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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 8. Das Auftreten der deutschen Stämme.
Baiern in die Machtsphäre des fränkischen Reiches, dem sie sich ohne
besonderen Widerstand scheinen unterworfen zu haben.

In die genannten sechs Stämme sind die westgermanischen Völker-
schaften vom dritten bis zum sechsten Jahrhundert aufgegangen, aus-
genommen die Angelsachsen Britanniens, jene Sueben, die mit den
Vandalen und Alanen nach Spanien zogen, und die Langobarden,
deren rechtsgeschichtlich beachtenswerte Geschicke später zur Sprache
kommen sollen.

Was die Bedeutung und die Ursachen der neuen Völker-
verbindungen betrifft, so giebt leider der dürftige Stand der Quellen
dem Widerstreite der Vermutungen offenen Spielraum. Bestimmt
wird man sagen dürfen, dass die Stammesnamen nicht blosse Kollektiv-
bezeichnungen benachbarter Völkerschaften sind, die einander sonst
fremd gegenüberstehen, sondern dass der gemeinsame Name die
Völkerschaften, die er bezeichnet, als eine engere Gemeinschaft im
Gegensatz zu anderen zusammenfasst. Geht diese Gemeinschaft auf
uralte Gliederungen des deutschen Volkes zurück, so hat sie doch
eine erhöhte Bedeutung erlangt, die an sich das Auftreten der Völker-
gruppen, aus welchen die Stämme erwuchsen, als eine neue Entwick-
lungsphase der deutschen Geschichte kennzeichnet.

Schon das räumliche Zusammenrücken der einzelnen Völker-
schaften, wie es die Vermehrung der Bevölkerung notwendig machte,
musste eine engere Verbindung befördern. Indem umfangreiche Wäl-
der, wüste Strecken, welche die einzelne civitas zur Sicherung der
Grenze als Landscheide hatte bestehen oder entstehen lassen, vor dem
gesteigerten Anbau besiedelungsfähigen Landes verschwanden, sind
die durch Abstammung, Sprache, Kultus und Recht zunächst ver-
wandten Völkerschaften, die populi eiusdem sanguinis einander näher
getreten27.

Aber auch andere Ursachen sind wirksam gewesen. Nicht
durch Zusammenwachsen alter Siedelungen, sondern aus Anlass von
Wanderungen hat sich die Entstehung des Alamannenbundes und des
bairischen Stammes vollzogen. Und dass die Bildung neuer Verbände
auch unter nicht verwandten Völkerschaften vor sich gehen konnte,
lässt die Vereinigung von Angeln und Warnen mit den Thüringern er-
sehen. Es müssen füglich politische Momente gewesen sein, die den
Charakter der neuen Völkergruppierung bestimmten. Wenn auch bei
den einzelnen Gruppen verschieden, können sie doch nirgends völlig
gefehlt haben. Selbst der Name der Friesen, der doch schon von

27 Dahn, Deutsche Geschichte S 194. 449.

§ 8. Das Auftreten der deutschen Stämme.
Baiern in die Machtsphäre des fränkischen Reiches, dem sie sich ohne
besonderen Widerstand scheinen unterworfen zu haben.

In die genannten sechs Stämme sind die westgermanischen Völker-
schaften vom dritten bis zum sechsten Jahrhundert aufgegangen, aus-
genommen die Angelsachsen Britanniens, jene Sueben, die mit den
Vandalen und Alanen nach Spanien zogen, und die Langobarden,
deren rechtsgeschichtlich beachtenswerte Geschicke später zur Sprache
kommen sollen.

Was die Bedeutung und die Ursachen der neuen Völker-
verbindungen betrifft, so giebt leider der dürftige Stand der Quellen
dem Widerstreite der Vermutungen offenen Spielraum. Bestimmt
wird man sagen dürfen, daſs die Stammesnamen nicht bloſse Kollektiv-
bezeichnungen benachbarter Völkerschaften sind, die einander sonst
fremd gegenüberstehen, sondern daſs der gemeinsame Name die
Völkerschaften, die er bezeichnet, als eine engere Gemeinschaft im
Gegensatz zu anderen zusammenfaſst. Geht diese Gemeinschaft auf
uralte Gliederungen des deutschen Volkes zurück, so hat sie doch
eine erhöhte Bedeutung erlangt, die an sich das Auftreten der Völker-
gruppen, aus welchen die Stämme erwuchsen, als eine neue Entwick-
lungsphase der deutschen Geschichte kennzeichnet.

Schon das räumliche Zusammenrücken der einzelnen Völker-
schaften, wie es die Vermehrung der Bevölkerung notwendig machte,
muſste eine engere Verbindung befördern. Indem umfangreiche Wäl-
der, wüste Strecken, welche die einzelne civitas zur Sicherung der
Grenze als Landscheide hatte bestehen oder entstehen lassen, vor dem
gesteigerten Anbau besiedelungsfähigen Landes verschwanden, sind
die durch Abstammung, Sprache, Kultus und Recht zunächst ver-
wandten Völkerschaften, die populi eiusdem sanguinis einander näher
getreten27.

Aber auch andere Ursachen sind wirksam gewesen. Nicht
durch Zusammenwachsen alter Siedelungen, sondern aus Anlaſs von
Wanderungen hat sich die Entstehung des Alamannenbundes und des
bairischen Stammes vollzogen. Und daſs die Bildung neuer Verbände
auch unter nicht verwandten Völkerschaften vor sich gehen konnte,
läſst die Vereinigung von Angeln und Warnen mit den Thüringern er-
sehen. Es müssen füglich politische Momente gewesen sein, die den
Charakter der neuen Völkergruppierung bestimmten. Wenn auch bei
den einzelnen Gruppen verschieden, können sie doch nirgends völlig
gefehlt haben. Selbst der Name der Friesen, der doch schon von

27 Dahn, Deutsche Geschichte S 194. 449.
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[47/0065] § 8. Das Auftreten der deutschen Stämme. Baiern in die Machtsphäre des fränkischen Reiches, dem sie sich ohne besonderen Widerstand scheinen unterworfen zu haben. In die genannten sechs Stämme sind die westgermanischen Völker- schaften vom dritten bis zum sechsten Jahrhundert aufgegangen, aus- genommen die Angelsachsen Britanniens, jene Sueben, die mit den Vandalen und Alanen nach Spanien zogen, und die Langobarden, deren rechtsgeschichtlich beachtenswerte Geschicke später zur Sprache kommen sollen. Was die Bedeutung und die Ursachen der neuen Völker- verbindungen betrifft, so giebt leider der dürftige Stand der Quellen dem Widerstreite der Vermutungen offenen Spielraum. Bestimmt wird man sagen dürfen, daſs die Stammesnamen nicht bloſse Kollektiv- bezeichnungen benachbarter Völkerschaften sind, die einander sonst fremd gegenüberstehen, sondern daſs der gemeinsame Name die Völkerschaften, die er bezeichnet, als eine engere Gemeinschaft im Gegensatz zu anderen zusammenfaſst. Geht diese Gemeinschaft auf uralte Gliederungen des deutschen Volkes zurück, so hat sie doch eine erhöhte Bedeutung erlangt, die an sich das Auftreten der Völker- gruppen, aus welchen die Stämme erwuchsen, als eine neue Entwick- lungsphase der deutschen Geschichte kennzeichnet. Schon das räumliche Zusammenrücken der einzelnen Völker- schaften, wie es die Vermehrung der Bevölkerung notwendig machte, muſste eine engere Verbindung befördern. Indem umfangreiche Wäl- der, wüste Strecken, welche die einzelne civitas zur Sicherung der Grenze als Landscheide hatte bestehen oder entstehen lassen, vor dem gesteigerten Anbau besiedelungsfähigen Landes verschwanden, sind die durch Abstammung, Sprache, Kultus und Recht zunächst ver- wandten Völkerschaften, die populi eiusdem sanguinis einander näher getreten 27. Aber auch andere Ursachen sind wirksam gewesen. Nicht durch Zusammenwachsen alter Siedelungen, sondern aus Anlaſs von Wanderungen hat sich die Entstehung des Alamannenbundes und des bairischen Stammes vollzogen. Und daſs die Bildung neuer Verbände auch unter nicht verwandten Völkerschaften vor sich gehen konnte, läſst die Vereinigung von Angeln und Warnen mit den Thüringern er- sehen. Es müssen füglich politische Momente gewesen sein, die den Charakter der neuen Völkergruppierung bestimmten. Wenn auch bei den einzelnen Gruppen verschieden, können sie doch nirgends völlig gefehlt haben. Selbst der Name der Friesen, der doch schon von 27 Dahn, Deutsche Geschichte S 194. 449.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/65>, abgerufen am 21.11.2024.