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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 81. Die Grafen.
in karolingischer Zeit res comitatus 52, pertinentia comitatus 53 oder
fiscus comitialis 54. Seit der Ausbildung des Benefizialwesens und der
Vassallität werden sie nach den Rechtsgrundsätzen des vassallitischen
Benefiziums behandelt und bilden sie den Ausgangspunkt für die Um-
wandlung des Grafenamtes in ein königliches Lehen. Zur Ausstattung
des Grafenamtes gehört schon in merowingischer Zeit eine Anzahl
fiskalischer Eigenleute, welche dem Grafen zu Zwecken der Graf-
schaftsverwaltung dienen 55, gewissermassen Vorläufer der späteren
Grafschaftsministerialen.

Der Graf hat als königlicher Diener das dreifache Wergeld seiner
Geburt 56. Vorübergehend war in Sachsen auf Tötung des Grafen
Einziehung des ganzen Vermögens gesetzt, eine Vorschrift, die bald
wieder ausser Kraft trat 57.

Das Grafenamt (accio comitiae, comitatus) wurde durch könig-
liche Ernennung übertragen. Von der Form der Ernennung und von
der ursprünglich befristeten Amtsdauer der gallischen Grafen ist schon
oben die Rede gewesen 58. In der Auswahl der Personen hatte der
König ursprünglich völlig freie Hand. Franken und Romanen, Freie,
Liten und Freigelassene, ja selbst Unfreie wurden von den Mero-
wingern zu Grafen ernannt 59. Bis in das siebente Jahrhundert gingen
die Grafen hauptsächlich aus dem königlichen Hofstaate hervor 60.
Aber schon Chlothar II. musste 614 versprechen, es solle fürderhin
kein iudex de aliis provinciis aut regionibus eingesetzt werden, damit
sich an dem Besitztum des Richters erholen könne, wer durch Amts-
missbrauch desselben Schaden erlitten habe 61. Die Ausführung dieses

52 Siehe die Belege bei Waitz, VG IV 165, Anm. 1.
53 Hloth. Cap. miss. v. J. 832, c. 8, II 64: (missi perquirant) similiter comi-
tatus pertinentia, quae comitatus non habent (die ihnen entfremdet worden sind).
54 Cap. Lamberti v. J. 898, c. 8, II 110: quod si novo tempore fiscus comi-
tialis in ius ecclesiasticum conversus est.
55 Sohm a. O. S. 531 f. Näheres unten § 84.
56 Lex Sal. 54, 1. Lex Rib. 53, 1. 2. Lex Cham. c. 7.
57 Cap. de part. Sax. c. 30, I 70. Allein Cap. Sax. c. 7 ignoriert jene Be-
stimmung und bestraft die Tötung des missus regis mit dem dreifachen Wergeld.
Unter den missi regis scheinen hier auch die Grafen inbegriffen zu sein.
58 Siehe oben S. 79 f.
59 Lex Sal. 54, 2, Cod. 4, 7--10 (obgrafionem in Cod. 1 vielleicht = si gra-
fionem, indem durch ein Versehen für si die deutsche Konjunktion ob, oba ein-
gesetzt wurde). Greg. Tur. Hist. Franc. V 48. Lex Rib. 53, 2, wo der ex tabu-
lario einen tabularius darstellt, der aus seiner Abhängigkeit befreit worden war,
was damals (vgl. 58, 1) noch möglich war.
60 Fustel de Coulanges, Monarchie franque S. 208.
61 Chloth. II ed. c. 12, Cap. I 22.

§ 81. Die Grafen.
in karolingischer Zeit res comitatus 52, pertinentia comitatus 53 oder
fiscus comitialis 54. Seit der Ausbildung des Benefizialwesens und der
Vassallität werden sie nach den Rechtsgrundsätzen des vassallitischen
Benefiziums behandelt und bilden sie den Ausgangspunkt für die Um-
wandlung des Grafenamtes in ein königliches Lehen. Zur Ausstattung
des Grafenamtes gehört schon in merowingischer Zeit eine Anzahl
fiskalischer Eigenleute, welche dem Grafen zu Zwecken der Graf-
schaftsverwaltung dienen 55, gewissermaſsen Vorläufer der späteren
Grafschaftsministerialen.

Der Graf hat als königlicher Diener das dreifache Wergeld seiner
Geburt 56. Vorübergehend war in Sachsen auf Tötung des Grafen
Einziehung des ganzen Vermögens gesetzt, eine Vorschrift, die bald
wieder auſser Kraft trat 57.

Das Grafenamt (accio comitiae, comitatus) wurde durch könig-
liche Ernennung übertragen. Von der Form der Ernennung und von
der ursprünglich befristeten Amtsdauer der gallischen Grafen ist schon
oben die Rede gewesen 58. In der Auswahl der Personen hatte der
König ursprünglich völlig freie Hand. Franken und Romanen, Freie,
Liten und Freigelassene, ja selbst Unfreie wurden von den Mero-
wingern zu Grafen ernannt 59. Bis in das siebente Jahrhundert gingen
die Grafen hauptsächlich aus dem königlichen Hofstaate hervor 60.
Aber schon Chlothar II. muſste 614 versprechen, es solle fürderhin
kein iudex de aliis provinciis aut regionibus eingesetzt werden, damit
sich an dem Besitztum des Richters erholen könne, wer durch Amts-
miſsbrauch desselben Schaden erlitten habe 61. Die Ausführung dieses

52 Siehe die Belege bei Waitz, VG IV 165, Anm. 1.
53 Hloth. Cap. miss. v. J. 832, c. 8, II 64: (missi perquirant) similiter comi-
tatus pertinentia, quae comitatus non habent (die ihnen entfremdet worden sind).
54 Cap. Lamberti v. J. 898, c. 8, II 110: quod si novo tempore fiscus comi-
tialis in ius ecclesiasticum conversus est.
55 Sohm a. O. S. 531 f. Näheres unten § 84.
56 Lex Sal. 54, 1. Lex Rib. 53, 1. 2. Lex Cham. c. 7.
57 Cap. de part. Sax. c. 30, I 70. Allein Cap. Sax. c. 7 ignoriert jene Be-
stimmung und bestraft die Tötung des missus regis mit dem dreifachen Wergeld.
Unter den missi regis scheinen hier auch die Grafen inbegriffen zu sein.
58 Siehe oben S. 79 f.
59 Lex Sal. 54, 2, Cod. 4, 7—10 (obgrafionem in Cod. 1 vielleicht = si gra-
fionem, indem durch ein Versehen für si die deutsche Konjunktion ob, oba ein-
gesetzt wurde). Greg. Tur. Hist. Franc. V 48. Lex Rib. 53, 2, wo der ex tabu-
lario einen tabularius darstellt, der aus seiner Abhängigkeit befreit worden war,
was damals (vgl. 58, 1) noch möglich war.
60 Fustel de Coulanges, Monarchie franque S. 208.
61 Chloth. II ed. c. 12, Cap. I 22.
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[169/0187] § 81. Die Grafen. in karolingischer Zeit res comitatus 52, pertinentia comitatus 53 oder fiscus comitialis 54. Seit der Ausbildung des Benefizialwesens und der Vassallität werden sie nach den Rechtsgrundsätzen des vassallitischen Benefiziums behandelt und bilden sie den Ausgangspunkt für die Um- wandlung des Grafenamtes in ein königliches Lehen. Zur Ausstattung des Grafenamtes gehört schon in merowingischer Zeit eine Anzahl fiskalischer Eigenleute, welche dem Grafen zu Zwecken der Graf- schaftsverwaltung dienen 55, gewissermaſsen Vorläufer der späteren Grafschaftsministerialen. Der Graf hat als königlicher Diener das dreifache Wergeld seiner Geburt 56. Vorübergehend war in Sachsen auf Tötung des Grafen Einziehung des ganzen Vermögens gesetzt, eine Vorschrift, die bald wieder auſser Kraft trat 57. Das Grafenamt (accio comitiae, comitatus) wurde durch könig- liche Ernennung übertragen. Von der Form der Ernennung und von der ursprünglich befristeten Amtsdauer der gallischen Grafen ist schon oben die Rede gewesen 58. In der Auswahl der Personen hatte der König ursprünglich völlig freie Hand. Franken und Romanen, Freie, Liten und Freigelassene, ja selbst Unfreie wurden von den Mero- wingern zu Grafen ernannt 59. Bis in das siebente Jahrhundert gingen die Grafen hauptsächlich aus dem königlichen Hofstaate hervor 60. Aber schon Chlothar II. muſste 614 versprechen, es solle fürderhin kein iudex de aliis provinciis aut regionibus eingesetzt werden, damit sich an dem Besitztum des Richters erholen könne, wer durch Amts- miſsbrauch desselben Schaden erlitten habe 61. Die Ausführung dieses 52 Siehe die Belege bei Waitz, VG IV 165, Anm. 1. 53 Hloth. Cap. miss. v. J. 832, c. 8, II 64: (missi perquirant) similiter comi- tatus pertinentia, quae comitatus non habent (die ihnen entfremdet worden sind). 54 Cap. Lamberti v. J. 898, c. 8, II 110: quod si novo tempore fiscus comi- tialis in ius ecclesiasticum conversus est. 55 Sohm a. O. S. 531 f. Näheres unten § 84. 56 Lex Sal. 54, 1. Lex Rib. 53, 1. 2. Lex Cham. c. 7. 57 Cap. de part. Sax. c. 30, I 70. Allein Cap. Sax. c. 7 ignoriert jene Be- stimmung und bestraft die Tötung des missus regis mit dem dreifachen Wergeld. Unter den missi regis scheinen hier auch die Grafen inbegriffen zu sein. 58 Siehe oben S. 79 f. 59 Lex Sal. 54, 2, Cod. 4, 7—10 (obgrafionem in Cod. 1 vielleicht = si gra- fionem, indem durch ein Versehen für si die deutsche Konjunktion ob, oba ein- gesetzt wurde). Greg. Tur. Hist. Franc. V 48. Lex Rib. 53, 2, wo der ex tabu- lario einen tabularius darstellt, der aus seiner Abhängigkeit befreit worden war, was damals (vgl. 58, 1) noch möglich war. 60 Fustel de Coulanges, Monarchie franque S. 208. 61 Chloth. II ed. c. 12, Cap. I 22.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/187>, abgerufen am 25.05.2024.