beginnt mit dem Ausgange des fünfzehnten Jahrhunderts und findet in der Gründung des neuen Reiches und in den Anfängen eines deutschen Reichsrechtes ihren naturgemässen Abschluss.
Die Rechtsgeschichte zerfällt nach dem Gegenstande ihrer Be- trachtung in die allgemeine und in die besondere Rechtsgeschichte. Jene verfolgt die Entwicklung des Rechtes in seiner Totalität, diese die Entwicklung der einzelnen Rechtsinstitute. Es ist herkömmlich, die allgemeine Rechtsgeschichte als äussere, die besondere als innere Rechtsgeschichte zu bezeichnen. Allein diese Bezeichnung entspricht nicht dem Einteilungsgrunde, durch den sie sich rechtfertigen will. Ihn hat am schärfsten Puchta formuliert, indem er ausführte 2: "Die Geschichte des Rechtes ... hat eine doppelte Richtung. Der Organismus entwickelt und verändert sich teils im Ganzen, teils in seinen Gliedern, so dass jedes Glied, da es ein ihm eigentümliches, obwohl mit dem des Ganzen wesentlich zusammenhängendes und von ihm untrennbares Leben besitzt, auch seine eigene, aber mit der des Ganzen innig verwachsene Geschichte hat. So haben wir zwei Teile der Rechtsgeschichte zu unterscheiden, die Geschichte des Rechtes im Ganzen und die Geschichte der einzelnen Glieder des Rechtes." Schliesst man sich dieser Auffassung an, so wird man es füglich ver- meiden, von äusserer und von innerer Rechtsgeschichte zu sprechen, weil das Ganze eines Organismus nicht seine Aussenseite ist und ebensowenig die einzelnen Glieder seine innere Seite darstellen.
Die allgemeine Rechtsgeschichte hat es vorzugsweise mit der Geschichte der Rechtsquellen zu thun. Ausserdem soll sie die poli- tischen, die wirtschaftlichen und die sozialen Verhältnisse als die Grundlagen und treibenden Kräfte der Rechtsbildung zur Anschauung bringen. Demgemäss wird in dem jeder einzelnen Periode gewidmeten Abschnitte dieses Handbuches zunächst eine Übersicht über die für die Rechtsbildung erheblichen politischen Thatsachen und eine Er- örterung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände ihren Platz finden. Die Einteilung der inneren Rechtsgeschichte legt die Unterscheidung des Rechtes in Staatsrecht, Strafrecht, Prozessrecht und Privatrecht zu Grunde, soweit innerhalb der gewählten Zeit- abschnitte die Glieder jener Einteilung als bereits vorhanden betrachtet werden dürfen.
2 Cursus der Institutionen I § 34.
§ 2. Die Gliederung des Stoffes.
beginnt mit dem Ausgange des fünfzehnten Jahrhunderts und findet in der Gründung des neuen Reiches und in den Anfängen eines deutschen Reichsrechtes ihren naturgemäſsen Abschluſs.
Die Rechtsgeschichte zerfällt nach dem Gegenstande ihrer Be- trachtung in die allgemeine und in die besondere Rechtsgeschichte. Jene verfolgt die Entwicklung des Rechtes in seiner Totalität, diese die Entwicklung der einzelnen Rechtsinstitute. Es ist herkömmlich, die allgemeine Rechtsgeschichte als äuſsere, die besondere als innere Rechtsgeschichte zu bezeichnen. Allein diese Bezeichnung entspricht nicht dem Einteilungsgrunde, durch den sie sich rechtfertigen will. Ihn hat am schärfsten Puchta formuliert, indem er ausführte 2: „Die Geschichte des Rechtes … hat eine doppelte Richtung. Der Organismus entwickelt und verändert sich teils im Ganzen, teils in seinen Gliedern, so daſs jedes Glied, da es ein ihm eigentümliches, obwohl mit dem des Ganzen wesentlich zusammenhängendes und von ihm untrennbares Leben besitzt, auch seine eigene, aber mit der des Ganzen innig verwachsene Geschichte hat. So haben wir zwei Teile der Rechtsgeschichte zu unterscheiden, die Geschichte des Rechtes im Ganzen und die Geschichte der einzelnen Glieder des Rechtes.“ Schlieſst man sich dieser Auffassung an, so wird man es füglich ver- meiden, von äuſserer und von innerer Rechtsgeschichte zu sprechen, weil das Ganze eines Organismus nicht seine Auſsenseite ist und ebensowenig die einzelnen Glieder seine innere Seite darstellen.
Die allgemeine Rechtsgeschichte hat es vorzugsweise mit der Geschichte der Rechtsquellen zu thun. Auſserdem soll sie die poli- tischen, die wirtschaftlichen und die sozialen Verhältnisse als die Grundlagen und treibenden Kräfte der Rechtsbildung zur Anschauung bringen. Demgemäſs wird in dem jeder einzelnen Periode gewidmeten Abschnitte dieses Handbuches zunächst eine Übersicht über die für die Rechtsbildung erheblichen politischen Thatsachen und eine Er- örterung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände ihren Platz finden. Die Einteilung der inneren Rechtsgeschichte legt die Unterscheidung des Rechtes in Staatsrecht, Strafrecht, Prozeſsrecht und Privatrecht zu Grunde, soweit innerhalb der gewählten Zeit- abschnitte die Glieder jener Einteilung als bereits vorhanden betrachtet werden dürfen.
2 Cursus der Institutionen I § 34.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0025"n="7"/><fwplace="top"type="header">§ 2. Die Gliederung des Stoffes.</fw><lb/>
beginnt mit dem Ausgange des fünfzehnten Jahrhunderts und findet<lb/>
in der Gründung des neuen Reiches und in den Anfängen eines<lb/>
deutschen Reichsrechtes ihren naturgemäſsen Abschluſs.</p><lb/><p>Die Rechtsgeschichte zerfällt nach dem Gegenstande ihrer Be-<lb/>
trachtung in die allgemeine und in die besondere Rechtsgeschichte.<lb/>
Jene verfolgt die Entwicklung des Rechtes in seiner Totalität, diese<lb/>
die Entwicklung der einzelnen Rechtsinstitute. Es ist herkömmlich,<lb/>
die allgemeine Rechtsgeschichte als äuſsere, die besondere als innere<lb/>
Rechtsgeschichte zu bezeichnen. Allein diese Bezeichnung entspricht<lb/>
nicht dem Einteilungsgrunde, durch den sie sich rechtfertigen will.<lb/>
Ihn hat am schärfsten <hirendition="#g">Puchta</hi> formuliert, indem er ausführte <noteplace="foot"n="2">Cursus der Institutionen I § 34.</note>: „Die<lb/>
Geschichte des Rechtes … hat eine doppelte Richtung. Der<lb/>
Organismus entwickelt und verändert sich teils im Ganzen, teils in<lb/>
seinen Gliedern, so daſs jedes Glied, da es ein ihm eigentümliches,<lb/>
obwohl mit dem des Ganzen wesentlich zusammenhängendes und von<lb/>
ihm untrennbares Leben besitzt, auch seine eigene, aber mit der des<lb/>
Ganzen innig verwachsene Geschichte hat. So haben wir zwei Teile<lb/>
der Rechtsgeschichte zu unterscheiden, die Geschichte des Rechtes<lb/>
im Ganzen und die Geschichte der einzelnen Glieder des Rechtes.“<lb/>
Schlieſst man sich dieser Auffassung an, so wird man es füglich ver-<lb/>
meiden, von äuſserer und von innerer Rechtsgeschichte zu sprechen,<lb/>
weil das Ganze eines Organismus nicht seine Auſsenseite ist und<lb/>
ebensowenig die einzelnen Glieder seine innere Seite darstellen.</p><lb/><p>Die allgemeine Rechtsgeschichte hat es vorzugsweise mit der<lb/>
Geschichte der Rechtsquellen zu thun. Auſserdem soll sie die poli-<lb/>
tischen, die wirtschaftlichen und die sozialen Verhältnisse als die<lb/>
Grundlagen und treibenden Kräfte der Rechtsbildung zur Anschauung<lb/>
bringen. Demgemäſs wird in dem jeder einzelnen Periode gewidmeten<lb/>
Abschnitte dieses Handbuches zunächst eine Übersicht über die für<lb/>
die Rechtsbildung erheblichen politischen Thatsachen und eine Er-<lb/>
örterung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände ihren<lb/>
Platz finden. Die Einteilung der inneren Rechtsgeschichte legt die<lb/>
Unterscheidung des Rechtes in Staatsrecht, Strafrecht, Prozeſsrecht<lb/>
und Privatrecht zu Grunde, soweit innerhalb der gewählten Zeit-<lb/>
abschnitte die Glieder jener Einteilung als bereits vorhanden betrachtet<lb/>
werden dürfen.</p></div><lb/></div></body></text></TEI>
[7/0025]
§ 2. Die Gliederung des Stoffes.
beginnt mit dem Ausgange des fünfzehnten Jahrhunderts und findet
in der Gründung des neuen Reiches und in den Anfängen eines
deutschen Reichsrechtes ihren naturgemäſsen Abschluſs.
Die Rechtsgeschichte zerfällt nach dem Gegenstande ihrer Be-
trachtung in die allgemeine und in die besondere Rechtsgeschichte.
Jene verfolgt die Entwicklung des Rechtes in seiner Totalität, diese
die Entwicklung der einzelnen Rechtsinstitute. Es ist herkömmlich,
die allgemeine Rechtsgeschichte als äuſsere, die besondere als innere
Rechtsgeschichte zu bezeichnen. Allein diese Bezeichnung entspricht
nicht dem Einteilungsgrunde, durch den sie sich rechtfertigen will.
Ihn hat am schärfsten Puchta formuliert, indem er ausführte 2: „Die
Geschichte des Rechtes … hat eine doppelte Richtung. Der
Organismus entwickelt und verändert sich teils im Ganzen, teils in
seinen Gliedern, so daſs jedes Glied, da es ein ihm eigentümliches,
obwohl mit dem des Ganzen wesentlich zusammenhängendes und von
ihm untrennbares Leben besitzt, auch seine eigene, aber mit der des
Ganzen innig verwachsene Geschichte hat. So haben wir zwei Teile
der Rechtsgeschichte zu unterscheiden, die Geschichte des Rechtes
im Ganzen und die Geschichte der einzelnen Glieder des Rechtes.“
Schlieſst man sich dieser Auffassung an, so wird man es füglich ver-
meiden, von äuſserer und von innerer Rechtsgeschichte zu sprechen,
weil das Ganze eines Organismus nicht seine Auſsenseite ist und
ebensowenig die einzelnen Glieder seine innere Seite darstellen.
Die allgemeine Rechtsgeschichte hat es vorzugsweise mit der
Geschichte der Rechtsquellen zu thun. Auſserdem soll sie die poli-
tischen, die wirtschaftlichen und die sozialen Verhältnisse als die
Grundlagen und treibenden Kräfte der Rechtsbildung zur Anschauung
bringen. Demgemäſs wird in dem jeder einzelnen Periode gewidmeten
Abschnitte dieses Handbuches zunächst eine Übersicht über die für
die Rechtsbildung erheblichen politischen Thatsachen und eine Er-
örterung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände ihren
Platz finden. Die Einteilung der inneren Rechtsgeschichte legt die
Unterscheidung des Rechtes in Staatsrecht, Strafrecht, Prozeſsrecht
und Privatrecht zu Grunde, soweit innerhalb der gewählten Zeit-
abschnitte die Glieder jener Einteilung als bereits vorhanden betrachtet
werden dürfen.
2 Cursus der Institutionen I § 34.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/25>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.