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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 43. Die Leges Wisigothorum.
Konzils nichts von dem Konsens der übrigen Kleriker, sondern be-
schränkt sich darauf, dem Bischof die Veräusserungsbefugnis im all-
gemeinen zu versagen, wogegen ihm in gewissen Fällen Verwendungen
aus dem Kirchenvermögen gestattet werden 15. Das Verhältnis der
Fragmente zum Konzil von 589 spricht daher mehr gegen als für die
Autorschaft Reccareds.

Wenn man die Sprache der Pariser Fragmente vergleicht mit
dem Stil der westgotischen Königsgesetze, die noch aus der ersten
Hälfte des siebenten Jahrhunderts stammen und uns in der Lex
Wisigothorum vorliegen, so sticht die knappe Fassung der ersteren
scharf ab von der sentenziösen Weitschweifigkeit, die sich in der
letzteren breit macht. Wären die Fragmente von Reccared, so müsste
es wundernehmen, dass sich der Stil der Gesetzgebung in so kurzer
Zeit so sehr verändert hätte.

Die in den Pariser Fragmenten vorausgesetzten Rechtszustände
passen im allgemeinen besser in Eurichs als in Reccareds Zeit.
Goten und Römer sind noch streng geschieden. Der Gote erscheint
als der Mächtigere. Darum wird verboten, dass ein Römer ein
streitiges Grundstück vor Erledigung des Rechtsstreites einem Goten
übereigne. Die durch die gotische Ansiedelung und Landteilung ge-
schaffenen Verhältnisse treten in den sortes gothicae und in der
tertia Romanorum noch frisch und anschaulich hervor.

Einzelne Leges antiquae, die uns zwar in den Pariser Fragmenten
fehlen, aber in der Lex Wisigothorum vorliegen, haben der burgun-
dischen Gesetzgebung zum Vorbilde gedient, und zwar erscheinen sie
als benutzt in jenem Teile der Lex Burgundionum, welcher um 490,
jedenfalls nicht nach 501 abgefasst worden ist 16. Sie müssen also
in ihrer ursprünglichen Fassung damals schon vorhanden gewesen sein
und können nur einer noch im fünften Jahrhundert entstandenen
Sammlung westgotischer Königsgesetze zugeteilt werden.

Für ein über Reccared hinaufreichendes Alter der Pariser Frag-
mente fällt auch ihr Verhältnis zur Lex Romana Wisigothorum ins
Gewicht, einer Sammlung römischer Rechtsquellen, welche König
Alarich II. im Jahre 506 für die römische Bevölkerung des West-
gotenreiches zusammenstellen liess. Rechtssätze römischer Herkunft

15 Conc. Tol. III c. 3: haec s. synodus nulli episcoporum licentiam tribuit
res alienare ecclesiae, quoniam et antiquioribus canonibus prohibetur; si quid vero
quod utilitatem non gravet ecclesiae pro suffragio monachorum ad suam parrochiam
pertinentium dederint, firmum maneat; peregrinorum vero vel clericorum et egenorum
necessitati salvo iure ecclesiae praestare permittantur pro tempore quo potuerint.
16 S. unten S 339 f.
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§ 43. Die Leges Wisigothorum.
Konzils nichts von dem Konsens der übrigen Kleriker, sondern be-
schränkt sich darauf, dem Bischof die Veräuſserungsbefugnis im all-
gemeinen zu versagen, wogegen ihm in gewissen Fällen Verwendungen
aus dem Kirchenvermögen gestattet werden 15. Das Verhältnis der
Fragmente zum Konzil von 589 spricht daher mehr gegen als für die
Autorschaft Reccareds.

Wenn man die Sprache der Pariser Fragmente vergleicht mit
dem Stil der westgotischen Königsgesetze, die noch aus der ersten
Hälfte des siebenten Jahrhunderts stammen und uns in der Lex
Wisigothorum vorliegen, so sticht die knappe Fassung der ersteren
scharf ab von der sentenziösen Weitschweifigkeit, die sich in der
letzteren breit macht. Wären die Fragmente von Reccared, so müſste
es wundernehmen, daſs sich der Stil der Gesetzgebung in so kurzer
Zeit so sehr verändert hätte.

Die in den Pariser Fragmenten vorausgesetzten Rechtszustände
passen im allgemeinen besser in Eurichs als in Reccareds Zeit.
Goten und Römer sind noch streng geschieden. Der Gote erscheint
als der Mächtigere. Darum wird verboten, daſs ein Römer ein
streitiges Grundstück vor Erledigung des Rechtsstreites einem Goten
übereigne. Die durch die gotische Ansiedelung und Landteilung ge-
schaffenen Verhältnisse treten in den sortes gothicae und in der
tertia Romanorum noch frisch und anschaulich hervor.

Einzelne Leges antiquae, die uns zwar in den Pariser Fragmenten
fehlen, aber in der Lex Wisigothorum vorliegen, haben der burgun-
dischen Gesetzgebung zum Vorbilde gedient, und zwar erscheinen sie
als benutzt in jenem Teile der Lex Burgundionum, welcher um 490,
jedenfalls nicht nach 501 abgefaſst worden ist 16. Sie müssen also
in ihrer ursprünglichen Fassung damals schon vorhanden gewesen sein
und können nur einer noch im fünften Jahrhundert entstandenen
Sammlung westgotischer Königsgesetze zugeteilt werden.

Für ein über Reccared hinaufreichendes Alter der Pariser Frag-
mente fällt auch ihr Verhältnis zur Lex Romana Wisigothorum ins
Gewicht, einer Sammlung römischer Rechtsquellen, welche König
Alarich II. im Jahre 506 für die römische Bevölkerung des West-
gotenreiches zusammenstellen lieſs. Rechtssätze römischer Herkunft

15 Conc. Tol. III c. 3: haec s. synodus nulli episcoporum licentiam tribuit
res alienare ecclesiae, quoniam et antiquioribus canonibus prohibetur; si quid vero
quod utilitatem non gravet ecclesiae pro suffragio monachorum ad suam parrochiam
pertinentium dederint, firmum maneat; peregrinorum vero vel clericorum et egenorum
necessitati salvo iure ecclesiae praestare permittantur pro tempore quo potuerint.
16 S. unten S 339 f.
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[323/0341] § 43. Die Leges Wisigothorum. Konzils nichts von dem Konsens der übrigen Kleriker, sondern be- schränkt sich darauf, dem Bischof die Veräuſserungsbefugnis im all- gemeinen zu versagen, wogegen ihm in gewissen Fällen Verwendungen aus dem Kirchenvermögen gestattet werden 15. Das Verhältnis der Fragmente zum Konzil von 589 spricht daher mehr gegen als für die Autorschaft Reccareds. Wenn man die Sprache der Pariser Fragmente vergleicht mit dem Stil der westgotischen Königsgesetze, die noch aus der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts stammen und uns in der Lex Wisigothorum vorliegen, so sticht die knappe Fassung der ersteren scharf ab von der sentenziösen Weitschweifigkeit, die sich in der letzteren breit macht. Wären die Fragmente von Reccared, so müſste es wundernehmen, daſs sich der Stil der Gesetzgebung in so kurzer Zeit so sehr verändert hätte. Die in den Pariser Fragmenten vorausgesetzten Rechtszustände passen im allgemeinen besser in Eurichs als in Reccareds Zeit. Goten und Römer sind noch streng geschieden. Der Gote erscheint als der Mächtigere. Darum wird verboten, daſs ein Römer ein streitiges Grundstück vor Erledigung des Rechtsstreites einem Goten übereigne. Die durch die gotische Ansiedelung und Landteilung ge- schaffenen Verhältnisse treten in den sortes gothicae und in der tertia Romanorum noch frisch und anschaulich hervor. Einzelne Leges antiquae, die uns zwar in den Pariser Fragmenten fehlen, aber in der Lex Wisigothorum vorliegen, haben der burgun- dischen Gesetzgebung zum Vorbilde gedient, und zwar erscheinen sie als benutzt in jenem Teile der Lex Burgundionum, welcher um 490, jedenfalls nicht nach 501 abgefaſst worden ist 16. Sie müssen also in ihrer ursprünglichen Fassung damals schon vorhanden gewesen sein und können nur einer noch im fünften Jahrhundert entstandenen Sammlung westgotischer Königsgesetze zugeteilt werden. Für ein über Reccared hinaufreichendes Alter der Pariser Frag- mente fällt auch ihr Verhältnis zur Lex Romana Wisigothorum ins Gewicht, einer Sammlung römischer Rechtsquellen, welche König Alarich II. im Jahre 506 für die römische Bevölkerung des West- gotenreiches zusammenstellen lieſs. Rechtssätze römischer Herkunft 15 Conc. Tol. III c. 3: haec s. synodus nulli episcoporum licentiam tribuit res alienare ecclesiae, quoniam et antiquioribus canonibus prohibetur; si quid vero quod utilitatem non gravet ecclesiae pro suffragio monachorum ad suam parrochiam pertinentium dederint, firmum maneat; peregrinorum vero vel clericorum et egenorum necessitati salvo iure ecclesiae praestare permittantur pro tempore quo potuerint. 16 S. unten S 339 f. 21*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/341>, abgerufen am 23.11.2024.