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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 12. Das Haus.
und Gesinde 3, stehen in der Gewalt des Hausherrn. Die Stellung des
Hausherrn äussert sich nach innen als Herrschaft, nach aussen als
Haftung. Wegen Rechtsverletzungen, die an Hausangehörigen be-
gangen werden, klagt der Herr in eigenem Namen, während er
andererseits für jegliches Verschulden einzustehen hat, das ihnen von
Dritten zur Last gelegt wird, so dass sie nach aussen hin gewisser-
massen nur als pars domus erscheinen, durch die Person des Haus-
herrn vollständig gedeckt werden.

Im Verhältnis zu unfreien Personen ist die Gewalt des Hausherrn
Konsequenz des Eigentums, also von rein sachenrechtlicher Natur.
Einen andern Charakter hatte sie in Bezug auf freie Personen der
Hausgenossenschaft, insbesondere in Bezug auf Weib und Kinder,
ledige und verwitwete Schwestern, welche als Angehörige der Sippe
von je zur Not auch gegen den Hausherrn durch die Sippe geschützt
werden konnten. Die Gewalt des Hausherrn über dieselben wird im
Verhältnis nach aussen später durch den Ausdruck Munt bezeichnet. Das
althochdeutsche Wort: die "Munt" (niederdeutsch und nordisch mund,
latinisiert mundium), welches die neuhochdeutsche Sprache nur in Ab-
leitungen und Verbindungen wie Mündel, Gemunde 4, Vormund, mund-
todt 5 bewahrte, hat die Grundbedeutung Hand, manus 6. Bildlich
gebraucht mag es einst die hausherrliche Gewalt schlechtweg be-

3 Der Hausgenosse heisst ahd. heiwo, heio. Das ahd. Fragment der Lex Salica
übersetzt in T. 1 cuicumque de familia: seinero heiwono etteshweleihemo.
4 Ein Mass, Spanne, palma. Grimm, WB IV 3290; Schmeller, Bayer.
WB I 1624.
5 Für den Entmündigten Grimm, WB VI 2693.
6 Grimm, RA S 447; Graff II 815. 813. Schmeller, Bayer. WB I 1623.
Schmid, Gesetze der Angels. S 634. Richthofen, Fries. WB S 938. Kraut
I 1--6. Heusler, Institutionen I 95 Anm 3 verweist auf Heliand 5931: mid iro
mundon gripan (mundon ist hier Konjektur, Germ. VIII 60, siehe aber u. a. Beovulf
3091. 3092: ic gefenc mid mundum); Stobbe, PrR IV 4 Anm auf eine Stelle
der Breslauer Statuten, wo von Vermögen die Rede ist, das in eines der Ehegatten
"munde verstorben worden". Auf die Bedeutung Hand führen das Wort Gemunde
(s. oben Anm 4) und das friesische Nedmond zurück (Richthofen, WB S 946).
Durchschlagend sind das altfranzösische mainbour (aus muntporo) und das italienische
manovaldo (für mundoaldus). "Man sieht leicht, dass munt in das rom. main (Hand)
umgedeutet oder übersetzt ist, wie dies auch im it. manovaldo geschah": Diez,
Etymol. WB II c, s. v. mainbour. Das von Phillips, RG S 110 Anm 1 und von
Stobbe a. O. herangezogene verhältnismässig junge Sprichwort "Morgenstunde
hat Gold im Munde" verdankt seine Entstehung vermutlich einem steifleinenen
Schulmeisterwitz über das Wort aurora (aurum in ore). In der Wendung "in verbo,
in sermone regis esse" steht verbum nicht für mundium, sondern für bannus und
bezieht sich auf den Friedensbann, welchen der König denjenigen wirkt, die er in
seinen Schutz aufnimmt. S. unten S 147 Anm 22.

§ 12. Das Haus.
und Gesinde 3, stehen in der Gewalt des Hausherrn. Die Stellung des
Hausherrn äuſsert sich nach innen als Herrschaft, nach auſsen als
Haftung. Wegen Rechtsverletzungen, die an Hausangehörigen be-
gangen werden, klagt der Herr in eigenem Namen, während er
andererseits für jegliches Verschulden einzustehen hat, das ihnen von
Dritten zur Last gelegt wird, so daſs sie nach auſsen hin gewisser-
maſsen nur als pars domus erscheinen, durch die Person des Haus-
herrn vollständig gedeckt werden.

Im Verhältnis zu unfreien Personen ist die Gewalt des Hausherrn
Konsequenz des Eigentums, also von rein sachenrechtlicher Natur.
Einen andern Charakter hatte sie in Bezug auf freie Personen der
Hausgenossenschaft, insbesondere in Bezug auf Weib und Kinder,
ledige und verwitwete Schwestern, welche als Angehörige der Sippe
von je zur Not auch gegen den Hausherrn durch die Sippe geschützt
werden konnten. Die Gewalt des Hausherrn über dieselben wird im
Verhältnis nach auſsen später durch den Ausdruck Munt bezeichnet. Das
althochdeutsche Wort: die „Munt“ (niederdeutsch und nordisch mund,
latinisiert mundium), welches die neuhochdeutsche Sprache nur in Ab-
leitungen und Verbindungen wie Mündel, Gemunde 4, Vormund, mund-
todt 5 bewahrte, hat die Grundbedeutung Hand, manus 6. Bildlich
gebraucht mag es einst die hausherrliche Gewalt schlechtweg be-

3 Der Hausgenosse heiſst ahd. hîwo, hîo. Das ahd. Fragment der Lex Salica
übersetzt in T. 1 cuicumque de familia: sînero hîwôno etteshwelîhemo.
4 Ein Maſs, Spanne, palma. Grimm, WB IV 3290; Schmeller, Bayer.
WB I 1624.
5 Für den Entmündigten Grimm, WB VI 2693.
6 Grimm, RA S 447; Graff II 815. 813. Schmeller, Bayer. WB I 1623.
Schmid, Gesetze der Angels. S 634. Richthofen, Fries. WB S 938. Kraut
I 1—6. Heusler, Institutionen I 95 Anm 3 verweist auf Heliand 5931: mid irô
mundon gripan (mundon ist hier Konjektur, Germ. VIII 60, siehe aber u. a. Beóvulf
3091. 3092: ic gefênc mid mundum); Stobbe, PrR IV 4 Anm auf eine Stelle
der Breslauer Statuten, wo von Vermögen die Rede ist, das in eines der Ehegatten
„munde verstorben worden“. Auf die Bedeutung Hand führen das Wort Gemunde
(s. oben Anm 4) und das friesische Nedmond zurück (Richthofen, WB S 946).
Durchschlagend sind das altfranzösische mainbour (aus muntporo) und das italienische
manovaldo (für mundoaldus). „Man sieht leicht, daſs munt in das rom. main (Hand)
umgedeutet oder übersetzt ist, wie dies auch im it. manovaldo geschah“: Diez,
Etymol. WB II c, s. v. mainbour. Das von Phillips, RG S 110 Anm 1 und von
Stobbe a. O. herangezogene verhältnismäſsig junge Sprichwort „Morgenstunde
hat Gold im Munde“ verdankt seine Entstehung vermutlich einem steifleinenen
Schulmeisterwitz über das Wort aurora (aurum in ore). In der Wendung „in verbo,
in sermone regis esse“ steht verbum nicht für mundium, sondern für bannus und
bezieht sich auf den Friedensbann, welchen der König denjenigen wirkt, die er in
seinen Schutz aufnimmt. S. unten S 147 Anm 22.
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[71/0089] § 12. Das Haus. und Gesinde 3, stehen in der Gewalt des Hausherrn. Die Stellung des Hausherrn äuſsert sich nach innen als Herrschaft, nach auſsen als Haftung. Wegen Rechtsverletzungen, die an Hausangehörigen be- gangen werden, klagt der Herr in eigenem Namen, während er andererseits für jegliches Verschulden einzustehen hat, das ihnen von Dritten zur Last gelegt wird, so daſs sie nach auſsen hin gewisser- maſsen nur als pars domus erscheinen, durch die Person des Haus- herrn vollständig gedeckt werden. Im Verhältnis zu unfreien Personen ist die Gewalt des Hausherrn Konsequenz des Eigentums, also von rein sachenrechtlicher Natur. Einen andern Charakter hatte sie in Bezug auf freie Personen der Hausgenossenschaft, insbesondere in Bezug auf Weib und Kinder, ledige und verwitwete Schwestern, welche als Angehörige der Sippe von je zur Not auch gegen den Hausherrn durch die Sippe geschützt werden konnten. Die Gewalt des Hausherrn über dieselben wird im Verhältnis nach auſsen später durch den Ausdruck Munt bezeichnet. Das althochdeutsche Wort: die „Munt“ (niederdeutsch und nordisch mund, latinisiert mundium), welches die neuhochdeutsche Sprache nur in Ab- leitungen und Verbindungen wie Mündel, Gemunde 4, Vormund, mund- todt 5 bewahrte, hat die Grundbedeutung Hand, manus 6. Bildlich gebraucht mag es einst die hausherrliche Gewalt schlechtweg be- 3 Der Hausgenosse heiſst ahd. hîwo, hîo. Das ahd. Fragment der Lex Salica übersetzt in T. 1 cuicumque de familia: sînero hîwôno etteshwelîhemo. 4 Ein Maſs, Spanne, palma. Grimm, WB IV 3290; Schmeller, Bayer. WB I 1624. 5 Für den Entmündigten Grimm, WB VI 2693. 6 Grimm, RA S 447; Graff II 815. 813. Schmeller, Bayer. WB I 1623. Schmid, Gesetze der Angels. S 634. Richthofen, Fries. WB S 938. Kraut I 1—6. Heusler, Institutionen I 95 Anm 3 verweist auf Heliand 5931: mid irô mundon gripan (mundon ist hier Konjektur, Germ. VIII 60, siehe aber u. a. Beóvulf 3091. 3092: ic gefênc mid mundum); Stobbe, PrR IV 4 Anm auf eine Stelle der Breslauer Statuten, wo von Vermögen die Rede ist, das in eines der Ehegatten „munde verstorben worden“. Auf die Bedeutung Hand führen das Wort Gemunde (s. oben Anm 4) und das friesische Nedmond zurück (Richthofen, WB S 946). Durchschlagend sind das altfranzösische mainbour (aus muntporo) und das italienische manovaldo (für mundoaldus). „Man sieht leicht, daſs munt in das rom. main (Hand) umgedeutet oder übersetzt ist, wie dies auch im it. manovaldo geschah“: Diez, Etymol. WB II c, s. v. mainbour. Das von Phillips, RG S 110 Anm 1 und von Stobbe a. O. herangezogene verhältnismäſsig junge Sprichwort „Morgenstunde hat Gold im Munde“ verdankt seine Entstehung vermutlich einem steifleinenen Schulmeisterwitz über das Wort aurora (aurum in ore). In der Wendung „in verbo, in sermone regis esse“ steht verbum nicht für mundium, sondern für bannus und bezieht sich auf den Friedensbann, welchen der König denjenigen wirkt, die er in seinen Schutz aufnimmt. S. unten S 147 Anm 22.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/89>, abgerufen am 24.11.2024.