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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 9. Die Reichsgründungen
Jahrhunderts sitzen sie in der Stellung römischer Föderaten am linken
Rheinufer in der Gegend von Worms und bilden jenes sagenberühmte
Reich, welches im Nibelungenliede verewigt ist. In Kämpfe mit den
Römern verwickelt, wurden sie 435 von Aetius besiegt und erlitten
im folgenden Jahre durch Hunnen, welche vermutlich Aetius gedungen
hatte, eine furchtbare Niederlage, in der ihr König Gundahar und
ein grosser Teil des waffenfähigen Volkes fiel. Den Überresten der
Burgunder wiesen die Römer 443 die Sapaudia (Savoien) als Heimat
an. Von hier aus haben sie sich in den gallischen Wirren weiter
ausgebreitet, nicht ohne Mitwirkung der römischen Provinzialen, die
die Burgunder herbeiriefen, um die römischen Steuerbeamten loszu-
werden 2. Die weiteren Schicksale des Burgunderreiches greifen so
sehr in die Geschichte des fränkischen Reiches ein, dass sie besser
bei dieser besprochen werden. Von den ostgermanischen Stämmen
stehen die Burgunder den Westgermanen am nächsten, so nahe, dass
man sie als ein Mittelglied bezeichnen darf. Ihre Sprache vereinigt
gotische und deutsche Formen 3.

An den Ufern des Schwarzen Meeres angelangt, haben die Goten
einerseits das römische Reich durch verheerende Einfälle und Piraten-
züge in Schrecken versetzt, andrerseits ihre Herrschaft nach Osten hin
bis in Gegenden des Don ausgedehnt. Aurelian gab ihnen Dacien
preis, Konstantin schloss ein foedus mit ihnen ab. Das ganze Volk
zerfiel in die zwei Hauptstämme der Therwingen oder Westgoten und
der Greuthungen oder Ostgoten. Letztere erlagen dem vereinigten
Angriff der Hunnen und Alanen; die Westgoten wichen damals zum
grossen Teile nach Süden aus, gingen über die Donau und vernichteten
ein römisches Heer bei Adrianopel (378). Erst der klugen Politik
des Kaisers Theodosius gelang es, sie zu pacificieren, indem er ihnen
Wohnsitze anwies und sie als Föderaten in den römischen Kriegs-
dienst aufnahm. Nach dem Tode des Theodosius erhoben sie Alarich
aus dem Geschlechte der Balthen zum König, der sie von Illyrien
nach Italien führte. Unter dessen Nachfolger Athaulf besetzten sie

constituta burgos vulgo vocant. Das Wortspiel wurde zur Fabel von der römischen
Herkunft der Burgunder ausgesponnen, über welche Ammianus Marcellinus XXVIII
5, 11 berichtet, indem er die Burgunder sagen lässt: quod iam inde temporibus
priscis subolem se esse romanam Burgundii sciunt.
2 Fredegar II 46: invitati sunt a Romanis vel Gallis, qui Lugdunensium
provincia et Gallia comata et cisalpina commanebant, ut tributarii publice po-
tuissent renuere. Binding S 9. Jahn I 254.
3 Wackernagel, Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden bei Bin-
ding
a. O. S 331 ff.

§ 9. Die Reichsgründungen
Jahrhunderts sitzen sie in der Stellung römischer Föderaten am linken
Rheinufer in der Gegend von Worms und bilden jenes sagenberühmte
Reich, welches im Nibelungenliede verewigt ist. In Kämpfe mit den
Römern verwickelt, wurden sie 435 von Aëtius besiegt und erlitten
im folgenden Jahre durch Hunnen, welche vermutlich Aëtius gedungen
hatte, eine furchtbare Niederlage, in der ihr König Gundahar und
ein groſser Teil des waffenfähigen Volkes fiel. Den Überresten der
Burgunder wiesen die Römer 443 die Sapaudia (Savoien) als Heimat
an. Von hier aus haben sie sich in den gallischen Wirren weiter
ausgebreitet, nicht ohne Mitwirkung der römischen Provinzialen, die
die Burgunder herbeiriefen, um die römischen Steuerbeamten loszu-
werden 2. Die weiteren Schicksale des Burgunderreiches greifen so
sehr in die Geschichte des fränkischen Reiches ein, daſs sie besser
bei dieser besprochen werden. Von den ostgermanischen Stämmen
stehen die Burgunder den Westgermanen am nächsten, so nahe, daſs
man sie als ein Mittelglied bezeichnen darf. Ihre Sprache vereinigt
gotische und deutsche Formen 3.

An den Ufern des Schwarzen Meeres angelangt, haben die Goten
einerseits das römische Reich durch verheerende Einfälle und Piraten-
züge in Schrecken versetzt, andrerseits ihre Herrschaft nach Osten hin
bis in Gegenden des Don ausgedehnt. Aurelian gab ihnen Dacien
preis, Konstantin schloſs ein foedus mit ihnen ab. Das ganze Volk
zerfiel in die zwei Hauptstämme der Therwingen oder Westgoten und
der Greuthungen oder Ostgoten. Letztere erlagen dem vereinigten
Angriff der Hunnen und Alanen; die Westgoten wichen damals zum
groſsen Teile nach Süden aus, gingen über die Donau und vernichteten
ein römisches Heer bei Adrianopel (378). Erst der klugen Politik
des Kaisers Theodosius gelang es, sie zu pacificieren, indem er ihnen
Wohnsitze anwies und sie als Föderaten in den römischen Kriegs-
dienst aufnahm. Nach dem Tode des Theodosius erhoben sie Alarich
aus dem Geschlechte der Balthen zum König, der sie von Illyrien
nach Italien führte. Unter dessen Nachfolger Athaulf besetzten sie

constituta burgos vulgo vocant. Das Wortspiel wurde zur Fabel von der römischen
Herkunft der Burgunder ausgesponnen, über welche Ammianus Marcellinus XXVIII
5, 11 berichtet, indem er die Burgunder sagen läſst: quod iam inde temporibus
priscis subolem se esse romanam Burgundii sciunt.
2 Fredegar II 46: invitati sunt a Romanis vel Gallis, qui Lugdunensium
provincia et Gallia comata et cisalpina commanebant, ut tributarii publice po-
tuissent renuere. Binding S 9. Jahn I 254.
3 Wackernagel, Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden bei Bin-
ding
a. O. S 331 ff.
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[50/0068] § 9. Die Reichsgründungen Jahrhunderts sitzen sie in der Stellung römischer Föderaten am linken Rheinufer in der Gegend von Worms und bilden jenes sagenberühmte Reich, welches im Nibelungenliede verewigt ist. In Kämpfe mit den Römern verwickelt, wurden sie 435 von Aëtius besiegt und erlitten im folgenden Jahre durch Hunnen, welche vermutlich Aëtius gedungen hatte, eine furchtbare Niederlage, in der ihr König Gundahar und ein groſser Teil des waffenfähigen Volkes fiel. Den Überresten der Burgunder wiesen die Römer 443 die Sapaudia (Savoien) als Heimat an. Von hier aus haben sie sich in den gallischen Wirren weiter ausgebreitet, nicht ohne Mitwirkung der römischen Provinzialen, die die Burgunder herbeiriefen, um die römischen Steuerbeamten loszu- werden 2. Die weiteren Schicksale des Burgunderreiches greifen so sehr in die Geschichte des fränkischen Reiches ein, daſs sie besser bei dieser besprochen werden. Von den ostgermanischen Stämmen stehen die Burgunder den Westgermanen am nächsten, so nahe, daſs man sie als ein Mittelglied bezeichnen darf. Ihre Sprache vereinigt gotische und deutsche Formen 3. An den Ufern des Schwarzen Meeres angelangt, haben die Goten einerseits das römische Reich durch verheerende Einfälle und Piraten- züge in Schrecken versetzt, andrerseits ihre Herrschaft nach Osten hin bis in Gegenden des Don ausgedehnt. Aurelian gab ihnen Dacien preis, Konstantin schloſs ein foedus mit ihnen ab. Das ganze Volk zerfiel in die zwei Hauptstämme der Therwingen oder Westgoten und der Greuthungen oder Ostgoten. Letztere erlagen dem vereinigten Angriff der Hunnen und Alanen; die Westgoten wichen damals zum groſsen Teile nach Süden aus, gingen über die Donau und vernichteten ein römisches Heer bei Adrianopel (378). Erst der klugen Politik des Kaisers Theodosius gelang es, sie zu pacificieren, indem er ihnen Wohnsitze anwies und sie als Föderaten in den römischen Kriegs- dienst aufnahm. Nach dem Tode des Theodosius erhoben sie Alarich aus dem Geschlechte der Balthen zum König, der sie von Illyrien nach Italien führte. Unter dessen Nachfolger Athaulf besetzten sie 1 2 Fredegar II 46: invitati sunt a Romanis vel Gallis, qui Lugdunensium provincia et Gallia comata et cisalpina commanebant, ut tributarii publice po- tuissent renuere. Binding S 9. Jahn I 254. 3 Wackernagel, Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden bei Bin- ding a. O. S 331 ff. 1 constituta burgos vulgo vocant. Das Wortspiel wurde zur Fabel von der römischen Herkunft der Burgunder ausgesponnen, über welche Ammianus Marcellinus XXVIII 5, 11 berichtet, indem er die Burgunder sagen läſst: quod iam inde temporibus priscis subolem se esse romanam Burgundii sciunt.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/68>, abgerufen am 21.11.2024.