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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 98. Ladung und Streitgedinge.
scheinen.21 Doch steht es nicht etwa im Ermessen des Gerichtes, zu
entscheiden, ob im einzelnen Falle ein rechtfertigender Hinderungs-
grund, eine echte Not vorliege. Vielmehr sind die einzelnen Gründe
der Sunnis durch das Volksrecht festgestellt. Das salische Recht kennt
als solche Feuersbrunst, Krankheit, Tod eines verwandten Hausgenossen
und Königsdienst (zur Zeit des festgesetzten Gerichtstages)22. Die
Rechtsfolgen der Dingversäumnis vermeidet der Ausbleibende nur dann,
wenn er die echte Not gehörig ankündigt (sonia nuntiare)23. Die An-
kündigung geschieht durch Absendung eines Boten24, der uns unter
dem Namen sunniboto begegnet25. War die echte Not nicht offen-
kundig, so musste sie auf Verlangen des Gegners bewiesen werden,
entweder durch den Eid des Sunneboten oder indem der Ausgebliebene
nach Behebung der Sunnis nachwies, dass sie vorhanden gewesen war26.

Wurde eine Sunnis nicht angemeldet, so verlangte der fränkische
Rechtsgang, dass das Ausbleiben des Gegners durch rechtsförmlichen
Abwesenheitsprotest konstatiert werde. Die anwesende Partei musste
nämlich, nachdem sie ihren Gegner bis Sonnenuntergang ausgewartet
hatte, feststellen, dass die Sonne untergehe, ohne dass jener erschienen
wäre. Diese Handlung wird in den fränkischen Quellen als solsatire,
solsacire27, solsadia, sulsadina, solem collocare bezeichnet28. Um den
Beweis der solsadia zu sichern, zog man Zeugen unter den vor Ge-
richt anwesenden Personen29.


21 Nordisch syn, naudsyn, fries. nedskine, flandrisch notsinne. Sunnis hängt
zusammen mit got. sunja Wahrheit, sunjon rechtfertigen (vgl. Sunnestab oben
I 180, Anm.). In technischer Anwendung gewann das Wort die abgeleitete Be-
deutung: legitimum impedimentum. Von sonia stammt das altfranzösische und
anglo-normannische essoine, essonium. Agsoniis in Lex Sal. 96, Cod. 11 ist viel-
leicht mit Kern als achtsonia, echte Sunnis zu erklären. Aclonia in Perard S. 148
v. J. 868 (H. 370) ist aus acsonia korrumpiert.
22 Lex Sal. 96.
23 Sohm, Prozess S. 133. A. Schmidt, Echte Not S. 121, Anm. 339.
Nachmals in fränkischen Quellen sinnire.
24 Form. Andeg. 12.
25 Graff, Sprachsch. III 82, VI 241. Auch Sinnebote, in Österreich Schein-
bote. Vereinzelt Notbote.
26 A. Schmidt, Echte Not S. 130 ff.
27 Auch sulsatire, saulsadire, solsadire. Von satjan, setzen, und sol, einer
fränkischen Nebenform zu sunna, also wörtlich die Sonne setzen. Grimm, RA
S. 817. 846. Schade, WB S. 746.
28 Zur Erläuterung diene ein bei Franklin, Reichshofgericht II 233 aus
Michelsen, UB II 261 citiertes Urteil, wo es heisst: Richter und Kläger sollten
warten quousque solares radii a nostro hemispherio presenti die inciperent decli-
nare et ipse sol manifeste tenderet ad occasum.
29 Hatte der Ausgebliebene sein Erscheinen rechtsförmlich versprochen oder

§ 98. Ladung und Streitgedinge.
scheinen.21 Doch steht es nicht etwa im Ermessen des Gerichtes, zu
entscheiden, ob im einzelnen Falle ein rechtfertigender Hinderungs-
grund, eine echte Not vorliege. Vielmehr sind die einzelnen Gründe
der Sunnis durch das Volksrecht festgestellt. Das salische Recht kennt
als solche Feuersbrunst, Krankheit, Tod eines verwandten Hausgenossen
und Königsdienst (zur Zeit des festgesetzten Gerichtstages)22. Die
Rechtsfolgen der Dingversäumnis vermeidet der Ausbleibende nur dann,
wenn er die echte Not gehörig ankündigt (sonia nuntiare)23. Die An-
kündigung geschieht durch Absendung eines Boten24, der uns unter
dem Namen sunniboto begegnet25. War die echte Not nicht offen-
kundig, so muſste sie auf Verlangen des Gegners bewiesen werden,
entweder durch den Eid des Sunneboten oder indem der Ausgebliebene
nach Behebung der Sunnis nachwies, daſs sie vorhanden gewesen war26.

Wurde eine Sunnis nicht angemeldet, so verlangte der fränkische
Rechtsgang, daſs das Ausbleiben des Gegners durch rechtsförmlichen
Abwesenheitsprotest konstatiert werde. Die anwesende Partei muſste
nämlich, nachdem sie ihren Gegner bis Sonnenuntergang ausgewartet
hatte, feststellen, daſs die Sonne untergehe, ohne daſs jener erschienen
wäre. Diese Handlung wird in den fränkischen Quellen als solsatire,
solsacire27, solsadia, sulsadina, solem collocare bezeichnet28. Um den
Beweis der solsadia zu sichern, zog man Zeugen unter den vor Ge-
richt anwesenden Personen29.


21 Nordisch syn, nauđsyn, fries. nêdskine, flandrisch notsinne. Sunnis hängt
zusammen mit got. sunja Wahrheit, sunjôn rechtfertigen (vgl. Sunnestab oben
I 180, Anm.). In technischer Anwendung gewann das Wort die abgeleitete Be-
deutung: legitimum impedimentum. Von sonia stammt das altfranzösische und
anglo-normannische essoine, essonium. Agsoniis in Lex Sal. 96, Cod. 11 ist viel-
leicht mit Kern als achtsonia, echte Sunnis zu erklären. Aclonia in Pérard S. 148
v. J. 868 (H. 370) ist aus acsonia korrumpiert.
22 Lex Sal. 96.
23 Sohm, Prozeſs S. 133. A. Schmidt, Echte Not S. 121, Anm. 339.
Nachmals in fränkischen Quellen sinnire.
24 Form. Andeg. 12.
25 Graff, Sprachsch. III 82, VI 241. Auch Sinnebote, in Österreich Schein-
bote. Vereinzelt Notbote.
26 A. Schmidt, Echte Not S. 130 ff.
27 Auch sulsatire, saulsadire, solsadire. Von satjan, setzen, und sol, einer
fränkischen Nebenform zu sunna, also wörtlich die Sonne setzen. Grimm, RA
S. 817. 846. Schade, WB S. 746.
28 Zur Erläuterung diene ein bei Franklin, Reichshofgericht II 233 aus
Michelsen, UB II 261 citiertes Urteil, wo es heiſst: Richter und Kläger sollten
warten quousque solares radii a nostro hemispherio presenti die inciperent decli-
nare et ipse sol manifeste tenderet ad occasum.
29 Hatte der Ausgebliebene sein Erscheinen rechtsförmlich versprochen oder
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[336/0354] § 98. Ladung und Streitgedinge. scheinen. 21 Doch steht es nicht etwa im Ermessen des Gerichtes, zu entscheiden, ob im einzelnen Falle ein rechtfertigender Hinderungs- grund, eine echte Not vorliege. Vielmehr sind die einzelnen Gründe der Sunnis durch das Volksrecht festgestellt. Das salische Recht kennt als solche Feuersbrunst, Krankheit, Tod eines verwandten Hausgenossen und Königsdienst (zur Zeit des festgesetzten Gerichtstages) 22. Die Rechtsfolgen der Dingversäumnis vermeidet der Ausbleibende nur dann, wenn er die echte Not gehörig ankündigt (sonia nuntiare) 23. Die An- kündigung geschieht durch Absendung eines Boten 24, der uns unter dem Namen sunniboto begegnet 25. War die echte Not nicht offen- kundig, so muſste sie auf Verlangen des Gegners bewiesen werden, entweder durch den Eid des Sunneboten oder indem der Ausgebliebene nach Behebung der Sunnis nachwies, daſs sie vorhanden gewesen war 26. Wurde eine Sunnis nicht angemeldet, so verlangte der fränkische Rechtsgang, daſs das Ausbleiben des Gegners durch rechtsförmlichen Abwesenheitsprotest konstatiert werde. Die anwesende Partei muſste nämlich, nachdem sie ihren Gegner bis Sonnenuntergang ausgewartet hatte, feststellen, daſs die Sonne untergehe, ohne daſs jener erschienen wäre. Diese Handlung wird in den fränkischen Quellen als solsatire, solsacire 27, solsadia, sulsadina, solem collocare bezeichnet 28. Um den Beweis der solsadia zu sichern, zog man Zeugen unter den vor Ge- richt anwesenden Personen 29. 21 Nordisch syn, nauđsyn, fries. nêdskine, flandrisch notsinne. Sunnis hängt zusammen mit got. sunja Wahrheit, sunjôn rechtfertigen (vgl. Sunnestab oben I 180, Anm.). In technischer Anwendung gewann das Wort die abgeleitete Be- deutung: legitimum impedimentum. Von sonia stammt das altfranzösische und anglo-normannische essoine, essonium. Agsoniis in Lex Sal. 96, Cod. 11 ist viel- leicht mit Kern als achtsonia, echte Sunnis zu erklären. Aclonia in Pérard S. 148 v. J. 868 (H. 370) ist aus acsonia korrumpiert. 22 Lex Sal. 96. 23 Sohm, Prozeſs S. 133. A. Schmidt, Echte Not S. 121, Anm. 339. Nachmals in fränkischen Quellen sinnire. 24 Form. Andeg. 12. 25 Graff, Sprachsch. III 82, VI 241. Auch Sinnebote, in Österreich Schein- bote. Vereinzelt Notbote. 26 A. Schmidt, Echte Not S. 130 ff. 27 Auch sulsatire, saulsadire, solsadire. Von satjan, setzen, und sol, einer fränkischen Nebenform zu sunna, also wörtlich die Sonne setzen. Grimm, RA S. 817. 846. Schade, WB S. 746. 28 Zur Erläuterung diene ein bei Franklin, Reichshofgericht II 233 aus Michelsen, UB II 261 citiertes Urteil, wo es heiſst: Richter und Kläger sollten warten quousque solares radii a nostro hemispherio presenti die inciperent decli- nare et ipse sol manifeste tenderet ad occasum. 29 Hatte der Ausgebliebene sein Erscheinen rechtsförmlich versprochen oder

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/354>, abgerufen am 22.11.2024.