öffentliche Beamte, kann sie nunmehr der Immunitätsherr von den Hintersassen, die sie verwirken, einfordern und beitreiben. Die Ein- künfte, auf welche der Fiskus verzichtet, fallen an den Immunitäts- herrn46. Die Zuweisung der Friedensgelder setzt, wie sich noch weiter unten ergeben wird, die Anerkennung oder Übertragung der niederen Gerichtsbarkeit über die freien Hintersassen der Immunitäts- herrschaft voraus.
Seit dem neunten Jahrhundert nimmt die kirchliche Immunität das Vorrecht eines territorialen Sonderfriedens in sich auf47. An sich ist der Immunität der Begriff eines höheren Friedens fremd. Da die königlichen Verbote, die sie enthält, an die öffentlichen Beamten gerichtet sind, vermag nur ein solcher, nicht ein beliebiger Dritter, die Immunität zu verletzen und auch der Beamte nur durch eine der verbotenen Amtshandlungen, nicht aber durch eine Unthat, die sich als gewöhnlicher Friedensbruch, z. B. als Landraub, darstellt. Gegen derartige Verletzungen schützte nicht die Immunität, sondern der allgemeine Kirchenfriede, die im Sonderschutz des Königs befind- lichen Kirchen der höhere Friede, wie ihn der königliche Schutzbrief gewährte. Nun war es aber in den allgemeinen Verhältnissen des fränkischen Reiches begründet, dass Beeinträchtigungen des kirchlichen Besitzstandes vorzugsweise von königlichen Beamten ausgingen. Sie vor allen hatten die Macht, sich Eingriffe zu erlauben. Vieles Kirchen- gut stammte aus Krongut, und die königlichen Beamten waren geneigt, solches Gut zum Fiskus oder zum Amtsgute zu ziehen oder zur Ge- winnung von Vassallen zu verwenden, etwa unter dem Vorgeben, im Interesse des Königs zu handeln. Darum richtete sich der Schutz- brief, wo er das iniuriare und inquietare zu Gunsten des Schützlings verbietet, in erster Linie an die königlichen Beamten48. Andererseits nahmen aber die Immunitätsbriefe Klauseln auf, die sich auf den Schutz des kirchlichen Besitzstandes beziehen, indem sie einschärfen, dass keiner der Beamten oder sonst irgend jemand der Kirche etwas
nicht etwa an den öffentlichen Beamten abgeliefert, sondern wie die Zinse und Abgaben der Hintersassen und wie die übrigen Einkünfte der Domänen jährlich verrechnet. Cap. de villis c. 4. 62, I 83. 88.
46 Nach allgemeinen fränkischen Rechtsgrundsätzen hatte der öffentliche Richter den Anspruch auf den fredus auch dann, wenn der zu seinem Gerichts- bezirk gehörige Missethäter nicht von ihm selbst verurteilt worden ist. Pactus pro tenore pacis c. 16, Cap. I 7: fretus tamen iudici, in cuius provincia est latro, reservetur.
47 Siehe oben S. 54 ff.
48 Marculf I 24: et nec vos nec iuniores aut successores vestri vel quislibet eum ... iniuriare nec inquietare non praesumatis. Marc. add. 2. Carta Senon. 28.
§ 94. Die Immunität.
öffentliche Beamte, kann sie nunmehr der Immunitätsherr von den Hintersassen, die sie verwirken, einfordern und beitreiben. Die Ein- künfte, auf welche der Fiskus verzichtet, fallen an den Immunitäts- herrn46. Die Zuweisung der Friedensgelder setzt, wie sich noch weiter unten ergeben wird, die Anerkennung oder Übertragung der niederen Gerichtsbarkeit über die freien Hintersassen der Immunitäts- herrschaft voraus.
Seit dem neunten Jahrhundert nimmt die kirchliche Immunität das Vorrecht eines territorialen Sonderfriedens in sich auf47. An sich ist der Immunität der Begriff eines höheren Friedens fremd. Da die königlichen Verbote, die sie enthält, an die öffentlichen Beamten gerichtet sind, vermag nur ein solcher, nicht ein beliebiger Dritter, die Immunität zu verletzen und auch der Beamte nur durch eine der verbotenen Amtshandlungen, nicht aber durch eine Unthat, die sich als gewöhnlicher Friedensbruch, z. B. als Landraub, darstellt. Gegen derartige Verletzungen schützte nicht die Immunität, sondern der allgemeine Kirchenfriede, die im Sonderschutz des Königs befind- lichen Kirchen der höhere Friede, wie ihn der königliche Schutzbrief gewährte. Nun war es aber in den allgemeinen Verhältnissen des fränkischen Reiches begründet, daſs Beeinträchtigungen des kirchlichen Besitzstandes vorzugsweise von königlichen Beamten ausgingen. Sie vor allen hatten die Macht, sich Eingriffe zu erlauben. Vieles Kirchen- gut stammte aus Krongut, und die königlichen Beamten waren geneigt, solches Gut zum Fiskus oder zum Amtsgute zu ziehen oder zur Ge- winnung von Vassallen zu verwenden, etwa unter dem Vorgeben, im Interesse des Königs zu handeln. Darum richtete sich der Schutz- brief, wo er das iniuriare und inquietare zu Gunsten des Schützlings verbietet, in erster Linie an die königlichen Beamten48. Andererseits nahmen aber die Immunitätsbriefe Klauseln auf, die sich auf den Schutz des kirchlichen Besitzstandes beziehen, indem sie einschärfen, daſs keiner der Beamten oder sonst irgend jemand der Kirche etwas
nicht etwa an den öffentlichen Beamten abgeliefert, sondern wie die Zinse und Abgaben der Hintersassen und wie die übrigen Einkünfte der Domänen jährlich verrechnet. Cap. de villis c. 4. 62, I 83. 88.
46 Nach allgemeinen fränkischen Rechtsgrundsätzen hatte der öffentliche Richter den Anspruch auf den fredus auch dann, wenn der zu seinem Gerichts- bezirk gehörige Missethäter nicht von ihm selbst verurteilt worden ist. Pactus pro tenore pacis c. 16, Cap. I 7: fretus tamen iudici, in cuius provincia est latro, reservetur.
47 Siehe oben S. 54 ff.
48 Marculf I 24: et nec vos nec iuniores aut successores vestri vel quislibet eum … iniuriare nec inquietare non praesumatis. Marc. add. 2. Carta Senon. 28.
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§ 94. Die Immunität.
öffentliche Beamte, kann sie nunmehr der Immunitätsherr von den
Hintersassen, die sie verwirken, einfordern und beitreiben. Die Ein-
künfte, auf welche der Fiskus verzichtet, fallen an den Immunitäts-
herrn 46. Die Zuweisung der Friedensgelder setzt, wie sich noch
weiter unten ergeben wird, die Anerkennung oder Übertragung der
niederen Gerichtsbarkeit über die freien Hintersassen der Immunitäts-
herrschaft voraus.
Seit dem neunten Jahrhundert nimmt die kirchliche Immunität
das Vorrecht eines territorialen Sonderfriedens in sich auf 47. An sich
ist der Immunität der Begriff eines höheren Friedens fremd. Da die
königlichen Verbote, die sie enthält, an die öffentlichen Beamten
gerichtet sind, vermag nur ein solcher, nicht ein beliebiger Dritter,
die Immunität zu verletzen und auch der Beamte nur durch eine
der verbotenen Amtshandlungen, nicht aber durch eine Unthat, die
sich als gewöhnlicher Friedensbruch, z. B. als Landraub, darstellt.
Gegen derartige Verletzungen schützte nicht die Immunität, sondern
der allgemeine Kirchenfriede, die im Sonderschutz des Königs befind-
lichen Kirchen der höhere Friede, wie ihn der königliche Schutzbrief
gewährte. Nun war es aber in den allgemeinen Verhältnissen des
fränkischen Reiches begründet, daſs Beeinträchtigungen des kirchlichen
Besitzstandes vorzugsweise von königlichen Beamten ausgingen. Sie
vor allen hatten die Macht, sich Eingriffe zu erlauben. Vieles Kirchen-
gut stammte aus Krongut, und die königlichen Beamten waren geneigt,
solches Gut zum Fiskus oder zum Amtsgute zu ziehen oder zur Ge-
winnung von Vassallen zu verwenden, etwa unter dem Vorgeben, im
Interesse des Königs zu handeln. Darum richtete sich der Schutz-
brief, wo er das iniuriare und inquietare zu Gunsten des Schützlings
verbietet, in erster Linie an die königlichen Beamten 48. Andererseits
nahmen aber die Immunitätsbriefe Klauseln auf, die sich auf den
Schutz des kirchlichen Besitzstandes beziehen, indem sie einschärfen,
daſs keiner der Beamten oder sonst irgend jemand der Kirche etwas
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46 Nach allgemeinen fränkischen Rechtsgrundsätzen hatte der öffentliche
Richter den Anspruch auf den fredus auch dann, wenn der zu seinem Gerichts-
bezirk gehörige Missethäter nicht von ihm selbst verurteilt worden ist. Pactus
pro tenore pacis c. 16, Cap. I 7: fretus tamen iudici, in cuius provincia est latro,
reservetur.
47 Siehe oben S. 54 ff.
48 Marculf I 24: et nec vos nec iuniores aut successores vestri vel quislibet
eum … iniuriare nec inquietare non praesumatis. Marc. add. 2. Carta Senon. 28.
45 nicht etwa an den öffentlichen Beamten abgeliefert, sondern wie die Zinse und
Abgaben der Hintersassen und wie die übrigen Einkünfte der Domänen jährlich
verrechnet. Cap. de villis c. 4. 62, I 83. 88.
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/314>, abgerufen am 26.06.2024.
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