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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 96. Die Kirche.
des kirchlichen Schuldspruches das weltliche Strafurteil gefällt und
vollstreckt wurde28.

Das vor dem kirchlichen Richter in causae minores der Äbte,
Priester, Diakonen und Kleriker stattfindende Verfahren wird in karo-
lingischer Zeit schlechtweg als Gerichtsbarkeit der Bischöfe an-
erkannt29.

In weltlichen Streitsachen nicht krimineller Natur sind nunmehr
alle Bischöfe, Äbte und seit Ludwig I. auch die Priester, in Italien
sämtliche Kleriker berechtigt und verpflichtet, sich durch Vögte ver-
treten zu lassen30. Bei Grundbesitzprozessen unter Klerikern soll
dem weltlichen Verfahren ein Vermittelungsversuch der kirchlichen
Stelle vorausgehen. Wird der Rechtsstreit zwischen Laien und Geist-
lichen geführt, so steht es dem Bischof frei, an der Gerichtsverhand-
lung des Grafen teil zu nehmen31.

Unabhängig von einem rechtsförmlichen Gerichtsverfahren, sei es
nun vor dem weltlichen oder vor dem kirchlichen Forum, ist die
Geltendmachung der von Klerikern verwirkten Bannbussen32.


28 Synodus Franconofurt. v. J. 794, c. 39, I 77: si presbyter in criminali opere
fuerit deprehensus, ad episcopum suum ducatur et secundum canonicam institutio-
nem constringatur. Mehrfach wird in karolingischen Kapitularien ein älterer kirch-
licher Kanon wiederholt in der Fassung: ut clerici (et?) ecclesiastici ordinis, si cul-
pam incurrerint, apud ecclesiasticos iudicentur, non apud seculares. Admonitio
generalis v. J. 789, c. 38, I 56. Cap. miss. v. J. 802 (?) c. 17, I 103. Cap. vel miss.
vel synodalia I 183, c. 9. Ansegisus I 38. Vgl. Nissl a. O. S. 127. Cap. miss.
Aquisgr. v. J. 809, c. 21, I 150: Der Priester, welcher das chrisma dazu hergiebt,
um ein Gottesurteil unschädlich zu machen (vgl. I 149, c. 10), ab episcopo degra-
detur et postmodum ad iudicem manu perdat. Wenn in Cap. Pipp. 800--810 c. 4,
I 208 auch von dem Priester oder Kleriker, der sich aus Anlass einer inquisitio
des Meineides verdächtig macht, ein Ordal verlangt wird, so bildet dies Verfahren
einen Bestandteil der amtlichen Inquisitio; das Ordal erfolgt, ut ipsa veritas vel
periurium fiant declarata. Der Ausgang soll das Ergebnis der inquisitio bestimmen,
wohl namentlich für den Fall, dass die Stimmen der Geschworenen sich zweiten.
Siehe H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 69. Fällt der Kleriker bei
dem Kreuzordal, so zahlt er den doppelten Königsbann (siehe unten Anm. 32), et
postea secundum sanctos canones iudicetur.
29 Cap. Mantuanum II, c. 1, I 196: ut neque abbates et presbiteri neque dia-
coni et subdiaconi neque quislibet de cleros de personis suis ad publica vel secu-
laria iuditia traantur vel distringantur, sed a suis episcopis adiudicati iustitias
faciant. Aus den zwei letzten Worten ergiebt sich, dass es sich da nicht um
Kriminalsachen handeln kann. Vgl. im übrigen Nissl a. O. S. 205. Lex Rom.
Cur. XVI 1, 3: omnes causas privatas, hoc sunt minores, qui inter clericos aguntur,
ab episcopo cum aliis presbiteris iudicentur. Nam si criminales causas clerici com-
miserint, ante provinciales iudices finiantur.
30 Siehe oben S. 306.
31 Nissl S. 174 f.
32 Siehe oben S. 41.

§ 96. Die Kirche.
des kirchlichen Schuldspruches das weltliche Strafurteil gefällt und
vollstreckt wurde28.

Das vor dem kirchlichen Richter in causae minores der Äbte,
Priester, Diakonen und Kleriker stattfindende Verfahren wird in karo-
lingischer Zeit schlechtweg als Gerichtsbarkeit der Bischöfe an-
erkannt29.

In weltlichen Streitsachen nicht krimineller Natur sind nunmehr
alle Bischöfe, Äbte und seit Ludwig I. auch die Priester, in Italien
sämtliche Kleriker berechtigt und verpflichtet, sich durch Vögte ver-
treten zu lassen30. Bei Grundbesitzprozessen unter Klerikern soll
dem weltlichen Verfahren ein Vermittelungsversuch der kirchlichen
Stelle vorausgehen. Wird der Rechtsstreit zwischen Laien und Geist-
lichen geführt, so steht es dem Bischof frei, an der Gerichtsverhand-
lung des Grafen teil zu nehmen31.

Unabhängig von einem rechtsförmlichen Gerichtsverfahren, sei es
nun vor dem weltlichen oder vor dem kirchlichen Forum, ist die
Geltendmachung der von Klerikern verwirkten Bannbuſsen32.


28 Synodus Franconofurt. v. J. 794, c. 39, I 77: si presbyter in criminali opere
fuerit deprehensus, ad episcopum suum ducatur et secundum canonicam institutio-
nem constringatur. Mehrfach wird in karolingischen Kapitularien ein älterer kirch-
licher Kanon wiederholt in der Fassung: ut clerici (et?) ecclesiastici ordinis, si cul-
pam incurrerint, apud ecclesiasticos iudicentur, non apud seculares. Admonitio
generalis v. J. 789, c. 38, I 56. Cap. miss. v. J. 802 (?) c. 17, I 103. Cap. vel miss.
vel synodalia I 183, c. 9. Ansegisus I 38. Vgl. Niſsl a. O. S. 127. Cap. miss.
Aquisgr. v. J. 809, c. 21, I 150: Der Priester, welcher das chrisma dazu hergiebt,
um ein Gottesurteil unschädlich zu machen (vgl. I 149, c. 10), ab episcopo degra-
detur et postmodum ad iudicem manu perdat. Wenn in Cap. Pipp. 800—810 c. 4,
I 208 auch von dem Priester oder Kleriker, der sich aus Anlaſs einer inquisitio
des Meineides verdächtig macht, ein Ordal verlangt wird, so bildet dies Verfahren
einen Bestandteil der amtlichen Inquisitio; das Ordal erfolgt, ut ipsa veritas vel
periurium fiant declarata. Der Ausgang soll das Ergebnis der inquisitio bestimmen,
wohl namentlich für den Fall, daſs die Stimmen der Geschworenen sich zweiten.
Siehe H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 69. Fällt der Kleriker bei
dem Kreuzordal, so zahlt er den doppelten Königsbann (siehe unten Anm. 32), et
postea secundum sanctos canones iudicetur.
29 Cap. Mantuanum II, c. 1, I 196: ut neque abbates et presbiteri neque dia-
coni et subdiaconi neque quislibet de cleros de personis suis ad publica vel secu-
laria iuditia traantur vel distringantur, sed a suis episcopis adiudicati iustitias
faciant. Aus den zwei letzten Worten ergiebt sich, daſs es sich da nicht um
Kriminalsachen handeln kann. Vgl. im übrigen Niſsl a. O. S. 205. Lex Rom.
Cur. XVI 1, 3: omnes causas privatas, hoc sunt minores, qui inter clericos aguntur,
ab episcopo cum aliis presbiteris iudicentur. Nam si criminales causas clerici com-
miserint, ante provinciales iudices finiantur.
30 Siehe oben S. 306.
31 Niſsl S. 174 f.
32 Siehe oben S. 41.
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[320/0338] § 96. Die Kirche. des kirchlichen Schuldspruches das weltliche Strafurteil gefällt und vollstreckt wurde 28. Das vor dem kirchlichen Richter in causae minores der Äbte, Priester, Diakonen und Kleriker stattfindende Verfahren wird in karo- lingischer Zeit schlechtweg als Gerichtsbarkeit der Bischöfe an- erkannt 29. In weltlichen Streitsachen nicht krimineller Natur sind nunmehr alle Bischöfe, Äbte und seit Ludwig I. auch die Priester, in Italien sämtliche Kleriker berechtigt und verpflichtet, sich durch Vögte ver- treten zu lassen 30. Bei Grundbesitzprozessen unter Klerikern soll dem weltlichen Verfahren ein Vermittelungsversuch der kirchlichen Stelle vorausgehen. Wird der Rechtsstreit zwischen Laien und Geist- lichen geführt, so steht es dem Bischof frei, an der Gerichtsverhand- lung des Grafen teil zu nehmen 31. Unabhängig von einem rechtsförmlichen Gerichtsverfahren, sei es nun vor dem weltlichen oder vor dem kirchlichen Forum, ist die Geltendmachung der von Klerikern verwirkten Bannbuſsen 32. 28 Synodus Franconofurt. v. J. 794, c. 39, I 77: si presbyter in criminali opere fuerit deprehensus, ad episcopum suum ducatur et secundum canonicam institutio- nem constringatur. Mehrfach wird in karolingischen Kapitularien ein älterer kirch- licher Kanon wiederholt in der Fassung: ut clerici (et?) ecclesiastici ordinis, si cul- pam incurrerint, apud ecclesiasticos iudicentur, non apud seculares. Admonitio generalis v. J. 789, c. 38, I 56. Cap. miss. v. J. 802 (?) c. 17, I 103. Cap. vel miss. vel synodalia I 183, c. 9. Ansegisus I 38. Vgl. Niſsl a. O. S. 127. Cap. miss. Aquisgr. v. J. 809, c. 21, I 150: Der Priester, welcher das chrisma dazu hergiebt, um ein Gottesurteil unschädlich zu machen (vgl. I 149, c. 10), ab episcopo degra- detur et postmodum ad iudicem manu perdat. Wenn in Cap. Pipp. 800—810 c. 4, I 208 auch von dem Priester oder Kleriker, der sich aus Anlaſs einer inquisitio des Meineides verdächtig macht, ein Ordal verlangt wird, so bildet dies Verfahren einen Bestandteil der amtlichen Inquisitio; das Ordal erfolgt, ut ipsa veritas vel periurium fiant declarata. Der Ausgang soll das Ergebnis der inquisitio bestimmen, wohl namentlich für den Fall, daſs die Stimmen der Geschworenen sich zweiten. Siehe H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 69. Fällt der Kleriker bei dem Kreuzordal, so zahlt er den doppelten Königsbann (siehe unten Anm. 32), et postea secundum sanctos canones iudicetur. 29 Cap. Mantuanum II, c. 1, I 196: ut neque abbates et presbiteri neque dia- coni et subdiaconi neque quislibet de cleros de personis suis ad publica vel secu- laria iuditia traantur vel distringantur, sed a suis episcopis adiudicati iustitias faciant. Aus den zwei letzten Worten ergiebt sich, daſs es sich da nicht um Kriminalsachen handeln kann. Vgl. im übrigen Niſsl a. O. S. 205. Lex Rom. Cur. XVI 1, 3: omnes causas privatas, hoc sunt minores, qui inter clericos aguntur, ab episcopo cum aliis presbiteris iudicentur. Nam si criminales causas clerici com- miserint, ante provinciales iudices finiantur. 30 Siehe oben S. 306. 31 Niſsl S. 174 f. 32 Siehe oben S. 41.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/338>, abgerufen am 22.11.2024.