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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 57. Die Urkunden.
festei hat sich zur Bezeichnung der carta selbst der Ausdruck hant-
festei, Handfeste gebildet 24.

Der Vertragsschluss mittels carta ist nach den deutschen Rechten
fränkischer Zeit ein rechtsförmlicher Akt. Er erfordert die Gegen-
wart des Ausstellers, des Destinatärs und der Zeugen. Der Aussteller
giebt eine mündliche Erklärung ab, welche dem Tenor der carta
entspricht. Dann folgt als der wichtigste Teil des Urkundungsaktes
die traditio cartae, darin bestehend, dass der Aussteller die Urkunde
dem Destinatär in rechtsförmlicher Weise übergiebt oder zuwirft.
Nach den deutschen Stammesrechten wurde die carta zunächst auf
den Erdboden gelegt, mit den nach Lage des Geschäfts erforderlichen
Symbolen vom Aussteller aufgenommen und so dem Destinatär dar-
gereicht 25. Das hiess levare, allevare cartam. Der Rechtsbrauch die
Urkunden von der Erde "aufzunehmen" ist uns für die verschiedenen
in Italien vertretenen deutschen Stämme durch die italienische No-
tariatspraxis und ausserdem durch fränkische, alamannische und bur-
gundische Urkunden vom 9. bis 11. Jahrhundert bezeugt 26. Gegen-
stand der levatio ist nicht die vollendete carta; tradiert wird im
Rechtssinne nur das Urkundenmaterial, das Pergament, welches den
Inhalt der carta aufnehmen soll. Erst anlässlich der levatio wird der
Schreiber gebeten die Urkunde zu schreiben; erst nach der levatio
findet die Handfestung von Seite des Ausstellers und der Zeugen statt.
Da die carta das durch die Begebung perfizierte Rechtsgeschäft be-
weisen soll, müssen die Akte, welche aus dem Perfektionsmittel des
Vertrags ein Beweisdokument schaffen, der Begebung des Pergamentes
nachfolgen 27. Doch stand nichts im Wege, die carta soweit vor-

über die Bedeutung von stipulatio und adstipulatio im germanischen Urkundenwesen
bestanden haben könnte, wird er durch die in Anm 20--23 angeführten Glossen
beseitigt.
24 Hantfestei für emunitas (regis) in der Glosse zu Lex Rib. 65, 3. Hantfestei
für testamentum, cautio, chirographum, privilegium bei Graff III 718.
25 Anders bei den Langobarden und Römern, welchen eine formlose Tradition
genügte.
26 Brunner, RG der Urk. I 303 ff. Beispiele bieten für Lothringen u. a.
(Tabouillot,) Histoire de Metz III, preuves S 53 v. J. 910: signum Altmanni ...
qui hanc cartam a terra levavit et fieri ac firmari rogavit. Für Schwaben Wart-
mann
I Nr 376 v. J. 838: fuit carta levata publice. Weitere Beispiele bei
Zeumer, Z2 f. RG IV 113 ff.; v. Wyss, Gesch. d. Abtei Zürich Nr 37 v. J. 1037:
hanc kartam concambii levavi et scribere rogavi; Bresslau a. O. S 49 Anm 1.
Für Burgund Loersch und Schröder, Urkunden, 2. Aufl., Nr. 82 Lausanne
v. J. 1025: qui hanc cartam de terra levavit et scribi et firmari rogavit. Für
Italien Cartularium Langob. Nr 1 ff. und zahllose Urkunden.
27 Bresslau hat a. O. S 54 auf St. Galler Originalen Dorsualnotizen nach-

§ 57. Die Urkunden.
festî hat sich zur Bezeichnung der carta selbst der Ausdruck hant-
festî, Handfeste gebildet 24.

Der Vertragsschluſs mittels carta ist nach den deutschen Rechten
fränkischer Zeit ein rechtsförmlicher Akt. Er erfordert die Gegen-
wart des Ausstellers, des Destinatärs und der Zeugen. Der Aussteller
giebt eine mündliche Erklärung ab, welche dem Tenor der carta
entspricht. Dann folgt als der wichtigste Teil des Urkundungsaktes
die traditio cartae, darin bestehend, daſs der Aussteller die Urkunde
dem Destinatär in rechtsförmlicher Weise übergiebt oder zuwirft.
Nach den deutschen Stammesrechten wurde die carta zunächst auf
den Erdboden gelegt, mit den nach Lage des Geschäfts erforderlichen
Symbolen vom Aussteller aufgenommen und so dem Destinatär dar-
gereicht 25. Das hieſs levare, allevare cartam. Der Rechtsbrauch die
Urkunden von der Erde „aufzunehmen“ ist uns für die verschiedenen
in Italien vertretenen deutschen Stämme durch die italienische No-
tariatspraxis und auſserdem durch fränkische, alamannische und bur-
gundische Urkunden vom 9. bis 11. Jahrhundert bezeugt 26. Gegen-
stand der levatio ist nicht die vollendete carta; tradiert wird im
Rechtssinne nur das Urkundenmaterial, das Pergament, welches den
Inhalt der carta aufnehmen soll. Erst anläſslich der levatio wird der
Schreiber gebeten die Urkunde zu schreiben; erst nach der levatio
findet die Handfestung von Seite des Ausstellers und der Zeugen statt.
Da die carta das durch die Begebung perfizierte Rechtsgeschäft be-
weisen soll, müssen die Akte, welche aus dem Perfektionsmittel des
Vertrags ein Beweisdokument schaffen, der Begebung des Pergamentes
nachfolgen 27. Doch stand nichts im Wege, die carta soweit vor-

über die Bedeutung von stipulatio und adstipulatio im germanischen Urkundenwesen
bestanden haben könnte, wird er durch die in Anm 20—23 angeführten Glossen
beseitigt.
24 Hantfestî für emunitas (regis) in der Glosse zu Lex Rib. 65, 3. Hantfestî
für testamentum, cautio, chirographum, privilegium bei Graff III 718.
25 Anders bei den Langobarden und Römern, welchen eine formlose Tradition
genügte.
26 Brunner, RG der Urk. I 303 ff. Beispiele bieten für Lothringen u. a.
(Tabouillot,) Histoire de Metz III, preuves S 53 v. J. 910: signum Altmanni …
qui hanc cartam a terra levavit et fieri ac firmari rogavit. Für Schwaben Wart-
mann
I Nr 376 v. J. 838: fuit carta levata publice. Weitere Beispiele bei
Zeumer, Z2 f. RG IV 113 ff.; v. Wyss, Gesch. d. Abtei Zürich Nr 37 v. J. 1037:
hanc kartam concambii levavi et scribere rogavi; Breſslau a. O. S 49 Anm 1.
Für Burgund Loersch und Schröder, Urkunden, 2. Aufl., Nr. 82 Lausanne
v. J. 1025: qui hanc cartam de terra levavit et scribi et firmari rogavit. Für
Italien Cartularium Langob. Nr 1 ff. und zahllose Urkunden.
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[397/0415] § 57. Die Urkunden. festî hat sich zur Bezeichnung der carta selbst der Ausdruck hant- festî, Handfeste gebildet 24. Der Vertragsschluſs mittels carta ist nach den deutschen Rechten fränkischer Zeit ein rechtsförmlicher Akt. Er erfordert die Gegen- wart des Ausstellers, des Destinatärs und der Zeugen. Der Aussteller giebt eine mündliche Erklärung ab, welche dem Tenor der carta entspricht. Dann folgt als der wichtigste Teil des Urkundungsaktes die traditio cartae, darin bestehend, daſs der Aussteller die Urkunde dem Destinatär in rechtsförmlicher Weise übergiebt oder zuwirft. Nach den deutschen Stammesrechten wurde die carta zunächst auf den Erdboden gelegt, mit den nach Lage des Geschäfts erforderlichen Symbolen vom Aussteller aufgenommen und so dem Destinatär dar- gereicht 25. Das hieſs levare, allevare cartam. Der Rechtsbrauch die Urkunden von der Erde „aufzunehmen“ ist uns für die verschiedenen in Italien vertretenen deutschen Stämme durch die italienische No- tariatspraxis und auſserdem durch fränkische, alamannische und bur- gundische Urkunden vom 9. bis 11. Jahrhundert bezeugt 26. Gegen- stand der levatio ist nicht die vollendete carta; tradiert wird im Rechtssinne nur das Urkundenmaterial, das Pergament, welches den Inhalt der carta aufnehmen soll. Erst anläſslich der levatio wird der Schreiber gebeten die Urkunde zu schreiben; erst nach der levatio findet die Handfestung von Seite des Ausstellers und der Zeugen statt. Da die carta das durch die Begebung perfizierte Rechtsgeschäft be- weisen soll, müssen die Akte, welche aus dem Perfektionsmittel des Vertrags ein Beweisdokument schaffen, der Begebung des Pergamentes nachfolgen 27. Doch stand nichts im Wege, die carta soweit vor- 23 24 Hantfestî für emunitas (regis) in der Glosse zu Lex Rib. 65, 3. Hantfestî für testamentum, cautio, chirographum, privilegium bei Graff III 718. 25 Anders bei den Langobarden und Römern, welchen eine formlose Tradition genügte. 26 Brunner, RG der Urk. I 303 ff. Beispiele bieten für Lothringen u. a. (Tabouillot,) Histoire de Metz III, preuves S 53 v. J. 910: signum Altmanni … qui hanc cartam a terra levavit et fieri ac firmari rogavit. Für Schwaben Wart- mann I Nr 376 v. J. 838: fuit carta levata publice. Weitere Beispiele bei Zeumer, Z2 f. RG IV 113 ff.; v. Wyss, Gesch. d. Abtei Zürich Nr 37 v. J. 1037: hanc kartam concambii levavi et scribere rogavi; Breſslau a. O. S 49 Anm 1. Für Burgund Loersch und Schröder, Urkunden, 2. Aufl., Nr. 82 Lausanne v. J. 1025: qui hanc cartam de terra levavit et scribi et firmari rogavit. Für Italien Cartularium Langob. Nr 1 ff. und zahllose Urkunden. 27 Breſslau hat a. O. S 54 auf St. Galler Originalen Dorsualnotizen nach- 23 über die Bedeutung von stipulatio und adstipulatio im germanischen Urkundenwesen bestanden haben könnte, wird er durch die in Anm 20—23 angeführten Glossen beseitigt.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/415>, abgerufen am 24.11.2024.