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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 87. Wehrpflicht und Heerwesen.
zu werden. Das königliche Aufgebot richtete sich zunächst an die
öffentlichen Beamten, die für seine Ausführung zu sorgen hatten,
also an die Herzoge und an die Grafen. Doch tauchte in karolin-
gischer Zeit die Neuerung auf, dass geistliche und wohl auch welt-
liche Grosse vom König oder von dem königlichen Missus die Mittei-
lung direkt erhielten37.

Innerhalb der Grafschaft hat der Graf im Namen des Königs die
Wehrpflichtigen zu bannen und das Aufgebot zu mustern38. Vassallen
und Hintersassen werden in karolingischer Zeit nicht vom Grafen,
sondern in Ausführung des königlichen Befehls von ihren Senioren
oder deren Vögten zu den Waffen gerufen.

Für die Ausrüstung und Verpflegung der abhängigen Leute traten
die Senioren ein; ebenso die königliche Domänenverwaltung hinsicht-
lich der auf den Fiskalgütern ausgehobenen Mannschaft. Andererseits
erhoben aber der Fiskus und die Senioren von den abhängigen Höfen
Leistungen für den Kriegsbedarf, Abgaben, welche als hostilitium,
hostilense und carnaticum erscheinen39. Sie beziehen sich auf die
Lieferung von Wagen, Zugvieh und Kleinvieh. Als Ersatz der Na-
turallieferung findet sich mitunter eine Geldabgabe, die als heribannus
bezeichnet wird40 und nicht mit der Heerbannbusse verwechselt wer-
den darf41. Anfangs nur für den Fall der Heerfahrt erhoben, sind
jene Abgaben allmählich ständige Grundlasten geworden.

Zieht der Senior ins Feld, so rücken seine Leute mit ihm aus;
anderenfalls folgen sie dem Grafen42.

Im Heere steht die Mannschaft des Grafschaftsgaues unter dem
Befehle des Grafen. Unter ihm fungieren die Centenare als Führer
der Hundertschaften, die Dekane als Führer der Zehntschaften. Die

37 Ein Aufgebotbrief, der an einen Abt gerichtet ist, in Cap. I 168.
38 Cap. Aquisgr. 801--813, c. 9, I 171: De hoste pergendi, ut comiti in suo
comitatu per bannum unumquemque hominem per sexaginta solidos in hostem per-
gere bannire studeat, ut ad placitum denuntiatum ad illum locum ubi iubetur ve-
niant. Et ipse comis praevideat, quomodo sint parati ...
39 Siehe Guerard, Polyptyque d'Irminon I 661 ff. Roth, Benefizialwesen
S. 409 ff. Waitz, VG IV 622.
40 Verwandte Bedeutung hat vermutlich in Sachsen der in den Werdener
Heberollen vorkommende heriscilling oder herimalder.
41 Waitz, VG IV 623, Anm. 1. In der Urkunde Wartmann II 393, Anhang
Nr. 15 aus der Zeit Ludwigs I., wird die Äusserung eines gewissen Odalhart er-
wähnt, quod nihil ibi habuisset proprietatis pro quo heribannum reddere debuisset.
Vermutlich ist hier darunter eine Geldabgabe zu verstehen und nicht die Heer-
bannbusse.
42 Siehe die Stellen bei Waitz, VG IV 606, Anm. 1.

§ 87. Wehrpflicht und Heerwesen.
zu werden. Das königliche Aufgebot richtete sich zunächst an die
öffentlichen Beamten, die für seine Ausführung zu sorgen hatten,
also an die Herzoge und an die Grafen. Doch tauchte in karolin-
gischer Zeit die Neuerung auf, daſs geistliche und wohl auch welt-
liche Groſse vom König oder von dem königlichen Missus die Mittei-
lung direkt erhielten37.

Innerhalb der Grafschaft hat der Graf im Namen des Königs die
Wehrpflichtigen zu bannen und das Aufgebot zu mustern38. Vassallen
und Hintersassen werden in karolingischer Zeit nicht vom Grafen,
sondern in Ausführung des königlichen Befehls von ihren Senioren
oder deren Vögten zu den Waffen gerufen.

Für die Ausrüstung und Verpflegung der abhängigen Leute traten
die Senioren ein; ebenso die königliche Domänenverwaltung hinsicht-
lich der auf den Fiskalgütern ausgehobenen Mannschaft. Andererseits
erhoben aber der Fiskus und die Senioren von den abhängigen Höfen
Leistungen für den Kriegsbedarf, Abgaben, welche als hostilitium,
hostilense und carnaticum erscheinen39. Sie beziehen sich auf die
Lieferung von Wagen, Zugvieh und Kleinvieh. Als Ersatz der Na-
turallieferung findet sich mitunter eine Geldabgabe, die als heribannus
bezeichnet wird40 und nicht mit der Heerbannbuſse verwechselt wer-
den darf41. Anfangs nur für den Fall der Heerfahrt erhoben, sind
jene Abgaben allmählich ständige Grundlasten geworden.

Zieht der Senior ins Feld, so rücken seine Leute mit ihm aus;
anderenfalls folgen sie dem Grafen42.

Im Heere steht die Mannschaft des Grafschaftsgaues unter dem
Befehle des Grafen. Unter ihm fungieren die Centenare als Führer
der Hundertschaften, die Dekane als Führer der Zehntschaften. Die

37 Ein Aufgebotbrief, der an einen Abt gerichtet ist, in Cap. I 168.
38 Cap. Aquisgr. 801—813, c. 9, I 171: De hoste pergendi, ut comiti in suo
comitatu per bannum unumquemque hominem per sexaginta solidos in hostem per-
gere bannire studeat, ut ad placitum denuntiatum ad illum locum ubi iubetur ve-
niant. Et ipse comis praevideat, quomodo sint parati …
39 Siehe Guérard, Polyptyque d’Irminon I 661 ff. Roth, Benefizialwesen
S. 409 ff. Waitz, VG IV 622.
40 Verwandte Bedeutung hat vermutlich in Sachsen der in den Werdener
Heberollen vorkommende heriscilling oder herimalder.
41 Waitz, VG IV 623, Anm. 1. In der Urkunde Wartmann II 393, Anhang
Nr. 15 aus der Zeit Ludwigs I., wird die Äuſserung eines gewissen Odalhart er-
wähnt, quod nihil ibi habuisset proprietatis pro quo heribannum reddere debuisset.
Vermutlich ist hier darunter eine Geldabgabe zu verstehen und nicht die Heer-
bannbuſse.
42 Siehe die Stellen bei Waitz, VG IV 606, Anm. 1.
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[212/0230] § 87. Wehrpflicht und Heerwesen. zu werden. Das königliche Aufgebot richtete sich zunächst an die öffentlichen Beamten, die für seine Ausführung zu sorgen hatten, also an die Herzoge und an die Grafen. Doch tauchte in karolin- gischer Zeit die Neuerung auf, daſs geistliche und wohl auch welt- liche Groſse vom König oder von dem königlichen Missus die Mittei- lung direkt erhielten 37. Innerhalb der Grafschaft hat der Graf im Namen des Königs die Wehrpflichtigen zu bannen und das Aufgebot zu mustern 38. Vassallen und Hintersassen werden in karolingischer Zeit nicht vom Grafen, sondern in Ausführung des königlichen Befehls von ihren Senioren oder deren Vögten zu den Waffen gerufen. Für die Ausrüstung und Verpflegung der abhängigen Leute traten die Senioren ein; ebenso die königliche Domänenverwaltung hinsicht- lich der auf den Fiskalgütern ausgehobenen Mannschaft. Andererseits erhoben aber der Fiskus und die Senioren von den abhängigen Höfen Leistungen für den Kriegsbedarf, Abgaben, welche als hostilitium, hostilense und carnaticum erscheinen 39. Sie beziehen sich auf die Lieferung von Wagen, Zugvieh und Kleinvieh. Als Ersatz der Na- turallieferung findet sich mitunter eine Geldabgabe, die als heribannus bezeichnet wird 40 und nicht mit der Heerbannbuſse verwechselt wer- den darf 41. Anfangs nur für den Fall der Heerfahrt erhoben, sind jene Abgaben allmählich ständige Grundlasten geworden. Zieht der Senior ins Feld, so rücken seine Leute mit ihm aus; anderenfalls folgen sie dem Grafen 42. Im Heere steht die Mannschaft des Grafschaftsgaues unter dem Befehle des Grafen. Unter ihm fungieren die Centenare als Führer der Hundertschaften, die Dekane als Führer der Zehntschaften. Die 37 Ein Aufgebotbrief, der an einen Abt gerichtet ist, in Cap. I 168. 38 Cap. Aquisgr. 801—813, c. 9, I 171: De hoste pergendi, ut comiti in suo comitatu per bannum unumquemque hominem per sexaginta solidos in hostem per- gere bannire studeat, ut ad placitum denuntiatum ad illum locum ubi iubetur ve- niant. Et ipse comis praevideat, quomodo sint parati … 39 Siehe Guérard, Polyptyque d’Irminon I 661 ff. Roth, Benefizialwesen S. 409 ff. Waitz, VG IV 622. 40 Verwandte Bedeutung hat vermutlich in Sachsen der in den Werdener Heberollen vorkommende heriscilling oder herimalder. 41 Waitz, VG IV 623, Anm. 1. In der Urkunde Wartmann II 393, Anhang Nr. 15 aus der Zeit Ludwigs I., wird die Äuſserung eines gewissen Odalhart er- wähnt, quod nihil ibi habuisset proprietatis pro quo heribannum reddere debuisset. Vermutlich ist hier darunter eine Geldabgabe zu verstehen und nicht die Heer- bannbuſse. 42 Siehe die Stellen bei Waitz, VG IV 606, Anm. 1.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/230>, abgerufen am 21.11.2024.