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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 92. Gefolgschaft und Vassallität.
legien18. Es gab verheiratete Gasinden des Königs, die ausgedehnten
Grundbesitz hatten19 und freie Leute in ihren Dienst aufnahmen20.
Gasinden oder eine höhere Klasse von solchen kann auch der Aus-
druck amici21 bezeichnen, welcher, den gallo-römischen Patronats-
verhältnissen entstammend, zugleich die Übersetzung eines germani-
schen Wortes für Gefolgsgenossen darstellt, die auch Freunde, winei,
genannt werden22.

Seit dem achten Jahrhundert wird für dieselbe Klasse von Per-
sonen, die sonst auch gasindi heissen23, im fränkischen Reiche der
Ausdruck vassi, vassalli gebraucht, der jenen allmählich vollständig
verdrängt. Die Landvergabungen aus Kirchengut erfolgten an vassi
oder gasindi, die als Reiter dienen sollten24. Gasinden kennt in Ita-
lien noch die fränkische Gesetzgebung, ohne dass unter ihnen etwas
anderes verstanden werden kann als Vassallen25. Offenbar ist die
Stellung der Gasinden mit der der Vassallen identisch geworden, sind
sie in die Vassallen aufgegangen, nachdem diese eine Spielart der
germanischen Gefolgschaft geworden waren. Vassus bezeichnet ur-

18 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 47 f.
19 In Cod. dipl. Lang. Nr. 51, col. 97 ff. v. J. 774 (Mai) verfügt ein Gasinde
des Königs auf den Todesfall über zahlreiche Güter zu Gunsten von Kirchen und
zu Gunsten seiner Frau. Auch ordnet er die Freilassung seiner Knechte und
Aldien an.
20 Ratchis 11: liber homo in servitio de gasindio regis.
21 Marculf I 23. 24. 32. Greg. Tur. Hist. Franc. III 35: Siacrius tötet statt des Siri-
vald einen seiner amici, der aus dem Hause des Sirivald heraustritt. Er ist subditus
seines Herrn. Testament des Bertramnus, Pardessus, Dipl. I, Nr. 230, S. 212:
amici mei vel fideles servientes. Roth, BW S. 157. Waitz, VG II 1, S. 257.
W. Sickel in den Götting. gel. Anz. 1887, S. 823, nach welchem amicus bei
Gregor von Tours den freien Dienstmann bezeichnet. Die technische Anwendung
des Wortes im spätrömischen Militärwesen (Mommsen, Hermes XXIV 237) dürfte
auf den Einfluss des germanischen Gefolgswesens zurückgehen. Über den amicus
der römischen Klientel siehe Fustel de Coulanges, Origines du systeme feodal
S. 209 ff.
22 Siehe oben I 142.
23 In Meichelbeck I 151 v. J. 903, bei Zahn I 188 v. J. 1180 und in salz-
burgischen Urkunden (Du Cange-Henschel VI 261) werden sindmanni genannt. Es
sind Halbfreie oder Unfreie, die neben parscalchi und mancipia verschenkt werden.
Sprachlich ist sindman identisch mit dem angelsächsischen gesidman.
24 Vgl. Z2 f. RG IX 216.
25 Cap. miss. v. J. 865, c. 4, II 93 f.: inquirendum .. quae beneficia domini-
cus gasindius habuit. Vgl. Waitz, VG IV 243, Anm. 2. Die Stelle in Cap. Pipp.
782--786, c. 7, I 192: et si forsitan attenderit ad gasindios, stammt aus Ratchis 10.
Eine Cavenser Glosse versteht unter Gasinden: qui palacio regis custodiunt, die
Glosse zu Liber Papiensis, Ratchis 6: qui sine benefitio servit. Es sind Vassallen
gemeint, die als austaldi, mithin ohne Benefizien dienen.

§ 92. Gefolgschaft und Vassallität.
legien18. Es gab verheiratete Gasinden des Königs, die ausgedehnten
Grundbesitz hatten19 und freie Leute in ihren Dienst aufnahmen20.
Gasinden oder eine höhere Klasse von solchen kann auch der Aus-
druck amici21 bezeichnen, welcher, den gallo-römischen Patronats-
verhältnissen entstammend, zugleich die Übersetzung eines germani-
schen Wortes für Gefolgsgenossen darstellt, die auch Freunde, winî,
genannt werden22.

Seit dem achten Jahrhundert wird für dieselbe Klasse von Per-
sonen, die sonst auch gasindi heiſsen23, im fränkischen Reiche der
Ausdruck vassi, vassalli gebraucht, der jenen allmählich vollständig
verdrängt. Die Landvergabungen aus Kirchengut erfolgten an vassi
oder gasindi, die als Reiter dienen sollten24. Gasinden kennt in Ita-
lien noch die fränkische Gesetzgebung, ohne daſs unter ihnen etwas
anderes verstanden werden kann als Vassallen25. Offenbar ist die
Stellung der Gasinden mit der der Vassallen identisch geworden, sind
sie in die Vassallen aufgegangen, nachdem diese eine Spielart der
germanischen Gefolgschaft geworden waren. Vassus bezeichnet ur-

18 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 47 f.
19 In Cod. dipl. Lang. Nr. 51, col. 97 ff. v. J. 774 (Mai) verfügt ein Gasinde
des Königs auf den Todesfall über zahlreiche Güter zu Gunsten von Kirchen und
zu Gunsten seiner Frau. Auch ordnet er die Freilassung seiner Knechte und
Aldien an.
20 Ratchis 11: liber homo in servitio de gasindio regis.
21 Marculf I 23. 24. 32. Greg. Tur. Hist. Franc. III 35: Siacrius tötet statt des Siri-
vald einen seiner amici, der aus dem Hause des Sirivald heraustritt. Er ist subditus
seines Herrn. Testament des Bertramnus, Pardessus, Dipl. I, Nr. 230, S. 212:
amici mei vel fideles servientes. Roth, BW S. 157. Waitz, VG II 1, S. 257.
W. Sickel in den Götting. gel. Anz. 1887, S. 823, nach welchem amicus bei
Gregor von Tours den freien Dienstmann bezeichnet. Die technische Anwendung
des Wortes im spätrömischen Militärwesen (Mommsen, Hermes XXIV 237) dürfte
auf den Einfluſs des germanischen Gefolgswesens zurückgehen. Über den amicus
der römischen Klientel siehe Fustel de Coulanges, Origines du système féodal
S. 209 ff.
22 Siehe oben I 142.
23 In Meichelbeck I 151 v. J. 903, bei Zahn I 188 v. J. 1180 und in salz-
burgischen Urkunden (Du Cange-Henschel VI 261) werden sindmanni genannt. Es
sind Halbfreie oder Unfreie, die neben parscalchi und mancipia verschenkt werden.
Sprachlich ist sindman identisch mit dem angelsächsischen gesídman.
24 Vgl. Z2 f. RG IX 216.
25 Cap. miss. v. J. 865, c. 4, II 93 f.: inquirendum .. quae beneficia domini-
cus gasindius habuit. Vgl. Waitz, VG IV 243, Anm. 2. Die Stelle in Cap. Pipp.
782—786, c. 7, I 192: et si forsitan attenderit ad gasindios, stammt aus Ratchis 10.
Eine Cavenser Glosse versteht unter Gasinden: qui palacio regis custodiunt, die
Glosse zu Liber Papiensis, Ratchis 6: qui sine benefitio servit. Es sind Vassallen
gemeint, die als austaldi, mithin ohne Benefizien dienen.
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[261/0279] § 92. Gefolgschaft und Vassallität. legien 18. Es gab verheiratete Gasinden des Königs, die ausgedehnten Grundbesitz hatten 19 und freie Leute in ihren Dienst aufnahmen 20. Gasinden oder eine höhere Klasse von solchen kann auch der Aus- druck amici 21 bezeichnen, welcher, den gallo-römischen Patronats- verhältnissen entstammend, zugleich die Übersetzung eines germani- schen Wortes für Gefolgsgenossen darstellt, die auch Freunde, winî, genannt werden 22. Seit dem achten Jahrhundert wird für dieselbe Klasse von Per- sonen, die sonst auch gasindi heiſsen 23, im fränkischen Reiche der Ausdruck vassi, vassalli gebraucht, der jenen allmählich vollständig verdrängt. Die Landvergabungen aus Kirchengut erfolgten an vassi oder gasindi, die als Reiter dienen sollten 24. Gasinden kennt in Ita- lien noch die fränkische Gesetzgebung, ohne daſs unter ihnen etwas anderes verstanden werden kann als Vassallen 25. Offenbar ist die Stellung der Gasinden mit der der Vassallen identisch geworden, sind sie in die Vassallen aufgegangen, nachdem diese eine Spielart der germanischen Gefolgschaft geworden waren. Vassus bezeichnet ur- 18 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 47 f. 19 In Cod. dipl. Lang. Nr. 51, col. 97 ff. v. J. 774 (Mai) verfügt ein Gasinde des Königs auf den Todesfall über zahlreiche Güter zu Gunsten von Kirchen und zu Gunsten seiner Frau. Auch ordnet er die Freilassung seiner Knechte und Aldien an. 20 Ratchis 11: liber homo in servitio de gasindio regis. 21 Marculf I 23. 24. 32. Greg. Tur. Hist. Franc. III 35: Siacrius tötet statt des Siri- vald einen seiner amici, der aus dem Hause des Sirivald heraustritt. Er ist subditus seines Herrn. Testament des Bertramnus, Pardessus, Dipl. I, Nr. 230, S. 212: amici mei vel fideles servientes. Roth, BW S. 157. Waitz, VG II 1, S. 257. W. Sickel in den Götting. gel. Anz. 1887, S. 823, nach welchem amicus bei Gregor von Tours den freien Dienstmann bezeichnet. Die technische Anwendung des Wortes im spätrömischen Militärwesen (Mommsen, Hermes XXIV 237) dürfte auf den Einfluſs des germanischen Gefolgswesens zurückgehen. Über den amicus der römischen Klientel siehe Fustel de Coulanges, Origines du système féodal S. 209 ff. 22 Siehe oben I 142. 23 In Meichelbeck I 151 v. J. 903, bei Zahn I 188 v. J. 1180 und in salz- burgischen Urkunden (Du Cange-Henschel VI 261) werden sindmanni genannt. Es sind Halbfreie oder Unfreie, die neben parscalchi und mancipia verschenkt werden. Sprachlich ist sindman identisch mit dem angelsächsischen gesídman. 24 Vgl. Z2 f. RG IX 216. 25 Cap. miss. v. J. 865, c. 4, II 93 f.: inquirendum .. quae beneficia domini- cus gasindius habuit. Vgl. Waitz, VG IV 243, Anm. 2. Die Stelle in Cap. Pipp. 782—786, c. 7, I 192: et si forsitan attenderit ad gasindios, stammt aus Ratchis 10. Eine Cavenser Glosse versteht unter Gasinden: qui palacio regis custodiunt, die Glosse zu Liber Papiensis, Ratchis 6: qui sine benefitio servit. Es sind Vassallen gemeint, die als austaldi, mithin ohne Benefizien dienen.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/279>, abgerufen am 22.11.2024.