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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 104. Parteieid und Eideshilfe.

Die angelsächsischen Quellen heben das Erfordernis der Verwandt-
schaft nur in einzelnen Fällen, so insbesondere in Todschlagssachen,
hervor 14. Wie weit es sonst bestand, bleibt zweifelhaft. Das bairische
Recht begehrt von dem, der um erheblich grossen Diebstahl belangt
ist, dass er sich reinige mit zwölf Helfern seiner Sippe, consacramen-
tales de leude sua 15; von dem, der ein Verlöbnis brach, dass er mit
zwölf Helfern seines Geschlechtes schwöre, das Verlöbnis nicht wegen
einer Schuld seiner Braut und nicht in böser Absicht gegen deren
Sippe aufgelöst zu haben 16.

Was das friesische Recht betrifft, so spricht zwar die Lex Frisio-
num den Rechtssatz, dass die Eidhelfer Magen des Hauptmanns sein
sollen, nirgends aus; allein die jüngeren friesischen Quellen lassen er-
sehen, dass entweder in bestimmten Fällen 17 oder schlechtweg die
Verwandtschaft der Eidhelfer gefordert wurde. So finden wir nach-
mals bei den Südfriesen, dass Eide zu leisten sind mit 72 Helfern aus
vier bestimmten Gruppen der Magschaft des Schwöreneden 18, mit acht
Vater- und vier Muttermagen 19, mit Vettern vom dritten Knie der
Magschaft 20. Die Nordfriesen schwören den Zwölfereid mit Männern

14 Nach Aethelred VIII 23 soll der Geweihte sich um Todschlag reinigen
mit seinen Magen, welche mit ihm die Fehde zu tragen oder zu büssen haben.
Für fehlende Magen dürfen Standesgenossen eintreten. Dass der erste Satz nicht
eine Singularität bei Klerikern bedeutet, zeigen Leges Henr. primi c. 64, § 4: si
quis de homicidio accusetur et idem se purgare velit, secundum natale suum per-
neget, quod est werelada, ut qui ex parte patris erunt, fracto iuramento (gestabten
Eides), qui ex materna cognatione erunt, plane se sacramento (schlichten Eides) iura-
turos advertant. Bei der Eideshilfe sind wie bei der Wergeldhaftung die Vater-
magen zu zwei Dritteln, die Muttermagen zu einem Drittel beteiligt. Aethelstan
II 11: so gehe er hin selbdritt, zwei von den väterlichen Magen und einer von
den mütterlichen, um zu schwören .. Leges Edw. Confess. 36, 1: habeat parentes
interfecti ex utraque parte generis sui, scilicet ex parte patris 12 et ex parte ma-
tris 6.
15 Lex Baiuw. IX 3. Leuda entspricht dem ags. leod, gens. Siehe oben
I 121, Anm. 13.
16 Lex Baiuw. VIII 15: cum duodecim sacramentales de suo genere nominatos.
17 Dreyer, Nebenstunden S. 52 ff. v. Amira, Erbenfolge S. 152.
18 Rh. Rqu. S. 407, 10: soe is die huusman nyer hine to sikeriane tua ende
sauntigasum mit sine fiower fachtum oen da helligum. A. O. 426, 25: mit hiara
fiower fachtum ende mit twa ende sauntiga orkenen binna hiara kinne. Fachta
kann hier nur die vier Viertel der Sippe bezeichnen (sonst Klüfte), das heisst die
Abstämmlinge der vier Urgrosselternpaare; die nordfriesischen Fachten (acht an
der Zahl) beziehen sich auf die Ururgrosseltern. Vgl. Z2 f. RG III 21.
19 Const. 6 der 24 Landrechte, Rh. Rqu. S. 52.
20 Const. 8 der 24 Landrechte, Rh. Rqu. S. 54--57. Siehe noch die Citate
bei v. Amira, Erbenfolge S. 153. Über den Drittknieling siehe Z2 f. RG III 26
und Ficker, Erbenfolge S. 324.
§ 104. Parteieid und Eideshilfe.

Die angelsächsischen Quellen heben das Erfordernis der Verwandt-
schaft nur in einzelnen Fällen, so insbesondere in Todschlagssachen,
hervor 14. Wie weit es sonst bestand, bleibt zweifelhaft. Das bairische
Recht begehrt von dem, der um erheblich groſsen Diebstahl belangt
ist, daſs er sich reinige mit zwölf Helfern seiner Sippe, consacramen-
tales de leude sua 15; von dem, der ein Verlöbnis brach, daſs er mit
zwölf Helfern seines Geschlechtes schwöre, das Verlöbnis nicht wegen
einer Schuld seiner Braut und nicht in böser Absicht gegen deren
Sippe aufgelöst zu haben 16.

Was das friesische Recht betrifft, so spricht zwar die Lex Frisio-
num den Rechtssatz, daſs die Eidhelfer Magen des Hauptmanns sein
sollen, nirgends aus; allein die jüngeren friesischen Quellen lassen er-
sehen, daſs entweder in bestimmten Fällen 17 oder schlechtweg die
Verwandtschaft der Eidhelfer gefordert wurde. So finden wir nach-
mals bei den Südfriesen, daſs Eide zu leisten sind mit 72 Helfern aus
vier bestimmten Gruppen der Magschaft des Schwöreneden 18, mit acht
Vater- und vier Muttermagen 19, mit Vettern vom dritten Knie der
Magschaft 20. Die Nordfriesen schwören den Zwölfereid mit Männern

14 Nach Aethelred VIII 23 soll der Geweihte sich um Todschlag reinigen
mit seinen Magen, welche mit ihm die Fehde zu tragen oder zu büſsen haben.
Für fehlende Magen dürfen Standesgenossen eintreten. Daſs der erste Satz nicht
eine Singularität bei Klerikern bedeutet, zeigen Leges Henr. primi c. 64, § 4: si
quis de homicidio accusetur et idem se purgare velit, secundum natale suum per-
neget, quod est werelada, ut qui ex parte patris erunt, fracto iuramento (gestabten
Eides), qui ex materna cognatione erunt, plane se sacramento (schlichten Eides) iura-
turos advertant. Bei der Eideshilfe sind wie bei der Wergeldhaftung die Vater-
magen zu zwei Dritteln, die Muttermagen zu einem Drittel beteiligt. Aethelstan
II 11: so gehe er hin selbdritt, zwei von den väterlichen Magen und einer von
den mütterlichen, um zu schwören .. Leges Edw. Confess. 36, 1: habeat parentes
interfecti ex utraque parte generis sui, scilicet ex parte patris 12 et ex parte ma-
tris 6.
15 Lex Baiuw. IX 3. Leuda entspricht dem ags. léod, gens. Siehe oben
I 121, Anm. 13.
16 Lex Baiuw. VIII 15: cum duodecim sacramentales de suo genere nominatos.
17 Dreyer, Nebenstunden S. 52 ff. v. Amira, Erbenfolge S. 152.
18 Rh. Rqu. S. 407, 10: soe is die huusman nyer hine to sikeriane tua ende
sauntigasum mit sine fiower fachtum oen da helligum. A. O. 426, 25: mit hiara
fiower fachtum ende mit twa ende sauntiga orkenen binna hiara kinne. Fachta
kann hier nur die vier Viertel der Sippe bezeichnen (sonst Klüfte), das heiſst die
Abstämmlinge der vier Urgroſselternpaare; die nordfriesischen Fachten (acht an
der Zahl) beziehen sich auf die Ururgroſseltern. Vgl. Z2 f. RG III 21.
19 Const. 6 der 24 Landrechte, Rh. Rqu. S. 52.
20 Const. 8 der 24 Landrechte, Rh. Rqu. S. 54—57. Siehe noch die Citate
bei v. Amira, Erbenfolge S. 153. Über den Drittknieling siehe Z2 f. RG III 26
und Ficker, Erbenfolge S. 324.
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[380/0398] § 104. Parteieid und Eideshilfe. Die angelsächsischen Quellen heben das Erfordernis der Verwandt- schaft nur in einzelnen Fällen, so insbesondere in Todschlagssachen, hervor 14. Wie weit es sonst bestand, bleibt zweifelhaft. Das bairische Recht begehrt von dem, der um erheblich groſsen Diebstahl belangt ist, daſs er sich reinige mit zwölf Helfern seiner Sippe, consacramen- tales de leude sua 15; von dem, der ein Verlöbnis brach, daſs er mit zwölf Helfern seines Geschlechtes schwöre, das Verlöbnis nicht wegen einer Schuld seiner Braut und nicht in böser Absicht gegen deren Sippe aufgelöst zu haben 16. Was das friesische Recht betrifft, so spricht zwar die Lex Frisio- num den Rechtssatz, daſs die Eidhelfer Magen des Hauptmanns sein sollen, nirgends aus; allein die jüngeren friesischen Quellen lassen er- sehen, daſs entweder in bestimmten Fällen 17 oder schlechtweg die Verwandtschaft der Eidhelfer gefordert wurde. So finden wir nach- mals bei den Südfriesen, daſs Eide zu leisten sind mit 72 Helfern aus vier bestimmten Gruppen der Magschaft des Schwöreneden 18, mit acht Vater- und vier Muttermagen 19, mit Vettern vom dritten Knie der Magschaft 20. Die Nordfriesen schwören den Zwölfereid mit Männern 14 Nach Aethelred VIII 23 soll der Geweihte sich um Todschlag reinigen mit seinen Magen, welche mit ihm die Fehde zu tragen oder zu büſsen haben. Für fehlende Magen dürfen Standesgenossen eintreten. Daſs der erste Satz nicht eine Singularität bei Klerikern bedeutet, zeigen Leges Henr. primi c. 64, § 4: si quis de homicidio accusetur et idem se purgare velit, secundum natale suum per- neget, quod est werelada, ut qui ex parte patris erunt, fracto iuramento (gestabten Eides), qui ex materna cognatione erunt, plane se sacramento (schlichten Eides) iura- turos advertant. Bei der Eideshilfe sind wie bei der Wergeldhaftung die Vater- magen zu zwei Dritteln, die Muttermagen zu einem Drittel beteiligt. Aethelstan II 11: so gehe er hin selbdritt, zwei von den väterlichen Magen und einer von den mütterlichen, um zu schwören .. Leges Edw. Confess. 36, 1: habeat parentes interfecti ex utraque parte generis sui, scilicet ex parte patris 12 et ex parte ma- tris 6. 15 Lex Baiuw. IX 3. Leuda entspricht dem ags. léod, gens. Siehe oben I 121, Anm. 13. 16 Lex Baiuw. VIII 15: cum duodecim sacramentales de suo genere nominatos. 17 Dreyer, Nebenstunden S. 52 ff. v. Amira, Erbenfolge S. 152. 18 Rh. Rqu. S. 407, 10: soe is die huusman nyer hine to sikeriane tua ende sauntigasum mit sine fiower fachtum oen da helligum. A. O. 426, 25: mit hiara fiower fachtum ende mit twa ende sauntiga orkenen binna hiara kinne. Fachta kann hier nur die vier Viertel der Sippe bezeichnen (sonst Klüfte), das heiſst die Abstämmlinge der vier Urgroſselternpaare; die nordfriesischen Fachten (acht an der Zahl) beziehen sich auf die Ururgroſseltern. Vgl. Z2 f. RG III 21. 19 Const. 6 der 24 Landrechte, Rh. Rqu. S. 52. 20 Const. 8 der 24 Landrechte, Rh. Rqu. S. 54—57. Siehe noch die Citate bei v. Amira, Erbenfolge S. 153. Über den Drittknieling siehe Z2 f. RG III 26 und Ficker, Erbenfolge S. 324.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/398>, abgerufen am 16.06.2024.