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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 44. Die Lex Burgundionum.
Bestätigt wird diese Ansicht durch die Vergleichung der Lex Gundo-
bada mit der Lex Romana Burgundionum, dem für die Römer des
burgundischen Reiches erlassenen Gesetzbuch. Zwischen beiden herrscht
in der Anordnung des Stoffes eine weitgehende Übereinstimmung.
Die Titelrubriken der Lex Romana entsprechen jenen der Gundobada
häufig im Wortlaut oder dem Inhalte nach 11. Jener Parallelismus
tritt nun am stärksten innerhalb der ersten, vereinzelt noch innerhalb
der zweiten Masse des handschriftlich überlieferten Stoffes der Gundo-
bada hervor. Für die dritte Masse findet sich in der Lex Romana
kein Paralleltitel.

Die Zeit, in welcher Gundobad seine Konstitutionensammlung ver-
anstaltete, lässt sich nicht mit voller Sicherheit bestimmen. Da die Zahl
der von ihm selbst erlassenen Gesetze, die er darin mit denjenigen seiner
Vorfahren 12 vereinigte, eine ziemlich erhebliche gewesen sein muss -- sie
bilden den Kern des Gesetzbuchs --, so lässt sich nicht annehmen, dass er
schon bald nach Beginn seiner Regierung zur Redaktion der Sammlung
geschritten sei. Andrerseits muss dieselbe einige Zeit vor 501 statt-
gefunden haben. Denn von diesem Jahre stammen die ältesten Kon-
stitutionen der Lex, bei welchen die Datierungszeile nicht abgeschält
worden ist. Eine derselben, Titel 42, bezieht sich auf Titel 24, 1. 2
als auf priores leges, die sie korrigieren will, so dass sie der ursprüng-
lichen Redaktion nicht mehr angehört haben kann. Nach alledem dürfte
die Ausarbeitung von Gundobads liber constitutionum nicht vor 480,
aber doch noch etliche Jahre vor dem Schlusse des fünften Jahrhunderts
erfolgt sein.

Auch nach Abfassung der Gundobada blieb die burgundische Ge-
setzgebung in lebhaftem Flusse. Gundobad selbst hatte in der prima
constitutio vorgeschrieben, dass über jeden in den Gesetzen nicht vor-
gesehenen Rechtsfall an ihn zu berichten sei. In Titel 50 erklärt es

11 S. die Konkordanz bei Bluhme S 579 f. und Ginoulhiac, Des recueils
de droit romain dans la Gaule sous la domination des barbares, Revue hist. de
droit francais II, 1856.
12 Von Gundobads Vorgängern rühren wahrscheinlich her: Tit. 17, 1--3, worin
Rechtsstreitigkeiten, die in die Zeit vor der pugna Mauriacensis zurückreichen, nie-
dergeschlagen werden, und Tit. 67 über die Landteilungen. Binding a. O. S 28.
Ältere Gesetze, die nicht in Gundobads Sammlung aufgenommen wurden, scheinen
die Titel 90. 92. 97. 98 zu sein. Schon vor Gundobads Redaktion muss es Hand-
schriften gegeben haben, welche die damals vorhandenen Einzelgesetze titelweise
zusammenfassten. Denn in Gundobads Vorrede heisst es: cum de parentum nostrisque
constitutionibus ... cogitemus, quid potissimum de singulis causis et titulis ...
conveniret ...

§ 44. Die Lex Burgundionum.
Bestätigt wird diese Ansicht durch die Vergleichung der Lex Gundo-
bada mit der Lex Romana Burgundionum, dem für die Römer des
burgundischen Reiches erlassenen Gesetzbuch. Zwischen beiden herrscht
in der Anordnung des Stoffes eine weitgehende Übereinstimmung.
Die Titelrubriken der Lex Romana entsprechen jenen der Gundobada
häufig im Wortlaut oder dem Inhalte nach 11. Jener Parallelismus
tritt nun am stärksten innerhalb der ersten, vereinzelt noch innerhalb
der zweiten Masse des handschriftlich überlieferten Stoffes der Gundo-
bada hervor. Für die dritte Masse findet sich in der Lex Romana
kein Paralleltitel.

Die Zeit, in welcher Gundobad seine Konstitutionensammlung ver-
anstaltete, läſst sich nicht mit voller Sicherheit bestimmen. Da die Zahl
der von ihm selbst erlassenen Gesetze, die er darin mit denjenigen seiner
Vorfahren 12 vereinigte, eine ziemlich erhebliche gewesen sein muſs — sie
bilden den Kern des Gesetzbuchs —, so läſst sich nicht annehmen, daſs er
schon bald nach Beginn seiner Regierung zur Redaktion der Sammlung
geschritten sei. Andrerseits muſs dieselbe einige Zeit vor 501 statt-
gefunden haben. Denn von diesem Jahre stammen die ältesten Kon-
stitutionen der Lex, bei welchen die Datierungszeile nicht abgeschält
worden ist. Eine derselben, Titel 42, bezieht sich auf Titel 24, 1. 2
als auf priores leges, die sie korrigieren will, so daſs sie der ursprüng-
lichen Redaktion nicht mehr angehört haben kann. Nach alledem dürfte
die Ausarbeitung von Gundobads liber constitutionum nicht vor 480,
aber doch noch etliche Jahre vor dem Schlusse des fünften Jahrhunderts
erfolgt sein.

Auch nach Abfassung der Gundobada blieb die burgundische Ge-
setzgebung in lebhaftem Flusse. Gundobad selbst hatte in der prima
constitutio vorgeschrieben, daſs über jeden in den Gesetzen nicht vor-
gesehenen Rechtsfall an ihn zu berichten sei. In Titel 50 erklärt es

11 S. die Konkordanz bei Bluhme S 579 f. und Ginoulhiac, Des recueils
de droit romain dans la Gaule sous la domination des barbares, Revue hist. de
droit français II, 1856.
12 Von Gundobads Vorgängern rühren wahrscheinlich her: Tit. 17, 1—3, worin
Rechtsstreitigkeiten, die in die Zeit vor der pugna Mauriacensis zurückreichen, nie-
dergeschlagen werden, und Tit. 67 über die Landteilungen. Binding a. O. S 28.
Ältere Gesetze, die nicht in Gundobads Sammlung aufgenommen wurden, scheinen
die Titel 90. 92. 97. 98 zu sein. Schon vor Gundobads Redaktion muſs es Hand-
schriften gegeben haben, welche die damals vorhandenen Einzelgesetze titelweise
zusammenfaſsten. Denn in Gundobads Vorrede heiſst es: cum de parentum nostrisque
constitutionibus … cogitemus, quid potissimum de singulis causis et titulis
conveniret …
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[335/0353] § 44. Die Lex Burgundionum. Bestätigt wird diese Ansicht durch die Vergleichung der Lex Gundo- bada mit der Lex Romana Burgundionum, dem für die Römer des burgundischen Reiches erlassenen Gesetzbuch. Zwischen beiden herrscht in der Anordnung des Stoffes eine weitgehende Übereinstimmung. Die Titelrubriken der Lex Romana entsprechen jenen der Gundobada häufig im Wortlaut oder dem Inhalte nach 11. Jener Parallelismus tritt nun am stärksten innerhalb der ersten, vereinzelt noch innerhalb der zweiten Masse des handschriftlich überlieferten Stoffes der Gundo- bada hervor. Für die dritte Masse findet sich in der Lex Romana kein Paralleltitel. Die Zeit, in welcher Gundobad seine Konstitutionensammlung ver- anstaltete, läſst sich nicht mit voller Sicherheit bestimmen. Da die Zahl der von ihm selbst erlassenen Gesetze, die er darin mit denjenigen seiner Vorfahren 12 vereinigte, eine ziemlich erhebliche gewesen sein muſs — sie bilden den Kern des Gesetzbuchs —, so läſst sich nicht annehmen, daſs er schon bald nach Beginn seiner Regierung zur Redaktion der Sammlung geschritten sei. Andrerseits muſs dieselbe einige Zeit vor 501 statt- gefunden haben. Denn von diesem Jahre stammen die ältesten Kon- stitutionen der Lex, bei welchen die Datierungszeile nicht abgeschält worden ist. Eine derselben, Titel 42, bezieht sich auf Titel 24, 1. 2 als auf priores leges, die sie korrigieren will, so daſs sie der ursprüng- lichen Redaktion nicht mehr angehört haben kann. Nach alledem dürfte die Ausarbeitung von Gundobads liber constitutionum nicht vor 480, aber doch noch etliche Jahre vor dem Schlusse des fünften Jahrhunderts erfolgt sein. Auch nach Abfassung der Gundobada blieb die burgundische Ge- setzgebung in lebhaftem Flusse. Gundobad selbst hatte in der prima constitutio vorgeschrieben, daſs über jeden in den Gesetzen nicht vor- gesehenen Rechtsfall an ihn zu berichten sei. In Titel 50 erklärt es 11 S. die Konkordanz bei Bluhme S 579 f. und Ginoulhiac, Des recueils de droit romain dans la Gaule sous la domination des barbares, Revue hist. de droit français II, 1856. 12 Von Gundobads Vorgängern rühren wahrscheinlich her: Tit. 17, 1—3, worin Rechtsstreitigkeiten, die in die Zeit vor der pugna Mauriacensis zurückreichen, nie- dergeschlagen werden, und Tit. 67 über die Landteilungen. Binding a. O. S 28. Ältere Gesetze, die nicht in Gundobads Sammlung aufgenommen wurden, scheinen die Titel 90. 92. 97. 98 zu sein. Schon vor Gundobads Redaktion muſs es Hand- schriften gegeben haben, welche die damals vorhandenen Einzelgesetze titelweise zusammenfaſsten. Denn in Gundobads Vorrede heiſst es: cum de parentum nostrisque constitutionibus … cogitemus, quid potissimum de singulis causis et titulis … conveniret …

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/353>, abgerufen am 21.11.2024.