Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 101. Urteil und Urteilschelte. war. Vereinzelt findet sich aber auch der Eid mit Eidhelfern alsBeweismittel im Scheltungsverfahren 28. Die fränkischen Volksrechte sprechen sich nicht darüber aus, wie festzustellen sei, ob das Urteil oder das Gegenurteil dem Rechte entspreche 29. Sie setzen nur den Fall, dass es dem Scheltenden gelingt, die Scheltungsklage zu be- weisen, die Gescholtenen zu überführen 30. Daraus ergiebt sich aber jedenfalls, dass es sich um einen nach den Grundsätzen der Verhand- lungsmaxime zu führenden Parteibeweis handelte, für welchen nur die üblichen formalen Beweismittel zu Gebot standen. Eine erneute Prüfung des Rechtsstreites, wie sie bei unserer Appellation stattfindet, empfahl sich schon darum nicht, weil bei der Entscheidung über die Schelte nur in Frage stand, ob das Gegenurteil besser sei als das ge- scholtene Urteil. Dass bereits nach den fränkischen Volksrechten die Scheltungsklage stets eine kampfbedürftige Klage war, darf bezweifelt werden. Auch Eid mit Helfern und das Ordal des Kesselfangs mochten als Beweismittel dienen. Der Eid durfte freilich wieder gescholten werden. Und aus der Eidesschelte mag sich das Scheltungsverfahren mit Zweikampf als ein obligatorisches entwickelt haben, wie es uns in jüngeren Quellen begegnet 31. Werden die Urteiler überführt, ein ungerechtes Urteil gefunden zahl der Streiter siegt. Ssp. Ldr. I 18, § 3; II 12, 8; Görl. Ldr. 40, § 1; 46, § 1; Richtsteig Ldr. 50, § 9. 10. Nach französischen Coutumes und nach den Assisen von Jerusalem war die Urteilschelte eine kampfbedürftige Klage. Der Scheltende musste sofort bei der Schelte durch Darreichen des Kampfpfandes auf gericht- lichen Zweikampf provocieren. Die Nordfriesen kannten noch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts den Zweikampf neben dem Ordal des heissen Eisens bei der Schelte des Gerichtszeugnisses. Z2 f. RG X 243 f. 28 Nach der Keure des Landes der Freien von Brügge von circa 1190, § 3, erbietet sich der Scheltende, den Vorwurf der Schelte mit Schöffen zu beweisen; jedoch kann der gescholtene Schöffe sich mit ebensoviel Schöffen verteidigen. Dass hier Eidhelfer ('auxilium') gemeint sind, ergiebt die analoge Fassung a. O. § 23. Vgl. a. O. S. 27, Anm. 4. In Drente muss das gescholtene Erkenntnis von den Bauern, die es gefunden, mit ihrem Eide gefestigt werden, widrigenfalls sie eines unrechten Spruches schuldig sind. Seerp Gratama, Rechtsgeschiedenis van Drenthe S. 150. 29 Über Lex Rib. 32, 4 siehe unten § 111. 30 si potuerit adprobare, conprobare in Lex Sal. 57, 3. 4, si postea convicti fuerint in Lex Rib. 55. Vgl. Cap. Pipp. 754/5, c. 7, I 32. 31 Die Genossen, mit welchen nach dem Ssp. der Scheltende und der Ge-
scholtene selbsiebent in den Zweikampf eintreten, mögen ursprünglich Eidhelfer gewesen sein. § 101. Urteil und Urteilschelte. war. Vereinzelt findet sich aber auch der Eid mit Eidhelfern alsBeweismittel im Scheltungsverfahren 28. Die fränkischen Volksrechte sprechen sich nicht darüber aus, wie festzustellen sei, ob das Urteil oder das Gegenurteil dem Rechte entspreche 29. Sie setzen nur den Fall, daſs es dem Scheltenden gelingt, die Scheltungsklage zu be- weisen, die Gescholtenen zu überführen 30. Daraus ergiebt sich aber jedenfalls, daſs es sich um einen nach den Grundsätzen der Verhand- lungsmaxime zu führenden Parteibeweis handelte, für welchen nur die üblichen formalen Beweismittel zu Gebot standen. Eine erneute Prüfung des Rechtsstreites, wie sie bei unserer Appellation stattfindet, empfahl sich schon darum nicht, weil bei der Entscheidung über die Schelte nur in Frage stand, ob das Gegenurteil besser sei als das ge- scholtene Urteil. Daſs bereits nach den fränkischen Volksrechten die Scheltungsklage stets eine kampfbedürftige Klage war, darf bezweifelt werden. Auch Eid mit Helfern und das Ordal des Kesselfangs mochten als Beweismittel dienen. Der Eid durfte freilich wieder gescholten werden. Und aus der Eidesschelte mag sich das Scheltungsverfahren mit Zweikampf als ein obligatorisches entwickelt haben, wie es uns in jüngeren Quellen begegnet 31. Werden die Urteiler überführt, ein ungerechtes Urteil gefunden zahl der Streiter siegt. Ssp. Ldr. I 18, § 3; II 12, 8; Görl. Ldr. 40, § 1; 46, § 1; Richtsteig Ldr. 50, § 9. 10. Nach französischen Coutumes und nach den Assisen von Jerusalem war die Urteilschelte eine kampfbedürftige Klage. Der Scheltende muſste sofort bei der Schelte durch Darreichen des Kampfpfandes auf gericht- lichen Zweikampf provocieren. Die Nordfriesen kannten noch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts den Zweikampf neben dem Ordal des heiſsen Eisens bei der Schelte des Gerichtszeugnisses. Z2 f. RG X 243 f. 28 Nach đer Keure des Landes der Freien von Brügge von circa 1190, § 3, erbietet sich der Scheltende, den Vorwurf der Schelte mit Schöffen zu beweisen; jedoch kann der gescholtene Schöffe sich mit ebensoviel Schöffen verteidigen. Daſs hier Eidhelfer (‘auxilium’) gemeint sind, ergiebt die analoge Fassung a. O. § 23. Vgl. a. O. S. 27, Anm. 4. In Drente muſs das gescholtene Erkenntnis von den Bauern, die es gefunden, mit ihrem Eide gefestigt werden, widrigenfalls sie eines unrechten Spruches schuldig sind. Seerp Gratama, Rechtsgeschiedenis van Drenthe S. 150. 29 Über Lex Rib. 32, 4 siehe unten § 111. 30 si potuerit adprobare, conprobare in Lex Sal. 57, 3. 4, si postea convicti fuerint in Lex Rib. 55. Vgl. Cap. Pipp. 754/5, c. 7, I 32. 31 Die Genossen, mit welchen nach dem Ssp. der Scheltende und der Ge-
scholtene selbsiebent in den Zweikampf eintreten, mögen ursprünglich Eidhelfer gewesen sein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0377" n="359"/><fw place="top" type="header">§ 101. Urteil und Urteilschelte.</fw><lb/> war. Vereinzelt findet sich aber auch der Eid mit Eidhelfern als<lb/> Beweismittel im Scheltungsverfahren <note place="foot" n="28">Nach đer Keure des Landes der Freien von Brügge von circa 1190, § 3,<lb/> erbietet sich der Scheltende, den Vorwurf der Schelte mit Schöffen zu beweisen;<lb/> jedoch kann der gescholtene Schöffe sich mit ebensoviel Schöffen verteidigen. Daſs<lb/> hier Eidhelfer (‘auxilium’) gemeint sind, ergiebt die analoge Fassung a. O. § 23.<lb/> Vgl. a. O. S. 27, Anm. 4. In Drente muſs das gescholtene Erkenntnis von den<lb/> Bauern, die es gefunden, mit ihrem Eide gefestigt werden, widrigenfalls sie eines<lb/> unrechten Spruches schuldig sind. <hi rendition="#g">Seerp Gratama</hi>, Rechtsgeschiedenis van<lb/> Drenthe S. 150.</note>. Die fränkischen Volksrechte<lb/> sprechen sich nicht darüber aus, wie festzustellen sei, ob das Urteil<lb/> oder das Gegenurteil dem Rechte entspreche <note place="foot" n="29">Über Lex Rib. 32, 4 siehe unten § 111.</note>. Sie setzen nur den<lb/> Fall, daſs es dem Scheltenden gelingt, die Scheltungsklage zu be-<lb/> weisen, die Gescholtenen zu überführen <note place="foot" n="30">si potuerit adprobare, conprobare in Lex Sal. 57, 3. 4, si postea convicti<lb/> fuerint in Lex Rib. 55. Vgl. Cap. Pipp. 754/5, c. 7, I 32.</note>. Daraus ergiebt sich aber<lb/> jedenfalls, daſs es sich um einen nach den Grundsätzen der Verhand-<lb/> lungsmaxime zu führenden Parteibeweis handelte, für welchen nur die<lb/> üblichen formalen Beweismittel zu Gebot standen. Eine erneute<lb/> Prüfung des Rechtsstreites, wie sie bei unserer Appellation stattfindet,<lb/> empfahl sich schon darum nicht, weil bei der Entscheidung über die<lb/> Schelte nur in Frage stand, ob das Gegenurteil besser sei als das ge-<lb/> scholtene Urteil. Daſs bereits nach den fränkischen Volksrechten die<lb/> Scheltungsklage stets eine kampfbedürftige Klage war, darf bezweifelt<lb/> werden. Auch Eid mit Helfern und das Ordal des Kesselfangs mochten<lb/> als Beweismittel dienen. Der Eid durfte freilich wieder gescholten<lb/> werden. Und aus der Eidesschelte mag sich das Scheltungsverfahren<lb/> mit Zweikampf als ein obligatorisches entwickelt haben, wie es uns<lb/> in jüngeren Quellen begegnet <note place="foot" n="31">Die Genossen, mit welchen nach dem Ssp. der Scheltende und der Ge-<lb/> scholtene selbsiebent in den Zweikampf eintreten, mögen ursprünglich Eidhelfer<lb/> gewesen sein.</note>.</p><lb/> <p>Werden die Urteiler überführt, ein ungerechtes Urteil gefunden<lb/> zu haben, so verfällt jeder von ihnen (aber nicht mehr als sieben) in<lb/> die Buſse der Rechtsverweigerung, nämlich in die Buſse von 15 Solidi,<lb/><note xml:id="seg2pn_92_2" prev="#seg2pn_92_1" place="foot" n="27">zahl der Streiter siegt. Ssp. Ldr. I 18, § 3; II 12, 8; Görl. Ldr. 40, § 1; 46, § 1;<lb/> Richtsteig Ldr. 50, § 9. 10. Nach französischen Coutumes und nach den Assisen<lb/> von Jerusalem war die Urteilschelte eine kampfbedürftige Klage. Der Scheltende<lb/> muſste sofort bei der Schelte durch Darreichen des Kampfpfandes auf gericht-<lb/> lichen Zweikampf provocieren. Die Nordfriesen kannten noch in der ersten Hälfte<lb/> des 15. Jahrhunderts den Zweikampf neben dem Ordal des heiſsen Eisens bei der<lb/> Schelte des Gerichtszeugnisses. Z<hi rendition="#sup">2</hi> f. RG X 243 f.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [359/0377]
§ 101. Urteil und Urteilschelte.
war. Vereinzelt findet sich aber auch der Eid mit Eidhelfern als
Beweismittel im Scheltungsverfahren 28. Die fränkischen Volksrechte
sprechen sich nicht darüber aus, wie festzustellen sei, ob das Urteil
oder das Gegenurteil dem Rechte entspreche 29. Sie setzen nur den
Fall, daſs es dem Scheltenden gelingt, die Scheltungsklage zu be-
weisen, die Gescholtenen zu überführen 30. Daraus ergiebt sich aber
jedenfalls, daſs es sich um einen nach den Grundsätzen der Verhand-
lungsmaxime zu führenden Parteibeweis handelte, für welchen nur die
üblichen formalen Beweismittel zu Gebot standen. Eine erneute
Prüfung des Rechtsstreites, wie sie bei unserer Appellation stattfindet,
empfahl sich schon darum nicht, weil bei der Entscheidung über die
Schelte nur in Frage stand, ob das Gegenurteil besser sei als das ge-
scholtene Urteil. Daſs bereits nach den fränkischen Volksrechten die
Scheltungsklage stets eine kampfbedürftige Klage war, darf bezweifelt
werden. Auch Eid mit Helfern und das Ordal des Kesselfangs mochten
als Beweismittel dienen. Der Eid durfte freilich wieder gescholten
werden. Und aus der Eidesschelte mag sich das Scheltungsverfahren
mit Zweikampf als ein obligatorisches entwickelt haben, wie es uns
in jüngeren Quellen begegnet 31.
Werden die Urteiler überführt, ein ungerechtes Urteil gefunden
zu haben, so verfällt jeder von ihnen (aber nicht mehr als sieben) in
die Buſse der Rechtsverweigerung, nämlich in die Buſse von 15 Solidi,
27
28 Nach đer Keure des Landes der Freien von Brügge von circa 1190, § 3,
erbietet sich der Scheltende, den Vorwurf der Schelte mit Schöffen zu beweisen;
jedoch kann der gescholtene Schöffe sich mit ebensoviel Schöffen verteidigen. Daſs
hier Eidhelfer (‘auxilium’) gemeint sind, ergiebt die analoge Fassung a. O. § 23.
Vgl. a. O. S. 27, Anm. 4. In Drente muſs das gescholtene Erkenntnis von den
Bauern, die es gefunden, mit ihrem Eide gefestigt werden, widrigenfalls sie eines
unrechten Spruches schuldig sind. Seerp Gratama, Rechtsgeschiedenis van
Drenthe S. 150.
29 Über Lex Rib. 32, 4 siehe unten § 111.
30 si potuerit adprobare, conprobare in Lex Sal. 57, 3. 4, si postea convicti
fuerint in Lex Rib. 55. Vgl. Cap. Pipp. 754/5, c. 7, I 32.
31 Die Genossen, mit welchen nach dem Ssp. der Scheltende und der Ge-
scholtene selbsiebent in den Zweikampf eintreten, mögen ursprünglich Eidhelfer
gewesen sein.
27 zahl der Streiter siegt. Ssp. Ldr. I 18, § 3; II 12, 8; Görl. Ldr. 40, § 1; 46, § 1;
Richtsteig Ldr. 50, § 9. 10. Nach französischen Coutumes und nach den Assisen
von Jerusalem war die Urteilschelte eine kampfbedürftige Klage. Der Scheltende
muſste sofort bei der Schelte durch Darreichen des Kampfpfandes auf gericht-
lichen Zweikampf provocieren. Die Nordfriesen kannten noch in der ersten Hälfte
des 15. Jahrhunderts den Zweikampf neben dem Ordal des heiſsen Eisens bei der
Schelte des Gerichtszeugnisses. Z2 f. RG X 243 f.
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