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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 7. Das Germanentum im römischen Reich.

Innerhalb der nationalen Elemente, von welchen das römische
Militärwesen seit seiner allmählichen Barbarisierung getragen wird,
lässt sich ein gewisser Gegensatz der gallisch-germanischen und der
illyrisch-thrakischen Truppen nicht verkennen. Er muss bei der
Rivalität zwischen der Rhein- und der Donauarmee eine massgebende
Rolle gespielt haben. Zunächst haben nicht die Germanen, deren
entschiedene Begünstigung nach dem Sturz der claudischen Dynastie
eine Unterbrechung erfuhr, sondern haben die Illyrier die Oberhand
gewonnen. Nachdem Septimius Severus den Schwerpunkt der Kon-
skription nach Pannonien und Thrakien verlegt hatte, ward im dritten
Jahrhundert die illyrische Soldateska die Herrin des Reiches, welches
aus ihren Reihen eine Anzahl seiner kräftigsten Imperatoren empfing21.
Seit Konstantin tritt dann eine Wendung ein, welche die Germanen
in die Höhe bringt. Vornehmlich dem Einfluss eines Alamannen-
königs hatte es Konstantin zu danken, dass ihn das britannische Heer
zum Imperator ausrief. In den Kämpfen gegen Maxentius und gegen
den Illyrier Licinius hatten die Germanen ihm wesentliche Dienste
geleistet. Ein Eintreten für die Traditionen des altrömischen Kultus
war bei ihnen nicht zu besorgen. So lag es denn in der Natur der
Verhältnisse, dass Konstantin jene besondere Vorliebe für die Ger-
manen bethätigte, welche ihm von seinem Nachfolger Julian zum Vor-
wurf gemacht worden ist.

Veränderungen in der Organisation des Heerwesens beförderten
dessen Barbarisierung, so die Bildung geschlossener nationaler Truppen-
körper (numeri und cunei22), die Werbung und Pressung von Söld-
nern aus reichsfremden Völkerschaften, durch welche nunmehr die
"Auxilien" gebildet werden23, ebenso die Trennung des höheren Zivil-
und Militärdienstes, welche den Germanen den Zugang zu den höheren
Offizierstellen erleichterte.

21 Mommsen, Conscriptionsordnung S 55; Röm. Gesch. V 228.
22 Mommsen, Conscriptionsordnung S 219. 231. Der cuneus hat seinen
Namen vermutlich der germanischen Heeresordnung entlehnt. Als Bezeichnung
einer Heeresabteilung verwendet den Ausdruck noch Gregor von Tours IV 48.
Siehe Z2 f. RG V 227. Nach der älteren Vita Vedasti (bald nach 540 verfasst),
bei v. Schubart, Die Unterwerfung der Alamannen unter die Franken S 212,
treten dem fränkischen Heere in der Nähe des Rheins die Keile der Alamannen,
hostium chunei, entgegen.
23 Das Wort hat eine andere Bedeutung gewonnen. Die im Ausland ge-
worbenen oder aus den Reihen besiegter Feinde zwangsweise eingestellten Auxiliar-
mannschaften wurden nicht wie die aus Unterthanen ausgehobenen Auxilien der
augustischen Heerordnung zum eigentlichen Reichsheere gerechnet. Über das
Militärwesen seit Konstantin fehlt es leider an genügenden Untersuchungen.
§ 7. Das Germanentum im römischen Reich.

Innerhalb der nationalen Elemente, von welchen das römische
Militärwesen seit seiner allmählichen Barbarisierung getragen wird,
läſst sich ein gewisser Gegensatz der gallisch-germanischen und der
illyrisch-thrakischen Truppen nicht verkennen. Er muſs bei der
Rivalität zwischen der Rhein- und der Donauarmee eine maſsgebende
Rolle gespielt haben. Zunächst haben nicht die Germanen, deren
entschiedene Begünstigung nach dem Sturz der claudischen Dynastie
eine Unterbrechung erfuhr, sondern haben die Illyrier die Oberhand
gewonnen. Nachdem Septimius Severus den Schwerpunkt der Kon-
skription nach Pannonien und Thrakien verlegt hatte, ward im dritten
Jahrhundert die illyrische Soldateska die Herrin des Reiches, welches
aus ihren Reihen eine Anzahl seiner kräftigsten Imperatoren empfing21.
Seit Konstantin tritt dann eine Wendung ein, welche die Germanen
in die Höhe bringt. Vornehmlich dem Einfluſs eines Alamannen-
königs hatte es Konstantin zu danken, daſs ihn das britannische Heer
zum Imperator ausrief. In den Kämpfen gegen Maxentius und gegen
den Illyrier Licinius hatten die Germanen ihm wesentliche Dienste
geleistet. Ein Eintreten für die Traditionen des altrömischen Kultus
war bei ihnen nicht zu besorgen. So lag es denn in der Natur der
Verhältnisse, daſs Konstantin jene besondere Vorliebe für die Ger-
manen bethätigte, welche ihm von seinem Nachfolger Julian zum Vor-
wurf gemacht worden ist.

Veränderungen in der Organisation des Heerwesens beförderten
dessen Barbarisierung, so die Bildung geschlossener nationaler Truppen-
körper (numeri und cunei22), die Werbung und Pressung von Söld-
nern aus reichsfremden Völkerschaften, durch welche nunmehr die
„Auxilien“ gebildet werden23, ebenso die Trennung des höheren Zivil-
und Militärdienstes, welche den Germanen den Zugang zu den höheren
Offizierstellen erleichterte.

21 Mommsen, Conscriptionsordnung S 55; Röm. Gesch. V 228.
22 Mommsen, Conscriptionsordnung S 219. 231. Der cuneus hat seinen
Namen vermutlich der germanischen Heeresordnung entlehnt. Als Bezeichnung
einer Heeresabteilung verwendet den Ausdruck noch Gregor von Tours IV 48.
Siehe Z2 f. RG V 227. Nach der älteren Vita Vedasti (bald nach 540 verfaſst),
bei v. Schubart, Die Unterwerfung der Alamannen unter die Franken S 212,
treten dem fränkischen Heere in der Nähe des Rheins die Keile der Alamannen,
hostium chunei, entgegen.
23 Das Wort hat eine andere Bedeutung gewonnen. Die im Ausland ge-
worbenen oder aus den Reihen besiegter Feinde zwangsweise eingestellten Auxiliar-
mannschaften wurden nicht wie die aus Unterthanen ausgehobenen Auxilien der
augustischen Heerordnung zum eigentlichen Reichsheere gerechnet. Über das
Militärwesen seit Konstantin fehlt es leider an genügenden Untersuchungen.
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[38/0056] § 7. Das Germanentum im römischen Reich. Innerhalb der nationalen Elemente, von welchen das römische Militärwesen seit seiner allmählichen Barbarisierung getragen wird, läſst sich ein gewisser Gegensatz der gallisch-germanischen und der illyrisch-thrakischen Truppen nicht verkennen. Er muſs bei der Rivalität zwischen der Rhein- und der Donauarmee eine maſsgebende Rolle gespielt haben. Zunächst haben nicht die Germanen, deren entschiedene Begünstigung nach dem Sturz der claudischen Dynastie eine Unterbrechung erfuhr, sondern haben die Illyrier die Oberhand gewonnen. Nachdem Septimius Severus den Schwerpunkt der Kon- skription nach Pannonien und Thrakien verlegt hatte, ward im dritten Jahrhundert die illyrische Soldateska die Herrin des Reiches, welches aus ihren Reihen eine Anzahl seiner kräftigsten Imperatoren empfing 21. Seit Konstantin tritt dann eine Wendung ein, welche die Germanen in die Höhe bringt. Vornehmlich dem Einfluſs eines Alamannen- königs hatte es Konstantin zu danken, daſs ihn das britannische Heer zum Imperator ausrief. In den Kämpfen gegen Maxentius und gegen den Illyrier Licinius hatten die Germanen ihm wesentliche Dienste geleistet. Ein Eintreten für die Traditionen des altrömischen Kultus war bei ihnen nicht zu besorgen. So lag es denn in der Natur der Verhältnisse, daſs Konstantin jene besondere Vorliebe für die Ger- manen bethätigte, welche ihm von seinem Nachfolger Julian zum Vor- wurf gemacht worden ist. Veränderungen in der Organisation des Heerwesens beförderten dessen Barbarisierung, so die Bildung geschlossener nationaler Truppen- körper (numeri und cunei 22), die Werbung und Pressung von Söld- nern aus reichsfremden Völkerschaften, durch welche nunmehr die „Auxilien“ gebildet werden 23, ebenso die Trennung des höheren Zivil- und Militärdienstes, welche den Germanen den Zugang zu den höheren Offizierstellen erleichterte. 21 Mommsen, Conscriptionsordnung S 55; Röm. Gesch. V 228. 22 Mommsen, Conscriptionsordnung S 219. 231. Der cuneus hat seinen Namen vermutlich der germanischen Heeresordnung entlehnt. Als Bezeichnung einer Heeresabteilung verwendet den Ausdruck noch Gregor von Tours IV 48. Siehe Z2 f. RG V 227. Nach der älteren Vita Vedasti (bald nach 540 verfaſst), bei v. Schubart, Die Unterwerfung der Alamannen unter die Franken S 212, treten dem fränkischen Heere in der Nähe des Rheins die Keile der Alamannen, hostium chunei, entgegen. 23 Das Wort hat eine andere Bedeutung gewonnen. Die im Ausland ge- worbenen oder aus den Reihen besiegter Feinde zwangsweise eingestellten Auxiliar- mannschaften wurden nicht wie die aus Unterthanen ausgehobenen Auxilien der augustischen Heerordnung zum eigentlichen Reichsheere gerechnet. Über das Militärwesen seit Konstantin fehlt es leider an genügenden Untersuchungen.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/56>, abgerufen am 21.11.2024.