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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum
durch eine Vergabungsurkunde der römischen Kirche9, das heisst jenem
politischen Embryo, dessen staatsrechtlicher Begriff und Umfang unter
dem Namen res publica beati Petri oder Romanorum wohl nicht ohne
Absicht im Unklaren gehalten wurde10. Das Versprechen von Kiersy
hat dann Karl der Grosse 774 auf seinem ersten italienischen Feld-
zuge bestätigt und erneuert11. Von Ludwig I. erhielt die römische
Kirche 817 eine Bestätigung ihres Besitzstandes durch das sogenannte
pactum Hludowici, das nur in Abschriften vorliegt, in welchen der
Text der echten Vorlage verfälscht ist12.

Um König Pippin als Schirmherrn der römischen Kirche zu ge-
winnen, machte ihn Stefan II. 754 zum Patricius Romanorum. Der
neue Patriciat war nicht als blosser Excellenztitel gemeint, wie ihn
die byzantinischen Kaiser zu verleihen pflegten13, sondern sollte seinem
Inhaber eine Stellung übertragen, für welche die des früheren Exarchen
von Ravenna als Vorbild gedacht war. Er war nicht Rang-, sondern
Amtstitel. Der Patriciat verhält sich zum Kaisertum, dem er als Vor-
stufe diente, etwa so wie das Hausmeiertum zum Königtum des karo-

9 Ann. Lauriss. 756: Ravennam cum Pentapoli et omni Exarcatu conquisivit
et s. Petro tradidit. Vita Steph. c. 46: emisit in scriptis donationem, quae hactenus
in archivo nostrae ecclesiae recondita tenetur. Der Passus ist, wie die Fortsetzung
ergiebt, auf Pippin nicht auf Aistulf zu beziehen. A. A. Kohl bei Richter, An-
nalen II 677, Anm. 2. Die Schenkung des Exarchats steigerte an sich das Recht
des Papstes in dem früher de iure von Ravenna abhängigen Dukat.
10 Nach Diehl S. 222 wäre Zacharias nur im Auftrag des oströmischen
Kaisers über die Alpen gegangen, hätte dort nur als dessen Bevollmächtigter ab-
geschlossen; aber Pippin habe 754 'en vrai barbare' mit Missachtung der kaiser-
lichen Rechte den Exarchat dem Papste angeboten, der sich von Pippin verführen
liess und das Angebot annahm. Zu dieser Auffassung, welche den wirklichen Her-
gang auf den Kopf stellt, gelangt Diehl dadurch, dass er den Ausdruck res pu-
blica auf den oströmischen Kaiser bezieht.
11 Da uns die Urkunden Pippins und Karls nicht überliefert sind, so bleibt
es streitig und unsicher, welches die Bedingungen, die Vorbehalte und der Umfang
ihrer sogen. Schenkungen waren. Die Nachrichten der Vita Hadriani entsprechen
den nachmals gesteigerten Ansprüchen der Kurie und sind hinsichtlich der Grenz-
bestimmung unglaubwürdig.
12 Cap. I 352. Nach Th. Sickel, Privilegium Otto I., S. 52, geht die
Überlieferung des Ludowicianum auf eine einzige Kopie oder Redaktion des elften
Jahrhunderts zurück. Ein Pactum, welches Johann VIII. i. J. 875 von Karl II.
erhielt, ist uns nicht überliefert. Richter, Annalen II 435. Abgesehen von den
Gebieten, in welchen sie Hoheitsrechte erwarben, liessen sich die Päpste von den
Karolingern eine Anzahl von Patrimonien restituieren, schenken und bestätigen,
d. h. von Gütern, die Eigentum der römischen Kirche waren oder wurden.
13 Das zeigt schon der Zusatz 'Romanorum'. Die Clausula S. Dionysii bezieht
die Salbung auch auf den Patricius. Ebenso das Chron. Moiss. MG SS I 293.

§ 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum
durch eine Vergabungsurkunde der römischen Kirche9, das heiſst jenem
politischen Embryo, dessen staatsrechtlicher Begriff und Umfang unter
dem Namen res publica beati Petri oder Romanorum wohl nicht ohne
Absicht im Unklaren gehalten wurde10. Das Versprechen von Kiersy
hat dann Karl der Groſse 774 auf seinem ersten italienischen Feld-
zuge bestätigt und erneuert11. Von Ludwig I. erhielt die römische
Kirche 817 eine Bestätigung ihres Besitzstandes durch das sogenannte
pactum Hludowici, das nur in Abschriften vorliegt, in welchen der
Text der echten Vorlage verfälscht ist12.

Um König Pippin als Schirmherrn der römischen Kirche zu ge-
winnen, machte ihn Stefan II. 754 zum Patricius Romanorum. Der
neue Patriciat war nicht als bloſser Excellenztitel gemeint, wie ihn
die byzantinischen Kaiser zu verleihen pflegten13, sondern sollte seinem
Inhaber eine Stellung übertragen, für welche die des früheren Exarchen
von Ravenna als Vorbild gedacht war. Er war nicht Rang-, sondern
Amtstitel. Der Patriciat verhält sich zum Kaisertum, dem er als Vor-
stufe diente, etwa so wie das Hausmeiertum zum Königtum des karo-

9 Ann. Lauriss. 756: Ravennam cum Pentapoli et omni Exarcatu conquisivit
et s. Petro tradidit. Vita Steph. c. 46: emisit in scriptis donationem, quae hactenus
in archivo nostrae ecclesiae recondita tenetur. Der Passus ist, wie die Fortsetzung
ergiebt, auf Pippin nicht auf Aistulf zu beziehen. A. A. Kohl bei Richter, An-
nalen II 677, Anm. 2. Die Schenkung des Exarchats steigerte an sich das Recht
des Papstes in dem früher de iure von Ravenna abhängigen Dukat.
10 Nach Diehl S. 222 wäre Zacharias nur im Auftrag des oströmischen
Kaisers über die Alpen gegangen, hätte dort nur als dessen Bevollmächtigter ab-
geschlossen; aber Pippin habe 754 ‘en vrai barbare’ mit Miſsachtung der kaiser-
lichen Rechte den Exarchat dem Papste angeboten, der sich von Pippin verführen
lieſs und das Angebot annahm. Zu dieser Auffassung, welche den wirklichen Her-
gang auf den Kopf stellt, gelangt Diehl dadurch, daſs er den Ausdruck res pu-
blica auf den oströmischen Kaiser bezieht.
11 Da uns die Urkunden Pippins und Karls nicht überliefert sind, so bleibt
es streitig und unsicher, welches die Bedingungen, die Vorbehalte und der Umfang
ihrer sogen. Schenkungen waren. Die Nachrichten der Vita Hadriani entsprechen
den nachmals gesteigerten Ansprüchen der Kurie und sind hinsichtlich der Grenz-
bestimmung unglaubwürdig.
12 Cap. I 352. Nach Th. Sickel, Privilegium Otto I., S. 52, geht die
Überlieferung des Ludowicianum auf eine einzige Kopie oder Redaktion des elften
Jahrhunderts zurück. Ein Pactum, welches Johann VIII. i. J. 875 von Karl II.
erhielt, ist uns nicht überliefert. Richter, Annalen II 435. Abgesehen von den
Gebieten, in welchen sie Hoheitsrechte erwarben, lieſsen sich die Päpste von den
Karolingern eine Anzahl von Patrimonien restituieren, schenken und bestätigen,
d. h. von Gütern, die Eigentum der römischen Kirche waren oder wurden.
13 Das zeigt schon der Zusatz ‘Romanorum’. Die Clausula S. Dionysii bezieht
die Salbung auch auf den Patricius. Ebenso das Chron. Moiss. MG SS I 293.
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[86/0104] § 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum durch eine Vergabungsurkunde der römischen Kirche 9, das heiſst jenem politischen Embryo, dessen staatsrechtlicher Begriff und Umfang unter dem Namen res publica beati Petri oder Romanorum wohl nicht ohne Absicht im Unklaren gehalten wurde 10. Das Versprechen von Kiersy hat dann Karl der Groſse 774 auf seinem ersten italienischen Feld- zuge bestätigt und erneuert 11. Von Ludwig I. erhielt die römische Kirche 817 eine Bestätigung ihres Besitzstandes durch das sogenannte pactum Hludowici, das nur in Abschriften vorliegt, in welchen der Text der echten Vorlage verfälscht ist 12. Um König Pippin als Schirmherrn der römischen Kirche zu ge- winnen, machte ihn Stefan II. 754 zum Patricius Romanorum. Der neue Patriciat war nicht als bloſser Excellenztitel gemeint, wie ihn die byzantinischen Kaiser zu verleihen pflegten 13, sondern sollte seinem Inhaber eine Stellung übertragen, für welche die des früheren Exarchen von Ravenna als Vorbild gedacht war. Er war nicht Rang-, sondern Amtstitel. Der Patriciat verhält sich zum Kaisertum, dem er als Vor- stufe diente, etwa so wie das Hausmeiertum zum Königtum des karo- 9 Ann. Lauriss. 756: Ravennam cum Pentapoli et omni Exarcatu conquisivit et s. Petro tradidit. Vita Steph. c. 46: emisit in scriptis donationem, quae hactenus in archivo nostrae ecclesiae recondita tenetur. Der Passus ist, wie die Fortsetzung ergiebt, auf Pippin nicht auf Aistulf zu beziehen. A. A. Kohl bei Richter, An- nalen II 677, Anm. 2. Die Schenkung des Exarchats steigerte an sich das Recht des Papstes in dem früher de iure von Ravenna abhängigen Dukat. 10 Nach Diehl S. 222 wäre Zacharias nur im Auftrag des oströmischen Kaisers über die Alpen gegangen, hätte dort nur als dessen Bevollmächtigter ab- geschlossen; aber Pippin habe 754 ‘en vrai barbare’ mit Miſsachtung der kaiser- lichen Rechte den Exarchat dem Papste angeboten, der sich von Pippin verführen lieſs und das Angebot annahm. Zu dieser Auffassung, welche den wirklichen Her- gang auf den Kopf stellt, gelangt Diehl dadurch, daſs er den Ausdruck res pu- blica auf den oströmischen Kaiser bezieht. 11 Da uns die Urkunden Pippins und Karls nicht überliefert sind, so bleibt es streitig und unsicher, welches die Bedingungen, die Vorbehalte und der Umfang ihrer sogen. Schenkungen waren. Die Nachrichten der Vita Hadriani entsprechen den nachmals gesteigerten Ansprüchen der Kurie und sind hinsichtlich der Grenz- bestimmung unglaubwürdig. 12 Cap. I 352. Nach Th. Sickel, Privilegium Otto I., S. 52, geht die Überlieferung des Ludowicianum auf eine einzige Kopie oder Redaktion des elften Jahrhunderts zurück. Ein Pactum, welches Johann VIII. i. J. 875 von Karl II. erhielt, ist uns nicht überliefert. Richter, Annalen II 435. Abgesehen von den Gebieten, in welchen sie Hoheitsrechte erwarben, lieſsen sich die Päpste von den Karolingern eine Anzahl von Patrimonien restituieren, schenken und bestätigen, d. h. von Gütern, die Eigentum der römischen Kirche waren oder wurden. 13 Das zeigt schon der Zusatz ‘Romanorum’. Die Clausula S. Dionysii bezieht die Salbung auch auf den Patricius. Ebenso das Chron. Moiss. MG SS I 293.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/104>, abgerufen am 21.11.2024.