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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 102. Die Wette im Rechtsgang.
Ausdruck adchramire, adrhamire, adramire, aframire 6, was festmachen,
rechtsförmlich zusagen bedeutet.

Die Wadia wird nach älterem Rechte dem Vertragsgegner über-
geben oder zugeworfen. So nach langobardischem 7, sächsischem 8,
angelsächsischem 9 und fränkischem Rechte 10. Nach der Lex Alaman-
norum ist es der Richter oder sein missus, der die Wadia, wie es
scheint, als Treuhänder entgegennimmt 11. Kampfverträge werden als
zweischichtige Verträge geschlossen 12; Wadia (Kampfpfand) wird hier von
beiden Seiten gegeben und genommen, ein Vorgang, welchem der ge-
richtliche Zweikampf nachmals im Sprachgebrauch des altfranzösischen
Rechts die Bezeichnung gages de bataille verdankt. Nach ala-
mannischem Rechte hoben die Parteien bei Grenzstreitigkeiten aus dem
streitigen Gebiet eine Erdscholle aus und übergaben sie dem Richter,
der sie von einem Dritten aufbewahren liess. Dann wurde der Zwei-
kampf gewettet, vor dessen Beginn beide Teile die Kampfeide schwuren,
indem sie die Erdscholle mit den Schwertspitzen berührten 13.

Da der Beweis dem Gegner gewettet und geschuldet wird, hat
dieser das Recht, ihn dem Beweisführer zu erlassen 14 oder unter ge-
wissen Beschränkungen, die den Anspruch des Fiskus auf den fredus
zu schützen bestimmt sind, ein Beweisgedinge abzuschliessen, welches

6 Zu gotisch hramjan, anheften. Schade, WB S. 422. Von dem Verbum
adramire ist das Substantivum arramita, arremita gebildet. Thevenin Nr. 96,
H. 362. Mit anberaumen, anberahmen (von ramen, zielen) hat adramire nichts zu
thun. Vgl. Müllenhoff bei Waitz, Das alte Recht der sal. Franken S. 276 f.
Da das adramire mittelst festuca geschah, konnte eine ahd. Glosse, Graff, Sprach-
schatz VI 612, es mit stabon wiedergeben.
7 Formel zu Liu. 62: recipisti ita wadia? Sic recepi.
8 Arg. Cap. de part. Sax. c. 32, I 70.
9 Ine 8: gif hwa him ryhtes bidde .. and abiddan ne maege and him wedd
(mon) sellan nelle ...
10 Ein Argument liefert die Form der fränkischen Selbstbürgschaft in Ed. Chilp.
c. 7. Der Eid wird vom Beweisführer seinem Gegner geschuldet. Jener schwört:
non aliud tibi exinde redebeo nisi isto idoneo sacramento. Form. Andeg. 11. 15.
Vgl. Pactus Alam. I 2.
11 Lex Alam. 36, 2: spondeat sacramentales et fideiussores praebeat, sicut lex
habet, et wadium suum donet ad misso comiti .. ut iuret .. aut conponat.
12 Lex Alam. 81: tunc spondeant inter se pugnam duorum. Vgl. Lex Baiuw.
XVII 2. Wadiate pugnam in den langob. Formeln. Nachmals wird entweder der
Handschuh als Kampfpfand vom Gegner aufgenommen, oder es werden die gages
dem Richter übergeben. Pfeffer, Formalitäten des gottesgerichtlichen Zweikampfs
in der altfranzösischen Epik. Z. f. rom. Phil. IX 29.
13 Lex Alam. 81.
14 Val de Lievre, Launegild und Wadia S. 39, Anm. 4.

§ 102. Die Wette im Rechtsgang.
Ausdruck adchramire, adrhamire, adramire, aframire 6, was festmachen,
rechtsförmlich zusagen bedeutet.

Die Wadia wird nach älterem Rechte dem Vertragsgegner über-
geben oder zugeworfen. So nach langobardischem 7, sächsischem 8,
angelsächsischem 9 und fränkischem Rechte 10. Nach der Lex Alaman-
norum ist es der Richter oder sein missus, der die Wadia, wie es
scheint, als Treuhänder entgegennimmt 11. Kampfverträge werden als
zweischichtige Verträge geschlossen 12; Wadia (Kampfpfand) wird hier von
beiden Seiten gegeben und genommen, ein Vorgang, welchem der ge-
richtliche Zweikampf nachmals im Sprachgebrauch des altfranzösischen
Rechts die Bezeichnung gages de bataille verdankt. Nach ala-
mannischem Rechte hoben die Parteien bei Grenzstreitigkeiten aus dem
streitigen Gebiet eine Erdscholle aus und übergaben sie dem Richter,
der sie von einem Dritten aufbewahren lieſs. Dann wurde der Zwei-
kampf gewettet, vor dessen Beginn beide Teile die Kampfeide schwuren,
indem sie die Erdscholle mit den Schwertspitzen berührten 13.

Da der Beweis dem Gegner gewettet und geschuldet wird, hat
dieser das Recht, ihn dem Beweisführer zu erlassen 14 oder unter ge-
wissen Beschränkungen, die den Anspruch des Fiskus auf den fredus
zu schützen bestimmt sind, ein Beweisgedinge abzuschlieſsen, welches

6 Zu gotisch hramjan, anheften. Schade, WB S. 422. Von dem Verbum
adramire ist das Substantivum arramita, arremita gebildet. Thévenin Nr. 96,
H. 362. Mit anberaumen, anberahmen (von râmên, zielen) hat adramire nichts zu
thun. Vgl. Müllenhoff bei Waitz, Das alte Recht der sal. Franken S. 276 f.
Da das adramire mittelst festuca geschah, konnte eine ahd. Glosse, Graff, Sprach-
schatz VI 612, es mit stabôn wiedergeben.
7 Formel zu Liu. 62: recipisti ita wadia? Sic recepi.
8 Arg. Cap. de part. Sax. c. 32, I 70.
9 Ine 8: gif hwâ him ryhtes bidde .. and âbiddan ne mæge and him wedd
(mon) sellan nelle …
10 Ein Argument liefert die Form der fränkischen Selbstbürgschaft in Ed. Chilp.
c. 7. Der Eid wird vom Beweisführer seinem Gegner geschuldet. Jener schwört:
non aliud tibi exinde redebeo nisi isto idoneo sacramento. Form. Andeg. 11. 15.
Vgl. Pactus Alam. I 2.
11 Lex Alam. 36, 2: spondeat sacramentales et fideiussores praebeat, sicut lex
habet, et wadium suum donet ad misso comiti .. ut iuret .. aut conponat.
12 Lex Alam. 81: tunc spondeant inter se pugnam duorum. Vgl. Lex Baiuw.
XVII 2. Wadiate pugnam in den langob. Formeln. Nachmals wird entweder der
Handschuh als Kampfpfand vom Gegner aufgenommen, oder es werden die gages
dem Richter übergeben. Pfeffer, Formalitäten des gottesgerichtlichen Zweikampfs
in der altfranzösischen Epik. Z. f. rom. Phil. IX 29.
13 Lex Alam. 81.
14 Val de Liévre, Launegild und Wadia S. 39, Anm. 4.
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[367/0385] § 102. Die Wette im Rechtsgang. Ausdruck adchramire, adrhamire, adramire, aframire 6, was festmachen, rechtsförmlich zusagen bedeutet. Die Wadia wird nach älterem Rechte dem Vertragsgegner über- geben oder zugeworfen. So nach langobardischem 7, sächsischem 8, angelsächsischem 9 und fränkischem Rechte 10. Nach der Lex Alaman- norum ist es der Richter oder sein missus, der die Wadia, wie es scheint, als Treuhänder entgegennimmt 11. Kampfverträge werden als zweischichtige Verträge geschlossen 12; Wadia (Kampfpfand) wird hier von beiden Seiten gegeben und genommen, ein Vorgang, welchem der ge- richtliche Zweikampf nachmals im Sprachgebrauch des altfranzösischen Rechts die Bezeichnung gages de bataille verdankt. Nach ala- mannischem Rechte hoben die Parteien bei Grenzstreitigkeiten aus dem streitigen Gebiet eine Erdscholle aus und übergaben sie dem Richter, der sie von einem Dritten aufbewahren lieſs. Dann wurde der Zwei- kampf gewettet, vor dessen Beginn beide Teile die Kampfeide schwuren, indem sie die Erdscholle mit den Schwertspitzen berührten 13. Da der Beweis dem Gegner gewettet und geschuldet wird, hat dieser das Recht, ihn dem Beweisführer zu erlassen 14 oder unter ge- wissen Beschränkungen, die den Anspruch des Fiskus auf den fredus zu schützen bestimmt sind, ein Beweisgedinge abzuschlieſsen, welches 6 Zu gotisch hramjan, anheften. Schade, WB S. 422. Von dem Verbum adramire ist das Substantivum arramita, arremita gebildet. Thévenin Nr. 96, H. 362. Mit anberaumen, anberahmen (von râmên, zielen) hat adramire nichts zu thun. Vgl. Müllenhoff bei Waitz, Das alte Recht der sal. Franken S. 276 f. Da das adramire mittelst festuca geschah, konnte eine ahd. Glosse, Graff, Sprach- schatz VI 612, es mit stabôn wiedergeben. 7 Formel zu Liu. 62: recipisti ita wadia? Sic recepi. 8 Arg. Cap. de part. Sax. c. 32, I 70. 9 Ine 8: gif hwâ him ryhtes bidde .. and âbiddan ne mæge and him wedd (mon) sellan nelle … 10 Ein Argument liefert die Form der fränkischen Selbstbürgschaft in Ed. Chilp. c. 7. Der Eid wird vom Beweisführer seinem Gegner geschuldet. Jener schwört: non aliud tibi exinde redebeo nisi isto idoneo sacramento. Form. Andeg. 11. 15. Vgl. Pactus Alam. I 2. 11 Lex Alam. 36, 2: spondeat sacramentales et fideiussores praebeat, sicut lex habet, et wadium suum donet ad misso comiti .. ut iuret .. aut conponat. 12 Lex Alam. 81: tunc spondeant inter se pugnam duorum. Vgl. Lex Baiuw. XVII 2. Wadiate pugnam in den langob. Formeln. Nachmals wird entweder der Handschuh als Kampfpfand vom Gegner aufgenommen, oder es werden die gages dem Richter übergeben. Pfeffer, Formalitäten des gottesgerichtlichen Zweikampfs in der altfranzösischen Epik. Z. f. rom. Phil. IX 29. 13 Lex Alam. 81. 14 Val de Liévre, Launegild und Wadia S. 39, Anm. 4.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/385>, abgerufen am 22.11.2024.