Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 79. Das Ämterwesen der Lex Salica. bei der Anpfändung 11 und in den älteren Texten der Lex bei derEntsippung 12. Der volksgerichtliche mallus der Lex Salica ist ent- weder der mallus legitimus, dem der Thungin vorsitzt, oder das ge- botene Ding, welches einerseits der Thungin, andererseits der Cente- nar anzusagen und zu leiten befugt sind. Wäre der Thungin der Hundertschaftsbeamte gewesen, so hätte es zur Zeit der Entstehung der Lex Salica ausser dem Könige nur Richter gegeben, von welchen jeder einzelne in seiner Thätigkeit auf den Bezirk seiner Hundert- schaft beschränkt war. Das wäre ein Rechtszustand gewesen, der sich ebenso sehr unterschiede von der Art, wie später die Grafen die Rechtspflege ausübten, indem sie als Richter des ganzen Gaues die einzelnen Hundertschaften bereisten, um daselbst Gericht zu halten, als von der wandernden Rechtspflege der germanischen Gaufürsten 13. Müssen wir nach alledem annehmen, dass Thungin und Centenar von Hause aus verschiedene Beamte waren, so ergiebt sich als nächst- liegende Konsequenz, dass der Thungin wie später der Graf die Ge- richtsbarkeit im ganzen Gau ausübte und nur in den gebotenen Dingen von dem Centenar, dem Vorsteher der Hundertschaft, vertreten wer- den konnte. In die richterlichen Funktionen des vom Volke wohl meistens aus bestimmten Familien gewählten Thungins sind nachmals die vom König ernannten Grafen getreten, denen es auch im Laufe der Zeit regelmässig gelang, den Centenar zu ihrem Unterbeamten herabzudrücken. Dunkel ist die Stellung des Beamten, den die Lex Salica als ante rege aut in mallo publico legitimo, hoc est in mallobergo: ante theoda aut thunginum, vorgenommen worden ist. Über theoda vgl. oben I 120. 11 Lex Sal. 50, 2, wo die Emendata den Thungin durch iudex ersetzt. 12 Lex Sal. 60, 1, Cod. 1--4, 7--9. 13 Siehe oben I 149. 14 In jüngeren Texten auch sachibaro, sacibaro, saxbaro, sagsbaro, sagibaro, sagbaro. Statt baro auch boro, borro. 15 Lex Sal. 54, 4: et de causas aliquid de quod eis solvuntur factum dixerint,
hoc ad grafionem non requiratur, unde ille (illi) securitatem feceri(n)t. Sanum di- cere in Cod. 5. 6. 10 ist nicht entscheiden, sondern sachlich dasselbe wie securi- § 79. Das Ämterwesen der Lex Salica. bei der Anpfändung 11 und in den älteren Texten der Lex bei derEntsippung 12. Der volksgerichtliche mallus der Lex Salica ist ent- weder der mallus legitimus, dem der Thungin vorsitzt, oder das ge- botene Ding, welches einerseits der Thungin, andererseits der Cente- nar anzusagen und zu leiten befugt sind. Wäre der Thungin der Hundertschaftsbeamte gewesen, so hätte es zur Zeit der Entstehung der Lex Salica auſser dem Könige nur Richter gegeben, von welchen jeder einzelne in seiner Thätigkeit auf den Bezirk seiner Hundert- schaft beschränkt war. Das wäre ein Rechtszustand gewesen, der sich ebenso sehr unterschiede von der Art, wie später die Grafen die Rechtspflege ausübten, indem sie als Richter des ganzen Gaues die einzelnen Hundertschaften bereisten, um daselbst Gericht zu halten, als von der wandernden Rechtspflege der germanischen Gaufürsten 13. Müssen wir nach alledem annehmen, daſs Thungin und Centenar von Hause aus verschiedene Beamte waren, so ergiebt sich als nächst- liegende Konsequenz, daſs der Thungin wie später der Graf die Ge- richtsbarkeit im ganzen Gau ausübte und nur in den gebotenen Dingen von dem Centenar, dem Vorsteher der Hundertschaft, vertreten wer- den konnte. In die richterlichen Funktionen des vom Volke wohl meistens aus bestimmten Familien gewählten Thungins sind nachmals die vom König ernannten Grafen getreten, denen es auch im Laufe der Zeit regelmäſsig gelang, den Centenar zu ihrem Unterbeamten herabzudrücken. Dunkel ist die Stellung des Beamten, den die Lex Salica als ante rege aut in mallo publico legitimo, hoc est in mallobergo: ante theoda aut thunginum, vorgenommen worden ist. Über theoda vgl. oben I 120. 11 Lex Sal. 50, 2, wo die Emendata den Thungin durch iudex ersetzt. 12 Lex Sal. 60, 1, Cod. 1—4, 7—9. 13 Siehe oben I 149. 14 In jüngeren Texten auch sachibaro, sacibaro, saxbaro, sagsbaro, sagibaro, sagbaro. Statt baro auch boro, borro. 15 Lex Sal. 54, 4: et de causas aliquid de quod eis solvuntur factum dixerint,
hoc ad grafionem non requiratur, unde ille (illi) securitatem feceri(n)t. Sanum di- cere in Cod. 5. 6. 10 ist nicht entscheiden, sondern sachlich dasselbe wie securi- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0169" n="151"/><fw place="top" type="header">§ 79. Das Ämterwesen der Lex Salica.</fw><lb/> bei der Anpfändung <note place="foot" n="11">Lex Sal. 50, 2, wo die Emendata den Thungin durch iudex ersetzt.</note> und in den älteren Texten der Lex bei der<lb/> Entsippung <note place="foot" n="12">Lex Sal. 60, 1, Cod. 1—4, 7—9.</note>. Der volksgerichtliche mallus der Lex Salica ist ent-<lb/> weder der mallus legitimus, dem der Thungin vorsitzt, oder das ge-<lb/> botene Ding, welches einerseits der Thungin, andererseits der Cente-<lb/> nar anzusagen und zu leiten befugt sind. Wäre der Thungin der<lb/> Hundertschaftsbeamte gewesen, so hätte es zur Zeit der Entstehung<lb/> der Lex Salica auſser dem Könige nur Richter gegeben, von welchen<lb/> jeder einzelne in seiner Thätigkeit auf den Bezirk seiner Hundert-<lb/> schaft beschränkt war. Das wäre ein Rechtszustand gewesen, der sich<lb/> ebenso sehr unterschiede von der Art, wie später die Grafen die<lb/> Rechtspflege ausübten, indem sie als Richter des ganzen Gaues die<lb/> einzelnen Hundertschaften bereisten, um daselbst Gericht zu halten,<lb/> als von der wandernden Rechtspflege der germanischen Gaufürsten <note place="foot" n="13">Siehe oben I 149.</note>.<lb/> Müssen wir nach alledem annehmen, daſs Thungin und Centenar von<lb/> Hause aus verschiedene Beamte waren, so ergiebt sich als nächst-<lb/> liegende Konsequenz, daſs der Thungin wie später der Graf die Ge-<lb/> richtsbarkeit im ganzen Gau ausübte und nur in den gebotenen Dingen<lb/> von dem Centenar, dem Vorsteher der Hundertschaft, vertreten wer-<lb/> den konnte. In die richterlichen Funktionen des vom Volke wohl<lb/> meistens aus bestimmten Familien gewählten Thungins sind nachmals<lb/> die vom König ernannten Grafen getreten, denen es auch im Laufe<lb/> der Zeit regelmäſsig gelang, den Centenar zu ihrem Unterbeamten<lb/> herabzudrücken.</p><lb/> <p>Dunkel ist die Stellung des Beamten, den die Lex Salica als<lb/> sacebaro <note place="foot" n="14">In jüngeren Texten auch sachibaro, sacibaro, saxbaro, sagsbaro, sagibaro,<lb/> sagbaro. Statt baro auch boro, borro.</note> bezeichnet. Sie sagt, daſs der sacebarones an einem Mal-<lb/> berg nicht mehr als drei sein sollen. Der Sacebaro kann puer regis<lb/> sein und hat das dreifache Wergeld seiner Geburt, eine Bestimmung,<lb/> die ihn als königlichen Beamten auſser Zweifel setzt. Die Sacebarone<lb/> haben eine Wirksamkeit, welche mit der des Grafen konkurrieren<lb/> kann; denn sie nehmen Zahlungen entgegen in Sachen, welche dann<lb/> der Graf nicht mehr geltend machen darf <note xml:id="seg2pn_36_1" next="#seg2pn_36_2" place="foot" n="15">Lex Sal. 54, 4: et de causas aliquid de quod eis solvuntur factum dixerint,<lb/> hoc ad grafionem non requiratur, unde ille (illi) securitatem feceri(n)t. Sanum di-<lb/> cere in Cod. 5. 6. 10 ist nicht entscheiden, sondern sachlich dasselbe wie securi-</note>.</p><lb/> <p> <note xml:id="seg2pn_35_2" prev="#seg2pn_35_1" place="foot" n="10">ante rege aut in mallo publico legitimo, hoc est in mallobergo: ante theoda aut<lb/> thunginum, vorgenommen worden ist. Über theoda vgl. oben I 120.</note> </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [151/0169]
§ 79. Das Ämterwesen der Lex Salica.
bei der Anpfändung 11 und in den älteren Texten der Lex bei der
Entsippung 12. Der volksgerichtliche mallus der Lex Salica ist ent-
weder der mallus legitimus, dem der Thungin vorsitzt, oder das ge-
botene Ding, welches einerseits der Thungin, andererseits der Cente-
nar anzusagen und zu leiten befugt sind. Wäre der Thungin der
Hundertschaftsbeamte gewesen, so hätte es zur Zeit der Entstehung
der Lex Salica auſser dem Könige nur Richter gegeben, von welchen
jeder einzelne in seiner Thätigkeit auf den Bezirk seiner Hundert-
schaft beschränkt war. Das wäre ein Rechtszustand gewesen, der sich
ebenso sehr unterschiede von der Art, wie später die Grafen die
Rechtspflege ausübten, indem sie als Richter des ganzen Gaues die
einzelnen Hundertschaften bereisten, um daselbst Gericht zu halten,
als von der wandernden Rechtspflege der germanischen Gaufürsten 13.
Müssen wir nach alledem annehmen, daſs Thungin und Centenar von
Hause aus verschiedene Beamte waren, so ergiebt sich als nächst-
liegende Konsequenz, daſs der Thungin wie später der Graf die Ge-
richtsbarkeit im ganzen Gau ausübte und nur in den gebotenen Dingen
von dem Centenar, dem Vorsteher der Hundertschaft, vertreten wer-
den konnte. In die richterlichen Funktionen des vom Volke wohl
meistens aus bestimmten Familien gewählten Thungins sind nachmals
die vom König ernannten Grafen getreten, denen es auch im Laufe
der Zeit regelmäſsig gelang, den Centenar zu ihrem Unterbeamten
herabzudrücken.
Dunkel ist die Stellung des Beamten, den die Lex Salica als
sacebaro 14 bezeichnet. Sie sagt, daſs der sacebarones an einem Mal-
berg nicht mehr als drei sein sollen. Der Sacebaro kann puer regis
sein und hat das dreifache Wergeld seiner Geburt, eine Bestimmung,
die ihn als königlichen Beamten auſser Zweifel setzt. Die Sacebarone
haben eine Wirksamkeit, welche mit der des Grafen konkurrieren
kann; denn sie nehmen Zahlungen entgegen in Sachen, welche dann
der Graf nicht mehr geltend machen darf 15.
10
11 Lex Sal. 50, 2, wo die Emendata den Thungin durch iudex ersetzt.
12 Lex Sal. 60, 1, Cod. 1—4, 7—9.
13 Siehe oben I 149.
14 In jüngeren Texten auch sachibaro, sacibaro, saxbaro, sagsbaro, sagibaro,
sagbaro. Statt baro auch boro, borro.
15 Lex Sal. 54, 4: et de causas aliquid de quod eis solvuntur factum dixerint,
hoc ad grafionem non requiratur, unde ille (illi) securitatem feceri(n)t. Sanum di-
cere in Cod. 5. 6. 10 ist nicht entscheiden, sondern sachlich dasselbe wie securi-
10 ante rege aut in mallo publico legitimo, hoc est in mallobergo: ante theoda aut
thunginum, vorgenommen worden ist. Über theoda vgl. oben I 120.
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