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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 9. Die Reichsgründungen
lich einfügten. Als das abendländische Kaisertum erloschen war,
galten die oströmischen Kaiser für die Träger des Imperiums und
wurde nunmehr diesen gegenüber der äussere Schein der Abhängigkeit
gewahrt. Am schärfsten kommt die Eingliederung in die römische
Universalmonarchie bei den ersten Anfängen der neuen Staats-
bildungen zum Ausdruck. Die Burgunder wurden nach einer beinahe
vernichtenden Niederlage von den Römern in Savoien angesiedelt.
Ein römischer Statthalter rief die Vandalen nach Afrika, wo sie sich
435 verpflichteten, von den abgetretenen Gebieten Abgaben zu leisten.
Als Föderaten Roms erhielten die Westgoten das südliche Aquitanien
und gleichsam als ein Mandatar des Kaisers Zeno fiel der Ostgoten-
könig Theoderich in Italien ein. Sobald die neuen Staaten sich
einigermassen befestigt hatten oder dem Imperium feindlich gegenüber-
traten, war freilich von einer staatsrechtlichen Abhängigkeit nichts zu
spüren. Aber nur allmählich verblasste bei den eingewanderten Ger-
manen das Gefühl, die neue Heimat in einem Weltreiche gefunden
zu haben. War es vordem eine Verschleierung der germanischen
Herrschaft im Innern des Reichs gewesen, dass germanische Könige
und königliche Prinzen sich in die römische Beamtenhierarchie ein-
schieben liessen, die Ämter eines Konsuls, eines Heermeisters und
Patricius erstrebten und empfingen, so war es andererseits eine
nominelle Anerkennung römischer Oberhoheit, wenn sich auch noch
Könige der auf dem Boden des Reiches erwachsenen germanischen
Staaten vom Kaiser römische Würden und Titel verleihen liessen.

Am meisten hielten das ostgotische und das burgundische Reich
an der Zugehörigkeit zum Imperium fest, wogegen die Vandalen sich
schon unter Genserich, die Westgoten unter Eurich davon emanzi-
pierten. Für die Herrschaft des ostgotischen Theoderich war sie
politisches Prinzip. Er hat als Herr von Italien den Gedanken der
Reichseinheit, welche nach der römischen Theorie der Gesamtherr-
schaft Occident und Orient verband, zu musterhaft korrektem Aus-
druck gebracht und zwar nicht bloss in Worten 4, sondern auch darin,
dass er den oströmischen Kaiser bat, der Ernennung des von ihm für
den Westen designierten Konsuls zuzustimmen 5. Bei den Burgundern
waren nicht nur fast sämtliche Könige von Gundiok bis Sigismund

4 Cassiodori Variarum l. I ep. 1: quia pati vos non credimus inter utrasque
respublicas, quarum semper unum corpus sub antiquis principibus fuisse declaratur,
aliquid discordiae permanere ... Romani regni unum velle, una semper opinio sit.
5 Cassiod. Var. l. 2 ep. 1: atque ideo vos, so schliesst der Brief, qui utriusque
reipublicae bonis indiscreta potestis gratia delectari, iungite favorem, adunate sen-
tentiam. Amborum iudicio dignus est eligi, qui tantis fascibus meretur augeri.

§ 9. Die Reichsgründungen
lich einfügten. Als das abendländische Kaisertum erloschen war,
galten die oströmischen Kaiser für die Träger des Imperiums und
wurde nunmehr diesen gegenüber der äuſsere Schein der Abhängigkeit
gewahrt. Am schärfsten kommt die Eingliederung in die römische
Universalmonarchie bei den ersten Anfängen der neuen Staats-
bildungen zum Ausdruck. Die Burgunder wurden nach einer beinahe
vernichtenden Niederlage von den Römern in Savoien angesiedelt.
Ein römischer Statthalter rief die Vandalen nach Afrika, wo sie sich
435 verpflichteten, von den abgetretenen Gebieten Abgaben zu leisten.
Als Föderaten Roms erhielten die Westgoten das südliche Aquitanien
und gleichsam als ein Mandatar des Kaisers Zeno fiel der Ostgoten-
könig Theoderich in Italien ein. Sobald die neuen Staaten sich
einigermaſsen befestigt hatten oder dem Imperium feindlich gegenüber-
traten, war freilich von einer staatsrechtlichen Abhängigkeit nichts zu
spüren. Aber nur allmählich verblaſste bei den eingewanderten Ger-
manen das Gefühl, die neue Heimat in einem Weltreiche gefunden
zu haben. War es vordem eine Verschleierung der germanischen
Herrschaft im Innern des Reichs gewesen, daſs germanische Könige
und königliche Prinzen sich in die römische Beamtenhierarchie ein-
schieben lieſsen, die Ämter eines Konsuls, eines Heermeisters und
Patricius erstrebten und empfingen, so war es andererseits eine
nominelle Anerkennung römischer Oberhoheit, wenn sich auch noch
Könige der auf dem Boden des Reiches erwachsenen germanischen
Staaten vom Kaiser römische Würden und Titel verleihen lieſsen.

Am meisten hielten das ostgotische und das burgundische Reich
an der Zugehörigkeit zum Imperium fest, wogegen die Vandalen sich
schon unter Genserich, die Westgoten unter Eurich davon emanzi-
pierten. Für die Herrschaft des ostgotischen Theoderich war sie
politisches Prinzip. Er hat als Herr von Italien den Gedanken der
Reichseinheit, welche nach der römischen Theorie der Gesamtherr-
schaft Occident und Orient verband, zu musterhaft korrektem Aus-
druck gebracht und zwar nicht bloſs in Worten 4, sondern auch darin,
daſs er den oströmischen Kaiser bat, der Ernennung des von ihm für
den Westen designierten Konsuls zuzustimmen 5. Bei den Burgundern
waren nicht nur fast sämtliche Könige von Gundiok bis Sigismund

4 Cassiodori Variarum l. I ep. 1: quia pati vos non credimus inter utrasque
respublicas, quarum semper unum corpus sub antiquis principibus fuisse declaratur,
aliquid discordiae permanere … Romani regni unum velle, una semper opinio sit.
5 Cassiod. Var. l. 2 ep. 1: atque ideo vos, so schlieſst der Brief, qui utriusque
reipublicae bonis indiscreta potestis gratia delectari, iungite favorem, adunate sen-
tentiam. Amborum iudicio dignus est eligi, qui tantis fascibus meretur augeri.
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[52/0070] § 9. Die Reichsgründungen lich einfügten. Als das abendländische Kaisertum erloschen war, galten die oströmischen Kaiser für die Träger des Imperiums und wurde nunmehr diesen gegenüber der äuſsere Schein der Abhängigkeit gewahrt. Am schärfsten kommt die Eingliederung in die römische Universalmonarchie bei den ersten Anfängen der neuen Staats- bildungen zum Ausdruck. Die Burgunder wurden nach einer beinahe vernichtenden Niederlage von den Römern in Savoien angesiedelt. Ein römischer Statthalter rief die Vandalen nach Afrika, wo sie sich 435 verpflichteten, von den abgetretenen Gebieten Abgaben zu leisten. Als Föderaten Roms erhielten die Westgoten das südliche Aquitanien und gleichsam als ein Mandatar des Kaisers Zeno fiel der Ostgoten- könig Theoderich in Italien ein. Sobald die neuen Staaten sich einigermaſsen befestigt hatten oder dem Imperium feindlich gegenüber- traten, war freilich von einer staatsrechtlichen Abhängigkeit nichts zu spüren. Aber nur allmählich verblaſste bei den eingewanderten Ger- manen das Gefühl, die neue Heimat in einem Weltreiche gefunden zu haben. War es vordem eine Verschleierung der germanischen Herrschaft im Innern des Reichs gewesen, daſs germanische Könige und königliche Prinzen sich in die römische Beamtenhierarchie ein- schieben lieſsen, die Ämter eines Konsuls, eines Heermeisters und Patricius erstrebten und empfingen, so war es andererseits eine nominelle Anerkennung römischer Oberhoheit, wenn sich auch noch Könige der auf dem Boden des Reiches erwachsenen germanischen Staaten vom Kaiser römische Würden und Titel verleihen lieſsen. Am meisten hielten das ostgotische und das burgundische Reich an der Zugehörigkeit zum Imperium fest, wogegen die Vandalen sich schon unter Genserich, die Westgoten unter Eurich davon emanzi- pierten. Für die Herrschaft des ostgotischen Theoderich war sie politisches Prinzip. Er hat als Herr von Italien den Gedanken der Reichseinheit, welche nach der römischen Theorie der Gesamtherr- schaft Occident und Orient verband, zu musterhaft korrektem Aus- druck gebracht und zwar nicht bloſs in Worten 4, sondern auch darin, daſs er den oströmischen Kaiser bat, der Ernennung des von ihm für den Westen designierten Konsuls zuzustimmen 5. Bei den Burgundern waren nicht nur fast sämtliche Könige von Gundiok bis Sigismund 4 Cassiodori Variarum l. I ep. 1: quia pati vos non credimus inter utrasque respublicas, quarum semper unum corpus sub antiquis principibus fuisse declaratur, aliquid discordiae permanere … Romani regni unum velle, una semper opinio sit. 5 Cassiod. Var. l. 2 ep. 1: atque ideo vos, so schlieſst der Brief, qui utriusque reipublicae bonis indiscreta potestis gratia delectari, iungite favorem, adunate sen- tentiam. Amborum iudicio dignus est eligi, qui tantis fascibus meretur augeri.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/70>, abgerufen am 21.11.2024.