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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 92. Gefolgschaft und Vassallität.
Vassallen ablegen durften44. Wie von vornehmen Personen über-
haupt, galt auch von den Königsvassallen, dass sie in Strafsachen vor
den König gebracht45 werden sollten. Zum mindesten musste der König
vor Verhängung des Strafzwangs benachrichtigt werden46. Für un-
freie Vassallen haftete der Herr ebenso wie für andere Unfreie. Hin-
sichtlich der freien Vassallen, die im Hause des Herrn lebten, griffen
die Grundsätze ein, welche die Haftung des Herrn für freie Haus-
genossen47 und die Zuchtgewalt bestimmten, die er über sie besass.

Im westlichen Teile des Frankenreiches wurde es Sitte, dass man
bei Rechtsansprüchen gegen Vassallen zunächst die Vermittelung des
Herrn nachsuchte, um auf aussergerichtlichem Wege zu seinem Rechte
zu kommen48. Und es war wohl nur eine Anwendung westfrän-
kischen Herkommens, wenn Lothar I. für Italien in Bezug auf seine
Aftervassallen bestimmte, dass man sich zunächst an ihren Senior zu
wenden habe, um gegen sie Recht zu erlangen49. Westfränkische
Kapitularien aus der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts sta-
tuieren sogar eine Pflicht des Herrn, den Vassallen, der durch Raub
den Landfrieden brach, vor Gericht zu stellen (praesentare) oder für
ihn zu büssen50. Mit jenem Vermittelungsrechte und mit dieser
Präsentationspflicht des Herrn, wie sie in Westfrancien bestanden,

44 Cap. Karlomanni v. J. 884, c. 4. 11, Pertz, LL I 552 ff. Nach angel-
sächsischem Rechte, Schmid, Anhang V, § 3. 4, Knut II 22, III 12, konnte der
Than sich durch seinen Than im Voreide vertreten lassen.
45 Siehe oben S. 140. Cap. Worm. v. J. 829, c. 7, II 13: si noster homo
fuerit, ad praesentiam nostram venire compellatur. Conv. Silvac. v. J. 853, c. 4,
Pertz, LL I 424: si regis homo fuerit, ... ad illius praesentiam perducatur.
46 Cap. Olonn. v. J. 825, c. 1, I 326: vassallus noster .. per comitem distrin-
gatur; quod si non audierit, nobis innotescatur, antequam in vinculis mittatur.
47 Siehe unten § 93. Die Lex Romana Curiensis II 1, 2 schreibt den prin-
cipes geradezu eine Gerichtsbarkeit zu über milites, die in ihrem täglichen persön-
lichen Dienste stehen, also im Hause ihres Herrn leben: ... et si forsitan ille
privatus homo illum militem (qui cotidie in servicio principis adstat) accusaverit, ille,
cui militat, ipse de eo iusticiam faciat.
48 Carta Senon. 27. 30. Vgl. Marculf I 27.
49 Concessio generalis v. J. 823 (?), c. 3, I 321. Vgl. Bethmann-Holl-
weg
, Civilprozess V 105.
50 Conv. Silvac. v. J. 853, c. 4, Pertz, LL I 424: si autem alterius homo
fuerit, senior cuius homo fuerit, illum regi praesentet. Karlomanni Cap. in broilo
Compendii v. J. 883, c. 3, Pertz, LL I 550: is, cuius homo eam (rapinam) fecerit,
eum ad legalem emendationem in praesentiam nostram adducat. Quod si eum ad-
ducere non potuerit, pro eo secundum statuta legum emendet. Der Vassall aber
verfällt der forbannitio. Das übersieht Menzel, Entstehung des Lehnwesens
S. 100, sodass die Folgerungen, die er aus dieser Stelle zieht, völlig in der Luft
schweben. -- Vgl. noch Cap. Pap. v. J. 865, c. 6, II 93.

§ 92. Gefolgschaft und Vassallität.
Vassallen ablegen durften44. Wie von vornehmen Personen über-
haupt, galt auch von den Königsvassallen, daſs sie in Strafsachen vor
den König gebracht45 werden sollten. Zum mindesten muſste der König
vor Verhängung des Strafzwangs benachrichtigt werden46. Für un-
freie Vassallen haftete der Herr ebenso wie für andere Unfreie. Hin-
sichtlich der freien Vassallen, die im Hause des Herrn lebten, griffen
die Grundsätze ein, welche die Haftung des Herrn für freie Haus-
genossen47 und die Zuchtgewalt bestimmten, die er über sie besaſs.

Im westlichen Teile des Frankenreiches wurde es Sitte, daſs man
bei Rechtsansprüchen gegen Vassallen zunächst die Vermittelung des
Herrn nachsuchte, um auf auſsergerichtlichem Wege zu seinem Rechte
zu kommen48. Und es war wohl nur eine Anwendung westfrän-
kischen Herkommens, wenn Lothar I. für Italien in Bezug auf seine
Aftervassallen bestimmte, daſs man sich zunächst an ihren Senior zu
wenden habe, um gegen sie Recht zu erlangen49. Westfränkische
Kapitularien aus der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts sta-
tuieren sogar eine Pflicht des Herrn, den Vassallen, der durch Raub
den Landfrieden brach, vor Gericht zu stellen (praesentare) oder für
ihn zu büſsen50. Mit jenem Vermittelungsrechte und mit dieser
Präsentationspflicht des Herrn, wie sie in Westfrancien bestanden,

44 Cap. Karlomanni v. J. 884, c. 4. 11, Pertz, LL I 552 ff. Nach angel-
sächsischem Rechte, Schmid, Anhang V, § 3. 4, Knut II 22, III 12, konnte der
Than sich durch seinen Than im Voreide vertreten lassen.
45 Siehe oben S. 140. Cap. Worm. v. J. 829, c. 7, II 13: si noster homo
fuerit, ad praesentiam nostram venire compellatur. Conv. Silvac. v. J. 853, c. 4,
Pertz, LL I 424: si regis homo fuerit, … ad illius praesentiam perducatur.
46 Cap. Olonn. v. J. 825, c. 1, I 326: vassallus noster .. per comitem distrin-
gatur; quod si non audierit, nobis innotescatur, antequam in vinculis mittatur.
47 Siehe unten § 93. Die Lex Romana Curiensis II 1, 2 schreibt den prin-
cipes geradezu eine Gerichtsbarkeit zu über milites, die in ihrem täglichen persön-
lichen Dienste stehen, also im Hause ihres Herrn leben: … et si forsitan ille
privatus homo illum militem (qui cotidie in servicio principis adstat) accusaverit, ille,
cui militat, ipse de eo iusticiam faciat.
48 Carta Senon. 27. 30. Vgl. Marculf I 27.
49 Concessio generalis v. J. 823 (?), c. 3, I 321. Vgl. Bethmann-Holl-
weg
, Civilprozeſs V 105.
50 Conv. Silvac. v. J. 853, c. 4, Pertz, LL I 424: si autem alterius homo
fuerit, senior cuius homo fuerit, illum regi praesentet. Karlomanni Cap. in broilo
Compendii v. J. 883, c. 3, Pertz, LL I 550: is, cuius homo eam (rapinam) fecerit,
eum ad legalem emendationem in praesentiam nostram adducat. Quod si eum ad-
ducere non potuerit, pro eo secundum statuta legum emendet. Der Vassall aber
verfällt der forbannitio. Das übersieht Menzel, Entstehung des Lehnwesens
S. 100, sodaſs die Folgerungen, die er aus dieser Stelle zieht, völlig in der Luft
schweben. — Vgl. noch Cap. Pap. v. J. 865, c. 6, II 93.
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[265/0283] § 92. Gefolgschaft und Vassallität. Vassallen ablegen durften 44. Wie von vornehmen Personen über- haupt, galt auch von den Königsvassallen, daſs sie in Strafsachen vor den König gebracht 45 werden sollten. Zum mindesten muſste der König vor Verhängung des Strafzwangs benachrichtigt werden 46. Für un- freie Vassallen haftete der Herr ebenso wie für andere Unfreie. Hin- sichtlich der freien Vassallen, die im Hause des Herrn lebten, griffen die Grundsätze ein, welche die Haftung des Herrn für freie Haus- genossen 47 und die Zuchtgewalt bestimmten, die er über sie besaſs. Im westlichen Teile des Frankenreiches wurde es Sitte, daſs man bei Rechtsansprüchen gegen Vassallen zunächst die Vermittelung des Herrn nachsuchte, um auf auſsergerichtlichem Wege zu seinem Rechte zu kommen 48. Und es war wohl nur eine Anwendung westfrän- kischen Herkommens, wenn Lothar I. für Italien in Bezug auf seine Aftervassallen bestimmte, daſs man sich zunächst an ihren Senior zu wenden habe, um gegen sie Recht zu erlangen 49. Westfränkische Kapitularien aus der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts sta- tuieren sogar eine Pflicht des Herrn, den Vassallen, der durch Raub den Landfrieden brach, vor Gericht zu stellen (praesentare) oder für ihn zu büſsen 50. Mit jenem Vermittelungsrechte und mit dieser Präsentationspflicht des Herrn, wie sie in Westfrancien bestanden, 44 Cap. Karlomanni v. J. 884, c. 4. 11, Pertz, LL I 552 ff. Nach angel- sächsischem Rechte, Schmid, Anhang V, § 3. 4, Knut II 22, III 12, konnte der Than sich durch seinen Than im Voreide vertreten lassen. 45 Siehe oben S. 140. Cap. Worm. v. J. 829, c. 7, II 13: si noster homo fuerit, ad praesentiam nostram venire compellatur. Conv. Silvac. v. J. 853, c. 4, Pertz, LL I 424: si regis homo fuerit, … ad illius praesentiam perducatur. 46 Cap. Olonn. v. J. 825, c. 1, I 326: vassallus noster .. per comitem distrin- gatur; quod si non audierit, nobis innotescatur, antequam in vinculis mittatur. 47 Siehe unten § 93. Die Lex Romana Curiensis II 1, 2 schreibt den prin- cipes geradezu eine Gerichtsbarkeit zu über milites, die in ihrem täglichen persön- lichen Dienste stehen, also im Hause ihres Herrn leben: … et si forsitan ille privatus homo illum militem (qui cotidie in servicio principis adstat) accusaverit, ille, cui militat, ipse de eo iusticiam faciat. 48 Carta Senon. 27. 30. Vgl. Marculf I 27. 49 Concessio generalis v. J. 823 (?), c. 3, I 321. Vgl. Bethmann-Holl- weg, Civilprozeſs V 105. 50 Conv. Silvac. v. J. 853, c. 4, Pertz, LL I 424: si autem alterius homo fuerit, senior cuius homo fuerit, illum regi praesentet. Karlomanni Cap. in broilo Compendii v. J. 883, c. 3, Pertz, LL I 550: is, cuius homo eam (rapinam) fecerit, eum ad legalem emendationem in praesentiam nostram adducat. Quod si eum ad- ducere non potuerit, pro eo secundum statuta legum emendet. Der Vassall aber verfällt der forbannitio. Das übersieht Menzel, Entstehung des Lehnwesens S. 100, sodaſs die Folgerungen, die er aus dieser Stelle zieht, völlig in der Luft schweben. — Vgl. noch Cap. Pap. v. J. 865, c. 6, II 93.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/283>, abgerufen am 22.11.2024.