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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 104. Parteieid und Eideshilfe.
worden sind. Stets aber konnte, wenn Verwandte nicht vorhanden
waren, mit nicht verwandten Eidhelfern geschworen werden. Bei den
Voreiden des Klägers legte man wohl nur ausnahmsweise Gewicht auf
die Verwandtschaft der Helfer; so z. B. bei dem Voreide der Todschlags-
klage auf die Verwandtschaft mit dem Erschlagenen. Schlechtweg
ausgeschlossen war das Bedürfnis verwandter Helfer in dem Verfahren
um handhafte That.

Als ein selbständiges Erfordernis findet sich in einzelnen Rechten,
insbesondere bei den Angelsachsen und im Norden, das der Nachbar-
schaft, nach welchem die Eidhelfer entweder sämtlich oder zu einem
bestimmten Teile aus den Nachbarn des Schwörenden genommen
werden müssen. Mitunter dient die Nachbarschaft als Ersatz der Mag-
schaft. Im Verfahren um handhafte That begegnet uns die Verwendung
von Eidhelfern, die als Nachbarn auf das Gerüfte hin herbeigeeilt
waren und den Thatbestand wahrgenommen hatten 79.

Indem die Helfer die Wahrheit des Parteieides beschwören, machen
sie sich dafür verantwortlich. Stellt sich der Parteieid hinterher als
ein Meineid heraus, so sind auch die Eidhelfer des Meineides schuldig.
Die ältere Zeit nahm dabei auf den guten Glauben des einzelnen Eid-
helfers keinerlei Rücksicht gemäss ihrem allgemeinen Strafrechtsprinzip,
welches mit dem objektiven Thatbestande des Verbrechens die rechts-
widrige Absicht ohne weiteres als gegeben betrachtete. Das salische
Volksrecht behandelte den Meineid der Eidhelfer nach Art des Banden-
verbrechens. Es strafte die drei ersten Helfer mit je fünfzehn, die
übrigen mit je fünf Solidi 80. Nach ribuarischem Rechte verwirkte
jeder Helfer 15 Solidi, dieselbe Busse, die auch den Hauptmann traf 81.
Bei den Friesen bezahlte der Eidhelfer das Wergeldsimplum, halb so
viel als der Hauptmann 82. Die weitere Entwicklung zeigt die Tendenz,
einerseits die Meineidsstrafen zu verschärfen, andererseits aber zwischen
wissentlichem und unwissentlichem Meineide zu unterscheiden. Schon
fränkische Bussbücher setzen verschiedene kirchliche Busse auf wissent-
lichen, fahrlässigen und gutgläubigen Falscheid 83. In das weltliche

79 Siehe unten S. 399.
80 Lex Sal. 48, 2 (Cod. 5. 6. 10 und Emend.). Vgl. unten § 128.
81 Lex Rib. 66, 1 vgl. mit 68, 3.
82 Lex Fris. 10 und 14, 3.
83 Pseudo-Egbert 34, Wasserschleben S. 314: qui ductus est in iuramentum
et in eo nihil nisi rectum scit et nihilominus cum aliis periurium facit itaque de-
cipitur et postea norit quod falsum fuerit, tria legitima jejunia jejunet. Paeniten-
tiale Arundel 31, Schmitz S. 446, unterscheidet conscii und ignorantes, bei letz-
teren wieder: si fidelem (den Hauptmann) cognoverint, und: si autem infidelem aut
dubium cognoverint.

§ 104. Parteieid und Eideshilfe.
worden sind. Stets aber konnte, wenn Verwandte nicht vorhanden
waren, mit nicht verwandten Eidhelfern geschworen werden. Bei den
Voreiden des Klägers legte man wohl nur ausnahmsweise Gewicht auf
die Verwandtschaft der Helfer; so z. B. bei dem Voreide der Todschlags-
klage auf die Verwandtschaft mit dem Erschlagenen. Schlechtweg
ausgeschlossen war das Bedürfnis verwandter Helfer in dem Verfahren
um handhafte That.

Als ein selbständiges Erfordernis findet sich in einzelnen Rechten,
insbesondere bei den Angelsachsen und im Norden, das der Nachbar-
schaft, nach welchem die Eidhelfer entweder sämtlich oder zu einem
bestimmten Teile aus den Nachbarn des Schwörenden genommen
werden müssen. Mitunter dient die Nachbarschaft als Ersatz der Mag-
schaft. Im Verfahren um handhafte That begegnet uns die Verwendung
von Eidhelfern, die als Nachbarn auf das Gerüfte hin herbeigeeilt
waren und den Thatbestand wahrgenommen hatten 79.

Indem die Helfer die Wahrheit des Parteieides beschwören, machen
sie sich dafür verantwortlich. Stellt sich der Parteieid hinterher als
ein Meineid heraus, so sind auch die Eidhelfer des Meineides schuldig.
Die ältere Zeit nahm dabei auf den guten Glauben des einzelnen Eid-
helfers keinerlei Rücksicht gemäſs ihrem allgemeinen Strafrechtsprinzip,
welches mit dem objektiven Thatbestande des Verbrechens die rechts-
widrige Absicht ohne weiteres als gegeben betrachtete. Das salische
Volksrecht behandelte den Meineid der Eidhelfer nach Art des Banden-
verbrechens. Es strafte die drei ersten Helfer mit je fünfzehn, die
übrigen mit je fünf Solidi 80. Nach ribuarischem Rechte verwirkte
jeder Helfer 15 Solidi, dieselbe Buſse, die auch den Hauptmann traf 81.
Bei den Friesen bezahlte der Eidhelfer das Wergeldsimplum, halb so
viel als der Hauptmann 82. Die weitere Entwicklung zeigt die Tendenz,
einerseits die Meineidsstrafen zu verschärfen, andererseits aber zwischen
wissentlichem und unwissentlichem Meineide zu unterscheiden. Schon
fränkische Buſsbücher setzen verschiedene kirchliche Buſse auf wissent-
lichen, fahrlässigen und gutgläubigen Falscheid 83. In das weltliche

79 Siehe unten S. 399.
80 Lex Sal. 48, 2 (Cod. 5. 6. 10 und Emend.). Vgl. unten § 128.
81 Lex Rib. 66, 1 vgl. mit 68, 3.
82 Lex Fris. 10 und 14, 3.
83 Pseudo-Egbert 34, Waſserschleben S. 314: qui ductus est in iuramentum
et in eo nihil nisi rectum scit et nihilominus cum aliis periurium facit itaque de-
cipitur et postea norit quod falsum fuerit, tria legitima jejunia jejunet. Paeniten-
tiale Arundel 31, Schmitz S. 446, unterscheidet conscii und ignorantes, bei letz-
teren wieder: si fidelem (den Hauptmann) cognoverint, und: si autem infidelem aut
dubium cognoverint.
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[389/0407] § 104. Parteieid und Eideshilfe. worden sind. Stets aber konnte, wenn Verwandte nicht vorhanden waren, mit nicht verwandten Eidhelfern geschworen werden. Bei den Voreiden des Klägers legte man wohl nur ausnahmsweise Gewicht auf die Verwandtschaft der Helfer; so z. B. bei dem Voreide der Todschlags- klage auf die Verwandtschaft mit dem Erschlagenen. Schlechtweg ausgeschlossen war das Bedürfnis verwandter Helfer in dem Verfahren um handhafte That. Als ein selbständiges Erfordernis findet sich in einzelnen Rechten, insbesondere bei den Angelsachsen und im Norden, das der Nachbar- schaft, nach welchem die Eidhelfer entweder sämtlich oder zu einem bestimmten Teile aus den Nachbarn des Schwörenden genommen werden müssen. Mitunter dient die Nachbarschaft als Ersatz der Mag- schaft. Im Verfahren um handhafte That begegnet uns die Verwendung von Eidhelfern, die als Nachbarn auf das Gerüfte hin herbeigeeilt waren und den Thatbestand wahrgenommen hatten 79. Indem die Helfer die Wahrheit des Parteieides beschwören, machen sie sich dafür verantwortlich. Stellt sich der Parteieid hinterher als ein Meineid heraus, so sind auch die Eidhelfer des Meineides schuldig. Die ältere Zeit nahm dabei auf den guten Glauben des einzelnen Eid- helfers keinerlei Rücksicht gemäſs ihrem allgemeinen Strafrechtsprinzip, welches mit dem objektiven Thatbestande des Verbrechens die rechts- widrige Absicht ohne weiteres als gegeben betrachtete. Das salische Volksrecht behandelte den Meineid der Eidhelfer nach Art des Banden- verbrechens. Es strafte die drei ersten Helfer mit je fünfzehn, die übrigen mit je fünf Solidi 80. Nach ribuarischem Rechte verwirkte jeder Helfer 15 Solidi, dieselbe Buſse, die auch den Hauptmann traf 81. Bei den Friesen bezahlte der Eidhelfer das Wergeldsimplum, halb so viel als der Hauptmann 82. Die weitere Entwicklung zeigt die Tendenz, einerseits die Meineidsstrafen zu verschärfen, andererseits aber zwischen wissentlichem und unwissentlichem Meineide zu unterscheiden. Schon fränkische Buſsbücher setzen verschiedene kirchliche Buſse auf wissent- lichen, fahrlässigen und gutgläubigen Falscheid 83. In das weltliche 79 Siehe unten S. 399. 80 Lex Sal. 48, 2 (Cod. 5. 6. 10 und Emend.). Vgl. unten § 128. 81 Lex Rib. 66, 1 vgl. mit 68, 3. 82 Lex Fris. 10 und 14, 3. 83 Pseudo-Egbert 34, Waſserschleben S. 314: qui ductus est in iuramentum et in eo nihil nisi rectum scit et nihilominus cum aliis periurium facit itaque de- cipitur et postea norit quod falsum fuerit, tria legitima jejunia jejunet. Paeniten- tiale Arundel 31, Schmitz S. 446, unterscheidet conscii und ignorantes, bei letz- teren wieder: si fidelem (den Hauptmann) cognoverint, und: si autem infidelem aut dubium cognoverint.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/407>, abgerufen am 22.11.2024.