Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 81. Die Grafen.
diesen 5 war er ein Rangtitel, der im Anschluss an die Gliederung des
kaiserlichen Gefolges sich in drei Rangklassen, ordines, abstufte und
entweder persönlich verliehen oder dauernd mit bestimmten Ämtern
verbunden wurde. Bei gewissen Amtskategorieen diente er als Amts-
titel oder genauer gesagt als Bestandteil des Amtstitels 6. Das frän-
kische Ämterwesen verwendet den Comestitel zur Charakterisierung
gewisser Hofämter: so des comes stabuli, der comites palatii; es scheint
ausserdem Titulargrafen am Hofe zu kennen 7. Comes schlechtweg
bedeutet aber regelmässig einen Bezirksbeamten, den Vorsteher des
Grafschaftsgaues, einen Grafen.

Die Lex Salica kennt nur den grafio 8, Gregor von Tours nur
den comes. Werden nachmals beide Bezeichnungen als gleichwertig
gebraucht, so sind sie es doch ursprünglich nicht gewesen. In amt-
lichen Aktenstücken werden bei Aufzählung verschiedener Beamten-
klassen comites und grafiones unterschieden 9 und zwar so, dass letz-

5 Mommsen, Ostgoth. Studien NA XIV 510 f. Vgl. Tamassia, Alcune
osservazioni intorno al comes Gothorum nelle sue attinenze colla constituzione ro-
mana, Archivio storico lombardo XI (1884) 225. 463.
6 Comes largitionum, rerum privatarum, rei militaris etc.
7 Siehe oben S. 97. 108, Anm. 1. Bei den Langobarden findet sich comes
als Rangtitel für Gastalden. Hegel, Städteverfassung I 461. Schupfer, Istitu-
zioni polit. Lang. S. 319 ff. Glosse zu Roth. 23, LL IV 300: gastaldius id est
comes.
8 Die Malbergische Glosse leodo samitem in Lex Sal. 54, 1, Cod. 2 ist ver-
mutlich verderbt und gestattet uns nicht, in samitem eine Bezeichnung des Grafen
zu finden.
9 Das Königsplacitum, Pertz, Dipl. M. 66 v. J. 693, zählt als Beisitzer im
Königsgerichte neun comites, dann acht grafiones auf. Lex Rib. 88: ut nullus ob-
timatis, maior domus, domesticus, comes, gravio, cancellarius vel quibuslibet grati-
bus sublimatus ... munera ad iudicio pervertendo non recipiat. Der Passus der
Lex Burg. prima const. § 4, auf welchen die Stelle zurückgeht, nennt optimates, con-
siliarii, domestici et maiores domus nostrae, cancellarii etiam, Burgundiones quoque
et Romani civitatum aut pagorum comites vel iudices deputati, omnes etiam mili-
tantes. Comes und gravio entsprechen den Burg. et Rom. comites. Mühlbacher
Nr. 58: .. comitibus domesticis, grafionibus. Ebenso Nr. 241. 349. 609. Mühlbacher
Nr. 241 in der die Immunitätsbusse androhenden Formel: comes vel domesticus seu
gravio. Form. imperialis 29: comitibus, domesticis, gravionibus. Noch weiter rücken
comes und grafio auseinander in den Urkunden für Reome, Pertz, Dipl. S. 113
(unecht), 125 (verunechtet): comitibus, domesticis, vicariis, grafionibus. Bouquet
VIII 471 v. J. 845 (verdächtig): comes aut vicecomes aut vicarius aut grafio (S. 473.
474). In anderen zweifellos echten Urkunden werden die graviones unmittelbar
nach den comites genannt. So in Mühlbacher Nr. 71. 186, so in Bouquet IX 405
v. J. 878. Auf Entstellung einer entsprechenden Urkundenformel beruht der Pas-
sus der erdichteten Vita S. Tygriae, Bouquet III 466, wo es von Guntchram heisst:
concessit autem leudes et graffiones, qui cum comitibus marcam defendebant.

§ 81. Die Grafen.
diesen 5 war er ein Rangtitel, der im Anschluſs an die Gliederung des
kaiserlichen Gefolges sich in drei Rangklassen, ordines, abstufte und
entweder persönlich verliehen oder dauernd mit bestimmten Ämtern
verbunden wurde. Bei gewissen Amtskategorieen diente er als Amts-
titel oder genauer gesagt als Bestandteil des Amtstitels 6. Das frän-
kische Ämterwesen verwendet den Comestitel zur Charakterisierung
gewisser Hofämter: so des comes stabuli, der comites palatii; es scheint
auſserdem Titulargrafen am Hofe zu kennen 7. Comes schlechtweg
bedeutet aber regelmäſsig einen Bezirksbeamten, den Vorsteher des
Grafschaftsgaues, einen Grafen.

Die Lex Salica kennt nur den grafio 8, Gregor von Tours nur
den comes. Werden nachmals beide Bezeichnungen als gleichwertig
gebraucht, so sind sie es doch ursprünglich nicht gewesen. In amt-
lichen Aktenstücken werden bei Aufzählung verschiedener Beamten-
klassen comites und grafiones unterschieden 9 und zwar so, daſs letz-

5 Mommsen, Ostgoth. Studien NA XIV 510 f. Vgl. Tamassia, Alcune
osservazioni intorno al comes Gothorum nelle sue attinenze colla constituzione ro-
mana, Archivio storico lombardo XI (1884) 225. 463.
6 Comes largitionum, rerum privatarum, rei militaris etc.
7 Siehe oben S. 97. 108, Anm. 1. Bei den Langobarden findet sich comes
als Rangtitel für Gastalden. Hegel, Städteverfassung I 461. Schupfer, Istitu-
zioni polit. Lang. S. 319 ff. Glosse zu Roth. 23, LL IV 300: gastaldius id est
comes.
8 Die Malbergische Glosse leodo samitem in Lex Sal. 54, 1, Cod. 2 ist ver-
mutlich verderbt und gestattet uns nicht, in samitem eine Bezeichnung des Grafen
zu finden.
9 Das Königsplacitum, Pertz, Dipl. M. 66 v. J. 693, zählt als Beisitzer im
Königsgerichte neun comites, dann acht grafiones auf. Lex Rib. 88: ut nullus ob-
timatis, maior domus, domesticus, comes, gravio, cancellarius vel quibuslibet grati-
bus sublimatus … munera ad iudicio pervertendo non recipiat. Der Passus der
Lex Burg. prima const. § 4, auf welchen die Stelle zurückgeht, nennt optimates, con-
siliarii, domestici et maiores domus nostrae, cancellarii etiam, Burgundiones quoque
et Romani civitatum aut pagorum comites vel iudices deputati, omnes etiam mili-
tantes. Comes und gravio entsprechen den Burg. et Rom. comites. Mühlbacher
Nr. 58: .. comitibus domesticis, grafionibus. Ebenso Nr. 241. 349. 609. Mühlbacher
Nr. 241 in der die Immunitätsbuſse androhenden Formel: comes vel domesticus seu
gravio. Form. imperialis 29: comitibus, domesticis, gravionibus. Noch weiter rücken
comes und grafio auseinander in den Urkunden für Reomé, Pertz, Dipl. S. 113
(unecht), 125 (verunechtet): comitibus, domesticis, vicariis, grafionibus. Bouquet
VIII 471 v. J. 845 (verdächtig): comes aut vicecomes aut vicarius aut grafio (S. 473.
474). In anderen zweifellos echten Urkunden werden die graviones unmittelbar
nach den comites genannt. So in Mühlbacher Nr. 71. 186, so in Bouquet IX 405
v. J. 878. Auf Entstellung einer entsprechenden Urkundenformel beruht der Pas-
sus der erdichteten Vita S. Tygriae, Bouquet III 466, wo es von Guntchram heiſst:
concessit autem leudes et graffiones, qui cum comitibus marcam defendebant.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0180" n="162"/><fw place="top" type="header">§ 81. Die Grafen.</fw><lb/>
diesen <note place="foot" n="5"><hi rendition="#g">Mommsen,</hi> Ostgoth. Studien NA XIV 510 f. Vgl. <hi rendition="#g">Tamassia,</hi> Alcune<lb/>
osservazioni intorno al comes Gothorum nelle sue attinenze colla constituzione ro-<lb/>
mana, Archivio storico lombardo XI (1884) 225. 463.</note> war er ein Rangtitel, der im Anschlu&#x017F;s an die Gliederung des<lb/>
kaiserlichen Gefolges sich in drei Rangklassen, ordines, abstufte und<lb/>
entweder persönlich verliehen oder dauernd mit bestimmten Ämtern<lb/>
verbunden wurde. Bei gewissen Amtskategorieen diente er als Amts-<lb/>
titel oder genauer gesagt als Bestandteil des Amtstitels <note place="foot" n="6">Comes largitionum, rerum privatarum, rei militaris etc.</note>. Das frän-<lb/>
kische Ämterwesen verwendet den Comestitel zur Charakterisierung<lb/>
gewisser Hofämter: so des comes stabuli, der comites palatii; es scheint<lb/>
au&#x017F;serdem Titulargrafen am Hofe zu kennen <note place="foot" n="7">Siehe oben S. 97. 108, Anm. 1. Bei den Langobarden findet sich comes<lb/>
als Rangtitel für Gastalden. <hi rendition="#g">Hegel,</hi> Städteverfassung I 461. <hi rendition="#g">Schupfer,</hi> Istitu-<lb/>
zioni polit. Lang. S. 319 ff. Glosse zu Roth. 23, LL IV 300: gastaldius id est<lb/>
comes.</note>. Comes schlechtweg<lb/>
bedeutet aber regelmä&#x017F;sig einen Bezirksbeamten, den Vorsteher des<lb/>
Grafschaftsgaues, einen Grafen.</p><lb/>
            <p>Die Lex Salica kennt nur den grafio <note place="foot" n="8">Die Malbergische Glosse leodo samitem in Lex Sal. 54, 1, Cod. 2 ist ver-<lb/>
mutlich verderbt und gestattet uns nicht, in samitem eine Bezeichnung des Grafen<lb/>
zu finden.</note>, Gregor von Tours nur<lb/>
den comes. Werden nachmals beide Bezeichnungen als gleichwertig<lb/>
gebraucht, so sind sie es doch ursprünglich nicht gewesen. In amt-<lb/>
lichen Aktenstücken werden bei Aufzählung verschiedener Beamten-<lb/>
klassen comites und grafiones unterschieden <note place="foot" n="9">Das Königsplacitum, Pertz, Dipl. M. 66 v. J. 693, zählt als Beisitzer im<lb/>
Königsgerichte neun comites, dann acht grafiones auf. Lex Rib. 88: ut nullus ob-<lb/>
timatis, maior domus, domesticus, comes, gravio, cancellarius vel quibuslibet grati-<lb/>
bus sublimatus &#x2026; munera ad iudicio pervertendo non recipiat. Der Passus der<lb/>
Lex Burg. prima const. § 4, auf welchen die Stelle zurückgeht, nennt optimates, con-<lb/>
siliarii, domestici et maiores domus nostrae, cancellarii etiam, Burgundiones quoque<lb/>
et Romani civitatum aut pagorum comites vel iudices deputati, omnes etiam mili-<lb/>
tantes. Comes und gravio entsprechen den Burg. et Rom. comites. <hi rendition="#g">Mühlbacher</hi><lb/>
Nr. 58: .. comitibus domesticis, grafionibus. Ebenso Nr. 241. 349. 609. <hi rendition="#g">Mühlbacher</hi><lb/>
Nr. 241 in der die Immunitätsbu&#x017F;se androhenden Formel: comes vel domesticus seu<lb/>
gravio. Form. imperialis 29: comitibus, domesticis, gravionibus. Noch weiter rücken<lb/>
comes und grafio auseinander in den Urkunden für Reomé, Pertz, Dipl. S. 113<lb/>
(unecht), 125 (verunechtet): comitibus, domesticis, vicariis, grafionibus. Bouquet<lb/>
VIII 471 v. J. 845 (verdächtig): comes aut vicecomes aut vicarius aut grafio (S. 473.<lb/>
474). In anderen zweifellos echten Urkunden werden die graviones unmittelbar<lb/>
nach den comites genannt. So in <hi rendition="#g">Mühlbacher</hi> Nr. 71. 186, so in Bouquet IX 405<lb/>
v. J. 878. Auf Entstellung einer entsprechenden Urkundenformel beruht der Pas-<lb/>
sus der erdichteten Vita S. Tygriae, Bouquet III 466, wo es von Guntchram hei&#x017F;st:<lb/>
concessit autem leudes et graffiones, qui cum comitibus marcam defendebant.</note> und zwar so, da&#x017F;s letz-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0180] § 81. Die Grafen. diesen 5 war er ein Rangtitel, der im Anschluſs an die Gliederung des kaiserlichen Gefolges sich in drei Rangklassen, ordines, abstufte und entweder persönlich verliehen oder dauernd mit bestimmten Ämtern verbunden wurde. Bei gewissen Amtskategorieen diente er als Amts- titel oder genauer gesagt als Bestandteil des Amtstitels 6. Das frän- kische Ämterwesen verwendet den Comestitel zur Charakterisierung gewisser Hofämter: so des comes stabuli, der comites palatii; es scheint auſserdem Titulargrafen am Hofe zu kennen 7. Comes schlechtweg bedeutet aber regelmäſsig einen Bezirksbeamten, den Vorsteher des Grafschaftsgaues, einen Grafen. Die Lex Salica kennt nur den grafio 8, Gregor von Tours nur den comes. Werden nachmals beide Bezeichnungen als gleichwertig gebraucht, so sind sie es doch ursprünglich nicht gewesen. In amt- lichen Aktenstücken werden bei Aufzählung verschiedener Beamten- klassen comites und grafiones unterschieden 9 und zwar so, daſs letz- 5 Mommsen, Ostgoth. Studien NA XIV 510 f. Vgl. Tamassia, Alcune osservazioni intorno al comes Gothorum nelle sue attinenze colla constituzione ro- mana, Archivio storico lombardo XI (1884) 225. 463. 6 Comes largitionum, rerum privatarum, rei militaris etc. 7 Siehe oben S. 97. 108, Anm. 1. Bei den Langobarden findet sich comes als Rangtitel für Gastalden. Hegel, Städteverfassung I 461. Schupfer, Istitu- zioni polit. Lang. S. 319 ff. Glosse zu Roth. 23, LL IV 300: gastaldius id est comes. 8 Die Malbergische Glosse leodo samitem in Lex Sal. 54, 1, Cod. 2 ist ver- mutlich verderbt und gestattet uns nicht, in samitem eine Bezeichnung des Grafen zu finden. 9 Das Königsplacitum, Pertz, Dipl. M. 66 v. J. 693, zählt als Beisitzer im Königsgerichte neun comites, dann acht grafiones auf. Lex Rib. 88: ut nullus ob- timatis, maior domus, domesticus, comes, gravio, cancellarius vel quibuslibet grati- bus sublimatus … munera ad iudicio pervertendo non recipiat. Der Passus der Lex Burg. prima const. § 4, auf welchen die Stelle zurückgeht, nennt optimates, con- siliarii, domestici et maiores domus nostrae, cancellarii etiam, Burgundiones quoque et Romani civitatum aut pagorum comites vel iudices deputati, omnes etiam mili- tantes. Comes und gravio entsprechen den Burg. et Rom. comites. Mühlbacher Nr. 58: .. comitibus domesticis, grafionibus. Ebenso Nr. 241. 349. 609. Mühlbacher Nr. 241 in der die Immunitätsbuſse androhenden Formel: comes vel domesticus seu gravio. Form. imperialis 29: comitibus, domesticis, gravionibus. Noch weiter rücken comes und grafio auseinander in den Urkunden für Reomé, Pertz, Dipl. S. 113 (unecht), 125 (verunechtet): comitibus, domesticis, vicariis, grafionibus. Bouquet VIII 471 v. J. 845 (verdächtig): comes aut vicecomes aut vicarius aut grafio (S. 473. 474). In anderen zweifellos echten Urkunden werden die graviones unmittelbar nach den comites genannt. So in Mühlbacher Nr. 71. 186, so in Bouquet IX 405 v. J. 878. Auf Entstellung einer entsprechenden Urkundenformel beruht der Pas- sus der erdichteten Vita S. Tygriae, Bouquet III 466, wo es von Guntchram heiſst: concessit autem leudes et graffiones, qui cum comitibus marcam defendebant.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/180
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/180>, abgerufen am 21.11.2024.