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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 100. Vorsprecher und Anwälte.
mung des Gegners war nach Volksrecht eine gerichtliche Stellver-
tretung nur erreichbar im Wege dauernder Vormundschaft, die bei
selbmündigen Personen die Unterwerfung unter die Schutzherrschaft
eines Herrn voraussetzte.

Doch war es möglich, durch königliches Privilegium zur Bestellung
eines gerichtlichen Stellvertreters zu gelangen26. Die Bestellung des
Vertreters geschah vor dem König in rechtsförmlicher Weise, entweder
für einen bestimmten Rechtsstreit oder generell für alle Rechtssachen
des Privilegierten, indem dieser dem Vertreter die Anwaltschaft durch
Zuwerfen oder Darreichen der festuca, eines Stabes oder Halmes über-
trug (laisowerpitio27). Über die königliche Erlaubnis und die erfolgte
Bestellung des Vertreters (muntporo) wurde ein königliches praeceptum
ausgefertigt28. Solche Übertragung der Anwaltschaft begründete nicht
etwa ein unwiderrufliches Vertretungsverhältnis, sondern dieses sollte
nur dauern, quamdiu amborum decreverit voluntas.

Ueber das Recht und die Pflicht der Kirchen und Geistlichen,
sich durch Vögte vertreten zu lassen, und über die Vertretungsprivi-
legien der Grafen und Königsvassallen ist oben § 95 gehandelt worden.
Von der Vertretung im Königsgerichte wird noch unten die Rede sein.

Der Vogt oder Anwalt pflegte sich, als ein in gerichtlicher Rede

26 Beispiele bieten Marculf I 21 und Pertz, Dipl. M. 43, v. J. 667.
Königliches Privileg war auch erforderlich, wenn die Partei im Liegenschaftsprozess
den Gewährsmann vertreten wollte, der von Rechts wegen in den Rechtsstreit ein-
treten sollte. Ein Formular eines derartigen Privilegiums ist Marculf I 36. Die
langobardischen Quellen nennen die Vertretung des Gewährsmanns stare loco
auctoris. Formel zu Liu. 51, Wido 5 und Glosse zu Roth. 231 und Liu. 77 (LL
IV 441): numquam Langobardus stat loco auctoris. Vgl. Z. f. HR XXII 127,
Pertile, Storia di diritto IV 251, und unten § 119.
27 Marculf I 21: quod in praesente per fistuca eas (omnes causas) eidem
visus est commendasse. In Lex Salica 77, oben Anm. 5, ist das laisoverpire auf
einen Anwalt zu beziehen, der kraft königlichen Privilegs oder durch fiduciarische
Übertragung des Rechts (als Salmann) bestellt wurde. Urk. v. J. 1025 bei
Fantuzzi IV 195 (angeführt bei Ficker, Forschungen II 24): miserunt (virgam) in
manum P. adque dixerunt: nos instituimus te advocatum nostrum que ... nobis
agenda est adversus Ravennatensem ecclesiam. Nach den jüngeren nieder-
fränkischen Rechtsquellen wurde der Anwalt bestellt mit Halm und Stroh. Ding-
talen von Delft (S. A. S. 4): Katrijn bittet durch ihren Vorsprecher (talman) um
ein Urteil, wie sie von Rechts wegen zu einem Vogt gelangen solle. Die Schöffen
weisen: mit hellem unde mit stro. So soll Katrijn ein Stroh nehmen und ihrem
Talman geben und sagen: W. ick kiese u tot mijn voecht.
28 Siehe oben Anm. 26. Pertz, Dipl. M. 66: N. qui causas ipsius orfanolo
per nostro verbo et praecepto videtur habire receptas .... Nec venisset .. ipso
mundeborone suo E., quem per ipsas praecepcionis habuit achramitum.

§ 100. Vorsprecher und Anwälte.
mung des Gegners war nach Volksrecht eine gerichtliche Stellver-
tretung nur erreichbar im Wege dauernder Vormundschaft, die bei
selbmündigen Personen die Unterwerfung unter die Schutzherrschaft
eines Herrn voraussetzte.

Doch war es möglich, durch königliches Privilegium zur Bestellung
eines gerichtlichen Stellvertreters zu gelangen26. Die Bestellung des
Vertreters geschah vor dem König in rechtsförmlicher Weise, entweder
für einen bestimmten Rechtsstreit oder generell für alle Rechtssachen
des Privilegierten, indem dieser dem Vertreter die Anwaltschaft durch
Zuwerfen oder Darreichen der festuca, eines Stabes oder Halmes über-
trug (laisowerpitio27). Über die königliche Erlaubnis und die erfolgte
Bestellung des Vertreters (muntporo) wurde ein königliches praeceptum
ausgefertigt28. Solche Übertragung der Anwaltschaft begründete nicht
etwa ein unwiderrufliches Vertretungsverhältnis, sondern dieses sollte
nur dauern, quamdiu amborum decreverit voluntas.

Ueber das Recht und die Pflicht der Kirchen und Geistlichen,
sich durch Vögte vertreten zu lassen, und über die Vertretungsprivi-
legien der Grafen und Königsvassallen ist oben § 95 gehandelt worden.
Von der Vertretung im Königsgerichte wird noch unten die Rede sein.

Der Vogt oder Anwalt pflegte sich, als ein in gerichtlicher Rede

26 Beispiele bieten Marculf I 21 und Pertz, Dipl. M. 43, v. J. 667.
Königliches Privileg war auch erforderlich, wenn die Partei im Liegenschaftsprozeſs
den Gewährsmann vertreten wollte, der von Rechts wegen in den Rechtsstreit ein-
treten sollte. Ein Formular eines derartigen Privilegiums ist Marculf I 36. Die
langobardischen Quellen nennen die Vertretung des Gewährsmanns stare loco
auctoris. Formel zu Liu. 51, Wido 5 und Glosse zu Roth. 231 und Liu. 77 (LL
IV 441): numquam Langobardus stat loco auctoris. Vgl. Z. f. HR XXII 127,
Pertile, Storia di diritto IV 251, und unten § 119.
27 Marculf I 21: quod in praesente per fistuca eas (omnes causas) eidem
visus est commendasse. In Lex Salica 77, oben Anm. 5, ist das laisoverpire auf
einen Anwalt zu beziehen, der kraft königlichen Privilegs oder durch fiduciarische
Übertragung des Rechts (als Salmann) bestellt wurde. Urk. v. J. 1025 bei
Fantuzzi IV 195 (angeführt bei Ficker, Forschungen II 24): miserunt (virgam) in
manum P. adque dixerunt: nos instituimus te advocatum nostrum que … nobis
agenda est adversus Ravennatensem ecclesiam. Nach den jüngeren nieder-
fränkischen Rechtsquellen wurde der Anwalt bestellt mit Halm und Stroh. Ding-
talen von Delft (S. A. S. 4): Katrijn bittet durch ihren Vorsprecher (talman) um
ein Urteil, wie sie von Rechts wegen zu einem Vogt gelangen solle. Die Schöffen
weisen: mit hellem unde mit stro. So soll Katrijn ein Stroh nehmen und ihrem
Talman geben und sagen: W. ick kiese u tot mijn voecht.
28 Siehe oben Anm. 26. Pertz, Dipl. M. 66: N. qui causas ipsius orfanolo
per nostro verbo et praecepto videtur habire receptas .... Nec venisset .. ipso
mundeborone suo E., quem per ipsas praecepcionis habuit achramitum.
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[354/0372] § 100. Vorsprecher und Anwälte. mung des Gegners war nach Volksrecht eine gerichtliche Stellver- tretung nur erreichbar im Wege dauernder Vormundschaft, die bei selbmündigen Personen die Unterwerfung unter die Schutzherrschaft eines Herrn voraussetzte. Doch war es möglich, durch königliches Privilegium zur Bestellung eines gerichtlichen Stellvertreters zu gelangen 26. Die Bestellung des Vertreters geschah vor dem König in rechtsförmlicher Weise, entweder für einen bestimmten Rechtsstreit oder generell für alle Rechtssachen des Privilegierten, indem dieser dem Vertreter die Anwaltschaft durch Zuwerfen oder Darreichen der festuca, eines Stabes oder Halmes über- trug (laisowerpitio 27). Über die königliche Erlaubnis und die erfolgte Bestellung des Vertreters (muntporo) wurde ein königliches praeceptum ausgefertigt 28. Solche Übertragung der Anwaltschaft begründete nicht etwa ein unwiderrufliches Vertretungsverhältnis, sondern dieses sollte nur dauern, quamdiu amborum decreverit voluntas. Ueber das Recht und die Pflicht der Kirchen und Geistlichen, sich durch Vögte vertreten zu lassen, und über die Vertretungsprivi- legien der Grafen und Königsvassallen ist oben § 95 gehandelt worden. Von der Vertretung im Königsgerichte wird noch unten die Rede sein. Der Vogt oder Anwalt pflegte sich, als ein in gerichtlicher Rede 26 Beispiele bieten Marculf I 21 und Pertz, Dipl. M. 43, v. J. 667. Königliches Privileg war auch erforderlich, wenn die Partei im Liegenschaftsprozeſs den Gewährsmann vertreten wollte, der von Rechts wegen in den Rechtsstreit ein- treten sollte. Ein Formular eines derartigen Privilegiums ist Marculf I 36. Die langobardischen Quellen nennen die Vertretung des Gewährsmanns stare loco auctoris. Formel zu Liu. 51, Wido 5 und Glosse zu Roth. 231 und Liu. 77 (LL IV 441): numquam Langobardus stat loco auctoris. Vgl. Z. f. HR XXII 127, Pertile, Storia di diritto IV 251, und unten § 119. 27 Marculf I 21: quod in praesente per fistuca eas (omnes causas) eidem visus est commendasse. In Lex Salica 77, oben Anm. 5, ist das laisoverpire auf einen Anwalt zu beziehen, der kraft königlichen Privilegs oder durch fiduciarische Übertragung des Rechts (als Salmann) bestellt wurde. Urk. v. J. 1025 bei Fantuzzi IV 195 (angeführt bei Ficker, Forschungen II 24): miserunt (virgam) in manum P. adque dixerunt: nos instituimus te advocatum nostrum que … nobis agenda est adversus Ravennatensem ecclesiam. Nach den jüngeren nieder- fränkischen Rechtsquellen wurde der Anwalt bestellt mit Halm und Stroh. Ding- talen von Delft (S. A. S. 4): Katrijn bittet durch ihren Vorsprecher (talman) um ein Urteil, wie sie von Rechts wegen zu einem Vogt gelangen solle. Die Schöffen weisen: mit hellem unde mit stro. So soll Katrijn ein Stroh nehmen und ihrem Talman geben und sagen: W. ick kiese u tot mijn voecht. 28 Siehe oben Anm. 26. Pertz, Dipl. M. 66: N. qui causas ipsius orfanolo per nostro verbo et praecepto videtur habire receptas .... Nec venisset .. ipso mundeborone suo E., quem per ipsas praecepcionis habuit achramitum.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/372>, abgerufen am 22.11.2024.