Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 88. Dingpflicht und Gerichtswesen. Nächten 3 bezeichnet wird. Die Ribuarier kannten neben dieser Fristvielleicht auch eine kürzere von 14 Nächten für die Wiederkehr eines echten Dinges 4. Bekanntlich war den Germanen die Mondzeit be- stimmend für die Festsetzung der Gerichtstage. Sie hielten ihre Ver- sammlungen, wie schon Tacitus berichtet, bei Vollmond oder Neu- mond ab. Die Dingzeit hatte religiöse Bedeutung. Ob es Dinges Zeit sei, war eine der stehenden, ursprünglich wohl an die Priester gerichteten Hegungsfragen 5. Die Franken scheinen ihre echten Dinge in der Weise umgelegt zu haben, dass auf das Vollmondding ein Neumondding, auf dieses wieder ein Vollmondding folgen musste. Setzte man nun das nächste Ding auf den zweitfolgenden Neumond (bezw. Vollmond), so ergab sich eine Frist von sechs Mondwochen, welche kalendarisch einen mittleren Wert von 44,3 Tagen darstellen 6. Den Anfangspunkt der Frist bestimmte die feierliche Enthegung des drei- tägigen echten Dinges; sie lief 'post banno resiso', placito levato 7. Ziehen wir die drei Tage von den sechs Mondwochen ab, so schiebt sich zwischen den Schlusspunkt des Vollmonddings und den Anfangspunkt des Neu- monddings bei dem Schwanken des Intervalls zwischen Vollmond und Neumond, welches beispielsweise im laufenden Jahre reichlich 11/2 Tage beträgt 8, eine Frist von 40 bis 42 Nächten ein 9. Konnte schon die nächste entgegengesetzte Mondphase massgebend sein, so kam man zu einer Frist von 14 Nächten. Dagegen waren Fristen von acht Tagen, von drei, vier und fünf Wochen für die Wiederkehr eines echten 3 Vierzig Nächte in Lex Sal. 47, 1; 50, 1; 56. 74. 106. Form. Turon. 30. 31. Senon. rec. 2. Lindenbrog 20. 21. Pertz, Dipl. M. 59. Achtzig Nächte in Lex Sal. 47, 5. Zweiundvierzig Nächte in Lex Sal. 78, 7, in Form. Bign. 13, Carta Senon. 17. Vierundachtzig in Lex Sal. 78, 7. Siehe Sohm S. 393, Anm. 13. 4 Vierzehn, vierzig oder achtzig Nächte in Lex Rib. 30, 2; 33, 2; 59, 4; 67, 2; 72, 2. Vierzehn, zweiundvierzig oder vierundachtzig Nächte in Lex Rib. 31, 1 und in Lex Chamav. 44. Siehe Sohm S. 438, Anm. 142. Die Frist von achtzig oder vierundachtzig Nächten stellt eine Verdoppelung der sechswöchent- lichen Prozessfrist dar. Die vierzehnnächtige Prozessfrist könnte auch den ge- botenen Dingen ihre Entstehung verdanken. 5 Siehe oben I 146. 6 Die Neumonde folgen sich in dem mittleren Abstande von 29,53 Tagen. 7 Mit den Worten post banno resiso ist in Form. Senon. rec. 2 die Auf- hebung des Dingbanns gemeint, für welche die Urkunden des Cartulaire de Re- don S. 37, Nr. 46, S. 106, Nr. 139, S. 110, Nr. 144 den Ausdruck placitum levare haben. Vgl. oben I 145, Anm. 8. 8 Das Intervall schwankt zwischen 13,99 und 15,54 Tagen. 9 Die Frist betrug also in den einzelnen Fällen entweder 40 oder 42 Nächte.
Die Erörterung im Ed. Pist. v. J. 864, c. 33, Pertz, LL I 496, beruht auf moderni- sierender Reflexion. § 88. Dingpflicht und Gerichtswesen. Nächten 3 bezeichnet wird. Die Ribuarier kannten neben dieser Fristvielleicht auch eine kürzere von 14 Nächten für die Wiederkehr eines echten Dinges 4. Bekanntlich war den Germanen die Mondzeit be- stimmend für die Festsetzung der Gerichtstage. Sie hielten ihre Ver- sammlungen, wie schon Tacitus berichtet, bei Vollmond oder Neu- mond ab. Die Dingzeit hatte religiöse Bedeutung. Ob es Dinges Zeit sei, war eine der stehenden, ursprünglich wohl an die Priester gerichteten Hegungsfragen 5. Die Franken scheinen ihre echten Dinge in der Weise umgelegt zu haben, daſs auf das Vollmondding ein Neumondding, auf dieses wieder ein Vollmondding folgen muſste. Setzte man nun das nächste Ding auf den zweitfolgenden Neumond (bezw. Vollmond), so ergab sich eine Frist von sechs Mondwochen, welche kalendarisch einen mittleren Wert von 44,3 Tagen darstellen 6. Den Anfangspunkt der Frist bestimmte die feierliche Enthegung des drei- tägigen echten Dinges; sie lief ‘post banno resiso’, placito levato 7. Ziehen wir die drei Tage von den sechs Mondwochen ab, so schiebt sich zwischen den Schluſspunkt des Vollmonddings und den Anfangspunkt des Neu- monddings bei dem Schwanken des Intervalls zwischen Vollmond und Neumond, welches beispielsweise im laufenden Jahre reichlich 1½ Tage beträgt 8, eine Frist von 40 bis 42 Nächten ein 9. Konnte schon die nächste entgegengesetzte Mondphase maſsgebend sein, so kam man zu einer Frist von 14 Nächten. Dagegen waren Fristen von acht Tagen, von drei, vier und fünf Wochen für die Wiederkehr eines echten 3 Vierzig Nächte in Lex Sal. 47, 1; 50, 1; 56. 74. 106. Form. Turon. 30. 31. Senon. rec. 2. Lindenbrog 20. 21. Pertz, Dipl. M. 59. Achtzig Nächte in Lex Sal. 47, 5. Zweiundvierzig Nächte in Lex Sal. 78, 7, in Form. Bign. 13, Carta Senon. 17. Vierundachtzig in Lex Sal. 78, 7. Siehe Sohm S. 393, Anm. 13. 4 Vierzehn, vierzig oder achtzig Nächte in Lex Rib. 30, 2; 33, 2; 59, 4; 67, 2; 72, 2. Vierzehn, zweiundvierzig oder vierundachtzig Nächte in Lex Rib. 31, 1 und in Lex Chamav. 44. Siehe Sohm S. 438, Anm. 142. Die Frist von achtzig oder vierundachtzig Nächten stellt eine Verdoppelung der sechswöchent- lichen Prozeſsfrist dar. Die vierzehnnächtige Prozeſsfrist könnte auch den ge- botenen Dingen ihre Entstehung verdanken. 5 Siehe oben I 146. 6 Die Neumonde folgen sich in dem mittleren Abstande von 29,53 Tagen. 7 Mit den Worten post banno resiso ist in Form. Senon. rec. 2 die Auf- hebung des Dingbanns gemeint, für welche die Urkunden des Cartulaire de Re- don S. 37, Nr. 46, S. 106, Nr. 139, S. 110, Nr. 144 den Ausdruck placitum levare haben. Vgl. oben I 145, Anm. 8. 8 Das Intervall schwankt zwischen 13,99 und 15,54 Tagen. 9 Die Frist betrug also in den einzelnen Fällen entweder 40 oder 42 Nächte.
Die Erörterung im Ed. Pist. v. J. 864, c. 33, Pertz, LL I 496, beruht auf moderni- sierender Reflexion. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0236" n="218"/><fw place="top" type="header">§ 88. Dingpflicht und Gerichtswesen.</fw><lb/> Nächten <note place="foot" n="3">Vierzig Nächte in Lex Sal. 47, 1; 50, 1; 56. 74. 106. Form. Turon. 30. 31.<lb/> Senon. rec. 2. Lindenbrog 20. 21. Pertz, Dipl. M. 59. Achtzig Nächte in Lex<lb/> Sal. 47, 5. Zweiundvierzig Nächte in Lex Sal. 78, 7, in Form. Bign. 13, Carta<lb/> Senon. 17. Vierundachtzig in Lex Sal. 78, 7. Siehe <hi rendition="#g">Sohm</hi> S. 393, Anm. 13.</note> bezeichnet wird. Die Ribuarier kannten neben dieser Frist<lb/> vielleicht auch eine kürzere von 14 Nächten für die Wiederkehr eines<lb/> echten Dinges <note place="foot" n="4">Vierzehn, vierzig oder achtzig Nächte in Lex Rib. 30, 2; 33, 2; 59, 4;<lb/> 67, 2; 72, 2. Vierzehn, zweiundvierzig oder vierundachtzig Nächte in Lex Rib.<lb/> 31, 1 und in Lex Chamav. 44. Siehe <hi rendition="#g">Sohm</hi> S. 438, Anm. 142. Die Frist<lb/> von achtzig oder vierundachtzig Nächten stellt eine Verdoppelung der sechswöchent-<lb/> lichen Prozeſsfrist dar. Die vierzehnnächtige Prozeſsfrist könnte auch den ge-<lb/> botenen Dingen ihre Entstehung verdanken.</note>. Bekanntlich war den Germanen die Mondzeit be-<lb/> stimmend für die Festsetzung der Gerichtstage. Sie hielten ihre Ver-<lb/> sammlungen, wie schon Tacitus berichtet, bei Vollmond oder Neu-<lb/> mond ab. Die Dingzeit hatte religiöse Bedeutung. Ob es Dinges<lb/> Zeit sei, war eine der stehenden, ursprünglich wohl an die Priester<lb/> gerichteten Hegungsfragen <note place="foot" n="5">Siehe oben I 146.</note>. Die Franken scheinen ihre echten<lb/> Dinge in der Weise umgelegt zu haben, daſs auf das Vollmondding<lb/> ein Neumondding, auf dieses wieder ein Vollmondding folgen muſste.<lb/> Setzte man nun das nächste Ding auf den zweitfolgenden Neumond<lb/> (bezw. Vollmond), so ergab sich eine Frist von sechs Mondwochen,<lb/> welche kalendarisch einen mittleren Wert von 44,3 Tagen darstellen <note place="foot" n="6">Die Neumonde folgen sich in dem mittleren Abstande von 29,53 Tagen.</note>.<lb/> Den Anfangspunkt der Frist bestimmte die feierliche Enthegung des drei-<lb/> tägigen echten Dinges; sie lief ‘post banno resiso’, placito levato <note place="foot" n="7">Mit den Worten post banno resiso ist in Form. Senon. rec. 2 die Auf-<lb/> hebung des Dingbanns gemeint, für welche die Urkunden des Cartulaire de Re-<lb/> don S. 37, Nr. 46, S. 106, Nr. 139, S. 110, Nr. 144 den Ausdruck placitum<lb/> levare haben. Vgl. oben I 145, Anm. 8.</note>. Ziehen<lb/> wir die drei Tage von den sechs Mondwochen ab, so schiebt sich zwischen<lb/> den Schluſspunkt des Vollmonddings und den Anfangspunkt des Neu-<lb/> monddings bei dem Schwanken des Intervalls zwischen Vollmond und<lb/> Neumond, welches beispielsweise im laufenden Jahre reichlich 1½ Tage<lb/> beträgt <note place="foot" n="8">Das Intervall schwankt zwischen 13,99 und 15,54 Tagen.</note>, eine Frist von 40 bis 42 Nächten ein <note place="foot" n="9">Die Frist betrug also in den einzelnen Fällen entweder 40 oder 42 Nächte.<lb/> Die Erörterung im Ed. Pist. v. J. 864, c. 33, Pertz, LL I 496, beruht auf moderni-<lb/> sierender Reflexion.</note>. Konnte schon die<lb/> nächste entgegengesetzte Mondphase maſsgebend sein, so kam man<lb/> zu einer Frist von 14 Nächten. Dagegen waren Fristen von acht<lb/> Tagen, von drei, vier und fünf Wochen für die Wiederkehr eines echten<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [218/0236]
§ 88. Dingpflicht und Gerichtswesen.
Nächten 3 bezeichnet wird. Die Ribuarier kannten neben dieser Frist
vielleicht auch eine kürzere von 14 Nächten für die Wiederkehr eines
echten Dinges 4. Bekanntlich war den Germanen die Mondzeit be-
stimmend für die Festsetzung der Gerichtstage. Sie hielten ihre Ver-
sammlungen, wie schon Tacitus berichtet, bei Vollmond oder Neu-
mond ab. Die Dingzeit hatte religiöse Bedeutung. Ob es Dinges
Zeit sei, war eine der stehenden, ursprünglich wohl an die Priester
gerichteten Hegungsfragen 5. Die Franken scheinen ihre echten
Dinge in der Weise umgelegt zu haben, daſs auf das Vollmondding
ein Neumondding, auf dieses wieder ein Vollmondding folgen muſste.
Setzte man nun das nächste Ding auf den zweitfolgenden Neumond
(bezw. Vollmond), so ergab sich eine Frist von sechs Mondwochen,
welche kalendarisch einen mittleren Wert von 44,3 Tagen darstellen 6.
Den Anfangspunkt der Frist bestimmte die feierliche Enthegung des drei-
tägigen echten Dinges; sie lief ‘post banno resiso’, placito levato 7. Ziehen
wir die drei Tage von den sechs Mondwochen ab, so schiebt sich zwischen
den Schluſspunkt des Vollmonddings und den Anfangspunkt des Neu-
monddings bei dem Schwanken des Intervalls zwischen Vollmond und
Neumond, welches beispielsweise im laufenden Jahre reichlich 1½ Tage
beträgt 8, eine Frist von 40 bis 42 Nächten ein 9. Konnte schon die
nächste entgegengesetzte Mondphase maſsgebend sein, so kam man
zu einer Frist von 14 Nächten. Dagegen waren Fristen von acht
Tagen, von drei, vier und fünf Wochen für die Wiederkehr eines echten
3 Vierzig Nächte in Lex Sal. 47, 1; 50, 1; 56. 74. 106. Form. Turon. 30. 31.
Senon. rec. 2. Lindenbrog 20. 21. Pertz, Dipl. M. 59. Achtzig Nächte in Lex
Sal. 47, 5. Zweiundvierzig Nächte in Lex Sal. 78, 7, in Form. Bign. 13, Carta
Senon. 17. Vierundachtzig in Lex Sal. 78, 7. Siehe Sohm S. 393, Anm. 13.
4 Vierzehn, vierzig oder achtzig Nächte in Lex Rib. 30, 2; 33, 2; 59, 4;
67, 2; 72, 2. Vierzehn, zweiundvierzig oder vierundachtzig Nächte in Lex Rib.
31, 1 und in Lex Chamav. 44. Siehe Sohm S. 438, Anm. 142. Die Frist
von achtzig oder vierundachtzig Nächten stellt eine Verdoppelung der sechswöchent-
lichen Prozeſsfrist dar. Die vierzehnnächtige Prozeſsfrist könnte auch den ge-
botenen Dingen ihre Entstehung verdanken.
5 Siehe oben I 146.
6 Die Neumonde folgen sich in dem mittleren Abstande von 29,53 Tagen.
7 Mit den Worten post banno resiso ist in Form. Senon. rec. 2 die Auf-
hebung des Dingbanns gemeint, für welche die Urkunden des Cartulaire de Re-
don S. 37, Nr. 46, S. 106, Nr. 139, S. 110, Nr. 144 den Ausdruck placitum
levare haben. Vgl. oben I 145, Anm. 8.
8 Das Intervall schwankt zwischen 13,99 und 15,54 Tagen.
9 Die Frist betrug also in den einzelnen Fällen entweder 40 oder 42 Nächte.
Die Erörterung im Ed. Pist. v. J. 864, c. 33, Pertz, LL I 496, beruht auf moderni-
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