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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 76. Volksversammlungen und Hoftage.
Noch sucht der König für ausserordentliche Entschlüsse die Zustim-
mung des Heeres zu gewinnen: so damals, als er es zum Kampfe
gegen die Westgoten aufruft 3. Noch kennt die fränkische Reichs-
verfassung eine ordentliche Heerversammlung, die als Heerschau dient
und, weil sie im Monat März zusammentritt, wie vermutlich einst die
entsprechende Landesgemeinde der Franken, Märzfeld, campus Mar-
tius heisst 4. Unter Chlodovechs Nachfolgern liegen die Verhältnisse
verschieden in den südwestlichen und in den nordöstlichen Reichs-
teilen. Wo die Heere ausschliesslich oder fast ausschliesslich aus
Deutschen bestehen, regen sich populare Strömungen, auf die das
Königtum Rücksicht nehmen muss. So ruft Theuderich seine Franken
zusammen, um sie zum Kriege gegen die Thüringer zu bewegen 5.
Als er die Teilnahme an dem Feldzuge gegen Burgund ablehnt,
drohen die Franken von ihm abzufallen. Erst als der König ihnen
einen Beutezug in die Auvergne verheisst, versprechen sie seinen
Willen zu erfüllen 6. Chlothar I. fordert an der sächsischen Grenze
sein Heer mehrmals auf, sich auf den von den Sachsen angebotenen
Frieden einzulassen, wird aber gegen seinen Willen zum Kampfe ge-
zwungen 7. Als die Arnulfinger von Austrasien aus die Reichsgewalt
wiederhergestellt hatten, zogen sie das Volk bei wichtigen Anlässen
zur Entscheidung über Krieg und Frieden heran. Die Antwort,
die Karl Martell auf den Hilferuf des Papstes gab, war von ihm und
dem Volke beschlossen 8. Nach Beratung des Volkes begann Pippin
den Kampf gegen Waifar von Aquitanien. Nach dem Rate der Fran-
ken und seiner Grossen wies er 764 Waifars Friedensantrag zurück 9.
In den Jahren 754 und 773 erfolgten die Unternehmungen gegen die
Langobarden nach Befragung des Volkes.


petit .. Vgl. oben S. 37, Anm. 20. W. Sickel geht in der Anwendung privat-
rechtlicher Gesichtspunkte viel zu weit, wenn er das Heer in dieser Thätigkeit nur
als eine Erwerbsgesellschaft auffasst, die über Verteilung des erworbenen Miteigen-
tums beschliesst (Die merow. Volksversammlung S. 300 f.).
3 Greg. Tur. Hist. Franc. II 37: cumque placuisset omnibus hic sermo, com-
moto exercitu Pectavus dirigit.
4 Greg. Tur. Hist. Franc. II 27. Vgl. Gregor Tur. a. O. II 8 und dazu
W. Sickel, Die merow. Volksversammlung, S. 338, Anm. 1.
5 Greg. Tur. Hist. Franc. III 7: convocatis Francis dicit ad eos ... quod illi
audientes .. uno animo eademque sententia Thoringiam petierunt.
6 Greg. Tur. Hist. Franc. III 11.
7 Greg. Tur. Hist. Franc. IV 14.
8 Er antwortet quae sibi et populo Francorum visa fuerunt. Chron. Moiss.
MG SS I 192.
9 Ann. Lauriss. zu 760, MG SS I 142. Fredeg. Cont. c. 47 (130).

§ 76. Volksversammlungen und Hoftage.
Noch sucht der König für auſserordentliche Entschlüsse die Zustim-
mung des Heeres zu gewinnen: so damals, als er es zum Kampfe
gegen die Westgoten aufruft 3. Noch kennt die fränkische Reichs-
verfassung eine ordentliche Heerversammlung, die als Heerschau dient
und, weil sie im Monat März zusammentritt, wie vermutlich einst die
entsprechende Landesgemeinde der Franken, Märzfeld, campus Mar-
tius heiſst 4. Unter Chlodovechs Nachfolgern liegen die Verhältnisse
verschieden in den südwestlichen und in den nordöstlichen Reichs-
teilen. Wo die Heere ausschlieſslich oder fast ausschlieſslich aus
Deutschen bestehen, regen sich populare Strömungen, auf die das
Königtum Rücksicht nehmen muſs. So ruft Theuderich seine Franken
zusammen, um sie zum Kriege gegen die Thüringer zu bewegen 5.
Als er die Teilnahme an dem Feldzuge gegen Burgund ablehnt,
drohen die Franken von ihm abzufallen. Erst als der König ihnen
einen Beutezug in die Auvergne verheiſst, versprechen sie seinen
Willen zu erfüllen 6. Chlothar I. fordert an der sächsischen Grenze
sein Heer mehrmals auf, sich auf den von den Sachsen angebotenen
Frieden einzulassen, wird aber gegen seinen Willen zum Kampfe ge-
zwungen 7. Als die Arnulfinger von Austrasien aus die Reichsgewalt
wiederhergestellt hatten, zogen sie das Volk bei wichtigen Anlässen
zur Entscheidung über Krieg und Frieden heran. Die Antwort,
die Karl Martell auf den Hilferuf des Papstes gab, war von ihm und
dem Volke beschlossen 8. Nach Beratung des Volkes begann Pippin
den Kampf gegen Waifar von Aquitanien. Nach dem Rate der Fran-
ken und seiner Groſsen wies er 764 Waifars Friedensantrag zurück 9.
In den Jahren 754 und 773 erfolgten die Unternehmungen gegen die
Langobarden nach Befragung des Volkes.


petit .. Vgl. oben S. 37, Anm. 20. W. Sickel geht in der Anwendung privat-
rechtlicher Gesichtspunkte viel zu weit, wenn er das Heer in dieser Thätigkeit nur
als eine Erwerbsgesellschaft auffaſst, die über Verteilung des erworbenen Miteigen-
tums beschlieſst (Die merow. Volksversammlung S. 300 f.).
3 Greg. Tur. Hist. Franc. II 37: cumque placuisset omnibus hic sermo, com-
moto exercitu Pectavus dirigit.
4 Greg. Tur. Hist. Franc. II 27. Vgl. Gregor Tur. a. O. II 8 und dazu
W. Sickel, Die merow. Volksversammlung, S. 338, Anm. 1.
5 Greg. Tur. Hist. Franc. III 7: convocatis Francis dicit ad eos … quod illi
audientes .. uno animo eademque sententia Thoringiam petierunt.
6 Greg. Tur. Hist. Franc. III 11.
7 Greg. Tur. Hist. Franc. IV 14.
8 Er antwortet quae sibi et populo Francorum visa fuerunt. Chron. Moiss.
MG SS I 192.
9 Ann. Lauriss. zu 760, MG SS I 142. Fredeg. Cont. c. 47 (130).
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[127/0145] § 76. Volksversammlungen und Hoftage. Noch sucht der König für auſserordentliche Entschlüsse die Zustim- mung des Heeres zu gewinnen: so damals, als er es zum Kampfe gegen die Westgoten aufruft 3. Noch kennt die fränkische Reichs- verfassung eine ordentliche Heerversammlung, die als Heerschau dient und, weil sie im Monat März zusammentritt, wie vermutlich einst die entsprechende Landesgemeinde der Franken, Märzfeld, campus Mar- tius heiſst 4. Unter Chlodovechs Nachfolgern liegen die Verhältnisse verschieden in den südwestlichen und in den nordöstlichen Reichs- teilen. Wo die Heere ausschlieſslich oder fast ausschlieſslich aus Deutschen bestehen, regen sich populare Strömungen, auf die das Königtum Rücksicht nehmen muſs. So ruft Theuderich seine Franken zusammen, um sie zum Kriege gegen die Thüringer zu bewegen 5. Als er die Teilnahme an dem Feldzuge gegen Burgund ablehnt, drohen die Franken von ihm abzufallen. Erst als der König ihnen einen Beutezug in die Auvergne verheiſst, versprechen sie seinen Willen zu erfüllen 6. Chlothar I. fordert an der sächsischen Grenze sein Heer mehrmals auf, sich auf den von den Sachsen angebotenen Frieden einzulassen, wird aber gegen seinen Willen zum Kampfe ge- zwungen 7. Als die Arnulfinger von Austrasien aus die Reichsgewalt wiederhergestellt hatten, zogen sie das Volk bei wichtigen Anlässen zur Entscheidung über Krieg und Frieden heran. Die Antwort, die Karl Martell auf den Hilferuf des Papstes gab, war von ihm und dem Volke beschlossen 8. Nach Beratung des Volkes begann Pippin den Kampf gegen Waifar von Aquitanien. Nach dem Rate der Fran- ken und seiner Groſsen wies er 764 Waifars Friedensantrag zurück 9. In den Jahren 754 und 773 erfolgten die Unternehmungen gegen die Langobarden nach Befragung des Volkes. 2 3 Greg. Tur. Hist. Franc. II 37: cumque placuisset omnibus hic sermo, com- moto exercitu Pectavus dirigit. 4 Greg. Tur. Hist. Franc. II 27. Vgl. Gregor Tur. a. O. II 8 und dazu W. Sickel, Die merow. Volksversammlung, S. 338, Anm. 1. 5 Greg. Tur. Hist. Franc. III 7: convocatis Francis dicit ad eos … quod illi audientes .. uno animo eademque sententia Thoringiam petierunt. 6 Greg. Tur. Hist. Franc. III 11. 7 Greg. Tur. Hist. Franc. IV 14. 8 Er antwortet quae sibi et populo Francorum visa fuerunt. Chron. Moiss. MG SS I 192. 9 Ann. Lauriss. zu 760, MG SS I 142. Fredeg. Cont. c. 47 (130). 2 petit .. Vgl. oben S. 37, Anm. 20. W. Sickel geht in der Anwendung privat- rechtlicher Gesichtspunkte viel zu weit, wenn er das Heer in dieser Thätigkeit nur als eine Erwerbsgesellschaft auffaſst, die über Verteilung des erworbenen Miteigen- tums beschlieſst (Die merow. Volksversammlung S. 300 f.).

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/145>, abgerufen am 21.11.2024.