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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 58. Die Formelsammlungen.
meln 1--57 sind jedenfalls nicht nach 678 entstanden; denn hinter F. 57
findet sich eine auf dieses Jahr hinweisende chronologische Angabe.
Die letzten drei Formeln sind erst nach 678 hinzugefügt worden.
Vergleicht man die Sammlung mit den noch im siebenten Jahr-
hundert entstandenen Formeln Marculfs, so wird man geneigt sein,
die Entstehung des Hauptteiles erheblich früher wie 678, etwa zu
Anfang des siebenten Jahrhunderts anzusetzen14.

2. Die Formulae Marculfi15, so genannt nach ihrem Verfasser,
einem Mönch Marculf, welcher die Sammlung im Alter von etwa
70 Jahren zum Zwecke des Unterrichts (ad exercenda initia puerorum)
und zum praktischen Gebrauche (als exemplaria) auf Geheiss eines
Bischofs Landerich anlegte. Die Sammlung zerfällt in zwei Bücher,
von welchen das erste mit 40 Formeln dem königlichen Kanzleiwesen
(den cartae regales) gewidmet ist16, während das zweite 52 Formeln
für Privaturkunden (cartae pagenses) enthält. Für das Gebiet der
cartae übertrifft Marculf an Reichhaltigkeit alle übrigen Formelsamm-
lungen. Notitiae scheint er grundsätzlich ausgeschlossen zu haben.
Den Formeln liegt im allgemeinen salisches Recht zu Grunde. Doch
wird in einzelnen Stücken auf die lex oder consuetudo Romana Be-

14 Formel 1 und 34, beide die Bestellung einer dos betreffend, sind vom
vierten Jahre eines Königs Childebert datiert. Man bezog dies früher auf Childe-
bert I. und setzte die Entstehungszeit der Formeln 1--34 demgemäss in die Jahre
514 u. 515. Es ist aber unwahrscheinlich, dass zu Angers das fränkische Recht
schon damals so starken Einfluss gewonnen, sich mit dem römischen Rechte so
enge verbunden habe. Auch finden sich Ausdrücke und Wendungen, die sich erst
im 7. Jahrh. nachweisen lassen. Zeumer, NA XI 331 f. macht in dieser Beziehung
manso in 25 (vgl. oben S 198 Anm 17), mansello in 37 und die Datierungsform
quod fecit minsus illi dies tantus in 1. 14. 15 geltend. Gegen die Zeit Childeberts II.,
für welche Krusch (im Anschluss an Longnon, Geographie de la Gaule S 301
Anm 1) in v. Sybels Hist. Z NF XV 513 eingetreten ist, entscheidet die Thatsache,
dass er jedenfalls im vierten Jahre seiner Regierung Angers nicht besass (siehe
Zeumer a. O. S 318 ff.). Das vierte Jahr Childeberts III. (698) würde uns über das
als terminus ad quem gewonnene Jahr 678 hinausführen. Es erübrigt daher nur
die Annahme, dass entweder der Redaktor der Sammlung jene zwei datierten Stücke
als aus der Zeit Childeberts I. herrührend etwa in dem Archiv der städtischen
Kurie vorgefunden und ohne Änderung des Datums in die Sammlung aufgenommen
oder dass ein Abschreiber der Sammlung, der seine Abschrift im vierten Jahre
Childeberts III. herstellte, dieses Jahr etwa an Stelle anderer Daten in F. 1 u. 34
eingesetzt habe. Wie dem auch sei, jedenfalls geben jene Daten keinen festen
Anhaltspunkt zur Datierung der ganzen Sammlung.
15 Zeumer S 36.
16 Das erste Buch enthält drei Formeln (1. 7. 34), die nicht auf den König
als Aussteller lauten, aber als Vorurkunden für königliche Diplome unter die cartae
regales eingereiht sind.

§ 58. Die Formelsammlungen.
meln 1—57 sind jedenfalls nicht nach 678 entstanden; denn hinter F. 57
findet sich eine auf dieses Jahr hinweisende chronologische Angabe.
Die letzten drei Formeln sind erst nach 678 hinzugefügt worden.
Vergleicht man die Sammlung mit den noch im siebenten Jahr-
hundert entstandenen Formeln Marculfs, so wird man geneigt sein,
die Entstehung des Hauptteiles erheblich früher wie 678, etwa zu
Anfang des siebenten Jahrhunderts anzusetzen14.

2. Die Formulae Marculfi15, so genannt nach ihrem Verfasser,
einem Mönch Marculf, welcher die Sammlung im Alter von etwa
70 Jahren zum Zwecke des Unterrichts (ad exercenda initia puerorum)
und zum praktischen Gebrauche (als exemplaria) auf Geheiſs eines
Bischofs Landerich anlegte. Die Sammlung zerfällt in zwei Bücher,
von welchen das erste mit 40 Formeln dem königlichen Kanzleiwesen
(den cartae regales) gewidmet ist16, während das zweite 52 Formeln
für Privaturkunden (cartae pagenses) enthält. Für das Gebiet der
cartae übertrifft Marculf an Reichhaltigkeit alle übrigen Formelsamm-
lungen. Notitiae scheint er grundsätzlich ausgeschlossen zu haben.
Den Formeln liegt im allgemeinen salisches Recht zu Grunde. Doch
wird in einzelnen Stücken auf die lex oder consuetudo Romana Be-

14 Formel 1 und 34, beide die Bestellung einer dos betreffend, sind vom
vierten Jahre eines Königs Childebert datiert. Man bezog dies früher auf Childe-
bert I. und setzte die Entstehungszeit der Formeln 1—34 demgemäſs in die Jahre
514 u. 515. Es ist aber unwahrscheinlich, daſs zu Angers das fränkische Recht
schon damals so starken Einfluſs gewonnen, sich mit dem römischen Rechte so
enge verbunden habe. Auch finden sich Ausdrücke und Wendungen, die sich erst
im 7. Jahrh. nachweisen lassen. Zeumer, NA XI 331 f. macht in dieser Beziehung
manso in 25 (vgl. oben S 198 Anm 17), mansello in 37 und die Datierungsform
quod fecit minsus illi dies tantus in 1. 14. 15 geltend. Gegen die Zeit Childeberts II.,
für welche Krusch (im Anschluſs an Longnon, Géographie de la Gaule S 301
Anm 1) in v. Sybels Hist. Z NF XV 513 eingetreten ist, entscheidet die Thatsache,
daſs er jedenfalls im vierten Jahre seiner Regierung Angers nicht besaſs (siehe
Zeumer a. O. S 318 ff.). Das vierte Jahr Childeberts III. (698) würde uns über das
als terminus ad quem gewonnene Jahr 678 hinausführen. Es erübrigt daher nur
die Annahme, daſs entweder der Redaktor der Sammlung jene zwei datierten Stücke
als aus der Zeit Childeberts I. herrührend etwa in dem Archiv der städtischen
Kurie vorgefunden und ohne Änderung des Datums in die Sammlung aufgenommen
oder daſs ein Abschreiber der Sammlung, der seine Abschrift im vierten Jahre
Childeberts III. herstellte, dieses Jahr etwa an Stelle anderer Daten in F. 1 u. 34
eingesetzt habe. Wie dem auch sei, jedenfalls geben jene Daten keinen festen
Anhaltspunkt zur Datierung der ganzen Sammlung.
15 Zeumer S 36.
16 Das erste Buch enthält drei Formeln (1. 7. 34), die nicht auf den König
als Aussteller lauten, aber als Vorurkunden für königliche Diplome unter die cartae
regales eingereiht sind.
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[404/0422] § 58. Die Formelsammlungen. meln 1—57 sind jedenfalls nicht nach 678 entstanden; denn hinter F. 57 findet sich eine auf dieses Jahr hinweisende chronologische Angabe. Die letzten drei Formeln sind erst nach 678 hinzugefügt worden. Vergleicht man die Sammlung mit den noch im siebenten Jahr- hundert entstandenen Formeln Marculfs, so wird man geneigt sein, die Entstehung des Hauptteiles erheblich früher wie 678, etwa zu Anfang des siebenten Jahrhunderts anzusetzen 14. 2. Die Formulae Marculfi 15, so genannt nach ihrem Verfasser, einem Mönch Marculf, welcher die Sammlung im Alter von etwa 70 Jahren zum Zwecke des Unterrichts (ad exercenda initia puerorum) und zum praktischen Gebrauche (als exemplaria) auf Geheiſs eines Bischofs Landerich anlegte. Die Sammlung zerfällt in zwei Bücher, von welchen das erste mit 40 Formeln dem königlichen Kanzleiwesen (den cartae regales) gewidmet ist 16, während das zweite 52 Formeln für Privaturkunden (cartae pagenses) enthält. Für das Gebiet der cartae übertrifft Marculf an Reichhaltigkeit alle übrigen Formelsamm- lungen. Notitiae scheint er grundsätzlich ausgeschlossen zu haben. Den Formeln liegt im allgemeinen salisches Recht zu Grunde. Doch wird in einzelnen Stücken auf die lex oder consuetudo Romana Be- 14 Formel 1 und 34, beide die Bestellung einer dos betreffend, sind vom vierten Jahre eines Königs Childebert datiert. Man bezog dies früher auf Childe- bert I. und setzte die Entstehungszeit der Formeln 1—34 demgemäſs in die Jahre 514 u. 515. Es ist aber unwahrscheinlich, daſs zu Angers das fränkische Recht schon damals so starken Einfluſs gewonnen, sich mit dem römischen Rechte so enge verbunden habe. Auch finden sich Ausdrücke und Wendungen, die sich erst im 7. Jahrh. nachweisen lassen. Zeumer, NA XI 331 f. macht in dieser Beziehung manso in 25 (vgl. oben S 198 Anm 17), mansello in 37 und die Datierungsform quod fecit minsus illi dies tantus in 1. 14. 15 geltend. Gegen die Zeit Childeberts II., für welche Krusch (im Anschluſs an Longnon, Géographie de la Gaule S 301 Anm 1) in v. Sybels Hist. Z NF XV 513 eingetreten ist, entscheidet die Thatsache, daſs er jedenfalls im vierten Jahre seiner Regierung Angers nicht besaſs (siehe Zeumer a. O. S 318 ff.). Das vierte Jahr Childeberts III. (698) würde uns über das als terminus ad quem gewonnene Jahr 678 hinausführen. Es erübrigt daher nur die Annahme, daſs entweder der Redaktor der Sammlung jene zwei datierten Stücke als aus der Zeit Childeberts I. herrührend etwa in dem Archiv der städtischen Kurie vorgefunden und ohne Änderung des Datums in die Sammlung aufgenommen oder daſs ein Abschreiber der Sammlung, der seine Abschrift im vierten Jahre Childeberts III. herstellte, dieses Jahr etwa an Stelle anderer Daten in F. 1 u. 34 eingesetzt habe. Wie dem auch sei, jedenfalls geben jene Daten keinen festen Anhaltspunkt zur Datierung der ganzen Sammlung. 15 Zeumer S 36. 16 Das erste Buch enthält drei Formeln (1. 7. 34), die nicht auf den König als Aussteller lauten, aber als Vorurkunden für königliche Diplome unter die cartae regales eingereiht sind.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/422>, abgerufen am 19.05.2024.