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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 57. Die Urkunden.
Verwaltung, minder förmlich und in der Regel kürzer gefasst 14. Die
gerichtlichen indiculi werden unter den Karolingern in der pfalz-
gräflichen Gerichtsschreiberei ausgestellt. Die Parteien, für die sie
bestimmt sind, erhalten sie aus der Hand des Pfalzgrafen 15. Von
den Kapitularien, deren Ausfertigung dem karolingischen Kanzler ob-
lag 16, ist schon oben § 54 die Rede gewesen.

Die Privaturkunden zerfallen in Bezug auf ihre Form und ihre
rechtliche Bedeutung in zwei Gruppen, nämlich in Geschäftsurkunden
und in schlichte Beweisurkunden. Letztere sind diejenigen, welche
nur ein schriftliches Zeugnis über eine an sich rechtswirksame Hand-
lung schaffen wollen. Dagegen soll durch die Geschäftsurkunde das
beurkundete Rechtsgeschäft nicht bloss bewiesen, sondern begründet,
zu privatrechtlicher Existenz gebracht werden. Weil der Aussteller
vermittelst der Geschäftsurkunde eine rechtliche Disposition trifft,
nennt man sie auch dispositive Urkunde. Die Terminologie der
fränkischen Zeit bezeichnet die Beweisurkunde als notitia, breve,
breve commemoratorium, memoratorium, die Geschäftsurkunde als
carta, cartula, epistola, testamentum, häufig auch nach dem Namen
des Geschäftes, das durch sie zustande gekommen ist, so dass z. B.
die Verkaufsurkunde venditio, die Schenkungsurkunde donatio, die
Freilassungsurkunde ingenuitas heisst. Den Baiern ist die Geschäfts-
urkunde epistola, während carta als weiterer Begriff die epistola und
die notitia in sich fasst. Doch wird auch in anderen Teilen des
fränkischen Reiches das Wort carta, namentlich seit dem neunten
Jahrhundert, gelegentlich zur Bezeichnung der notitia verwendet, wo-
gegen Italien den genauen Sprachgebrauch länger festhielt.

Die carta setzt begrifflich einen Urkundungsakt zwischen min-
destens zwei Personen voraus, nämlich zwischen dem Aussteller, das
heisst demjenigen, der die Urkunde schreibt oder -- in der fränkischen
Zeit fast ausnahmslose Regel -- schreiben lässt, und dem Destinatär,
demjenigen, der die Urkunde erhalten und behalten soll. Der Aus-
steller wird häufig in der Subskriptions- oder Signationsformel als
derjenige genannt, qui cartam fieri rogavit, oder wird sonst durch den

14 Sie entbehren die königliche Unterschrift, auch ist ihnen die Unterschrift
von Kanzleipersonen und die Datierung nicht wesentlich. Neben den Diplomen
wurde nicht selten ein auf deren Ausführung bezügliches Mandat an die könig-
lichen Vollzugsorgane in der Form eines indiculus ausgestellt. Sickel, UL S 397.
15 Cap. I 298, c. 6: ut comites palatini omnem diligentiam adhibeant, ut cla-
matores, postquam indiculum ab eis acceperint, in palatio non remaneant.
16 Nach Cap. I 307, c. 26 (von 823--25) sollen die Bischöfe und Grafen sie
vom Kanzler in Empfang nehmen.

§ 57. Die Urkunden.
Verwaltung, minder förmlich und in der Regel kürzer gefaſst 14. Die
gerichtlichen indiculi werden unter den Karolingern in der pfalz-
gräflichen Gerichtsschreiberei ausgestellt. Die Parteien, für die sie
bestimmt sind, erhalten sie aus der Hand des Pfalzgrafen 15. Von
den Kapitularien, deren Ausfertigung dem karolingischen Kanzler ob-
lag 16, ist schon oben § 54 die Rede gewesen.

Die Privaturkunden zerfallen in Bezug auf ihre Form und ihre
rechtliche Bedeutung in zwei Gruppen, nämlich in Geschäftsurkunden
und in schlichte Beweisurkunden. Letztere sind diejenigen, welche
nur ein schriftliches Zeugnis über eine an sich rechtswirksame Hand-
lung schaffen wollen. Dagegen soll durch die Geschäftsurkunde das
beurkundete Rechtsgeschäft nicht bloſs bewiesen, sondern begründet,
zu privatrechtlicher Existenz gebracht werden. Weil der Aussteller
vermittelst der Geschäftsurkunde eine rechtliche Disposition trifft,
nennt man sie auch dispositive Urkunde. Die Terminologie der
fränkischen Zeit bezeichnet die Beweisurkunde als notitia, breve,
breve commemoratorium, memoratorium, die Geschäftsurkunde als
carta, cartula, epistola, testamentum, häufig auch nach dem Namen
des Geschäftes, das durch sie zustande gekommen ist, so daſs z. B.
die Verkaufsurkunde venditio, die Schenkungsurkunde donatio, die
Freilassungsurkunde ingenuitas heiſst. Den Baiern ist die Geschäfts-
urkunde epistola, während carta als weiterer Begriff die epistola und
die notitia in sich faſst. Doch wird auch in anderen Teilen des
fränkischen Reiches das Wort carta, namentlich seit dem neunten
Jahrhundert, gelegentlich zur Bezeichnung der notitia verwendet, wo-
gegen Italien den genauen Sprachgebrauch länger festhielt.

Die carta setzt begrifflich einen Urkundungsakt zwischen min-
destens zwei Personen voraus, nämlich zwischen dem Aussteller, das
heiſst demjenigen, der die Urkunde schreibt oder — in der fränkischen
Zeit fast ausnahmslose Regel — schreiben läſst, und dem Destinatär,
demjenigen, der die Urkunde erhalten und behalten soll. Der Aus-
steller wird häufig in der Subskriptions- oder Signationsformel als
derjenige genannt, qui cartam fieri rogavit, oder wird sonst durch den

14 Sie entbehren die königliche Unterschrift, auch ist ihnen die Unterschrift
von Kanzleipersonen und die Datierung nicht wesentlich. Neben den Diplomen
wurde nicht selten ein auf deren Ausführung bezügliches Mandat an die könig-
lichen Vollzugsorgane in der Form eines indiculus ausgestellt. Sickel, UL S 397.
15 Cap. I 298, c. 6: ut comites palatini omnem diligentiam adhibeant, ut cla-
matores, postquam indiculum ab eis acceperint, in palatio non remaneant.
16 Nach Cap. I 307, c. 26 (von 823—25) sollen die Bischöfe und Grafen sie
vom Kanzler in Empfang nehmen.
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[395/0413] § 57. Die Urkunden. Verwaltung, minder förmlich und in der Regel kürzer gefaſst 14. Die gerichtlichen indiculi werden unter den Karolingern in der pfalz- gräflichen Gerichtsschreiberei ausgestellt. Die Parteien, für die sie bestimmt sind, erhalten sie aus der Hand des Pfalzgrafen 15. Von den Kapitularien, deren Ausfertigung dem karolingischen Kanzler ob- lag 16, ist schon oben § 54 die Rede gewesen. Die Privaturkunden zerfallen in Bezug auf ihre Form und ihre rechtliche Bedeutung in zwei Gruppen, nämlich in Geschäftsurkunden und in schlichte Beweisurkunden. Letztere sind diejenigen, welche nur ein schriftliches Zeugnis über eine an sich rechtswirksame Hand- lung schaffen wollen. Dagegen soll durch die Geschäftsurkunde das beurkundete Rechtsgeschäft nicht bloſs bewiesen, sondern begründet, zu privatrechtlicher Existenz gebracht werden. Weil der Aussteller vermittelst der Geschäftsurkunde eine rechtliche Disposition trifft, nennt man sie auch dispositive Urkunde. Die Terminologie der fränkischen Zeit bezeichnet die Beweisurkunde als notitia, breve, breve commemoratorium, memoratorium, die Geschäftsurkunde als carta, cartula, epistola, testamentum, häufig auch nach dem Namen des Geschäftes, das durch sie zustande gekommen ist, so daſs z. B. die Verkaufsurkunde venditio, die Schenkungsurkunde donatio, die Freilassungsurkunde ingenuitas heiſst. Den Baiern ist die Geschäfts- urkunde epistola, während carta als weiterer Begriff die epistola und die notitia in sich faſst. Doch wird auch in anderen Teilen des fränkischen Reiches das Wort carta, namentlich seit dem neunten Jahrhundert, gelegentlich zur Bezeichnung der notitia verwendet, wo- gegen Italien den genauen Sprachgebrauch länger festhielt. Die carta setzt begrifflich einen Urkundungsakt zwischen min- destens zwei Personen voraus, nämlich zwischen dem Aussteller, das heiſst demjenigen, der die Urkunde schreibt oder — in der fränkischen Zeit fast ausnahmslose Regel — schreiben läſst, und dem Destinatär, demjenigen, der die Urkunde erhalten und behalten soll. Der Aus- steller wird häufig in der Subskriptions- oder Signationsformel als derjenige genannt, qui cartam fieri rogavit, oder wird sonst durch den 14 Sie entbehren die königliche Unterschrift, auch ist ihnen die Unterschrift von Kanzleipersonen und die Datierung nicht wesentlich. Neben den Diplomen wurde nicht selten ein auf deren Ausführung bezügliches Mandat an die könig- lichen Vollzugsorgane in der Form eines indiculus ausgestellt. Sickel, UL S 397. 15 Cap. I 298, c. 6: ut comites palatini omnem diligentiam adhibeant, ut cla- matores, postquam indiculum ab eis acceperint, in palatio non remaneant. 16 Nach Cap. I 307, c. 26 (von 823—25) sollen die Bischöfe und Grafen sie vom Kanzler in Empfang nehmen.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/413>, abgerufen am 21.11.2024.