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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 99. Klage und Antwort.
den Beklagten zu einer Antwort in technischem Sinne. Als solche
erscheint nur eine Erklärung, welche formell und inhaltlich den vollen
Wortlaut der Klage zugiebt oder bestreitet. Sie kann sachlich, wie
später die friesische Rechtssprache sagt, nur iechtword oder sekword,
Bekennen oder Leugnen, sein. Leugnet der Beklagte, so muss seine
Erwiderung die Klage Wort für Wort negieren. Eine Antwort dieser
Art scheint die Lex Ribuaria unter dem ihr eigentümlichen Ausdruck
alsaccia zu verstehen24, der sprachlich als vollständige Bestreitung25
erklärt werden darf26. Das Erfordernis rechtsförmlicher Antwort schloss
Einreden in eigentlichem Sinne aus, da deren Inhalt sich zur Klage
nicht als ein Ja oder Nein, sondern als ein Aber gestellt hätte.

Der Beklagte konnte dem Tangano und damit dem Zwange rechts-
förmlicher Antwort zuvorkommen, indem er erklärte, dass er nicht
verpflichtet sei, zu antworten. Unter den Gesichtspunkt rechtmässiger
Verweigerung der Antwort fallen die Einreden, soweit solche zuge-
lassen sind. Wer die Antwort verwehrt, macht geltend, dass er auf
Grund einer bestimmten Einredethatsache nicht antworten wolle. So
bestimmt die Lex Ribuaria, dass der Beklagte, der eine Urkunde besitze,
auf die Klage wegen rechtswidriger Landnahme ohne den Zwang des
Tangano erwidern dürfe: non malo ordine, sed per testamentum hoc
teneo27. Nach einer langobardischen Formel lautet für solchen Fall
die Erwiderung des Beklagten: non tibi respondeo, quia ecce carta,
quam tu mihi fecisti aut pater tuus28. Wird Klage erhoben wegen
der Missethat eines Knechtes, so mag der Herr ohne den Zwang des
Tangano erklären, dass er nicht wisse, ob sein Knecht schuldig
sei, dass er ihn aber über 14 Nächten zum Ordal des Kesselfanges
vorführen werde29. Kann er ihn, weil er flüchtig geworden, nicht

24 Lex Rib. 58, 19: hoc etiam constituemus, ut nullum hominem regium, Ro-
manum vel tabularium interpellatum in iudicio non tanganet et nec alsaccia (al.
alsacia, alsatia) requirat.
25 Von al, ganz, voll, und got. sakjo, ahh. sahha, asächs. saka, ags. saku,
fries. seke, sake, Streit, zu got. sakan streiten, ags. sacan, ahd. sahhan. Die von
Sohm, Prozess S. 149, versuchte Erklärung aus alah, Heiligtum, Tempel, scheitert
an sprachlichen Schwierigkeiten.
26 Nach ribuarischem Rechte sind homines regii, Romani und tabularii von
dem Zwang des Tangano und von der Pflicht der Alsaccia befreit. Das Vorrecht
scheint wohl zunächst den Königsleuten erteilt und von diesen auf die tabularii aus-
gedehnt worden zu sein. Wahrscheinlich hat es, und zwar schon früher, den Ver-
tretern des Fiskus in Rechtsstreitigkeiten zugestanden.
27 Lex Rib. 59, 8.
28 Formel des Liber Papiensis zu Otto I 3.
29 Lex Rib. 30, 1.

§ 99. Klage und Antwort.
den Beklagten zu einer Antwort in technischem Sinne. Als solche
erscheint nur eine Erklärung, welche formell und inhaltlich den vollen
Wortlaut der Klage zugiebt oder bestreitet. Sie kann sachlich, wie
später die friesische Rechtssprache sagt, nur iechtword oder sekword,
Bekennen oder Leugnen, sein. Leugnet der Beklagte, so muſs seine
Erwiderung die Klage Wort für Wort negieren. Eine Antwort dieser
Art scheint die Lex Ribuaria unter dem ihr eigentümlichen Ausdruck
alsaccia zu verstehen24, der sprachlich als vollständige Bestreitung25
erklärt werden darf26. Das Erfordernis rechtsförmlicher Antwort schloſs
Einreden in eigentlichem Sinne aus, da deren Inhalt sich zur Klage
nicht als ein Ja oder Nein, sondern als ein Aber gestellt hätte.

Der Beklagte konnte dem Tangano und damit dem Zwange rechts-
förmlicher Antwort zuvorkommen, indem er erklärte, daſs er nicht
verpflichtet sei, zu antworten. Unter den Gesichtspunkt rechtmäſsiger
Verweigerung der Antwort fallen die Einreden, soweit solche zuge-
lassen sind. Wer die Antwort verwehrt, macht geltend, daſs er auf
Grund einer bestimmten Einredethatsache nicht antworten wolle. So
bestimmt die Lex Ribuaria, daſs der Beklagte, der eine Urkunde besitze,
auf die Klage wegen rechtswidriger Landnahme ohne den Zwang des
Tangano erwidern dürfe: non malo ordine, sed per testamentum hoc
teneo27. Nach einer langobardischen Formel lautet für solchen Fall
die Erwiderung des Beklagten: non tibi respondeo, quia ecce carta,
quam tu mihi fecisti aut pater tuus28. Wird Klage erhoben wegen
der Missethat eines Knechtes, so mag der Herr ohne den Zwang des
Tangano erklären, daſs er nicht wisse, ob sein Knecht schuldig
sei, daſs er ihn aber über 14 Nächten zum Ordal des Kesselfanges
vorführen werde29. Kann er ihn, weil er flüchtig geworden, nicht

24 Lex Rib. 58, 19: hoc etiam constituemus, ut nullum hominem regium, Ro-
manum vel tabularium interpellatum in iudicio non tanganet et nec alsaccia (al.
alsacia, alsatia) requirat.
25 Von al, ganz, voll, und got. sakjô, ahh. sahha, asächs. saka, ags. saku,
fries. seke, sake, Streit, zu got. sakan streiten, ags. sacan, ahd. sahhan. Die von
Sohm, Prozeſs S. 149, versuchte Erklärung aus alah, Heiligtum, Tempel, scheitert
an sprachlichen Schwierigkeiten.
26 Nach ribuarischem Rechte sind homines regii, Romani und tabularii von
dem Zwang des Tangano und von der Pflicht der Alsaccia befreit. Das Vorrecht
scheint wohl zunächst den Königsleuten erteilt und von diesen auf die tabularii aus-
gedehnt worden zu sein. Wahrscheinlich hat es, und zwar schon früher, den Ver-
tretern des Fiskus in Rechtsstreitigkeiten zugestanden.
27 Lex Rib. 59, 8.
28 Formel des Liber Papiensis zu Otto I 3.
29 Lex Rib. 30, 1.
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[346/0364] § 99. Klage und Antwort. den Beklagten zu einer Antwort in technischem Sinne. Als solche erscheint nur eine Erklärung, welche formell und inhaltlich den vollen Wortlaut der Klage zugiebt oder bestreitet. Sie kann sachlich, wie später die friesische Rechtssprache sagt, nur iechtword oder sekword, Bekennen oder Leugnen, sein. Leugnet der Beklagte, so muſs seine Erwiderung die Klage Wort für Wort negieren. Eine Antwort dieser Art scheint die Lex Ribuaria unter dem ihr eigentümlichen Ausdruck alsaccia zu verstehen 24, der sprachlich als vollständige Bestreitung 25 erklärt werden darf 26. Das Erfordernis rechtsförmlicher Antwort schloſs Einreden in eigentlichem Sinne aus, da deren Inhalt sich zur Klage nicht als ein Ja oder Nein, sondern als ein Aber gestellt hätte. Der Beklagte konnte dem Tangano und damit dem Zwange rechts- förmlicher Antwort zuvorkommen, indem er erklärte, daſs er nicht verpflichtet sei, zu antworten. Unter den Gesichtspunkt rechtmäſsiger Verweigerung der Antwort fallen die Einreden, soweit solche zuge- lassen sind. Wer die Antwort verwehrt, macht geltend, daſs er auf Grund einer bestimmten Einredethatsache nicht antworten wolle. So bestimmt die Lex Ribuaria, daſs der Beklagte, der eine Urkunde besitze, auf die Klage wegen rechtswidriger Landnahme ohne den Zwang des Tangano erwidern dürfe: non malo ordine, sed per testamentum hoc teneo 27. Nach einer langobardischen Formel lautet für solchen Fall die Erwiderung des Beklagten: non tibi respondeo, quia ecce carta, quam tu mihi fecisti aut pater tuus 28. Wird Klage erhoben wegen der Missethat eines Knechtes, so mag der Herr ohne den Zwang des Tangano erklären, daſs er nicht wisse, ob sein Knecht schuldig sei, daſs er ihn aber über 14 Nächten zum Ordal des Kesselfanges vorführen werde 29. Kann er ihn, weil er flüchtig geworden, nicht 24 Lex Rib. 58, 19: hoc etiam constituemus, ut nullum hominem regium, Ro- manum vel tabularium interpellatum in iudicio non tanganet et nec alsaccia (al. alsacia, alsatia) requirat. 25 Von al, ganz, voll, und got. sakjô, ahh. sahha, asächs. saka, ags. saku, fries. seke, sake, Streit, zu got. sakan streiten, ags. sacan, ahd. sahhan. Die von Sohm, Prozeſs S. 149, versuchte Erklärung aus alah, Heiligtum, Tempel, scheitert an sprachlichen Schwierigkeiten. 26 Nach ribuarischem Rechte sind homines regii, Romani und tabularii von dem Zwang des Tangano und von der Pflicht der Alsaccia befreit. Das Vorrecht scheint wohl zunächst den Königsleuten erteilt und von diesen auf die tabularii aus- gedehnt worden zu sein. Wahrscheinlich hat es, und zwar schon früher, den Ver- tretern des Fiskus in Rechtsstreitigkeiten zugestanden. 27 Lex Rib. 59, 8. 28 Formel des Liber Papiensis zu Otto I 3. 29 Lex Rib. 30, 1.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/364>, abgerufen am 21.11.2024.