheit gang und gäbe wurde 2. Dagegen ist die rechtliche Stellung der Knechte eine bessere ge- worden. Sie erlangten eine beschränkte Rechts- und Vermögens- fähigkeit, eine Veränderung, welche zuerst bei den Franken und Oberdeutschen, etwas später bei den Sachsen und Friesen einsetzte. Indem die Knechte nicht mehr in jeder Beziehung als Sache, sondern in manchen Beziehungen als Personen behandelt wurden, hat auch die Summe, welche für die Tötung von Knechten bezahlt wurde, den Charakter des Wertersatzes verloren und sich dem des Wergeldes genähert. Der Sachwert des gemeinen Knechtes ist in den Volks- rechten durchschnittlich auf 12 solidi taxiert 3. Aber die Tötung 1 Potgieſser, De statu servorum S 287. 2 In allen romanischen Sprachen, im Englischen, im Griechischen. 3 v. Inama-Sternegg, WG S 63 Anm 5.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/249>, abgerufen am 22.11.2024.