oder pagorum. Doch haben die germanischen comites Galliens eine andere Stellung und anderen Wirkungskreis als jene römischen, u. a. schon deshalb, weil das Amt als solches Civil- und Militärgewalt ver- eint. Das Amt des fränkischen comes ist deutschen Ursprungs; es ist das des Grafen, hat aber in Gallien zum Teil durch Anschluss an römische Einrichtungen Umwandlungen erfahren, die es daselbst als eine Neuschöpfung erscheinen lassen und es notwendig machen, für die merowingische Zeit den neufränkischen und den altfränkischen Grafen auseinanderzuhalten.
Der neufränkische Graf führt ausnahmelos den Comestitel und hat für den Umfang seines Amtssprengels eine richterliche Kompe- tenz, welche sich mit der des römischen Provinzialstatthalters deckt 15. Wie dieser, mochte er nun consularis, rector oder praeses provinciae sein, als iudex, iudex ordinarius bezeichnet wurde 16, so heisst auch der fränkische comes sehr häufig iudex, gelegentlich auch praeses oder praefectus 17, und bedeutet iudex schlechtweg in merowingischer Zeit regelmässig den Grafen 18. Auch die Form der schriftlichen Bestallung und die befristete Amtsdauer des neufränkischen Grafen hängen mit den Einrichtungen des spätrömischen Ämterwesens zusammen 19.
Der altfränkische Graf hat die Stellung des ordentlichen Rich- ters nicht von Anfang an besessen. Die Lex Salica kennt ihn noch nicht als Vorsitzenden des Mallus. Er fungiert aber als Exekutiv- beamter, nimmt die Auspfändung vor, treibt den Ansiedler aus, gegen dessen Niederlassung Widerspruch erhoben wurde. Erst im sechsten Jahrhundert trat der Graf als ordentlicher Richter an die Stelle des Thungins, eine Änderung, die in den ältesten Zusätzen zur Lex Salica und in der Lex Ribuaria als fertiges Ergebnis vorliegt. Damit hängt es zusammen, dass der Ausdruck iudex oder iudex fiscalis auch auf den altländischen Grafen Anwendung findet. Die ihm vorbehaltene richterliche Kompetenz deckt sich jedoch im Verhältnis zu den Unter- richtern nicht mit der des neufränkischen Grafen. Dieser hat sie eben dem römischen Provinzialstatthalter, jener dem salischen Thungin
Solche mögen zum Teil die comites sein, welche die praefatio der Lex unter- schrieben haben. Denn es fällt auf, dass kaum einer der 31 Comesnamen mit Sicherheit als römischer Name angesehen werden darf, während man doch zahl- reiche Romani comites civitatum erwarten müsste.
15 Siehe unten § 82.
16Karlowa, Röm. RG I 858. Mommsen, NA XIV 461.
17 Belege bei Waitz, VG II 2, S. 26; III 383, Anm. 3.
18Sohm a. O. S. 146.
19 Siehe oben S. 80.
§ 81. Die Grafen.
oder pagorum. Doch haben die germanischen comites Galliens eine andere Stellung und anderen Wirkungskreis als jene römischen, u. a. schon deshalb, weil das Amt als solches Civil- und Militärgewalt ver- eint. Das Amt des fränkischen comes ist deutschen Ursprungs; es ist das des Grafen, hat aber in Gallien zum Teil durch Anschluſs an römische Einrichtungen Umwandlungen erfahren, die es daselbst als eine Neuschöpfung erscheinen lassen und es notwendig machen, für die merowingische Zeit den neufränkischen und den altfränkischen Grafen auseinanderzuhalten.
Der neufränkische Graf führt ausnahmelos den Comestitel und hat für den Umfang seines Amtssprengels eine richterliche Kompe- tenz, welche sich mit der des römischen Provinzialstatthalters deckt 15. Wie dieser, mochte er nun consularis, rector oder praeses provinciae sein, als iudex, iudex ordinarius bezeichnet wurde 16, so heiſst auch der fränkische comes sehr häufig iudex, gelegentlich auch praeses oder praefectus 17, und bedeutet iudex schlechtweg in merowingischer Zeit regelmäſsig den Grafen 18. Auch die Form der schriftlichen Bestallung und die befristete Amtsdauer des neufränkischen Grafen hängen mit den Einrichtungen des spätrömischen Ämterwesens zusammen 19.
Der altfränkische Graf hat die Stellung des ordentlichen Rich- ters nicht von Anfang an besessen. Die Lex Salica kennt ihn noch nicht als Vorsitzenden des Mallus. Er fungiert aber als Exekutiv- beamter, nimmt die Auspfändung vor, treibt den Ansiedler aus, gegen dessen Niederlassung Widerspruch erhoben wurde. Erst im sechsten Jahrhundert trat der Graf als ordentlicher Richter an die Stelle des Thungins, eine Änderung, die in den ältesten Zusätzen zur Lex Salica und in der Lex Ribuaria als fertiges Ergebnis vorliegt. Damit hängt es zusammen, daſs der Ausdruck iudex oder iudex fiscalis auch auf den altländischen Grafen Anwendung findet. Die ihm vorbehaltene richterliche Kompetenz deckt sich jedoch im Verhältnis zu den Unter- richtern nicht mit der des neufränkischen Grafen. Dieser hat sie eben dem römischen Provinzialstatthalter, jener dem salischen Thungin
Solche mögen zum Teil die comites sein, welche die praefatio der Lex unter- schrieben haben. Denn es fällt auf, daſs kaum einer der 31 Comesnamen mit Sicherheit als römischer Name angesehen werden darf, während man doch zahl- reiche Romani comites civitatum erwarten müſste.
15 Siehe unten § 82.
16Karlowa, Röm. RG I 858. Mommsen, NA XIV 461.
17 Belege bei Waitz, VG II 2, S. 26; III 383, Anm. 3.
18Sohm a. O. S. 146.
19 Siehe oben S. 80.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0182"n="164"/><fwplace="top"type="header">§ 81. Die Grafen.</fw><lb/>
oder pagorum. Doch haben die germanischen comites Galliens eine<lb/>
andere Stellung und anderen Wirkungskreis als jene römischen, u. a.<lb/>
schon deshalb, weil das Amt als solches Civil- und Militärgewalt ver-<lb/>
eint. Das Amt des fränkischen comes ist deutschen Ursprungs; es<lb/>
ist das des Grafen, hat aber in Gallien zum Teil durch Anschluſs an<lb/>
römische Einrichtungen Umwandlungen erfahren, die es daselbst als<lb/>
eine Neuschöpfung erscheinen lassen und es notwendig machen, für<lb/>
die merowingische Zeit den neufränkischen und den altfränkischen<lb/>
Grafen auseinanderzuhalten.</p><lb/><p>Der neufränkische Graf führt ausnahmelos den Comestitel und<lb/>
hat für den Umfang seines Amtssprengels eine richterliche Kompe-<lb/>
tenz, welche sich mit der des römischen Provinzialstatthalters deckt <noteplace="foot"n="15">Siehe unten § 82.</note>.<lb/>
Wie dieser, mochte er nun consularis, rector oder praeses provinciae<lb/>
sein, als iudex, iudex ordinarius bezeichnet wurde <noteplace="foot"n="16"><hirendition="#g">Karlowa,</hi> Röm. RG I 858. <hirendition="#g">Mommsen,</hi> NA XIV 461.</note>, so heiſst auch<lb/>
der fränkische comes sehr häufig iudex, gelegentlich auch praeses oder<lb/>
praefectus <noteplace="foot"n="17">Belege bei <hirendition="#g">Waitz,</hi> VG II 2, S. 26; III 383, Anm. 3.</note>, und bedeutet iudex schlechtweg in merowingischer Zeit<lb/>
regelmäſsig den Grafen <noteplace="foot"n="18"><hirendition="#g">Sohm</hi> a. O. S. 146.</note>. Auch die Form der schriftlichen Bestallung<lb/>
und die befristete Amtsdauer des neufränkischen Grafen hängen mit<lb/>
den Einrichtungen des spätrömischen Ämterwesens zusammen <noteplace="foot"n="19">Siehe oben S. 80.</note>.</p><lb/><p>Der altfränkische Graf hat die Stellung des ordentlichen Rich-<lb/>
ters nicht von Anfang an besessen. Die Lex Salica kennt ihn noch<lb/>
nicht als Vorsitzenden des Mallus. Er fungiert aber als Exekutiv-<lb/>
beamter, nimmt die Auspfändung vor, treibt den Ansiedler aus, gegen<lb/>
dessen Niederlassung Widerspruch erhoben wurde. Erst im sechsten<lb/>
Jahrhundert trat der Graf als ordentlicher Richter an die Stelle des<lb/>
Thungins, eine Änderung, die in den ältesten Zusätzen zur Lex Salica<lb/>
und in der Lex Ribuaria als fertiges Ergebnis vorliegt. Damit hängt<lb/>
es zusammen, daſs der Ausdruck iudex oder iudex fiscalis auch auf<lb/>
den altländischen Grafen Anwendung findet. Die ihm vorbehaltene<lb/>
richterliche Kompetenz deckt sich jedoch im Verhältnis zu den Unter-<lb/>
richtern nicht mit der des neufränkischen Grafen. Dieser hat sie<lb/>
eben dem römischen Provinzialstatthalter, jener dem salischen Thungin<lb/><notexml:id="seg2pn_39_2"prev="#seg2pn_39_1"place="foot"n="14">Solche mögen zum Teil die comites sein, welche die praefatio der Lex unter-<lb/>
schrieben haben. Denn es fällt auf, daſs kaum einer der 31 Comesnamen mit<lb/>
Sicherheit als römischer Name angesehen werden darf, während man doch zahl-<lb/>
reiche Romani comites civitatum erwarten müſste.</note><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[164/0182]
§ 81. Die Grafen.
oder pagorum. Doch haben die germanischen comites Galliens eine
andere Stellung und anderen Wirkungskreis als jene römischen, u. a.
schon deshalb, weil das Amt als solches Civil- und Militärgewalt ver-
eint. Das Amt des fränkischen comes ist deutschen Ursprungs; es
ist das des Grafen, hat aber in Gallien zum Teil durch Anschluſs an
römische Einrichtungen Umwandlungen erfahren, die es daselbst als
eine Neuschöpfung erscheinen lassen und es notwendig machen, für
die merowingische Zeit den neufränkischen und den altfränkischen
Grafen auseinanderzuhalten.
Der neufränkische Graf führt ausnahmelos den Comestitel und
hat für den Umfang seines Amtssprengels eine richterliche Kompe-
tenz, welche sich mit der des römischen Provinzialstatthalters deckt 15.
Wie dieser, mochte er nun consularis, rector oder praeses provinciae
sein, als iudex, iudex ordinarius bezeichnet wurde 16, so heiſst auch
der fränkische comes sehr häufig iudex, gelegentlich auch praeses oder
praefectus 17, und bedeutet iudex schlechtweg in merowingischer Zeit
regelmäſsig den Grafen 18. Auch die Form der schriftlichen Bestallung
und die befristete Amtsdauer des neufränkischen Grafen hängen mit
den Einrichtungen des spätrömischen Ämterwesens zusammen 19.
Der altfränkische Graf hat die Stellung des ordentlichen Rich-
ters nicht von Anfang an besessen. Die Lex Salica kennt ihn noch
nicht als Vorsitzenden des Mallus. Er fungiert aber als Exekutiv-
beamter, nimmt die Auspfändung vor, treibt den Ansiedler aus, gegen
dessen Niederlassung Widerspruch erhoben wurde. Erst im sechsten
Jahrhundert trat der Graf als ordentlicher Richter an die Stelle des
Thungins, eine Änderung, die in den ältesten Zusätzen zur Lex Salica
und in der Lex Ribuaria als fertiges Ergebnis vorliegt. Damit hängt
es zusammen, daſs der Ausdruck iudex oder iudex fiscalis auch auf
den altländischen Grafen Anwendung findet. Die ihm vorbehaltene
richterliche Kompetenz deckt sich jedoch im Verhältnis zu den Unter-
richtern nicht mit der des neufränkischen Grafen. Dieser hat sie
eben dem römischen Provinzialstatthalter, jener dem salischen Thungin
14
15 Siehe unten § 82.
16 Karlowa, Röm. RG I 858. Mommsen, NA XIV 461.
17 Belege bei Waitz, VG II 2, S. 26; III 383, Anm. 3.
18 Sohm a. O. S. 146.
19 Siehe oben S. 80.
14 Solche mögen zum Teil die comites sein, welche die praefatio der Lex unter-
schrieben haben. Denn es fällt auf, daſs kaum einer der 31 Comesnamen mit
Sicherheit als römischer Name angesehen werden darf, während man doch zahl-
reiche Romani comites civitatum erwarten müſste.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/182>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.