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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 103. Die allgemeinen Grundsätze, insbesondere die Beweisrolle.
der Busssätze ergiebt, regelmässig unter den Begriff der adprobatio
oder convictio. Dagegen setzt allerdings die Formel: si ... fuerit
adprobatum, in einzelnen Stellen voraus, dass der Beklagte seine That
nicht freiwillig bekannt hat, sondern im Wege des Rechtsstreites über-
führt worden ist. Es handelt sich dabei um Fälle, in welchen freiwillige
Verklarung der That eine strengere Haftung ausgeschlossen hätte 13,
in welchen aus dem Leugnen der dolus des Beklagten gefolgert 14 und
in welchen mit Rücksicht auf die langen Beweisfristen des salischen
Rechtes der Ersatzanspruch des Klägers gesteigert wird 15. Giebt
uns die Fassung: 'si (oder cui) fuerit adprobatum', keinen direkten
Aufschluss über die Verteilung der Beweisrolle, so ist zwar eine Sonder-
gestaltung des salischen Beweisrechtes immerhin nicht ausgeschlossen;
sie beruht aber nicht auf einer grundsätzlichen Bevorzugung des
Klägers, sondern, wie sich aus der Darstellung der einzelnen Beweis-
mittel ergeben wird, auf der Besonderheit, dass der Zeugenbeweis in
ausgedehnterem Masse zugelassen wird und dass von vornherein auf
Kesselfang geklagt werden darf 16.

Das gewonnene Ergebnis wird als Grundregel des Beweisrechtes
nicht umgestossen durch das Verfahren bei handhafter That, bei welchem
nicht der Beklagte, sondern der Kläger zum Beweise gelangt. Denn
die Behandlung des handhaften Missethäters hat sich aus dem Ver-
fahren gegen den Friedlosen entwickelt und auch, als es ein Gerichts-
verfahren geworden, den Grundsatz beibehalten, dass der Missethäter
gleich einem Friedlosen weder antworten noch einen Eid schwören
könne. Da das Verfahren bei handhafter That, wie unten dargethan
werden soll 17, keine Klage im Rechtssinne und daher auch keinen
Beklagten kennt, kann es selbstverständlich nicht massgebend sein für

13 Lex Sal. 36: et hoc per testibus fuerit adprobatus. Vgl. Berl. SB 1890,
S. 826 und unten § 125.
14 Lex Sal. 18, 8: si quis hominem mortuum antequam in terra mittatur (in
furtum) expoliaverit cui fuerit adprobatum sol. c. culp. iud. Vgl. 61, 2: si quis
hominem mortuum expoliaverit violenter .. sol. 63. culp. iud. Die Bedeutung des
cui fuerit adprobatum wird klar aus Lex Rib. 54: si interrogatus confessus fuerit,
60 sol. multetur; si autem negaverit et postea convictus fuerit, bis quinquagenos
sol. cum dilatura multetur.
15 Näheres unten in § 137.
16 Da deshalb für das Beweisurteil mit einer grösseren Mannigfaltigkeit in
der Verteilung der Beweisrolle gerechnet werden musste, lag es nahe, die Buss-
fälligkeit an die dehnbar formulierte Voraussetzung: qui adprobatus, convictus fuerit,
zu knüpfen. Dafür kommt auch in Betracht, dass nach der Lex Salica der Kessel-
fang, wo das strenge Recht ihn verlangte, kraft Vereinbarung der Parteien durch
den Eid ersetzt werden konnte.
17 Siehe unten § 116.

§ 103. Die allgemeinen Grundsätze, insbesondere die Beweisrolle.
der Buſssätze ergiebt, regelmäſsig unter den Begriff der adprobatio
oder convictio. Dagegen setzt allerdings die Formel: si … fuerit
adprobatum, in einzelnen Stellen voraus, daſs der Beklagte seine That
nicht freiwillig bekannt hat, sondern im Wege des Rechtsstreites über-
führt worden ist. Es handelt sich dabei um Fälle, in welchen freiwillige
Verklarung der That eine strengere Haftung ausgeschlossen hätte 13,
in welchen aus dem Leugnen der dolus des Beklagten gefolgert 14 und
in welchen mit Rücksicht auf die langen Beweisfristen des salischen
Rechtes der Ersatzanspruch des Klägers gesteigert wird 15. Giebt
uns die Fassung: ‘si (oder cui) fuerit adprobatum’, keinen direkten
Aufschluſs über die Verteilung der Beweisrolle, so ist zwar eine Sonder-
gestaltung des salischen Beweisrechtes immerhin nicht ausgeschlossen;
sie beruht aber nicht auf einer grundsätzlichen Bevorzugung des
Klägers, sondern, wie sich aus der Darstellung der einzelnen Beweis-
mittel ergeben wird, auf der Besonderheit, daſs der Zeugenbeweis in
ausgedehnterem Maſse zugelassen wird und daſs von vornherein auf
Kesselfang geklagt werden darf 16.

Das gewonnene Ergebnis wird als Grundregel des Beweisrechtes
nicht umgestoſsen durch das Verfahren bei handhafter That, bei welchem
nicht der Beklagte, sondern der Kläger zum Beweise gelangt. Denn
die Behandlung des handhaften Missethäters hat sich aus dem Ver-
fahren gegen den Friedlosen entwickelt und auch, als es ein Gerichts-
verfahren geworden, den Grundsatz beibehalten, daſs der Missethäter
gleich einem Friedlosen weder antworten noch einen Eid schwören
könne. Da das Verfahren bei handhafter That, wie unten dargethan
werden soll 17, keine Klage im Rechtssinne und daher auch keinen
Beklagten kennt, kann es selbstverständlich nicht maſsgebend sein für

13 Lex Sal. 36: et hoc per testibus fuerit adprobatus. Vgl. Berl. SB 1890,
S. 826 und unten § 125.
14 Lex Sal. 18, 8: si quis hominem mortuum antequam in terra mittatur (in
furtum) expoliaverit cui fuerit adprobatum sol. c. culp. iud. Vgl. 61, 2: si quis
hominem mortuum expoliaverit violenter .. sol. 63. culp. iud. Die Bedeutung des
cui fuerit adprobatum wird klar aus Lex Rib. 54: si interrogatus confessus fuerit,
60 sol. multetur; si autem negaverit et postea convictus fuerit, bis quinquagenos
sol. cum dilatura multetur.
15 Näheres unten in § 137.
16 Da deshalb für das Beweisurteil mit einer gröſseren Mannigfaltigkeit in
der Verteilung der Beweisrolle gerechnet werden muſste, lag es nahe, die Buſs-
fälligkeit an die dehnbar formulierte Voraussetzung: qui adprobatus, convictus fuerit,
zu knüpfen. Dafür kommt auch in Betracht, daſs nach der Lex Salica der Kessel-
fang, wo das strenge Recht ihn verlangte, kraft Vereinbarung der Parteien durch
den Eid ersetzt werden konnte.
17 Siehe unten § 116.
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[372/0390] § 103. Die allgemeinen Grundsätze, insbesondere die Beweisrolle. der Buſssätze ergiebt, regelmäſsig unter den Begriff der adprobatio oder convictio. Dagegen setzt allerdings die Formel: si … fuerit adprobatum, in einzelnen Stellen voraus, daſs der Beklagte seine That nicht freiwillig bekannt hat, sondern im Wege des Rechtsstreites über- führt worden ist. Es handelt sich dabei um Fälle, in welchen freiwillige Verklarung der That eine strengere Haftung ausgeschlossen hätte 13, in welchen aus dem Leugnen der dolus des Beklagten gefolgert 14 und in welchen mit Rücksicht auf die langen Beweisfristen des salischen Rechtes der Ersatzanspruch des Klägers gesteigert wird 15. Giebt uns die Fassung: ‘si (oder cui) fuerit adprobatum’, keinen direkten Aufschluſs über die Verteilung der Beweisrolle, so ist zwar eine Sonder- gestaltung des salischen Beweisrechtes immerhin nicht ausgeschlossen; sie beruht aber nicht auf einer grundsätzlichen Bevorzugung des Klägers, sondern, wie sich aus der Darstellung der einzelnen Beweis- mittel ergeben wird, auf der Besonderheit, daſs der Zeugenbeweis in ausgedehnterem Maſse zugelassen wird und daſs von vornherein auf Kesselfang geklagt werden darf 16. Das gewonnene Ergebnis wird als Grundregel des Beweisrechtes nicht umgestoſsen durch das Verfahren bei handhafter That, bei welchem nicht der Beklagte, sondern der Kläger zum Beweise gelangt. Denn die Behandlung des handhaften Missethäters hat sich aus dem Ver- fahren gegen den Friedlosen entwickelt und auch, als es ein Gerichts- verfahren geworden, den Grundsatz beibehalten, daſs der Missethäter gleich einem Friedlosen weder antworten noch einen Eid schwören könne. Da das Verfahren bei handhafter That, wie unten dargethan werden soll 17, keine Klage im Rechtssinne und daher auch keinen Beklagten kennt, kann es selbstverständlich nicht maſsgebend sein für 13 Lex Sal. 36: et hoc per testibus fuerit adprobatus. Vgl. Berl. SB 1890, S. 826 und unten § 125. 14 Lex Sal. 18, 8: si quis hominem mortuum antequam in terra mittatur (in furtum) expoliaverit cui fuerit adprobatum sol. c. culp. iud. Vgl. 61, 2: si quis hominem mortuum expoliaverit violenter .. sol. 63. culp. iud. Die Bedeutung des cui fuerit adprobatum wird klar aus Lex Rib. 54: si interrogatus confessus fuerit, 60 sol. multetur; si autem negaverit et postea convictus fuerit, bis quinquagenos sol. cum dilatura multetur. 15 Näheres unten in § 137. 16 Da deshalb für das Beweisurteil mit einer gröſseren Mannigfaltigkeit in der Verteilung der Beweisrolle gerechnet werden muſste, lag es nahe, die Buſs- fälligkeit an die dehnbar formulierte Voraussetzung: qui adprobatus, convictus fuerit, zu knüpfen. Dafür kommt auch in Betracht, daſs nach der Lex Salica der Kessel- fang, wo das strenge Recht ihn verlangte, kraft Vereinbarung der Parteien durch den Eid ersetzt werden konnte. 17 Siehe unten § 116.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/390>, abgerufen am 16.06.2024.