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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 95. Die Vögte.
Erlaubnis wurde durch königliches Privilegium gewährt 17. Bei Klö-
stern, die sich in besonderem Königsschutze befanden, vermittelte das
Schutzverhältnis die Gewährung eines Vertreters 18.

Unter den Karolingern erfuhr die kirchliche Vogtei eine grund-
sätzliche Ausdehnung. Im Einklang mit den kirchlichen Bestrebungen,
nach welchen die Geistlichen sich von weltlichen Geschäften fern-
halten sollten, schrieb ihnen der König vor, -- wie es gelegentlich
heisst pro ecclesiastico honore et pro sacerdotum reverentia --, dass sie
Vögte haben sollen 19. Hatte eine Kirche Besitztümer in mehreren
Grafschaften, so musste sie für jede dieser Grafschaften einen besonderen
Vogt bestellen 20. Mit dem allgemeinen Vogtzwang war selbstverständ-
lich das allgemeine Recht der Vertretung gegeben. Der gedachten
Neuerung entspricht es, dass seit Karl dem Grossen die Vögte der
Kirche sehr viel häufiger bezeugt sind als zuvor 21.

Die Vertretung der Kirche in Rechtsstreitigkeiten und Rechts-
geschäften bildete noch nicht, wie später, den Gegenstand eines lebens-
länglichen oder gar eines vererblichen Amtes 22. Auch war es nicht
ausgeschlossen, einen Vertreter ad hoc zu bestellen 23, wozu nament-
lich der Abschluss von Rechtsgeschäften häufigen Anlass gab. Die
Entstehung der ständigen Schirmvogtei, deren Wurzel in der prozes-
sualischen Vertretung beruht, fällt erst in die nachfränkische Zeit.

17 Ein Beispiel bietet die Urkunde Chlothars III. v. J. 667 für Abt Waldalen
von Beze, Pertz, Dipl. M. 43. Man vergleiche damit Marculf I 21.
18 Siehe oben S. 49. 51, Anm. 14.
19 Pipp. Cap. von circa 790, c. 3, I 201: de advocatis sacerdotum volumus,
ut pro ecclesiastico honore et pro illorum reverentia advocatos habeant. Cap. miss.
v. J. 802, c. 13, I 93: ut episcopi, abbates adque abbatissae advocatos adque vice-
domini centenariosque legem scientes et iusticiam diligentes pacificosque et man-
suetos habeant .. Cap. Aquisgr. 801--813, c. 14, I 172: ut episcopi et abbates
advocatos habeant. Mem. Olonn. comit. data 822--823, c. 7, I 319: volumus,
ut episcopi, abbates et abbatissae eorum advocatos habeant.
20 Cap. Pipp. 782--786, c. 6, I 192.
21 Nach v. Wickede S. 17, Anm. 1 erscheinen Vögte in St. Gallen seit
787, in Freising seit 802.
22 Cap. Olonn. v. J. 825, c. 4, I 326: eosque (advocatos) quamdiu advo-
cationem tenuerint
ab hoste relaxamus.
23 Erben, Untersuchungen zu dem Codex traditionum Odalberti, Mitth. der
Gesellschaft für Salzburger Landeskunde XXIX, S. A. S. 26, kommt hinsichtlich
der Salzburger Vögte noch für die Zeit Odalberts (923--935) zu dem Ergebnis,
dass die Vogtei damals kein ständiges, mit Rechten und Einkünften ausgestattetes
Amt war, sondern der Erzbischof sich aus der Zahl seiner Begleiter nach Belieben
denjenigen wählen konnte, der im einzelnen Rechtsgeschäfte die Stelle des Vogtes
auszufüllen hatte.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 20

§ 95. Die Vögte.
Erlaubnis wurde durch königliches Privilegium gewährt 17. Bei Klö-
stern, die sich in besonderem Königsschutze befanden, vermittelte das
Schutzverhältnis die Gewährung eines Vertreters 18.

Unter den Karolingern erfuhr die kirchliche Vogtei eine grund-
sätzliche Ausdehnung. Im Einklang mit den kirchlichen Bestrebungen,
nach welchen die Geistlichen sich von weltlichen Geschäften fern-
halten sollten, schrieb ihnen der König vor, — wie es gelegentlich
heiſst pro ecclesiastico honore et pro sacerdotum reverentia —, daſs sie
Vögte haben sollen 19. Hatte eine Kirche Besitztümer in mehreren
Grafschaften, so muſste sie für jede dieser Grafschaften einen besonderen
Vogt bestellen 20. Mit dem allgemeinen Vogtzwang war selbstverständ-
lich das allgemeine Recht der Vertretung gegeben. Der gedachten
Neuerung entspricht es, daſs seit Karl dem Groſsen die Vögte der
Kirche sehr viel häufiger bezeugt sind als zuvor 21.

Die Vertretung der Kirche in Rechtsstreitigkeiten und Rechts-
geschäften bildete noch nicht, wie später, den Gegenstand eines lebens-
länglichen oder gar eines vererblichen Amtes 22. Auch war es nicht
ausgeschlossen, einen Vertreter ad hoc zu bestellen 23, wozu nament-
lich der Abschluſs von Rechtsgeschäften häufigen Anlaſs gab. Die
Entstehung der ständigen Schirmvogtei, deren Wurzel in der prozes-
sualischen Vertretung beruht, fällt erst in die nachfränkische Zeit.

17 Ein Beispiel bietet die Urkunde Chlothars III. v. J. 667 für Abt Waldalen
von Bèze, Pertz, Dipl. M. 43. Man vergleiche damit Marculf I 21.
18 Siehe oben S. 49. 51, Anm. 14.
19 Pipp. Cap. von circa 790, c. 3, I 201: de advocatis sacerdotum volumus,
ut pro ecclesiastico honore et pro illorum reverentia advocatos habeant. Cap. miss.
v. J. 802, c. 13, I 93: ut episcopi, abbates adque abbatissae advocatos adque vice-
domini centenariosque legem scientes et iusticiam diligentes pacificosque et man-
suetos habeant .. Cap. Aquisgr. 801—813, c. 14, I 172: ut episcopi et abbates
advocatos habeant. Mem. Olonn. comit. data 822—823, c. 7, I 319: volumus,
ut episcopi, abbates et abbatissae eorum advocatos habeant.
20 Cap. Pipp. 782—786, c. 6, I 192.
21 Nach v. Wickede S. 17, Anm. 1 erscheinen Vögte in St. Gallen seit
787, in Freising seit 802.
22 Cap. Olonn. v. J. 825, c. 4, I 326: eosque (advocatos) quamdiu advo-
cationem tenuerint
ab hoste relaxamus.
23 Erben, Untersuchungen zu dem Codex traditionum Odalberti, Mitth. der
Gesellschaft für Salzburger Landeskunde XXIX, S. A. S. 26, kommt hinsichtlich
der Salzburger Vögte noch für die Zeit Odalberts (923—935) zu dem Ergebnis,
daſs die Vogtei damals kein ständiges, mit Rechten und Einkünften ausgestattetes
Amt war, sondern der Erzbischof sich aus der Zahl seiner Begleiter nach Belieben
denjenigen wählen konnte, der im einzelnen Rechtsgeschäfte die Stelle des Vogtes
auszufüllen hatte.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 20
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[305/0323] § 95. Die Vögte. Erlaubnis wurde durch königliches Privilegium gewährt 17. Bei Klö- stern, die sich in besonderem Königsschutze befanden, vermittelte das Schutzverhältnis die Gewährung eines Vertreters 18. Unter den Karolingern erfuhr die kirchliche Vogtei eine grund- sätzliche Ausdehnung. Im Einklang mit den kirchlichen Bestrebungen, nach welchen die Geistlichen sich von weltlichen Geschäften fern- halten sollten, schrieb ihnen der König vor, — wie es gelegentlich heiſst pro ecclesiastico honore et pro sacerdotum reverentia —, daſs sie Vögte haben sollen 19. Hatte eine Kirche Besitztümer in mehreren Grafschaften, so muſste sie für jede dieser Grafschaften einen besonderen Vogt bestellen 20. Mit dem allgemeinen Vogtzwang war selbstverständ- lich das allgemeine Recht der Vertretung gegeben. Der gedachten Neuerung entspricht es, daſs seit Karl dem Groſsen die Vögte der Kirche sehr viel häufiger bezeugt sind als zuvor 21. Die Vertretung der Kirche in Rechtsstreitigkeiten und Rechts- geschäften bildete noch nicht, wie später, den Gegenstand eines lebens- länglichen oder gar eines vererblichen Amtes 22. Auch war es nicht ausgeschlossen, einen Vertreter ad hoc zu bestellen 23, wozu nament- lich der Abschluſs von Rechtsgeschäften häufigen Anlaſs gab. Die Entstehung der ständigen Schirmvogtei, deren Wurzel in der prozes- sualischen Vertretung beruht, fällt erst in die nachfränkische Zeit. 17 Ein Beispiel bietet die Urkunde Chlothars III. v. J. 667 für Abt Waldalen von Bèze, Pertz, Dipl. M. 43. Man vergleiche damit Marculf I 21. 18 Siehe oben S. 49. 51, Anm. 14. 19 Pipp. Cap. von circa 790, c. 3, I 201: de advocatis sacerdotum volumus, ut pro ecclesiastico honore et pro illorum reverentia advocatos habeant. Cap. miss. v. J. 802, c. 13, I 93: ut episcopi, abbates adque abbatissae advocatos adque vice- domini centenariosque legem scientes et iusticiam diligentes pacificosque et man- suetos habeant .. Cap. Aquisgr. 801—813, c. 14, I 172: ut episcopi et abbates advocatos habeant. Mem. Olonn. comit. data 822—823, c. 7, I 319: volumus, ut episcopi, abbates et abbatissae eorum advocatos habeant. 20 Cap. Pipp. 782—786, c. 6, I 192. 21 Nach v. Wickede S. 17, Anm. 1 erscheinen Vögte in St. Gallen seit 787, in Freising seit 802. 22 Cap. Olonn. v. J. 825, c. 4, I 326: eosque (advocatos) quamdiu advo- cationem tenuerint ab hoste relaxamus. 23 Erben, Untersuchungen zu dem Codex traditionum Odalberti, Mitth. der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde XXIX, S. A. S. 26, kommt hinsichtlich der Salzburger Vögte noch für die Zeit Odalberts (923—935) zu dem Ergebnis, daſs die Vogtei damals kein ständiges, mit Rechten und Einkünften ausgestattetes Amt war, sondern der Erzbischof sich aus der Zahl seiner Begleiter nach Belieben denjenigen wählen konnte, der im einzelnen Rechtsgeschäfte die Stelle des Vogtes auszufüllen hatte. Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 20

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/323>, abgerufen am 22.11.2024.