Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 11. Die Landnahme in den Provinzen
angesiedelt wurden, gewiss nicht mehr als das dem römischen Ein-
quartierungssystem entsprechende Landdrittel beansprucht haben 4.
Als die Stellung der Burgunder zum Reiche eine selbständigere ge-
worden, das Volk sich vermehrt, durch neuen Zuzug verstärkt und
seine Gebiete ausgedehnt hatte, wurde das Quotenverhältnis ein an-
deres. Nach den ältesten Stellen, welche die burgundische Gesetz-
sammlung über die Landteilung enthält, umfasste die burgundische
sors die Hälfte von dem ganzen unbeweglichen Vermögen des
Possessors 5. Gegen Ende des fünften Jahrhunderts wurde das Ver-
hältnis derart geregelt 6, dass der burgundische hospes vom Ackerlande
zwei Drittel, von den Sklaven ein Drittel, von Hof, Garten, Wald
und Weide die Hälfte beanspruchen konnte. Diejenigen Burgunder,
welche durch königliche Schenkung Land und Sklaven erworben
hatten, sollten an dieser Ausdehnung der burgundischen Quote nicht
partizipieren, sondern auf die Hälfte des Ackerlandes beschränkt
bleiben und von dem possessor keine Sklaven verlangen dürfen. Mit
der Hälfte des Landes mussten sich nach einem vermutlich unter dem
letzten burgundischen König entstandenen Gesetze auch neue An-
kömmlinge begnügen 7, wahrscheinlich Burgunder, welche aus Gebieten,
die das Reich eingebüsst hatte, zurückgewandert waren, um neue
Wohnsitze zu erhalten 8.

Als die Ostgoten Italien erobert hatten, nahmen sie im An-
schluss an die von Odovaker durchgeführte Landteilung ein Drittel der
Ländereien an sich 9. Das Fiskalgut ging damals von Odovaker auf

4 Vgl. Jahn, Burgundionen I 397. 475.
5 Arg. Lex Burg. 13. 31. 67; Lex Rom. Burg. 17, 3. Siehe Binding a. O. S 28.
6 Lex Burg. 54.
7 Lex Burg. 107, 11: De Romanis vero hoc ordinavimus, ut non amplius a
Burgundionibus, qui infra venerunt, requiratur, quam ad praesens necessitas fuerit,
medietas terrae. Infra ist soviel wie intra. S. den Index zu Greg. Tur. Opera
in MG SS rer. Meroving. I 950 s. v. infra. Unter den Eingewanderten können
nicht alle Burgunder verstanden werden, sonst wäre der Zusatz überflüssig, sondern
nur solche, welche gekommen, als der grosse Teil des Volkes fest in seinen
Sitzen sass.
8 Binding S 261.
9 Procop, De bello Got. I 1. Dass damit nicht ein blosses Einrücken in
die sog. herulischen Landlose gemeint sei, bemerkt mit Recht Gaupp a. O. S 470.
In der Urk. Marini Nr 115 von 540 nimmt der Verkäufer in die Gewährleistungs-
formel die Wendung auf, dass er die verkauften portiones übereigne liberas a sorte
barbarica. Es ist vermutlich gemeint, dass die veräusserten portiones einer Land-
teilung nicht mehr unterworfen werden können, weil schon der ganze Gutskomplex,
zu dem sie gehört hatten, Gegenstand einer Realteilung geworden war. Savigny
I 333. Anderer Ansicht Gaupp S 477.

§ 11. Die Landnahme in den Provinzen
angesiedelt wurden, gewiſs nicht mehr als das dem römischen Ein-
quartierungssystem entsprechende Landdrittel beansprucht haben 4.
Als die Stellung der Burgunder zum Reiche eine selbständigere ge-
worden, das Volk sich vermehrt, durch neuen Zuzug verstärkt und
seine Gebiete ausgedehnt hatte, wurde das Quotenverhältnis ein an-
deres. Nach den ältesten Stellen, welche die burgundische Gesetz-
sammlung über die Landteilung enthält, umfaſste die burgundische
sors die Hälfte von dem ganzen unbeweglichen Vermögen des
Possessors 5. Gegen Ende des fünften Jahrhunderts wurde das Ver-
hältnis derart geregelt 6, daſs der burgundische hospes vom Ackerlande
zwei Drittel, von den Sklaven ein Drittel, von Hof, Garten, Wald
und Weide die Hälfte beanspruchen konnte. Diejenigen Burgunder,
welche durch königliche Schenkung Land und Sklaven erworben
hatten, sollten an dieser Ausdehnung der burgundischen Quote nicht
partizipieren, sondern auf die Hälfte des Ackerlandes beschränkt
bleiben und von dem possessor keine Sklaven verlangen dürfen. Mit
der Hälfte des Landes muſsten sich nach einem vermutlich unter dem
letzten burgundischen König entstandenen Gesetze auch neue An-
kömmlinge begnügen 7, wahrscheinlich Burgunder, welche aus Gebieten,
die das Reich eingebüſst hatte, zurückgewandert waren, um neue
Wohnsitze zu erhalten 8.

Als die Ostgoten Italien erobert hatten, nahmen sie im An-
schluſs an die von Odovaker durchgeführte Landteilung ein Drittel der
Ländereien an sich 9. Das Fiskalgut ging damals von Odovaker auf

4 Vgl. Jahn, Burgundionen I 397. 475.
5 Arg. Lex Burg. 13. 31. 67; Lex Rom. Burg. 17, 3. Siehe Binding a. O. S 28.
6 Lex Burg. 54.
7 Lex Burg. 107, 11: De Romanis vero hoc ordinavimus, ut non amplius a
Burgundionibus, qui infra venerunt, requiratur, quam ad praesens necessitas fuerit,
medietas terrae. Infra ist soviel wie intra. S. den Index zu Greg. Tur. Opera
in MG SS rer. Meroving. I 950 s. v. infra. Unter den Eingewanderten können
nicht alle Burgunder verstanden werden, sonst wäre der Zusatz überflüssig, sondern
nur solche, welche gekommen, als der groſse Teil des Volkes fest in seinen
Sitzen saſs.
8 Binding S 261.
9 Procop, De bello Got. I 1. Daſs damit nicht ein bloſses Einrücken in
die sog. herulischen Landlose gemeint sei, bemerkt mit Recht Gaupp a. O. S 470.
In der Urk. Marini Nr 115 von 540 nimmt der Verkäufer in die Gewährleistungs-
formel die Wendung auf, daſs er die verkauften portiones übereigne liberas a sorte
barbarica. Es ist vermutlich gemeint, daſs die veräuſserten portiones einer Land-
teilung nicht mehr unterworfen werden können, weil schon der ganze Gutskomplex,
zu dem sie gehört hatten, Gegenstand einer Realteilung geworden war. Savigny
I 333. Anderer Ansicht Gaupp S 477.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0084" n="66"/><fw place="top" type="header">§ 11. Die Landnahme in den Provinzen</fw><lb/>
angesiedelt wurden, gewi&#x017F;s nicht mehr als das dem römischen Ein-<lb/>
quartierungssystem entsprechende Landdrittel beansprucht haben <note place="foot" n="4">Vgl. <hi rendition="#g">Jahn</hi>, Burgundionen I 397. 475.</note>.<lb/>
Als die Stellung der Burgunder zum Reiche eine selbständigere ge-<lb/>
worden, das Volk sich vermehrt, durch neuen Zuzug verstärkt und<lb/>
seine Gebiete ausgedehnt hatte, wurde das Quotenverhältnis ein an-<lb/>
deres. Nach den ältesten Stellen, welche die burgundische Gesetz-<lb/>
sammlung über die Landteilung enthält, umfa&#x017F;ste die burgundische<lb/>
sors die Hälfte von dem ganzen unbeweglichen Vermögen des<lb/>
Possessors <note place="foot" n="5">Arg. Lex Burg. 13. 31. 67; Lex Rom. Burg. 17, 3. Siehe <hi rendition="#g">Binding</hi> a. O. S 28.</note>. Gegen Ende des fünften Jahrhunderts wurde das Ver-<lb/>
hältnis derart geregelt <note place="foot" n="6">Lex Burg. 54.</note>, da&#x017F;s der burgundische hospes vom Ackerlande<lb/>
zwei Drittel, von den Sklaven ein Drittel, von Hof, Garten, Wald<lb/>
und Weide die Hälfte beanspruchen konnte. Diejenigen Burgunder,<lb/>
welche durch königliche Schenkung Land und Sklaven erworben<lb/>
hatten, sollten an dieser Ausdehnung der burgundischen Quote nicht<lb/>
partizipieren, sondern auf die Hälfte des Ackerlandes beschränkt<lb/>
bleiben und von dem possessor keine Sklaven verlangen dürfen. Mit<lb/>
der Hälfte des Landes mu&#x017F;sten sich nach einem vermutlich unter dem<lb/>
letzten burgundischen König entstandenen Gesetze auch neue An-<lb/>
kömmlinge begnügen <note place="foot" n="7">Lex Burg. 107, 11: De Romanis vero hoc ordinavimus, ut non amplius a<lb/>
Burgundionibus, qui infra venerunt, requiratur, quam ad praesens necessitas fuerit,<lb/>
medietas terrae. Infra ist soviel wie intra. S. den Index zu Greg. Tur. Opera<lb/>
in MG SS rer. Meroving. I 950 s. v. infra. Unter den Eingewanderten können<lb/>
nicht alle Burgunder verstanden werden, sonst wäre der Zusatz überflüssig, sondern<lb/>
nur solche, welche gekommen, als der gro&#x017F;se Teil des Volkes fest in seinen<lb/>
Sitzen sa&#x017F;s.</note>, wahrscheinlich Burgunder, welche aus Gebieten,<lb/>
die das Reich eingebü&#x017F;st hatte, zurückgewandert waren, um neue<lb/>
Wohnsitze zu erhalten <note place="foot" n="8"><hi rendition="#g">Binding</hi> S 261.</note>.</p><lb/>
          <p>Als die <hi rendition="#g">Ostgoten</hi> Italien erobert hatten, nahmen sie im An-<lb/>
schlu&#x017F;s an die von Odovaker durchgeführte Landteilung ein Drittel der<lb/>
Ländereien an sich <note place="foot" n="9">Procop, De bello Got. I 1. Da&#x017F;s damit nicht ein blo&#x017F;ses Einrücken in<lb/>
die sog. herulischen Landlose gemeint sei, bemerkt mit Recht <hi rendition="#g">Gaupp</hi> a. O. S 470.<lb/>
In der Urk. Marini Nr 115 von 540 nimmt der Verkäufer in die Gewährleistungs-<lb/>
formel die Wendung auf, da&#x017F;s er die verkauften portiones übereigne liberas a sorte<lb/>
barbarica. Es ist vermutlich gemeint, da&#x017F;s die veräu&#x017F;serten portiones einer Land-<lb/>
teilung nicht mehr unterworfen werden können, weil schon der ganze Gutskomplex,<lb/>
zu dem sie gehört hatten, Gegenstand einer Realteilung geworden war. <hi rendition="#g">Savigny</hi><lb/>
I 333. Anderer Ansicht <hi rendition="#g">Gaupp</hi> S 477.</note>. Das Fiskalgut ging damals von Odovaker auf<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0084] § 11. Die Landnahme in den Provinzen angesiedelt wurden, gewiſs nicht mehr als das dem römischen Ein- quartierungssystem entsprechende Landdrittel beansprucht haben 4. Als die Stellung der Burgunder zum Reiche eine selbständigere ge- worden, das Volk sich vermehrt, durch neuen Zuzug verstärkt und seine Gebiete ausgedehnt hatte, wurde das Quotenverhältnis ein an- deres. Nach den ältesten Stellen, welche die burgundische Gesetz- sammlung über die Landteilung enthält, umfaſste die burgundische sors die Hälfte von dem ganzen unbeweglichen Vermögen des Possessors 5. Gegen Ende des fünften Jahrhunderts wurde das Ver- hältnis derart geregelt 6, daſs der burgundische hospes vom Ackerlande zwei Drittel, von den Sklaven ein Drittel, von Hof, Garten, Wald und Weide die Hälfte beanspruchen konnte. Diejenigen Burgunder, welche durch königliche Schenkung Land und Sklaven erworben hatten, sollten an dieser Ausdehnung der burgundischen Quote nicht partizipieren, sondern auf die Hälfte des Ackerlandes beschränkt bleiben und von dem possessor keine Sklaven verlangen dürfen. Mit der Hälfte des Landes muſsten sich nach einem vermutlich unter dem letzten burgundischen König entstandenen Gesetze auch neue An- kömmlinge begnügen 7, wahrscheinlich Burgunder, welche aus Gebieten, die das Reich eingebüſst hatte, zurückgewandert waren, um neue Wohnsitze zu erhalten 8. Als die Ostgoten Italien erobert hatten, nahmen sie im An- schluſs an die von Odovaker durchgeführte Landteilung ein Drittel der Ländereien an sich 9. Das Fiskalgut ging damals von Odovaker auf 4 Vgl. Jahn, Burgundionen I 397. 475. 5 Arg. Lex Burg. 13. 31. 67; Lex Rom. Burg. 17, 3. Siehe Binding a. O. S 28. 6 Lex Burg. 54. 7 Lex Burg. 107, 11: De Romanis vero hoc ordinavimus, ut non amplius a Burgundionibus, qui infra venerunt, requiratur, quam ad praesens necessitas fuerit, medietas terrae. Infra ist soviel wie intra. S. den Index zu Greg. Tur. Opera in MG SS rer. Meroving. I 950 s. v. infra. Unter den Eingewanderten können nicht alle Burgunder verstanden werden, sonst wäre der Zusatz überflüssig, sondern nur solche, welche gekommen, als der groſse Teil des Volkes fest in seinen Sitzen saſs. 8 Binding S 261. 9 Procop, De bello Got. I 1. Daſs damit nicht ein bloſses Einrücken in die sog. herulischen Landlose gemeint sei, bemerkt mit Recht Gaupp a. O. S 470. In der Urk. Marini Nr 115 von 540 nimmt der Verkäufer in die Gewährleistungs- formel die Wendung auf, daſs er die verkauften portiones übereigne liberas a sorte barbarica. Es ist vermutlich gemeint, daſs die veräuſserten portiones einer Land- teilung nicht mehr unterworfen werden können, weil schon der ganze Gutskomplex, zu dem sie gehört hatten, Gegenstand einer Realteilung geworden war. Savigny I 333. Anderer Ansicht Gaupp S 477.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/84
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/84>, abgerufen am 21.11.2024.