Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 41. Pactus und Lex Alamannorum.
der Lesarten beruhen, zum Teil auf Rechnung der handschriftlichen
Fortbildung der Lex zu setzen sind8).

Die wichtigste Nachricht über die Entstehung der Lex enthält
eine Handschrift aus St. Gallen, welche im Jahre 793 geschrieben
wurde. Das erste Kapitel hat hier die Eingangsworte: convenit enim
maioribus nato populo Allamannorum una cum duci eorum Lanfrido
vel citerorum populo adunato9). Abweichende Angaben überliefern die
Überschriften oder Prologe, welche dem Texte der Lex vorausgehen.
Die Mehrzahl der Handschriften bringt einen längeren Prolog, nach
welchem die Lex zur Zeit König Chlothars abgefasst worden sei10).
Aus zwei Handschriften haben wir die Überschriften: Lex Alamannorum,
qui temporibus Lanfrido filio [Godofrido] renovata est11).

Aus dem längeren Prolog glaubte man schliessen zu müssen, dass
die Lex Alamannorum eine Satzung des fränkischen Königs Chlothar II.
sei. Allein der Inhalt der Lex ergiebt, dass sie nicht vor dem Ende
des siebenten Jahrhunderts abgefasst worden sein kann. Dies folgt
aus dem Verhältnis der Lex zu den fränkischen Konzilienschlüssen
aus der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts, aus der Erwähnung
freier dingpflichtiger Vasallen des Herzogs und der Grafen, aus der
Anwendung des Wortes beneficium12), insbesondere aber aus einer
Stelle, betreffend das Verbot der Sonntagsarbeit (Kapitel 38), welche
auf ein Beichtbuch des Erzbischofs Theodor von Canterbury zu-
rückgeht13).

Die Lex ist nicht auf einer unter königlichem Vorsitz abgehal-
tenen Reichsversammlung, sondern auf einer herzoglichen Stammes-
versammlung zustande gekommen. Den Beschluss einer solchen führt
Kapitel 37 an, welches sich durch seinen Inhalt als herzogliche
Satzung darstellt und denjenigen mit Strafe bedroht, der einen Sklaven

8) Über das Alter der Lex Alam. S 150 ff.
9) Cod. Sangall. Nr 731 bei Merkel C 1. Dieselbe Nachricht enthielt Kodex
C 2, in welchem uns der Anfang der Lex nicht mehr erhalten ist. Siehe Eck-
hardt,
Commentarii de rebus Franciae orientalis I 493.
10) In A 1: incipit lex Al. qui temporibus Chlotario rege una cum proceribus
suis, id sunt 33 episcopi et 34 duces et 65 comites vel cetero populo adunatu.
Die Mitteilung Rozieres, dass die Sanktgaller Handschrift B 3 in dem Prolog den
Namen Chlothars auf einer ausradierten Stelle bringe, die früher vielleicht Lant-
frids Namen trug, beruht auf einem Irrtum. Die Rasur beschränkt sich darauf,
dass Chlothario in Chlotharii verbessert ist. Dagegen verdient bemerkt zu werden,
dass B 2 die Lesart bietet: Lodhanri rex, dux Alamannorum.
11) Sie steht in C 1 und stand in C 2.
12) Lehmann a. O. S 492 ff.
13) Über das Alter der Lex Alam. a. O. S 164 f.

§ 41. Pactus und Lex Alamannorum.
der Lesarten beruhen, zum Teil auf Rechnung der handschriftlichen
Fortbildung der Lex zu setzen sind8).

Die wichtigste Nachricht über die Entstehung der Lex enthält
eine Handschrift aus St. Gallen, welche im Jahre 793 geschrieben
wurde. Das erste Kapitel hat hier die Eingangsworte: convenit enim
maioribus nato populo Allamannorum una cum duci eorum Lanfrido
vel citerorum populo adunato9). Abweichende Angaben überliefern die
Überschriften oder Prologe, welche dem Texte der Lex vorausgehen.
Die Mehrzahl der Handschriften bringt einen längeren Prolog, nach
welchem die Lex zur Zeit König Chlothars abgefaſst worden sei10).
Aus zwei Handschriften haben wir die Überschriften: Lex Alamannorum,
qui temporibus Lanfrido filio [Godofrido] renovata est11).

Aus dem längeren Prolog glaubte man schlieſsen zu müssen, daſs
die Lex Alamannorum eine Satzung des fränkischen Königs Chlothar II.
sei. Allein der Inhalt der Lex ergiebt, daſs sie nicht vor dem Ende
des siebenten Jahrhunderts abgefaſst worden sein kann. Dies folgt
aus dem Verhältnis der Lex zu den fränkischen Konzilienschlüssen
aus der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts, aus der Erwähnung
freier dingpflichtiger Vasallen des Herzogs und der Grafen, aus der
Anwendung des Wortes beneficium12), insbesondere aber aus einer
Stelle, betreffend das Verbot der Sonntagsarbeit (Kapitel 38), welche
auf ein Beichtbuch des Erzbischofs Theodor von Canterbury zu-
rückgeht13).

Die Lex ist nicht auf einer unter königlichem Vorsitz abgehal-
tenen Reichsversammlung, sondern auf einer herzoglichen Stammes-
versammlung zustande gekommen. Den Beschluſs einer solchen führt
Kapitel 37 an, welches sich durch seinen Inhalt als herzogliche
Satzung darstellt und denjenigen mit Strafe bedroht, der einen Sklaven

8) Über das Alter der Lex Alam. S 150 ff.
9) Cod. Sangall. Nr 731 bei Merkel C 1. Dieselbe Nachricht enthielt Kodex
C 2, in welchem uns der Anfang der Lex nicht mehr erhalten ist. Siehe Eck-
hardt,
Commentarii de rebus Franciae orientalis I 493.
10) In A 1: incipit lex Al. qui temporibus Chlotario rege una cum proceribus
suis, id sunt 33 episcopi et 34 duces et 65 comites vel cetero populo adunatu.
Die Mitteilung Rozières, daſs die Sanktgaller Handschrift B 3 in dem Prolog den
Namen Chlothars auf einer ausradierten Stelle bringe, die früher vielleicht Lant-
frids Namen trug, beruht auf einem Irrtum. Die Rasur beschränkt sich darauf,
daſs Chlothario in Chlotharii verbessert ist. Dagegen verdient bemerkt zu werden,
daſs B 2 die Lesart bietet: Lodhanri rex, dux Alamannorum.
11) Sie steht in C 1 und stand in C 2.
12) Lehmann a. O. S 492 ff.
13) Über das Alter der Lex Alam. a. O. S 164 f.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0328" n="310"/><fw place="top" type="header">§ 41. Pactus und Lex Alamannorum.</fw><lb/>
der Lesarten beruhen, zum Teil auf Rechnung der handschriftlichen<lb/>
Fortbildung der Lex zu setzen sind<note place="foot" n="8)">Über das Alter der Lex Alam. S 150 ff.</note>.</p><lb/>
            <p>Die wichtigste Nachricht über die Entstehung der Lex enthält<lb/>
eine Handschrift aus St. Gallen, welche im Jahre 793 geschrieben<lb/>
wurde. Das erste Kapitel hat hier die Eingangsworte: convenit enim<lb/>
maioribus nato populo Allamannorum una cum duci eorum Lanfrido<lb/>
vel citerorum populo adunato<note place="foot" n="9)">Cod. Sangall. Nr 731 bei <hi rendition="#g">Merkel</hi> C 1. Dieselbe Nachricht enthielt Kodex<lb/>
C 2, in welchem uns der Anfang der Lex nicht mehr erhalten ist. Siehe <hi rendition="#g">Eck-<lb/>
hardt,</hi> Commentarii de rebus Franciae orientalis I 493.</note>. Abweichende Angaben überliefern die<lb/>
Überschriften oder Prologe, welche dem Texte der Lex vorausgehen.<lb/>
Die Mehrzahl der Handschriften bringt einen längeren Prolog, nach<lb/>
welchem die Lex zur Zeit König Chlothars abgefa&#x017F;st worden sei<note place="foot" n="10)">In A 1: incipit lex Al. qui temporibus Chlotario rege una cum proceribus<lb/>
suis, id sunt 33 episcopi et 34 duces et 65 comites vel cetero populo adunatu.<lb/>
Die Mitteilung <hi rendition="#g">Rozières,</hi> da&#x017F;s die Sanktgaller Handschrift B 3 in dem Prolog den<lb/>
Namen Chlothars auf einer ausradierten Stelle bringe, die früher vielleicht Lant-<lb/>
frids Namen trug, beruht auf einem Irrtum. Die Rasur beschränkt sich darauf,<lb/>
da&#x017F;s Chlothario in Chlotharii verbessert ist. Dagegen verdient bemerkt zu werden,<lb/>
da&#x017F;s B 2 die Lesart bietet: Lodhanri rex, dux Alamannorum.</note>.<lb/>
Aus zwei Handschriften haben wir die Überschriften: Lex Alamannorum,<lb/>
qui temporibus Lanfrido filio [Godofrido] renovata est<note place="foot" n="11)">Sie steht in C 1 und stand in C 2.</note>.</p><lb/>
            <p>Aus dem längeren Prolog glaubte man schlie&#x017F;sen zu müssen, da&#x017F;s<lb/>
die Lex Alamannorum eine Satzung des fränkischen Königs Chlothar II.<lb/>
sei. Allein der Inhalt der Lex ergiebt, da&#x017F;s sie nicht vor dem Ende<lb/>
des siebenten Jahrhunderts abgefa&#x017F;st worden sein kann. Dies folgt<lb/>
aus dem Verhältnis der Lex zu den fränkischen Konzilienschlüssen<lb/>
aus der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts, aus der Erwähnung<lb/>
freier dingpflichtiger Vasallen des Herzogs und der Grafen, aus der<lb/>
Anwendung des Wortes beneficium<note place="foot" n="12)"><hi rendition="#g">Lehmann</hi> a. O. S 492 ff.</note>, insbesondere aber aus einer<lb/>
Stelle, betreffend das Verbot der Sonntagsarbeit (Kapitel 38), welche<lb/>
auf ein Beichtbuch des Erzbischofs Theodor von Canterbury zu-<lb/>
rückgeht<note place="foot" n="13)">Über das Alter der Lex Alam. a. O. S 164 f.</note>.</p><lb/>
            <p>Die Lex ist nicht auf einer unter königlichem Vorsitz abgehal-<lb/>
tenen Reichsversammlung, sondern auf einer herzoglichen Stammes-<lb/>
versammlung zustande gekommen. Den Beschlu&#x017F;s einer solchen führt<lb/>
Kapitel 37 an, welches sich durch seinen Inhalt als herzogliche<lb/>
Satzung darstellt und denjenigen mit Strafe bedroht, der einen Sklaven<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0328] § 41. Pactus und Lex Alamannorum. der Lesarten beruhen, zum Teil auf Rechnung der handschriftlichen Fortbildung der Lex zu setzen sind 8). Die wichtigste Nachricht über die Entstehung der Lex enthält eine Handschrift aus St. Gallen, welche im Jahre 793 geschrieben wurde. Das erste Kapitel hat hier die Eingangsworte: convenit enim maioribus nato populo Allamannorum una cum duci eorum Lanfrido vel citerorum populo adunato 9). Abweichende Angaben überliefern die Überschriften oder Prologe, welche dem Texte der Lex vorausgehen. Die Mehrzahl der Handschriften bringt einen längeren Prolog, nach welchem die Lex zur Zeit König Chlothars abgefaſst worden sei 10). Aus zwei Handschriften haben wir die Überschriften: Lex Alamannorum, qui temporibus Lanfrido filio [Godofrido] renovata est 11). Aus dem längeren Prolog glaubte man schlieſsen zu müssen, daſs die Lex Alamannorum eine Satzung des fränkischen Königs Chlothar II. sei. Allein der Inhalt der Lex ergiebt, daſs sie nicht vor dem Ende des siebenten Jahrhunderts abgefaſst worden sein kann. Dies folgt aus dem Verhältnis der Lex zu den fränkischen Konzilienschlüssen aus der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts, aus der Erwähnung freier dingpflichtiger Vasallen des Herzogs und der Grafen, aus der Anwendung des Wortes beneficium 12), insbesondere aber aus einer Stelle, betreffend das Verbot der Sonntagsarbeit (Kapitel 38), welche auf ein Beichtbuch des Erzbischofs Theodor von Canterbury zu- rückgeht 13). Die Lex ist nicht auf einer unter königlichem Vorsitz abgehal- tenen Reichsversammlung, sondern auf einer herzoglichen Stammes- versammlung zustande gekommen. Den Beschluſs einer solchen führt Kapitel 37 an, welches sich durch seinen Inhalt als herzogliche Satzung darstellt und denjenigen mit Strafe bedroht, der einen Sklaven 8) Über das Alter der Lex Alam. S 150 ff. 9) Cod. Sangall. Nr 731 bei Merkel C 1. Dieselbe Nachricht enthielt Kodex C 2, in welchem uns der Anfang der Lex nicht mehr erhalten ist. Siehe Eck- hardt, Commentarii de rebus Franciae orientalis I 493. 10) In A 1: incipit lex Al. qui temporibus Chlotario rege una cum proceribus suis, id sunt 33 episcopi et 34 duces et 65 comites vel cetero populo adunatu. Die Mitteilung Rozières, daſs die Sanktgaller Handschrift B 3 in dem Prolog den Namen Chlothars auf einer ausradierten Stelle bringe, die früher vielleicht Lant- frids Namen trug, beruht auf einem Irrtum. Die Rasur beschränkt sich darauf, daſs Chlothario in Chlotharii verbessert ist. Dagegen verdient bemerkt zu werden, daſs B 2 die Lesart bietet: Lodhanri rex, dux Alamannorum. 11) Sie steht in C 1 und stand in C 2. 12) Lehmann a. O. S 492 ff. 13) Über das Alter der Lex Alam. a. O. S 164 f.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/328
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/328>, abgerufen am 28.11.2024.